Die WELT greift das Thema der Karlsruher Verkäufe auf und speist Wissen über den Marktwert der Stücke ein.
http://www.welt.de/data/2006/10/02/1057373.html
Auszüge
Die Affäre erinnert an die Geschichte vom Pferdehändler, der sich lauthals beschwert: "Alle reden nur davon, dass der Gaul auf einem Lauf hinkt, von den drei gesunden Beinen spricht keiner." Die Landesregierung würde natürlich am liebsten nur die "gesunden" Beine vorzeigen, die Fälle, in denen sie Kulturgüter vor dem Ausverkauf rettete: die 24 Millionen Euro für die Donaueschinger Bibliothek, die 13 Millionen Euro für Holbeins "Graue Passion" und 2001 die fast 20 Millionen für die Nibelungen-Handschrift C, für die man die Landesbank als Sponsor fand. Das alles kam aus Fürstlich Fürstenbergischem Besitz. Aber auch die Markgrafen von Baden wurden nicht vernachlässigt. 42 Millionen Mark erhielten sie 1995 vom Land für Kunstgewerbliches und die Hälfte der Kunstkammer, ehe der Rest von Sotheby's für 78 Millionen Mark versteigert wurde. "Markgraf von Baden nach Auktion saniert" verkündete damals eine Schlagzeile. Welch ein Irrtum!
Deshalb schaut alle Welt empört auf den lahmen Lauf und die angekündigte Totaloperation, die den Schaden aus der Welt schaffen soll. Denn das wäre der Verkauf der 3600 Codices, 4000 Musikhandschriften und 1300 Inkunabeln. Um 70 Millionen Euro dafür zu erlösen, müsste, wenn man nur die Handschriften in Rechnung stellt, ein Durchschnittspreis von knapp 20 000 Euro erzielt werden. Das klingt bescheiden, schließlich brachte es das Rothschild Stundenbuch mit den Miniaturen von Simon Bening bei Christie's im Juli 1999 als bislang teuerste Handschrift auf 12,8 Millionen Euro. Und der erste Druck von Geoffrey Chaucers "Canterbury Tales" von 1476/77 wurde ein Jahr zuvor mit fast sieben Millionen Euro die am höchsten bezahlte Inkunabel. Aber das sind Ausnahmepreise. Solche Rarissima sind nicht unter den Badener Bibliotheksschätzen.
Die "Historia Alexandri Magni/ Histori von dem Grossen Alexander" des Johannes Hartlieb, 1493 von Martin Schott in Straßburg gedruckt, kann mit dem Chaucer kaum konkurrieren, auch wenn von dieser Version lediglich sieben vollständige und drei unvollständige Exemplare erhalten blieben. Da sind die Chancen für Georg Rüxners "Thurnierbuch. Anfang, vrsprung vnd herkomen des Thurniers inn Teutscher nation" von 1530 wahrscheinlich besser. Immerhin wurden die Holzschnitte in diesem Exemplar nicht nur koloriert, sondern auch mit Gold angelegt, so dass vermutet wird, es könne sich um eine Luxusversion für Karl V. handeln. Und der Band "Victoria adversus impios Hebraeos" des Salvagus Porchetus, da erst 1520 in Paris gedruckt eigentlich keine Inkunabel, kann mit Interesse rechnen, weil er einst Luther gehörte und von ihm mit Randnotizen versehen wurde.
Für das Reichenauer Lektionar mit seinen schön ausgeschmückten Initialen oder für die "Gesta Witigowensis" mit ihren Miniaturen, beide vom Ende des 10. Jahrhunderts, könnten sechs- und siebenstellige Beträge durchaus möglich sein. Dasselbe gilt auch für das illuminierte "Stundenbuch des Markgrafen Christoph I. von Baden", das um 1490 entstanden ist. Gefragt und gut bezahlt werden nur die Codices mit reichem Bilderschmuck und fantasievollen Randzeichnungen. Damit aber können lediglich ein Teil der Handschriften von St. Peter, von St. Blasien oder die 267 Pergament- und 162 Papierhandschriften des Klosters Reichenau auftrumpfen, die mit der Säkularisation 1805 der "Carlsruher Hofbibliothek" überwiesen wurden.
Unklar blieb damals, ob sie dem Markgrafen als Privateigentum zugedacht waren, oder ob sie an die Hofbibliothek des regierenden Herrschers gingen und damit als Staatsbesitz zu gelten hatten. Das ist der Ursprung des bis heute andauernden Streites zwischen dem Haus Baden und der Landesregierung. Sie wurde auch durch die Beschlagnahme fürstlichen Besitzes 1918/19 nicht aus der Welt geschafft, weil Gerichtsurteile aufgrund des Artikel 153 der Weimarer Verfassung, der das private Eigentum garantierte, diese Verfügungen 1925 aufhoben. Und da der von der KPD inaugurierte und von der SPD mitgetragene Volksentscheid über die Fürstenenteignung im folgenden Jahr keine Mehrheit fand, blieb das Privateigentum der Fürsten unangetastet. Für Baden ergab sich daraus ein Schwebezustand, weil ungeregelt blieb, was der Krone und damit der Republik als Nachfolger, was dem ehemals regierenden Haus privat gehörte. [...]
Auch der SPIEGEL 40/2006 widmet heute eine ganze Seite (S. 200) dem Thema:
Unter den Hammer
Länder und Kommunen entdecken die Kunstschätze aus Museen und Archiven als stille Reserve zum Stopfen von Haushaltslöchern.
(Neue Informationen zur Karlsruher Affäre wurden schon vorab in Presseveröffentlichungen mitgeteilt.)
http://www.welt.de/data/2006/10/02/1057373.html
Auszüge
Die Affäre erinnert an die Geschichte vom Pferdehändler, der sich lauthals beschwert: "Alle reden nur davon, dass der Gaul auf einem Lauf hinkt, von den drei gesunden Beinen spricht keiner." Die Landesregierung würde natürlich am liebsten nur die "gesunden" Beine vorzeigen, die Fälle, in denen sie Kulturgüter vor dem Ausverkauf rettete: die 24 Millionen Euro für die Donaueschinger Bibliothek, die 13 Millionen Euro für Holbeins "Graue Passion" und 2001 die fast 20 Millionen für die Nibelungen-Handschrift C, für die man die Landesbank als Sponsor fand. Das alles kam aus Fürstlich Fürstenbergischem Besitz. Aber auch die Markgrafen von Baden wurden nicht vernachlässigt. 42 Millionen Mark erhielten sie 1995 vom Land für Kunstgewerbliches und die Hälfte der Kunstkammer, ehe der Rest von Sotheby's für 78 Millionen Mark versteigert wurde. "Markgraf von Baden nach Auktion saniert" verkündete damals eine Schlagzeile. Welch ein Irrtum!
Deshalb schaut alle Welt empört auf den lahmen Lauf und die angekündigte Totaloperation, die den Schaden aus der Welt schaffen soll. Denn das wäre der Verkauf der 3600 Codices, 4000 Musikhandschriften und 1300 Inkunabeln. Um 70 Millionen Euro dafür zu erlösen, müsste, wenn man nur die Handschriften in Rechnung stellt, ein Durchschnittspreis von knapp 20 000 Euro erzielt werden. Das klingt bescheiden, schließlich brachte es das Rothschild Stundenbuch mit den Miniaturen von Simon Bening bei Christie's im Juli 1999 als bislang teuerste Handschrift auf 12,8 Millionen Euro. Und der erste Druck von Geoffrey Chaucers "Canterbury Tales" von 1476/77 wurde ein Jahr zuvor mit fast sieben Millionen Euro die am höchsten bezahlte Inkunabel. Aber das sind Ausnahmepreise. Solche Rarissima sind nicht unter den Badener Bibliotheksschätzen.
Die "Historia Alexandri Magni/ Histori von dem Grossen Alexander" des Johannes Hartlieb, 1493 von Martin Schott in Straßburg gedruckt, kann mit dem Chaucer kaum konkurrieren, auch wenn von dieser Version lediglich sieben vollständige und drei unvollständige Exemplare erhalten blieben. Da sind die Chancen für Georg Rüxners "Thurnierbuch. Anfang, vrsprung vnd herkomen des Thurniers inn Teutscher nation" von 1530 wahrscheinlich besser. Immerhin wurden die Holzschnitte in diesem Exemplar nicht nur koloriert, sondern auch mit Gold angelegt, so dass vermutet wird, es könne sich um eine Luxusversion für Karl V. handeln. Und der Band "Victoria adversus impios Hebraeos" des Salvagus Porchetus, da erst 1520 in Paris gedruckt eigentlich keine Inkunabel, kann mit Interesse rechnen, weil er einst Luther gehörte und von ihm mit Randnotizen versehen wurde.
Für das Reichenauer Lektionar mit seinen schön ausgeschmückten Initialen oder für die "Gesta Witigowensis" mit ihren Miniaturen, beide vom Ende des 10. Jahrhunderts, könnten sechs- und siebenstellige Beträge durchaus möglich sein. Dasselbe gilt auch für das illuminierte "Stundenbuch des Markgrafen Christoph I. von Baden", das um 1490 entstanden ist. Gefragt und gut bezahlt werden nur die Codices mit reichem Bilderschmuck und fantasievollen Randzeichnungen. Damit aber können lediglich ein Teil der Handschriften von St. Peter, von St. Blasien oder die 267 Pergament- und 162 Papierhandschriften des Klosters Reichenau auftrumpfen, die mit der Säkularisation 1805 der "Carlsruher Hofbibliothek" überwiesen wurden.
Unklar blieb damals, ob sie dem Markgrafen als Privateigentum zugedacht waren, oder ob sie an die Hofbibliothek des regierenden Herrschers gingen und damit als Staatsbesitz zu gelten hatten. Das ist der Ursprung des bis heute andauernden Streites zwischen dem Haus Baden und der Landesregierung. Sie wurde auch durch die Beschlagnahme fürstlichen Besitzes 1918/19 nicht aus der Welt geschafft, weil Gerichtsurteile aufgrund des Artikel 153 der Weimarer Verfassung, der das private Eigentum garantierte, diese Verfügungen 1925 aufhoben. Und da der von der KPD inaugurierte und von der SPD mitgetragene Volksentscheid über die Fürstenenteignung im folgenden Jahr keine Mehrheit fand, blieb das Privateigentum der Fürsten unangetastet. Für Baden ergab sich daraus ein Schwebezustand, weil ungeregelt blieb, was der Krone und damit der Republik als Nachfolger, was dem ehemals regierenden Haus privat gehörte. [...]
Auch der SPIEGEL 40/2006 widmet heute eine ganze Seite (S. 200) dem Thema:
Unter den Hammer
Länder und Kommunen entdecken die Kunstschätze aus Museen und Archiven als stille Reserve zum Stopfen von Haushaltslöchern.
(Neue Informationen zur Karlsruher Affäre wurden schon vorab in Presseveröffentlichungen mitgeteilt.)