Die FAZ von Montag 2.10.2006 enthält im Feuilleton zwei Beiträge zur Problematik.
Ein kurzer Artikel greift die Eigentumsfrage erneut auf.
Nun gibt es eine erste Stellungnahme des Hauses Baden, die dieser Zeitung vorliegt. Die Markgrafenfamilie bezieht sich darin auf ein Rechtsgutachten, das der Mannheimer Jurist Max Hachenburg im Jahr 1922 im Auftrag der Republik Baden erstellte; dort heißt es: "Ich gebe mich nicht der Hoffnung hin, daß es möglich sein wird, auf rein juristischem Wege zu zeigen, wo das unbestreitbare Recht liegt ..." Mit Bezug darauf und auf spätere Gutachten, deren Begründungen aber nicht ausgeführt werden, kommt die Stellungnahme zu dem Schluß: "Das Ergebnis einer sachlichen umfassenden Analyse wird nicht sein, daß die Handschriften dem Eigentum des Landes zugeordnet werden können. Schlichte Rechtsbehauptungen des Gegenteils ändern daran nichts. Das Haus Baden bleibt unverändert auf seinem Standpunkt, daß die sachlich unvoreingenommene Analyse des Rechts für das Eigentum des Hauses Baden an den Handschriften spricht."
Mit einem Rückblick auf den Abtransport der Bücher aus St. Peter 1807 beginnt der Artikel von Felix Heinzer "Die Bibliothek als Jagdgrund". Auszüge:
Es ist grotesk und nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet in Baden - und nur hier - die in den öffentlichen Kultureinrichtungen als den Nachfolgeinstituten der fürstlichen Sammlungen verwahrten Kunstgegenstände und historischen Dokumente nicht genauso selbstverständlich als staatliches Kulturgut gelten sollen wie in Württemberg, Bayern und anderswo. [...]
Ob es zu einer Veräußerung von Hunderten Handschriften kommt oder ob "nur" ein paar Dutzend Spitzenstücke herausgepickt werden - es würde jedenfalls der bizarre Fall eintreten, daß Handschriften einer staatlichen Bibliothek, die durch gedruckte Kataloge erschlossen sind und von ganzen Forschergenerationen genutzt wurden, für die wissenschaftliche Arbeit praktisch von der Bildfläche verschwinden, und dieses nicht durch Elementarschäden wie Brand- und andere Naturkatastrophen oder durch kriegerische Ereignisse wie 1870, als der Artilleriebeschuß der Belagerer die große Straßburger Bibliothek in Brand steckte und unschätzbare Zeugnisse aus 1200 Jahren oberrheinischer Kultur in Flammen aufgehen ließ. Diesmal droht Verkauf und damit Zerstreuung im kaum kontrollierbaren Kreislauf des bibliophilen Sammelns und Handelns - das unter tätiger Mitwirkung derer, denen als Regierende der Schutz dieser Güter aufgetragen ist.
Zeichnet sich hier womöglich ein Präzedenzfall dafür ab, daß bisher selbstverständlich Verfügbares und damit auch ein Grundvertrauen in die Zuverlässigkeit öffentlich-staatlicher Kulturpflege ins Rutschen gerät? So sicher, wie man sein konnte, daß die Mona Lisa im Louvre hängt und der Isenheimer Altar im Colmarer Unterlindenmuseum steht, so sicher war man sich (und möchte es noch immer sein) der dauerhaften Präsenz eines Stückes wie der Manesse-Handschrift in der Heidelberger Universitätsbibliothek oder eben auch des Reichenauer Handschriftenbestands in der Badischen Landesbibliothek. Sollte auf Angaben von Fundorten und Signaturen mittelalterlicher Handschriften in öffentlichen Bibliotheken europäischer wie überseeischer Länder, die bisher zu den festen Bezugsgrößen des mittelalterbezogenen Forschungsdiskurses gehörten, plötzlich kein Verlaß mehr sein? Das wäre ein Tabubruch mit unabsehbaren Folgen.
Die wahren Eigentümer dieser Schätze aber sind weder die Bibliotheken noch die Forscher, sondern wir alle. Ihr geplanter Verkauf ist deshalb in der Tat eine Veruntreuung von Gemeingut und führt zu einem Verlust von Gütern, die zutiefst mit dem zu tun haben, was in der Politik gern als "Identität" einer Gesellschaft oder eines Volkes bezeichnet und beschworen wird. [...]
Die Handschriften, um die gestritten wird, haben selbst keine Stimme. Daher ist es an uns, aufzubegehren gegen einen Vorgang, der ein Bundesland, das sich gern als Land der Denker sieht, nachhaltig diskreditieren und das Ansehen Deutschlands als Kulturnation auch in der internationalen Wahrnehmung beschädigen würde. Es darf nicht sein, daß wir uns rauben lassen müssen, was unsere Vorfahren für uns gesammelt haben.
Der Autor ist Professor für Lateinische Philologie des Mittelalters an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.
Text: F.A.Z., 02.10.2006, Nr. 229 / Seite 41
Felix Heinzer hat gemeinsam mit Gerhard Stamm die Pergamenthandschriften von St. Peter
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/kataloge/HSK0034.htm (Faksimile)
und von Lichtenthal
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/kataloge/HSK0246.htm (Faksimile)
in der Badischen Landesbibliothek katalogisiert.
Ein kurzer Artikel greift die Eigentumsfrage erneut auf.
Nun gibt es eine erste Stellungnahme des Hauses Baden, die dieser Zeitung vorliegt. Die Markgrafenfamilie bezieht sich darin auf ein Rechtsgutachten, das der Mannheimer Jurist Max Hachenburg im Jahr 1922 im Auftrag der Republik Baden erstellte; dort heißt es: "Ich gebe mich nicht der Hoffnung hin, daß es möglich sein wird, auf rein juristischem Wege zu zeigen, wo das unbestreitbare Recht liegt ..." Mit Bezug darauf und auf spätere Gutachten, deren Begründungen aber nicht ausgeführt werden, kommt die Stellungnahme zu dem Schluß: "Das Ergebnis einer sachlichen umfassenden Analyse wird nicht sein, daß die Handschriften dem Eigentum des Landes zugeordnet werden können. Schlichte Rechtsbehauptungen des Gegenteils ändern daran nichts. Das Haus Baden bleibt unverändert auf seinem Standpunkt, daß die sachlich unvoreingenommene Analyse des Rechts für das Eigentum des Hauses Baden an den Handschriften spricht."
Mit einem Rückblick auf den Abtransport der Bücher aus St. Peter 1807 beginnt der Artikel von Felix Heinzer "Die Bibliothek als Jagdgrund". Auszüge:
Es ist grotesk und nicht nachvollziehbar, warum ausgerechnet in Baden - und nur hier - die in den öffentlichen Kultureinrichtungen als den Nachfolgeinstituten der fürstlichen Sammlungen verwahrten Kunstgegenstände und historischen Dokumente nicht genauso selbstverständlich als staatliches Kulturgut gelten sollen wie in Württemberg, Bayern und anderswo. [...]
Ob es zu einer Veräußerung von Hunderten Handschriften kommt oder ob "nur" ein paar Dutzend Spitzenstücke herausgepickt werden - es würde jedenfalls der bizarre Fall eintreten, daß Handschriften einer staatlichen Bibliothek, die durch gedruckte Kataloge erschlossen sind und von ganzen Forschergenerationen genutzt wurden, für die wissenschaftliche Arbeit praktisch von der Bildfläche verschwinden, und dieses nicht durch Elementarschäden wie Brand- und andere Naturkatastrophen oder durch kriegerische Ereignisse wie 1870, als der Artilleriebeschuß der Belagerer die große Straßburger Bibliothek in Brand steckte und unschätzbare Zeugnisse aus 1200 Jahren oberrheinischer Kultur in Flammen aufgehen ließ. Diesmal droht Verkauf und damit Zerstreuung im kaum kontrollierbaren Kreislauf des bibliophilen Sammelns und Handelns - das unter tätiger Mitwirkung derer, denen als Regierende der Schutz dieser Güter aufgetragen ist.
Zeichnet sich hier womöglich ein Präzedenzfall dafür ab, daß bisher selbstverständlich Verfügbares und damit auch ein Grundvertrauen in die Zuverlässigkeit öffentlich-staatlicher Kulturpflege ins Rutschen gerät? So sicher, wie man sein konnte, daß die Mona Lisa im Louvre hängt und der Isenheimer Altar im Colmarer Unterlindenmuseum steht, so sicher war man sich (und möchte es noch immer sein) der dauerhaften Präsenz eines Stückes wie der Manesse-Handschrift in der Heidelberger Universitätsbibliothek oder eben auch des Reichenauer Handschriftenbestands in der Badischen Landesbibliothek. Sollte auf Angaben von Fundorten und Signaturen mittelalterlicher Handschriften in öffentlichen Bibliotheken europäischer wie überseeischer Länder, die bisher zu den festen Bezugsgrößen des mittelalterbezogenen Forschungsdiskurses gehörten, plötzlich kein Verlaß mehr sein? Das wäre ein Tabubruch mit unabsehbaren Folgen.
Die wahren Eigentümer dieser Schätze aber sind weder die Bibliotheken noch die Forscher, sondern wir alle. Ihr geplanter Verkauf ist deshalb in der Tat eine Veruntreuung von Gemeingut und führt zu einem Verlust von Gütern, die zutiefst mit dem zu tun haben, was in der Politik gern als "Identität" einer Gesellschaft oder eines Volkes bezeichnet und beschworen wird. [...]
Die Handschriften, um die gestritten wird, haben selbst keine Stimme. Daher ist es an uns, aufzubegehren gegen einen Vorgang, der ein Bundesland, das sich gern als Land der Denker sieht, nachhaltig diskreditieren und das Ansehen Deutschlands als Kulturnation auch in der internationalen Wahrnehmung beschädigen würde. Es darf nicht sein, daß wir uns rauben lassen müssen, was unsere Vorfahren für uns gesammelt haben.
Der Autor ist Professor für Lateinische Philologie des Mittelalters an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.
Text: F.A.Z., 02.10.2006, Nr. 229 / Seite 41
Felix Heinzer hat gemeinsam mit Gerhard Stamm die Pergamenthandschriften von St. Peter
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/kataloge/HSK0034.htm (Faksimile)
und von Lichtenthal
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/kataloge/HSK0246.htm (Faksimile)
in der Badischen Landesbibliothek katalogisiert.