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Reiner Wieland, Gründer des Schriftgut-Archivs Ostwürttemberg, veröffentlichte 1997 in Heft 93 von ostalb/einhorn S. 60f. folgenden Nachruf, wobei er sich auf einen Text von mir stützen konnte.

Herta Graf (1911-1996)

Kurz vor der Vollendung des 85. Lebensjahres ist die Schriftstellerin
Herta Graf am 16. Dezember 1996 in Schorndorf nach kurzer schwerer
Krankheit verstorben. Schon in jungen Jahren entdeckte sie für sich die
Literatur als Ausdrucksmittel. Gedichte, Erzählungen, Romane,
Reisebeschreibungen - nur weniges davon wurde im Druck veröffentlicht.
Ihrem Wunsch entsprechend wird das "Schriftgut-Archiv Ostwürttemberg"
ihren literarischen Nachlaß übernehmen. Noch mit letzter Kraft konnte
Herta Graf ihre Lebenserinnerungen "Mit Dünawasser getauft" vollenden,
ein stattliches Manuskript von rund 240 Schreibmaschinenseiten, gewidmet
ihrer Jugend im Baltikum bis zur Umsiedlung von 1939. Es bleibt zu
hoffen, daß es bald gelingt, einen Verlag für dieses eindrucksvolle,
atmosphärisch dichte Werk zu finden. Neben einfühlsamen
Naturschilderungen besonders ansprechend ist darin die Beschreibung des
"multikulturellen" Zusammenlebens im lettischen Staat zwischen den
Weltkriegen. Zeitlebens fühlte sie sich als Baltendeutsche mit
lettischen Verwandten der lettischen Kultur sehr verbunden.

Herta Graf, geborene Enderneit, kam zur Welt am 28. Dezember 1911
und lebte bis 1939 in ihrer Geburtsstadt Riga. Geprägt vom hanseatischen
Luthertum der deutschen Gemeinde dieser weltoffenen Kaufmannsstadt, trat
sie nach dem Besuch der Handelsschule ihre erste Stelle an: bei der
"Baltischen Rußlandarbeit", einer Institution der evangelischen Kirche,
die vor allem protestantische Pastoren betreute - für die junge Frau
weit mehr als ein Brotberuf. Schon in der Kindheit konfrontiert mit dem
bolschewistischen Terror, entschied sich ihre Familie 1939 für die
Auswanderung nach Deutschland, wurde jedoch vom Nazi-Regime auf
polnischem Staatsgebiet in Posen angesiedelt. Tätig bei einem Posener
Verlag, fand Herta Graf Gefallen am Schreiben und veröffentlichte
Erstlingsversuche in Posener Zeitungen. Bald nach der Heirat 1944 mußte
sie 1945 wie viele ihrer Landsleute fliehen. Sie lebte zunächst bei der
Familie ihres Mannes in der Matthesmühle bei Wemding
(Bayerisch-Schwaben), anschließend in Wallerstein und Wustenriet bei
Schwäbisch Gmünd, bevor sie 1958 nach Schwäbisch Gmünd hinabzog. Im
gleichen Jahr wurde ihr Sohn Klaus geboren, der sich als Historiker
seiner Heimatstadt einen Namen gemacht hat. Seit 1989 wohnte Herta Graf
bei einer befreundeten Familie in Schorndorf.
Bis zuletzt war sie geistig äußerst vital, kulturell vielseitig
interessiert, aufgeschlossen für alles Musische. Am wohlsten fühlte sie
sich auf ihren unzähligen Reisen. Sie genoß die Begegnung mit der Kunst,
Geschichte und Landschaft fremder Länder. Am meisten faszinierte sie das
kulturelle Erbe Italiens. Außerordentlich sprachbegabt, sprach sie
Lettisch und Russisch fließend, beherrschte darüberhinaus Englisch,
Italienisch, Französisch und sogar die Anfangsgründe des Lateinischen.
(Nur mit dem Schwäbischen haperte es etwas ...) Besonders interessiert
war sie an der Sprachgeschichte und insbesondere an den indogermanischen
Wurzeln der europäischen Sprachen. Als eine Art Hobby pflegte sie die
Bauernmalerei, verzierte Schränke, aber auch Spanschachteln mit
kunstvollen Blumenornamenten. Wer ihr begegnete, war auf Anhieb
eingenommen von der jugendlich lebhaften Freundlichkeit und
Bescheidenheit ihres Charakters.
1955 erschien in einem Sammelwerk der Heimatvertriebenen "Aber das
Herz hängt daran" ihre nach einem Preisausschreiben ausgewählte
baltische Erzählung "Der Weg nach Rom". Einige Zeit später folgte die
Erzählung "Die Nacht der Gnade" (in einem Sammelbändchen "Urlaub in
Butzengrün"). 1959 veröffentlichte der Stuttgarter Quell-Verlag das
Büchlein "Fräulein Bertram feiert Weihnachten", aus der die Erzählung
"Ein feste Burg ist unser Gott", versehen mit einer Kurzvorstellung
"Poesie aus fraulichem Herzen" durch den Schriftleiter Eduard Funk, auch
in Heft 38 der Gmünder Heimatzeitschrift "einhorn" abgedruckt wurde.
1963 kam, ebenfalls im Quell-Verlag, die Erzählung "Sommerkind Silvia"
heraus. Aus familiären Rücksichten stellte Herta Graf das Publizieren in
der Folgezeit fast völlig ein. Gelegentlich erschien von ihr ein
Gedicht, so 1994 im Band "Labile Harmonien" des Einhorn-Verlags, und
sporadisch schrieb sie für die Gmünder Tageszeitungen Berichte über
kulturelle Veranstaltungen.
Obwohl sie an ihrer alten Heimat Riga hing, lebte Herta Graf sehr
gern in der traditionsreichen Reichsstadt an der Rems mit ihrem
vielgestaltigen kulturellen Angebot. Und so mag denn auch eine kleine
poetische Huldigung an die Atmosphäre der Stadt am Schluß dieses
Nachrufs stehen, entnommen der genannten Weihnachtserzählung "Ein feste
Burg ist unser Gott": "Unten lag die Stadt Gmünd im Scheine unzähliger
Lichter. Der Himmel hinter dem Münster glänzte davon in einem sanften,
ockerfarbenen Ton wie Seide. Glühbirnen zeichneten die Konturen der
Giebel auf dem Marktplatze nach. Die Straßenlampen, die an unsichtbaren
Drähten schwangen, glichen fernen, bläulichen Monden. Alles Licht aber
sammelte sich in einem irrealen Glanz um das Heilig-Kreuz-Münster, das
mit seinem gewaltigen Baukörper auch die höchsten Häuser der Stadt
überragte. Das Dach mit dem zierlichen Dachreiter darüber schimmerte wie
ein sehr dunkler Kobalt. So hell war das Licht, daß Fräulein Bertram
deutlich die Fialen und Kreuzblumen, das Maßwerk der Fenster und die
chimärenhaften Fratzen der Wasserspeier wahrzunehmen meinte. Nun
schwebte Glockenklang den Hügel herauf. Unten in Gmünd läutete man zur
Christmette."

Unterlagen Schriftgut-Archiv Ostwürttemberg


Eine einfühlsame Würdigung von Herta Graf veröffentlichte Elke Heer in: Literarische Vielfalt in Ostwürttemberg. Frauen greifen zur Feder I. Schwäbisch Gmünd 2008, S. 24-31

Von den erwähnten Lebenserinnerungen sind zwei Auszüge online:
http://archiv.twoday.net/stories/11502453/
http://www.histsem.uni-freiburg.de/mertens/graf/riga_vi.htm

Nachtrag:
http://de.wikipedia.org/wiki/Herta_Graf
http://www.dichter.in/2011/12/herta-graf-venedig.html
http://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Herta_Graf (Texte unter CC-BY, darunter ein siebenseitiger Lebenslauf von 1979)

herta_graf
heintje (Gast) meinte am 2011/12/29 18:52:
Au weia, wie peinlich!
Je nach dem, wie es gerade passt, betont Herr Graf, Archivalia sei ein fachbezogener Gemeinschaftsblog und er nur einer der vielen, vielen Beiträger. Und jetzt so eine peinliche Hommage an die Mama!!
Der Psychologe denkt sich seinen Teil .... 
 

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