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http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/verkauf-der-stralsunder-gymnasialbibliothek-kulturfrevel-11962512.html

Verkauf der Stralsunder Gymnasialbibliothek Kulturfrevel

16.11.2012 · In Mecklenburg-Vorpommern wurde eine über Jahrhunderte gewachsene Sammlung historischer Bücher zerschlagen. Um Hilfe haben sich die Hüter des Schatzes nicht bemüht.
Von Regina Mönch

Der Skandal um den leichtfertigen Verkauf einer kulturhistorisch wertvollen Gymnasialbibliothek in Stralsund wirft nicht nur ein grelles Licht auf die Misere der Hüter kommunalen Kulturguts. Denn die Stadt hat diesen Frevel weder heimlich noch plötzlich begangen. Die Bürgerschaft stimmte zu, Museumsverband und Verband der Archivare protestieren erst jetzt, wo es zu spät ist. Die über Jahrhunderte gewachsene Sammlung - und nur als solche ist sie so wertvoll für die Bildungsgeschichte des deutschen Nordens - ist zwar im Handbuch der historischen Buchbestände aufgeführt, nicht aber auf der Liste national wertvollen Kulturgutes, wo sie hingehört hätte.


Das ist so nicht richtig. Der Verkauf wurde heimlich und plötzlich begangen. Heimlich, da nicht die Bürgerschaft, sondern der Hauptausschuss in nichtöffentlicher Sitzung zugestimmt hatte und nur durch die sehr viel spätere Pressemeldung zum Schimmelbefall Falk Eisermann und dann auch ich auf die Erwähnung des Verkaufs aufmerksam wurde. Der Widerspruch zwischen der nichtöffentlichen Behandlung ("Besser nicht an die große Glocke hängen") und der Pressemeldung ("Alles lief rechtmäßig ab") ist für Stadtverwaltungen vielleicht nicht ganz untypisch. Plötzlich, da der Verkauf schon monatelang zurücklag, bevor die Öffentlichkeit eine Chance hatte, davon zu erfahren (durch den von mir entfachten Wirbel). Die Protestierenden (und ich) hätten liebend gern Einwände vorgebracht, bevor es zu spät war!

Diese Liste ist bisher von Mecklenburg-Vorpommern sträflich vernachlässigt worden, als gäbe es dort oben nichts, was schützenswert ist.

Die Liste des Landes ist leer!

Es müssten mindestens alle im Handbuch der historischen Buchbestände registrierten Sammlungen eingetragen werden. Aber ein solcher Eintrag hat, wenn es hart auf hart geht, nur symbolischen Wert, denn er schützt eben nicht gegen Zerschlagung, sondern nur gegen den Verkauf ins Ausland. Eine Auflösung durch Einzelverkäufe im Inland könnte nur denkmalschutzrechtlich, also durch Bundesrecht verhindert werden - aber eben nicht im Fall der Archivbibliotheken, da das Denkmalschutzgesetz in MV nicht für Archivgut gilt!

Es ist sogar zu befürchten, dass die notorisch klammen Ratsherren der Hansestadt Stralsund (immerhin gehört sie zum Weltkulturerbe!) gar nicht wussten, was sie taten, als sie die Sammlung zerschlugen und allzu günstig verkauften. Schlimmer noch wiegt aber die Tatsache, dass sie rein gar nichts versucht haben, um sie zu retten.

Das ist in der Tat ein zentraler Punkt.

Not im Stadtsäckel

Die einmalige Sammlung wurde keiner Forschungsbibliothek angeboten, die Werke der Bildungsgeschichte sammelt.


Ich hatte ja in Schwerin, Greifswald und Rostock nachgefragt, ob dort etwas vom Verkauf bekannt war. Das war nicht der Fall.

Solche Bibliotheken haben in der Regel auch zu wenig Geld, kennen sich aber in den Netzwerken der privaten Retter, der Mäzene und Freundeskreise aus. Auch die in derartigen Rettungsaktionen erfolgreiche und erfahrene Kulturstiftung der Länder wurde nicht gefragt.

Das trifft sicher auch zu. Es ist wohl einfach so, dass die Stadtverwaltung und in ihrem Gefolge der Hauptausschuss sich blind auf der Votum der insofern offensichtlich unfähigen Archivleiterin verlassen haben, obwohl ihnen, ich schrieb es bereits, die Brisanz der Sache hätte aufgehen müssen.

Inzwischen ist das Stadtarchiv Stralsund, wo die Sammlung lagerte, wegen Schimmelbefalls gänzlich gesperrt. Aufgefallen sei dieses Problem erst, als die historische Bibliothek verkauft wurde, heißt es.

In der Hansestadt ist also noch viel mehr bedroht. Doch auch bei der Berliner Staatsbibliothek wurden die Stralsunder nicht vorstellig. Dort koordiniert man für ganz Deutschland Hilfe für die von Schimmel, Tintenfraß oder wegen prekärer Unterbringung bedrohten Bücher und Handschriften, solange das jährliche Fördergeld reicht. Nur ein Gutes hat der Stralsunder Sündenfall: Er führt uns vor Augen, wo es hinführt, wenn die Hüter des Kulturschatzes mit Blindheit oder Ahnungslosigkeit geschlagen sind und das kulturelle Gedächtnis preisgeben für eine kurze Linderung akuter Not im Stadtsäckel.


Den letzten Satz kann man nur unterschreiben und ich hatte ja auch http://archiv.twoday.net/stories/216965935/ am Schluss Ähnliches - wenngleich sprachlich unbeholfener - formuliert.

Fachliche Netze haben versagt. Das ist auch die Kernaussage von Mönch. Der Verkauf war nicht "alternativlos", um ein Lieblingswort der Bundestagsabgeordneten, die seit 1990 die Insel Rügen, die Hansestadt Stralsund und den Landkreis Nordvorpommern im Deutschen Bundestag vertritt, zu gebrauchen.

Selbst wenn die Stralsunder Archivare zutiefst ungebildet wären und nicht erkannt haben, dass es da nicht um ein paar wertlose regionalgeschichtlich nicht relevante alte gedruckte Bücher ging, muss man sich die Frage stellen, ob man nicht Beratungsangebote zum Umgang mit dem Alten Buch gerade auch für Archivare braucht. Wenn dann so Leute wie Nehmzow solche Fortbildungsangebote einfach nicht wahrnehmen, müssten Bibliothekare eine Roadshow initiieren und vor Ort informieren: nicht bevormundend (Kommunalautonomie!), sondern beratend und mit konkreten Hilfsangeboten.

Archivträger müssen es den für Archivbibliotheken zuständigen MitarbeiterInnen und Mitarbeitern finanziell ermöglichen, Fortbildungen zum Alten Buch zu besuchen. Ja, sie müssen es ihnen sogar nahelegen. Siehe auch die Anekdote aus Baden-Württemberg:

http://archiv.twoday.net/stories/216965819/#216966509

***

Zur Causa in Archivalia:

http://archiv.twoday.net/search?q=stralsund
FeliNo meinte am 2012/11/16 19:50:
Zuständige Fachberatungen oder andere Bibliotheken können ja nur helfen, wenn sie von den Problemen in einzelnen Standorten wissen. In Stralsund indes wurde bezüglich des eindeutigen eigenen Archivstatuts darauf verwiesen (NACH dem Verkauf und nach Ansprache durch die Öffentlichkeit), dass die verkaufte Sammlung nicht zum Archiv gehört habe. Nun: wenn du als Archivleitung von außen (also z. B. von deinem Chef, dem OB) eine Aufforderung zum Verkauf bekommst, dann behauptest du, wenn du deine Sammlung komplett bewahren willst, doch wohl genau das Gegenteil und schickst deine Fußtruppen los, dir die entsprechenden Vermerke in deinem Archiv herausuchen, nicht wahr? Dazu braucht's keine Fachberatung oder Fortbildung, sondern nur Verstand. Wenn du dich der alten Sachen als Archivar indes gerne selber entledigen magst, dann sagst du gar nichts dazu und lässt das hernach "Maulkorb" nennen; das putzt (und aktiviert die passenden Konnotationen...;-). 
 

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