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Zu http://archiv.twoday.net/stories/717440897/

Experten nahmen Müller in Schutz.

http://www.spiegel.de/unispiegel/jobundberuf/gerd-mueller-doktortitel-plagiat-sjaeger-kritisieren-verdacht-a-963426.html

Kommentar: Wenn Prominente in ihren wissenschaftlichen Arbeiten handwerklich unsauber sind, darf und muss das öffentlich gegeißelt werden ohne Rücksicht auf politische Implikationen. Natürlich ist es absolut daneben, hier bereits von einem "Plagiatfall" zu sprechen.

In Tabellen oder Aufzählungen mit Anführungsstrichen zu arbeiten, wirkt befremdlich und ist meines Wissens unüblich. Die Quelle wurde genannt, es liegt also keine Täuschung über das Ob der Entlehnung vor.

Müllers Quelle an der beanstandeten Stelle, Wolfgang Hackel 1978, hatte in der Fußnote formuliert:

"Heino Kaack hat in: Geschichte und
Struktur …; a.a.O., S. 544, elf Funktionen
der Jugendorganisationen genannt. Soweit
seine Aufstellung mit den vom Verfasser
gewonnenen Erkenntnissen übereinstimmt,
sind sie in diesen Katalog eingegangen."

Müller war keineswegs der erste, der Kaacks Aufstellung (1971) ohne wörtliche Anführungsstriche übernommen hat, wie die folgende Suche in Google Books zeigt:

https://www.google.de/search?q=organisatorische+Erfassung+und+Aktivierung+j%C3%BCngerer+Parteimitglieder&tbm=bks
bzw. (Phrasensuche, 12 Treffer)
https://www.google.de/search?tbm=bks&q=%22organisatorische+Erfassung+und+Aktivierung+j%C3%BCngerer+Parteimitglieder%22

Kaacks Funktionenkatalog war in den 1970er und 1980er Jahren geradezu "Gemeingut" der einschlägigen Studien zu politischen Parteien.

Googles miserable Metadaten gebieten Vorsicht, was den angeblichen Treffer von 1970 angeht, der vor Kaack 1971 läge, aber mit Kaack 1971 nicht identisch sein kann.

Bedenklich ist die Übernahme (ohne Anführungszeichen) im Fließtext durch Grotz in Eilfort (Hrsg.) 2004. Die Autorschaft von Grotz ergibt sich aus
http://bvbr.bib-bvb.de:8991/exlibris/aleph/a21_1/apache_media/ESUYHK49KI32PP1LSB7LFU57SIJDXK.pdf

Man könnte also als ungeschriebenes (?) wissenschaftliches Gewohnheitsrecht formulieren: In als solchen (z.B. durch Spiegelstriche oder Punkte) gekennzeichneten Aufzählungen und in Tabellen darf man die Vorlage wörtlich ohne Anführungszeichen übernehmen, ändern und ergänzen, sofern die Quelle angegeben wird.

Im Lichte der neuesten Tugendhaftigkeit ist zu empfehlen, dass man durch geeignete Hinweise (z.B. "Das Folgende überwiegend/teilweise wörtlich nach") den Sachverhalt transparent dokumentiert. Ich sehe keine grundsätzliche Notwendigkeit, die bisherige Praxis zu verbieten oder als handwerklich unsauber zu diffamieren, auch wenn sie mit dem Wortlaut der einschlägigen Passagen in Anleitungen zum wissenschaftlichen Arbeiten nicht zu vereinen ist. Ungewöhnlich ist ein solches Abweichen der wissenschaftlichen Praxis von Anleitungen keinesfalls.

Aufzählungen und Tabelleninhalte sind mit wissenschaftlichen Daten gleichzusetzen, die frei zu verwenden sind, wenn die Herkunft dokumentiert wird. Der Dispens von der strikten Kennzeichnungspflicht wörtlicher Übernahmen ist gerechtfertigt, da Verbesserungen, die sich durch Ergänzung und Veränderung des Wortlauts ergeben, im Interesse des wissenschaftlichen Fortschritts sind. In den mit Anführungsstrichen gekennzeichneten Passagen können aber nur Kürzungen (...), nicht aber sinnvolle Umstellungen ausgewiesen werden. Ich sehe nicht, was gewonnen wäre, wenn man etwa fordern würde, Übernahmen und Änderungen durch Farben wie bei Heidingsfelder zu dokumentieren.

Ähnlich verhält es sich mit Übersetzungen. Es ist meines Wissens üblich, Übersetzungen zu verbessern, wenn man darauf explizit hinweist. Siehe etwa Brunold-Bigler:

http://retro.seals.ch/digbib/view?rid=sav-001:1998:94::223&id=&id2=&id3=

Auch hier würde eine akribische Dokumentation der Änderungen, die sich ja nur des Werkzeugs der Anführungsstriche und der Kürzungskennzeichnung bedienen könnte, nur dazu führen, dass der Leser befremdet ist.

Wenn es darum geht, die Funktionen der Jugendorganisationen möglichst präzise aufzulisten, kann man nicht auf die sonst empfehlenswerte Devise "Mit eigenen Worten sagen!" verweisen. Eine bereits gefundene bündige Formulierung durch eine schlechtere eigene Wiedergabe zu ersetzen ist wohl kaum im Interesse der Wissenschaft.

Die urheberrechtliche Wertung bei geschützten Teilen wissenschaftlicher Arbeiten steht damit eindeutig im Widerspruch. Kaacks Funktionenliste könnten manche Gerichte als urheberrechtlich geschützt ansehen, obwohl bei wissenschaftlichen Texten höhere Hürden für den urheberrechtsschutz vom BGH statuiert wurden. Dann aber gilt neben dem Quellengebot das Änderungsverbot des Urheberrechts.

Eine einmal gefundene prägnante Formulierung darf, wenn sie denn als solche urheberrechtlichen Schutz genießt, NICHT übernommen werden, wenn man nicht in der Lage ist, sie mit eigenen Worten besser zu sagen. Gebetsmühlenhaft wiederholt die Rechtsprechung und Literatur zu § 51 UrhG, dass es nicht erlaubt ist, zu zitieren, wenn man damit sich (nur) eigene Ausführungen ersparen will:

https://www.google.de/search?q=%C2%A7+51+urhg+eigene+ersparen

https://www.google.de/search?q=%22leichter+zug%C3%A4nglich+zu+machen+oder+sich+selbst+eigene+Ausf%C3%BChrungen+zu+ersparen%22

Hier (wie auch sonst sehr oft) kann der Urheberrechtsschutz dem wünschenswerten wissenschaftlichen Fortschritt im Weg stehen, da das strikte Änderungsverbot des Zitatrechts "Verbesserungen" behindert.

Update:
http://causaschavan.wordpress.com/2014/04/09/betrifft-plagiatsvorwurfe-gegen-entwicklungsminister-muller/

http://erbloggtes.wordpress.com/2014/04/10/schavan-und-die-epigonen/#more-3538
 

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