Allgemeines
Architekturarchive
Archivbau
Archivbibliotheken
Archive in der Zukunft
Archive von unten
Archivgeschichte
Archivpaedagogik
Archivrecht
Archivsoftware
Ausbildungsfragen
Bestandserhaltung
Bewertung
Bibliothekswesen
Bildquellen
Datenschutz
... weitere
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren
null

 
Sigrid Krämer: Bibliothecae codicum medii aevi. Handschriftenbibliotheken des europäischen Mittelalters. Versuch einer Rekonstruktion mittelalterlicher Bibliotheken in Europa nach dem heute noch vorhandenen Handschriftenbestand. Datenbank mittelalterlicher Bibliotheken und ihrer Handschriften. in Deutschland und anderen Ländern Europas. Dr. Erwin Rauner Verlag 2009-2010

Zur Rezension war mir die Online-Version zugänglich, die für Privatpersonen 85 Euro im Jahr kostet und über die auf

http://www.erwin-rauner.de/wissenschaft.htm#biblcod

zu lesen ist:

"Stark erweiterte und ergänzte Fassung des auf Deutschland beschränkten "Handschriftenerbe"s Sigrid Krämers, das 1989-1990 in drei Teilen (Teil 3 in Zusammenarbeit mit Michael Bernhard) erschienen war und nur einen Teilbereich des von Sigrid Krämer seit 1970 gesammelten Materials umfaßte.
Mehr als 40.000 Nachweise zu Codices (ohne summarisch verzeichnete Bestände zu zählen) und mehr als 4600 mittelalterliche Bibliotheken werden aufgeführt.
Recherchierbar sind in digitaler Form nicht nur die beschreibenden Texte zu mittelalterlichen Bibliotheken, die geograpische und soziokulturelle Informationen enthalten (Diözesen, Orden, Patrozinien), sondern auch die Informationsstrukturen zu mittelalterlichen Codices (moderne Bibliotheksorte, Signaturen, Datierungen, Rezipienten-, Provenienz- und Literaturangaben), so dass ein Forschungsinstrument entstand, das vielen Fragehorizonten neue Perspektiven ermöglicht.

Sigrid Krämer, pupil and collaborator of Bernhard Bischoff, collected since 1970 material concerning mediaeval libraries and is trying to reconstruct these libraries based on the heritage of mediaeval manuscripts in modern libraries spread over the whole western world. More than 4600 mediaeval libraries, more than 40.000 codices (without counting whole preserved collections) are listed. Written mostly in German, but highly condensed to international scientific standards. In the present digital form as database all parts of information are searchable, mediaeval libraries and their descriptions, as well as the references to manuscripts (signature, dates, persons, main texts, literature) spread allover the western world. It contains much more material than the 1989-90 printed "Handschriftenerbe" Sigrid Krämer's. The "Bibliothecae codicum medii aevi" are valuable for all who are interested in mediaeval manuscripts, manuscript tradition, history of books and libraries."

Mit früheren Datenbanken Krämers im Rauner-Verlag habe ich mich bereits in Rezensionen auseinandergesetzt:

Scriptores possessoresque codicum medii aevi (seit 2007 im Rahmen der Nationallizenzen für Interessenten mit deutschem Wohnsitz kostenfrei verfügbar):

http://archiv.twoday.net/stories/3118097/

Besprechung des Vorgängerprodukts (Schreiberdatenbank als CD):

http://www.aedph-old.uni-bayreuth.de/2004/0042.html

Wer Zugang zum kostenpflichtigen DigiZeitschriften hat, kann die umfangreiche Stellungnahme von Klaus Klein zum Vorgängerwerk (Handschriftenerbe des Mittelalters 1989-1990) der jetzt vorzustellenden Datenbank (ZfdA 121, 1992, S. 216-230) lesen, der abschließend von einem enttäuschenden und unbefriedigenden Resultat sprach.

Enttäuschend und unbefriedigend ist - wer meine früheren Besprechungen gelesen hat, wird sich nicht wundern - auch diese Datenbank. Es ist schon nicht einzusehen, wieso mit großem Einsatz öffentlicher Mittel dienstlich erarbeitete Ergebnisse privat vermarktet werden statt "Open Access" den größten Nutzen für die Forschergemeinde zu stiften.

Wie der gedruckte Band steckt auch die Datenbank voller Fehler. Um einen Eindruck von der Fehlerdichte zu geben, greife ich die Pfullinger Klarissen heraus.

PFULLINGEN, Kr. Reutlingen (BW), Diöz. Konstanz, Klarissen 1252-1535. Um 1250 von Nonnen aus Söfflingen begründet, 1461 von Observanten reformiert, 1540 in das leere Franziskanerinnenklosters Leonberg versetzt, 1551 zurückgeführt, bis etwa 1595.

LITERATUR (3) Bibliographia
LThK (3.Aufl.) 8 (1963), S. 430.

Karl-Heinrich Roth von Schreckenberg, Beiträge zur Geschichte der Stadt Pfullendorf, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 31 (1879), S. 165ff.

Joseph Gatz, in: Alemannia Franciscana Antiqua 17 (1972), S. 169-216.


Auch ohne etwas von der Klostergeschichte zu wissen, stößt man auf einen Widerspruch: Was war zwischen 1535 und 1540?

Söfflingen ist Söflingen.

Absolut unverzeihlich ist es, einen Beitrag zu Pfullendorf bei Pfullingen einzusortieren. Der Autor heißt auch nicht Schreckenberg und die bibliographische Angabe ist falsch (ich zitiere den Regesta-Imperii-OPAC):

Beitrag zur Geschichte der Stadt Pfullendorf
Roth von Schreckenstein, Karl Heinrich Frhr.. (1879) - In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Bd. 31 (1879) S. 1-46, 140-167

Seit 2003 ist das Württembergische Klosterbuch gedruckt, seit etlichen Jahren ist es online. Zu den Handschriften maßgeblich wäre:

Felix Heinzer: Bücher aus der Klausur – Das weltabgewandte Leben der Pfullinger Klarissen im Spiegel ihrer Bibliothek und Schreibtätigkeit, in: Franziskus, Klara und das Pfullinger Kloster (Beiträge zur Pfullinger Geschichte 13), Pfullingen 2003, S. 40-61

Selbst in den USA oder in Neuseeland kann man sich mit dem Internet wertvollere Informationen über das Pfullinger Kloster (und seine Handschriften) verschaffen als Krämer anzubieten hat.

Nicht die unvermeidlichen Fehler stehen zur Rede, sondern die außerordentlich schlampige Machart der Kompilation. Ohne Überarbeitung wurden nicht weiter überprüfte und schludrig notierte Daten zusammengeworfen.

Beispielsweise erscheint die Bibliothek der Grafen von Ortenburg sowohl bei Tambach (bei Bamberg) als auch bei Thambach (Kr. Dingolfing-Landau).

Sehr zu begrüßen ist, dass die auf Wunsch Bernhard Bischoffs im "Handschriftenerbe" entfernten Literaturangaben zu den einzelnen Handschriften eingefügt wurden. Nun ist beispielsweise klar, wieso Krämer den Stuttgarter Cod. hist. qt. 237 den Augsburger Dominikanerinnen zuwies (siehe zu deren Bibliothek meine "Ordensreform und Literatur in Augsburg" S. 131 http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/5242/ sowie Sabine Jansen http://kups.ub.uni-koeln.de/volltexte/2005/1596/). Sie berief sich auf Menhardt Bd. 3, S. 1395 (Krämer: "Menhardt, Katal. Wien 2", keine Auflösung im Literaturverzeichnis), der eine Abschrift 2. Grades von Pfeiffer verzeichnete:

http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0750c_b1395_jpg.htm

Hätte man die dort angegebene Beschreibung von Heyd überprüft, wäre man nicht auf die Idee gekommen, den Stuttgarter Codex, der eine Kopie des 18. Jahrhunderts aus einem Amtbuch des Augsburger Klosters von 1483 (typischer Zahlendreher bei Krämer: 1438) überliefert, dem Augsburger Konvent zuzuweisen.

Krämer hat sich auch nicht um die Kritikpunkte und Korrekturen Kleins geschert: Die schon seit Jahren nicht mehr in Donaueschingen befindliche Nibelungenhandschrift wird unverdrossen in Rohr verortet (Klein S. 223f.). Immer noch werden die (identischen) Kartausen Astheim und Ostheim bei Volkach aufgeführt.

Auch bei den neu aufgenommenen Standorten außerhalb Deutschlands herrscht die gleiche Schludrigkeit.

THALBACH bei Bregenz, Vorarlberg, Österreich, Franziskanerinnen, Vorher in Hirschthal (s. d.).

LITERATUR (2) Bibliographia
Werner Fechter, Eine Thalbacher Handschrift mit Meister Eckhart-Predigten, Exzerpten aus Seuse, dem Ps-Albertischen 'Paradisus animae' und anderem in Pavia, in: ZfdA 103 (1974), S. 311-333


Hier fehlen Daten zur Klostergeschichte und die Diözese (deren Ermittlung die Kompilatorin seinerzeit als beschwerlich empfand).

Völliger Unsinn ist der Hinweis auf Hirschthal. Bei diesem Ort sieht man mehr als deutlich, wie sehr die Kompilatorin mit der Geographie auf dem Kriegsfuß steht (nicht die beste Voraussetzung, wenn man ein geographisches Nachschlagewerk zu fertigen hat):

HIRSCHTHAL (Hirstall) bei Bregenz, Jagstkreis (BW), Diöz. Würzburg *(wohl Konstanz), Dominikanerinnen *(Franziskanerinnen) *1422-1796, dann nach Thalbach (s. d.) verlegt.

Zur Verwechslung Medingen/Medlingen siehe http://archiv.twoday.net/stories/4230116/

Historische Diözese von Kloster Stams ist Brixen, nicht Salzburg!

Handschriften aus Thalbach:

Augsburg, UB, Oett.-Wall. I. 2. 8°6 aus: Hirschthal, s. d.

Innsbruck, Museum Ferdinandeum, ...

Pavia, B Universitaria, Aldini 155 s. XV. Meister Eckhart, Werke; etc. Lit: Fechter (1974), S. 311-333.

Wien, ÖNB, 2831 s. XVmed. Lectionarium; etc. Lit: Verf. Lex. 7, 2. Aufl., 1989, S. 746 Nr. 128.

Wien, ÖNB, 2837 a. 1476/87 Misc. liturgica et ascetica; etc. s 1. Michael Geps, 2. Jörg Wittlinger. Lit: Unterkircher, Datierte Hss. Österreichs 3/1, S. 46f.

Wien, ÖNB, 2839 a. 1471. Sermones (dt.); etc. Lit: Unterkircher, Datierte Hss. Österreichs 3/1, S. 47.


Die Kompilatorin hatte keine Zeit oder Lust, die Aufsätze Fechters auszuwerten, der - Hinweisen von Kurt Ruh folgend - wesentlich mehr Wiener Handschriften aus Thalbach nachwies. Cod. 2990, in Thalbach geschrieben, war mit der Provenienz "Talbach bei Bregenz" schon bei Menhardt zu finden:

http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0750b_b0735_jpg.htm

Wenn eine so zentrale Quelle wie Menhardt nur lückenhaft ausgewertet wurde, bestätigt dies den Gesamteindruck, dass es ständig an der nötigen Sorgfalt fehlte. (Das gilt auch für die Texterfassung, da die Anzahl der Tippfehler das tolerierbare Maß überschreitet.)

Selbstverständlich ist diese schlechte Datenbank besser als gar keine Zusammenstellung, und man wird ihr viele wertvolle Hinweise entnehmen können. Aber die Zukunft gehört nicht einem solchen proprietären, privatwirtschaftlich vermarkteten Ein-Frau-Projekt, sondern einer gemeinschaftlich erarbeiteten Provenienz- und Schreiber-Datenbank. (Leider ignoriert der "Handschriftencensus" deutschsprachiger Handschriften weitgehend historische Provenienzen!)

Zur Technik ist anzumerken, dass die übliche Funktionalität der Rauner-Datenbanken gegeben ist. Ärgerlich ist, dass sich unendlich viele Einzel-Tabs öffnen, wenn man mit der Datenbank arbeitet, und bei internen Links weiß man dann nicht, in welchem bestehenden Tab der Link geöffnet wird. Dass überall Augsburg voreingestellt ist, muss man bei Suchen beachten. Werden sehr viele Handschriften gefunden (z.B. bei Augsburg, St. Ulrich und Afra), funktioniert die erweiterte Anzeige des jeweiligen Inhalts nicht.

#forschung
 

twoday.net AGB

xml version of this page

powered by Antville powered by Helma