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Ich selbst war noch nie in der ostslowakischen Region der Zips, die gut 12 Autostunden von dem Raum Düsseldorf entfernt liegt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Zips

Neben den Kulturdenkmälern existiert eine reiche historische Überlieferung, die im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit überwiegend auf Deutsch geschrieben wurde.

"Ungefähr bis zum 15. Jahrhundert bestand die Führungsschicht aller slowakischen Städte fast ausschließlich aus Deutschen."
https://de.wikipedia.org/wiki/Karpatendeutsche

Eine kleine Anzahl von Handschriften und alten Drucken aus der historischen Schulbibliothek (Lyzealbibliothek) von Käsmark (ich verwende hier nur die deutschen Ortsnamen und lasse bei Namen slawische Diakritika weg), deren Altbestand etwa 70.000 Titel umfasst, präsentiert seit etlichen Jahren die UB Bielefeld als Digitalisate:

http://www.ub.uni-bielefeld.de/diglib/kesmark/

Zur Bibliothek:

http://fabian.sub.uni-goettingen.de/?Kezmarok

Hinzu kommt ein Gemeinschaftskatalog historischer Zipser Bibliotheken

http://www.ub.uni-bielefeld.de/databases/zips/

Die auch online verfügbare Übersicht zum deutschsprachigen Archivgut in der Slowakei

http://archiv.twoday.net/stories/565872086/

enthält nur ausgewählte staatliche Archive (also beispielsweise nicht das staatliche Gebietsarchiv Leutschau).

Riesige Verdienste um die Erschließung und Edition deutschsprachiger Texte in der Slowakei hat der aus Finnland stammende Sprachhistoriker Ilpo Tapani Piirainen (* 15. November 1941 in Kiihtelysvaara in Nordkarelien/Finnland; † 26. August 2012 in Steinfurt)

https://de.wikipedia.org/wiki/Ilpo_Tapani_Piirainen

Als Werbung für das vergessene deutschsprachige Kulturgut könnte ein Band dienen, der mir dank der Liebenswürdigkeit von Petr Hrachovec (Prag) vorliegt.

Ilpo Tapani Piirainen, Sonja Pollakova: Die Chroniken der frühen Neuzeit aus der Zips. Levoca/Leutschau 2013. 230 S., Literaturverzeichnis S. 21, 209-230
ISBN 978-80-969456-9-6, geb. (10 Euro plus Porto, Bezugsadresse in den AHF-Informationen, Link folgt gleich)

Einen gewissen, teilweise irreführenden Überblick gab im März 2013 eine Buchanzeige von Willi Eisele

http://www.ahf-muenchen.de/Buchanzeigen/2013/BA013-13.pdf

Ihr ist nicht zu entnehmen, dass die acht Chroniken des Editionsteils nicht die gleichen acht Chroniken sind, die in der Einleitung von Piirainen (künftig: P.) erwähnt werden.

Und wo bitteschön kann dieses für die frühneuzeitliche deutschsprachige Stadthistoriographie ja durchaus nützliche Buch eingesehen werden? Befragt man den KVK, so lautet die Antwort: nirgends! Es ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass eine Institutsbibliothek den Band besitzt (in Münster, P.s letztem Wirkungsort als Hochschullehrer, ist das nicht der Fall), aber ich kann via Google nur einen einzigen Standort des Buchs weltweit nachweisen: in der UB Bratislava!

https://ukb.kis3g.sk

Soweit es das Sondersammelgebiet Geschichte der BSB München angeht, halte ich die Nichtauswertung der AHF-Information und die Nichtanschaffung des Buchs für eine eindeutige Amtspflichtverletzung des zuständigen Fachreferenten!

Mittelalterliche Codices - bekanntlich in reicher Fülle als Digitalisate im Netz - sind zugänglicher als dieses wissenschaftliche Werk! Selbst die vielgeschmähten Bücher aus dem Verlag Dr. Müller sind in deutschen Bibliotheken verbreiteter.

http://archiv.twoday.net/stories/472713645/

Ich kann es immer wieder nur wiederholen: Wissenschaft braucht Sichtbarkeit via Open Access. Gibt es noch ein schlagenderes Argument als dieses Exempel?

So fantastisch es ist, dass die Autoren sich auf deutsch um deutschsprachiges Kulturgut, das außerhalb der Slowakei und sprachwissenschaftlicher Kreise so gut wie nicht bekannt ist (ich hatte von keiner der Chroniken je zuvor etwas gelesen), bemühen, so wenig befriedigt die Art und Weise, wie sie das tun.

In Sachen Eigenplagiate erwartet man heute einen deutlichen Hinweis, wenn eigene ältere Arbeiten wiederholt werden. Zwei wichtige frühere Arbeiten von P., der im abschließenden Literaturverzeichnis eine stattliche Liste von Publikationen vorweisen kann, werden nicht erwähnt.

Acht Chroniken des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit aus der Zips/Spiš. Ein Beitrag zur deutschsprachigen Geschichtsliteratur in der Slowakei. In: Geschichte, Gegenwart und Didaktik / hrsg. von Ilpo Tapani Piirainen ..., 2004. - S. 65 ff. (liegt mir nicht vor)

Piirainen, Ilpo Tapani / Skála, Emil: Texte der Frühen Neuzeit aus der Slowakei (Beiträge zur Editionsphilologie, Band 3), 2004
Inhaltsverzeichnis:
http://www.weidler-verlag.de/Reihen/Beitrage_zur_Editionsphilologi/bze03/bze03.html

Die wie der Aufsatz betitelte Einleitung P.s in dem Band von 2013 dürfte identisch sein mit beiden früheren Texten. Die Gliederung der Vorstellung von acht Chroniken in der Textausgabe 2004

2.1 Die Zipser bzw. Georgenberger Chronik
2.2 Eine anonyme Chronik aus dem Jahre 1493
2.3 Chronik von Konrad Spervogel 1515-1537
2.4 Chronik von Daniel Türk 1548-1559
2.5 Weltchronik und Zipser Chronik im Rechtsbuch der XI Städte
2.6 Weltchronik
2.7 Zipser Chronik
2.8 Die Leutschauer Chronik von Caspar Hain
2.9 Die Chronik von Johann Briechenzweig

entspricht exakt der Gliederung 2013 (3.1 bis 3.7).

Wie man den Schnipseln

http://books.google.de/books?ei=7WfEUpCqF6GG4ATUk4GADQ

entnehmen kann, stimmt auch der Wortlaut der 2004 edierten Chronik des Martin Frölich mit der Ausgabe 2013 überein.

Von einer modernen Chronikausgabe sollte man erwarten: Es wird angegeben, nach welcher Handschrift (genaue Signatur, Seitenangaben) ediert oder welche Druckausgabe zugrundegelegt wurde. Diese Information fehlt teilweise.

Editionsrichtlinien: Fehlanzeige!

Register: Fehlanzeige!

Sachkommentar: Fehlanzeige!

Man hat also eher Transkriptionen vor sich als eine Edition.

Unklar bleibt, insbesondere weil die Co-Autorin das deutsche Wort "Fragment" irreführend verwendet, nach welchen Kriterien Auszüge gegeben werden (dies ist offenbar bei Hain und Briechenzweig der Fall, ob sonst noch gekürzt wurde, wird nirgends gesagt).

Eine saubere quellenkundliche Einleitung: Fehlanzeige! Ich finde es offen gesagt schockierend, dass ein hochdekorierter Hochschullehrer, der als Sprachhistoriker und Editor höchstwahrscheinlich ein guter Wissenschaftler war, es nicht schafft, die literaturwissenschaftliche Forschung und moderne Fragestellungen zur deutschsprachigen Historiographie angemessen zu rezipieren. Was P. S. 8-10 allgemein zur Chronistik schreibt ist einfach nur peinlich und auf dem Stand von de Boor 1962. Von einem Studenten im Proseminar würde ich erwarten, dass die einzelnen vorgestellten Texte sauber quellenkundlich beschrieben werden: von wem verfasst, von wann, welche Quellen, Gegenstand?

Will man sich einen Überblick (Inhalt und Quellen) über die "Georgenberger Chronik" verschaffen, so muss man zum Verfasserlexikon greifen, in dessen zweiter Auflage Band 2, 1980 Peter Johanek, Sp. 1206f. einen kurzen Artikel vorgelegt hat. Dem von mir sonst so geschmähten DLL entnehme ich die Signatur der Handschrift im Kreisarchiv Deutschendorf (= Podrad): Cod. 14 (Kat. Nr. 656), Bl. 5v-10v (2. H. 15. Jh.)

http://books.google.de/books?id=nzqLp6td3z4C&pg=PR405

Es ist also schlichtweg falsch, dass die Georgenberger Chronik (die man anders benennen sollte, da es auch eine Tiroler Georgenberger Chronik gibt
http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_03111.html )
in der deutschsprachigen Geschichtsliteratur niemals erwähnt wurde, wie P. S. 11 schreibt.

Ich gebe im Folgenden einige Basisinformationen zu allen in dem Band vorgestellten oder edierten Werken.

Zipser bzw. Georgenberger Chronik
Text S. 35-52
Überlieferung siehe oben
Nach Johanek bis 1454, S. 52 letztes Datum 1448. Die Autoren geben keinen Berichtszeitraum an!

Eine anonyme Chronik aus dem Jahre 1493
Anscheinend komplett ediert S. 13 eine deutschsprachige Notiz über Friedrich III. und seinen Tod 1493 aus dem Fragmentenbestand des Gebietsarchivs Leutschau (genaue Signatur fehlt). Anscheinend alles, was P. von dem Papiereinzelbaltt lesen konnte. Dürfte wohl Teil eines größeren Werks aus dem Ende des 15. Jahrhunderts sein, doch fehlen jegliche dafür aussagekräftige kodikologische Angaben.

Text: Nach Christi gepurt XIIII c(entum) vnd in d(em) XV Jar an den phenztag vmb vesper Zeit an sand Matheo evangeslisten ab(e)nt ist kaiser friedrich geporn worden in der Newstat, Vnd ist zu Lintz gestorben. Nach Christi gepurd XIIII c(entum) vnd LXXXXIII Jar, an montag vormittag XI stund nach sand peretlniestag XII potten tag vnd leit zu Wienn pegraben. Vor sein(em) tod hat er In ain(em) fues vnder kny abschneiden lassen. Am Sambstag sand preimbs sand felicianstag ab(e)nt vor mittag zwischen der funfften vund der sechssten stund Im LXXXXIII Jar.

Chronik von Konrad Spervogel 1515-1537
Nicht ediert, kurz besprochen S. 13f.
Konrad Spervogel stammte aus Konstanz und gehörte dem Stadtrat von Leutschau an, gestorben wahrscheinlich 1537. Eine Edition der 700 Chronikseiten erarbeitet Ivan Chalupecki, einzelne Abschnitte edierten Wagner 1774 und Sopko 1995 (auf slowakisch). P. gibt zwei kurze Textproben, eine auf Latein, eine auf Slowakisch nach Sopko. Sapienti sat.

Auch für diesen Abschnitt wurde ein früherer Textbaustein verwendet, siehe
http://books.google.de/books?id=S6ZbAAAAMAAJ&q=%22konrad+spervogel%22
Google liefert auch einen Hinweis zum Standort der Handschrift: "Diary of Konrad Spervogel, MSS at the Protestant rectory at Levoca, Photocopies in the Historical Institute of the Slovak Academy of Sciences".

Chronik von Daniel Türk 1548-1559
Türk (* 1510 in Kaschau) war zeitweilig Bürgermeister in Leutschau, wo er als Schulleiter und - 1552-1578 - als Notar der Stadt wirkte. Nach P. S. 15 liegt die Handschrift seiner Chronik in der Nationalbibliothek Budapest Cod. 556.

Weltchronik und Zipser Chronik im Rechtsbuch der XI Zipser Städte
Wiederabdruck aus der Edition von P. in: das Rechtsbuch der XI Zipser Städte (2003), in dem Buch von 2013 stehen die Texte auf S. 157f. bzw. 159-163. Signatur der Handschrift fehlt, nach ²VL 11, 596 Nr. 2 des bereits genannten Leutschauer Fragmentenbestands
http://books.google.de/books?id=k5blAAAAMAAJ&q=%22rechtsbuch+der+xi+zipser%22
Das Rechtsbuch wurde überwiegend Mitte des 16. Jahrhundert von dem Leutschauer Stadtschreiber Melchior Genersich geschrieben.

Edition eines Teilstücks aus dem Rechtsbuch in einer Hausarbeit von 2002:

http://www.linguistics.ruhr-uni-bochum.de/~strunk/HausarbeitHandschriftenkunde.pdf

Die Zipser Chronik hat einen Schwerpunkt auf Käsmark und reicht von 1526 bis 1546.

Das Weltchronik-Fragment von Anfang der Welt bis Saladin (S. 157) ist die Magdeburger Weichbildchronik, mir vertraut aus meinen unveröffentlichten Schöppenchronik-Studien. Schlecht informiert:

http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_04593.html

Einziger Abdruck bisher von Daniels/Gruben 1858 (hier S. 26-35, stark gekürzt:

http://books.google.de/books?id=oyRGAAAAcAAJ&pg=PP20

Von P. offenkundig nicht identifiziert.

Leutschauer Chronik von Kaspar Hain
Text S. 53-116
Als Vorlage diente wohl ein früherer Abdruck, nur welcher?
Caspar Hain wurde 1632 in Kaschau geboren und war Ratsherr, zeitweilig auch Bürgermeister in Leutschau, zuletzt 1682/83. Berichtszeitraum nach P. "1500-1684", aber die annalistischen Nachrichten beginnen schon S. 54 schon 1241. Das Autograph ist verschollen, es soll mehrere Abschriften geben.

Ungarische Historiker edierten die Chronik 1910-1913 sorgfältig laut Historischer Bücherkunde Südosteuropa

http://books.google.de/books?id=xfJuLWpQo-oC&pg=PA875

Da die Ausgabe 558 Seiten hatte, liegt 2013 nur ein Bruchteil in der Ausgabe von 2013 vor. Hat man womöglich nur die Auswahl-Ausgabe von Fritzi Mally 1943 zugrundegelegt? Es ist doch ein Unding, dass man bei einer Auswahlausgabe nichts über die Tatsache der Auswahl und die Textgrundlage erfährt!

Laut der Bücherkunde soll es lange lateinische Einschübe geben, die natürlich hier fehlen. Und auch ein Zitat aus der älteren Literatur zu 1650

http://books.google.de/books?id=yYkAAAAAcAAJ&pg=PA165

ist nicht vorhanden. Zu 1650 gibt es 2013 keinen einzigen Eintrag!

Chronik von Johann Briechenzweig
Nur kurze Auszüge der 753 Seiten umfassenden Chronik wiedergegeben S. 117-119, als Signatur wird von der Co-Autorin S. 28 genannt: Gebietsarchiv Leutschau "Fond Zbierka pisomnosti rozlicnej proveniencie, kr. 10, c. 106" (Sammlung verschiedener Provenienzen).
Briechenzweig, ca. 1622 in der Zips geboren, war ebenfalls zeitweilig Ratsmitglied in Leutschau (1676 und 1680). Er schrieb bis 1681.

Soweit die acht Chroniken aus der Einleitung von P.

Chronik des Gabriel Golnich, Glöckner von Leutschau
In dem soeben genannten Leutschauer Bestand kr. 6, inv. c. 50). Anscheinend unveröffentlicht, erhalten nur die S. 15-30, ediert in der vorliegenden Ausgabe S. 121-130. Nachrichten von 1204 bis 1665. Über den Autor ist anscheinend nichts bekannt.

Die Nachricht 1376 (S. 127) zur Sage vom Rattenfänger zu Hameln ("Aber nur Mährlein") fußt offenbar auf gedruckter frühneuzeitlicher Kompilationsliteratur.

Leutschauer Chronik von Martin Frölich
Im genannten Leutschauer Archivbestand kr. 29 inv. c. 215. Text S. 131-156 offenbar nach der Ausgabe von 2004. Berichtszeitraum 1075-1831. Von P. erfährt man dazu nichts, da er darauf verzcihtet hat, etwas aus der Einleitung seiner Ausgabe 2004 zu entnehmen. Die Co-Autorin schreibt S. 29 nichts aber auch gar nichts, wer dieser Martin Frölich war - etwa ein Leutschauer Pfarrer des 17. Jahrhunderts (teste Google Books)? Man erfährt nur, dass seine Verfasserschaft nicht gesichert sei.

Chronik der Stadt Leibitz
Erstausgabe der Co-Autorin S. 165-207 nach der Handschrift des Archivs des katholischen Pfarramts Leibitz. Nachrichten von 1282 bis 1885. Eintragungen zu 1884/85 durch den Lehrer Josef Pollagh. Seitenwechsel wird hier (wie auch sonst) nicht markiert.

Die Mängel des Buchs sind hinreichend deutlich geworden. Wer die frühneuzeitlichen Chroniktexte zitieren möchte, muss sich bei sorgfältiger Arbeit teilweise um frühere entlegene Ausgaben bemühen. Er braucht zur Einordnung der Quelle quellenkundliche Basisinformationen, die ihm häufig vorenthalten werden.

Es ist so traurig, dass diese schönen Quellen mit ein wenig professioneller Hilfe erheblich besser hätten dargeboten werden können. Mit geringem Aufwand hätte man die Transkriptionen auch ins Netz stellen können, begleitet von Handschriftendigitalisaten, die heutzutage selbst in der Slowakei nicht mehr die Welt kosten dürften. Das zähe Festhalten am Buchdruck ist einfach nur kontraproduktiv und schadet sowohl der Wissenschaft als auch dem wahrhaft europäischen Anliegen zu zeigen, "dass die Zips keine finstere Provinz, sondern eine blühende Kulturlandschaft war" (P., S. 20)

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