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http://www.zeit.de/online/2009/11/koeln-stadtarchiv-handschriften

Auszug:

Den Verlust von Menschenleben kann man nicht gegen kulturelle Verluste aufrechnen. Quander sagt, sie seien womöglich größer als der Schaden nach dem Brand der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar.

"Wir hatten sehr viele Unikate, von denen es keine Abschriften oder Sicherheitsverfilmungen gibt und die teilweise noch nie publiziert wurden.“ Bei 30 Regalkilometern habe man mit der Digitalisierung erst am Anfang gestanden. Einige Mikrofilme aus Köln zählen zwar zu den 2000 Tonnen sicherungsverfilmten Archivguts im Oberrieder Stollen im Schwarzwald. Aber Kopien ersetzen kein Original.

Das betont auch Eef Overgaauw, Leiter der Handschriftenabteilung der Berliner Staatsbibliothek. Er kennt das Archiv der Kollegen. "In der Stabi lagern zwischen 7000 und 8000 mittelalterliche Handschriften, in Köln gab es weit über 1000,“ erinnert er sich. Auch Overgaauw zieht den Anna-Amalia-Vergleich: "Das historische Gebäude der Weimarer Bibliothek ist ungleich wertvoller. Aber das Kölner Gebäude von 1971 war ein seinerzeit sehr fortschrittliches Gebäude, wegen der besonderen Klimatechnik. Die Außenluft wurde nach innen geleitet, für die Regelung des Mikroklimas im Magazin.“ Und was dort lagerte, war ebenso wertvoll wie die Bücherschätze von Weimar. Wegen der Bedeutung des mittelalterlichen Köln für Europa. Und wegen der Originale.

Allein die über 500 Schreinsbücher, in denen Katastereintragungen seit dem 12. Jahrhundert verzeichnet sind. Oder Zehntausende Testamente. "Gedruckte Bücher gibt es in einer bestimmten Auflage. Wenn eins vernichtet ist, kann man es ersetzen, Handschriften nicht“, sagt Overgaauw. "Alles, was wir über die Antike und das Mittelalter wissen, kennen wir aus ihnen. Sie sind die Zeugnisse ganzer Epochen. So war zum Beispiel das Karthäuser-Kloster St. Barbara, aus dem in Köln über 100 Handschriften lagen, im frühen 16. Jahrhundert eins der intellektuellen Zentren Westdeutschlands. Die Karthäuser verfassten theologische Werke, sie waren in den Handschriften der Klosterbibliothek überliefert.“

Warum sind Dokumente in Plastikfolien, tonnenweise beschriebenes Papier in Hängeschränken oder Schriftwechsel, die in staubdichten Pappkartons verwahrt werden, so unendlich kostbar – im Zeitalter der Digitalisierung?

Robert Kretzschmar, Präsident des Verbandes deutscher Archivarinnen und Archive (VdA), erklärt es so: "Archivgut gibt es oft nur ein einziges Mal. Das Haptische einer Urkunde ist unwiederbringlich dahin, wenn das Unikat zerstört ist. Es ist, wie wenn wir von der ,Mona Lisa’ nur noch eine Reproduktion hätten.“

Overgaauw spricht von der dritten Dimension. "Ein gedrucktes Buch ist zweidimensional, eine mittelalterliche Handschrift dreidimensional. Es gibt die Schrift auf Pergament oder Papier, und noch viel mehr: die Struktur, die Farben, die Beschaffenheit, den Einband.“ Overgaauw weiß, wovon er spricht: Die juristischen Handschriften aus Köln wurden in der Berliner Staatsbibliothek katalogisiert. Oft wurden später Eintragungen vorgenommen, die selbst auf einer guten Kopie kaum entzifferbar sind. Bei Codices sind die Initialen kunstvoll verziert – Meisterwerke der Buchmalerei.

Köln. Rheinische Geschichte, deutsche Geschichte, Europageschichte. "Jede Generation“, sagt Robert Kretzschmar, der auch das Landesarchiv von Baden-Württemberg leitet, "geht mit neuen Fragen an die Dokumente der Vergangenheit heran. Ein Archiv ist ein unerschöpfliches Reservoir für diese Auseinandersetzung.“ Nicht nur für die Forschung. Eine Ratsurkunde bedeutet immer auch Identitätsstiftung. Und ein Stadtarchiv birgt komprimierte, in immer neuen Facetten abrufbare Geschichte mit hohem emotionalem Faktor. Deshalb hatte sich die Archivleiterin Bettina Schmidt-Czaia, seit 2004 im Amt, um mehr Bürgernähe bemüht. Deshalb hatte sie erst kürzlich den Platzmangel in Deutschlands größtem kommunalen Archiv beklagt und die Forderung nach einem baldigen Neubau bekräftigt. Bis Ostern sollte der Standort für den 40-Millionen-Euro-Bau gefunden sein.

[...] Nur wenige deutsche Stadtarchive sind laut Overgaauw ähnlich reich, München, Augsburg oder Nürnberg.

Ein Schatz, der sich nun in einen Schutthaufen verwandelt hat. Dennoch warnt VdA-Präsident Kretzschmar: "Bitte noch keine Nachrufe auf das Stadtarchiv schreiben.“


Dort auch weitere Beiträge:
http://www.zeit.de/feuilleton/index

Achatz von Müller kommentiert:

Was geschah also in Köln? Nichts weniger als ein Anschlag auf unser aller Gedächtnis. Im Namen des rasenden Stillstandes werden wir verurteilt, nur noch auf uns selbst zu blicken. Tausche drei Minuten verkürzte Fahrzeit gegen 1000 Jahre Gedächtnis, lautet das Motto dieses Anschlages. Der Terrorist, der ihn verübte, sind wir selbst.

Interview mit einem verzweifelten Doktoranden:
http://www.zeit.de/2009/12/C-Gefragt-Stadtarchiv-Koeln
ladislaus (Gast) meinte am 2009/03/12 18:42:
Kann eigentlich mal einer der deutschen Bibliothekarszunft sagen, dass man alte Bücher nicht mal so einfach ersetzen kann? Ich kann es nicht mehr hören. Historische Bücher sind in einem gewissen Sinn ebenfalls Unikate. Gerade die Weimarer Bücher mit ihren Benutzungsspuren von Goethe & Co. kann man nun wirklich nicht mal schnell im Antiquariat nebenan ersetzen. 
 

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