Auf Seite 1 der FAZ vom Donnerstag liest man:
Die Darstellung der Landesregierung von Baden-Württemberg, sie sei im Lichte der Rechtslage gehalten, mit dem vormals regierenden badischen Fürstenhaus zu einer gütlichen Einigung über vom Land verwahrte Kunstgegenstände aus früherem fürstlichen Besitz zu kommen, wird durch einen Aktenfund erschüttert. Von höchster Bedeutung unter den Kulturgütern, die Ministerpräsident Oettinger (CDU) als "unbestritten" im Eigentum des Hauses Baden stehend bezeichnet, ist die sogenannte "Markgrafentafel" des Hans Baldung Grien (1484/85 bis 1545) in der Karlsruher Kunsthalle. Der Wert des Gemäldes wird von der Landesregierung mit acht Millionen Euro beziffert. Im Generallandesarchiv in Karlsruhe hat der Freiburger Historiker Dieter Mertens nun in den Akten des Badischen Ministeriums für Kultus und Unterricht ein Schriftstück aufgefunden, das beweist, daß das bedeutende Kunstwerk bereits vor 76 Jahren in den Besitz des Landes Baden übergegangen ist.
Markgrafentafel - Ausschnitt
Auf den Seiten 39 und 41 legt Mertens seine Ergebnisse dar (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Autors):
Der Baldung-Grien-Code
Wer will denn ein Bild kaufen, das ihm schon gehört? Günther Oettinger haut acht Millionen auf den Kopf / Von Dieter Mertens
Das Land Baden-Württemberg wirbt derzeit bei der Landesstiftung, bei seinen Kultureinrichtungen und bei Sponsoren Geld ein, damit Hans Baldung Griens "unbestritten" im Besitz des Hauses Baden stehende Markgrafentafel für das Land gekauft werden kann. Wie die Kenntnis der Aktenlage der Allgemeinheit einen Verlust von 8 Millionen Euro erspart, steht in unserem Beitrag: Der Freiburger Historiker Dieter Mertens hat im Generallandesarchiv Karlsruhe den eindeutigen Beweis dafür gefunden, daß das hochbedeutende Kunstwerk schon im Jahr 1930 in den Besitz des Landes Baden übergegangen ist.
Die Markgrafentafel von Hans Baldung Grien zählt zu den kunsthistorisch und historisch herausragenden Werken der Karlsruher Kunsthalle. Mit 64 Zentimeter Höhe und 216 Zentimeter Breite hat sie ein ungewöhnliches Format, und für welchen Ort und Zweck sie ursprünglich bestimmt sein mochte, ist gar nicht sicher. Die Tafel zeigt, der "Anna Selbdritt" in der Mitte betend zugewandt, auf der Männerseite den Markgrafen Christoph I. von Baden (1453 bis 1527), der dieses Bild in Auftrag gegeben hat, mit neun Söhnen und auf der Frauenseite seine Gemahlin Ottilie von Katzenelnbogen (1453 bis 1517) mit fünf Töchtern. Konrad Krimm hat 1990 die politische Programmatik des Bildes entschlüsselt. Die Anordnung der Söhne favorisiert entsprechend dem Testament des Markgrafen von 1503 den als Alleinerben vorgesehenen Sechstgeborenen, von den weltlichen Söhnen ist er der zweitälteste. Dieses Testament vermochte Christoph gegen die anderen Söhne aber nicht durchzusetzen, vielmehr hat er die Familie gesprengt, seine eigene Entmachtung heraufbeschworen und die Teilung des Landes herbeigeführt. Sie währte bis 1771.
Im Katalog der Karlsruher Kunsthalle von 1847 wurde das unsignierte Bild erstmals Hans Baldung zugeschrieben, was eine Datierung auf 1509/1510 erlaubt und seither unbestritten ist. Die älteste Nachricht von der Existenz der Tafel stammt aus einem Inventar des Jahres 1691 - es verzeichnete den Inhalt der Transportkisten, in denen der Hof von Baden-Durlach 1688 mehrere hundert Gemälde vor den französischen Truppen in seine Basler Residenz geflüchtet hatte; die Durlacher Karlsburg brannte 1689 nieder. 1789 kehrte die Tafel aus Basel in das inzwischen vereinigte Baden zurück, nun nach Karlsruhe in die Gemäldegalerie. Großherzog Leopold (1811 bis 1852) stellte das Bild für die neugestaltete Fürstenkapelle des Klosters Lichtental bei Baden-Baden als Antependium zur Verfügung, ließ aber 1833 eine Kopie anfertigen, so daß das Original schon bald wieder in Karlsruhe zu sehen war.
Auf Wunsch des Großherzogs ging die Verwaltung der Sammlungen und der Bibliothek 1872/73 an das Innenministerium über, die Finanzierung kam nun aus dem Staatshaushalt anstatt von der Hoffinanzkammer. Für die Kunsthalle galt das nicht, doch wurden ihr Zuschüsse aus dem Staatshaushalt zugesagt. 1919, nach dem Ende der Monarchie, traf der zwischen dem badischen Staat und dem vormaligen Großherzoglichen Haus geschlossene Abfindungsvertrag eine gesonderte Regelung über die Kunstwerke der Kunsthalle Karlsruhe, soweit sie Privateigentum des Großherzogs waren. Im letzten Paragraph verwies er auf eine Erklärung des Präsidenten der Generalintendanz der Zivilliste (der für die Hofhaltung bereitgestellten staatlichen Mittel) vom 18. März 1919, die lautet: "1. Die Kunstwerke der Kunsthalle (einschließlich Kupferstichkabinett), die Privateigentum des Großherzogs sind, bleiben solches. Ein Verzeichnis der einzelnen Kunstwerke wird mitgeteilt werden. 2. Seine Königliche Hoheit erklären für Sich und Seine Rechtsnachfolger, die Kunstwerke, solange sie Ihr Eigentum sind, gegen Übernahme aller Verwaltungskosten durch den Staat für immer in der Kunsthalle zu belassen. Sie behalten sich nur vor, das eine oder andere Stück (Familienbilder) vorübergehend aus der Galerie entnehmen zu dürfen. 3. Seine Königliche Hoheit und Seine Rechtsnachfolger werden die Bilder nur in dringenden Notfällen verkaufen; sie räumen für diese Fälle dem Staat ein Vorkaufsrecht ein." Eine solche Erklärung war ursprünglich gar nicht vorgesehen, weil die Regierung über den Erhalt der genannten Sammlungen, aber nicht über die Eigentumsrechte hatte verhandeln wollen. Seitens des Großherzogs wurden 549 Gemälde - darunter auch die Markgrafentafel - beansprucht; das Ministerium ließ die Liste unkommentiert: Die Sicherung des Eigentumsrechts ohne einvernehmliche Benennung der Objekte bei gleichzeitiger weitestgehender Beschränkung des Eigentumsrechts gehört zu der Art von Kompromissen, mit denen der lange Weg der "Auseinandersetzung" zwischen dem Haus Baden und dem Staat gepflastert ist.
Der letzte regierende Großherzog Friedrich II. (1857 bis 1928, regierend 1907 bis 1918), der keine leiblichen Nachkommen hatte, bestimmte in seinem Testament vom 12. August 1927 über alle seine Sammlungen, daß sie nicht an den Erben Berthold aus der Salemer Linie - den Sohn des ehemaligen Reichskanzlers Max von Baden, der am 9. November 1918 das Ende der Monarchie herbeigeführt hatte - gelangen sollten, sondern übertrug sie seiner Frau Hilda (1864 bis 1952) zu Eigentum - mit der 1919 festgelegten Einschränkung, sie öffentlich zugänglich zu erhalten und nicht zu veräußern außer im Falle der Not, wenn die Sammlungen etwa mit einer Erbschaftsteuer belegt würden. Was bei ihrem Tod noch vorhanden sein werde, sollte in eine Stiftung überführt werden, die "Zähringer Stiftung".
Als Fall der Not machte das Haus dann die Auswirkungen der Hyperinflation von 1923 geltend. Denn sie vernichtete den Wert des Kapitals von 8 Millionen Reichsmark, die der Abfindungsvertrag dem Haus Baden 1919 in Gestalt staatlicher Schuldbuchforderungen und Schuldverschreibungen zugesprochen hatte. Daraus hatte das Haus eine jährliche Rente von 240 000 Reichsmark gezogen, die nun fehlte. Wie andere ehemals regierende Häuser erhob das Haus Baden jetzt einen sogenannten Aufwertungsanspruch, den es einzuklagen bereit war: Sinn und Zweck des Vertrages von 1919 sei es gewesen, den Mitgliedern des Hauses ein standesgemäßes Leben ohne pekuniäre Sorgen zu ermöglichen. Dieses Ziel des Vertrages sei wegen der Entwicklung der Verhältnisse nicht erreicht worden und müsse nun auf andere Weise sichergestellt werden.
Die badische Regierung wies diese Forderung zurück, entwickelte aber in Etappen die Idee, die Gemäldesammlung insgesamt und die Kupferstichsammlung seitens des badischen Staates en bloc zu erwerben und dabei die Höhe des Preises und die Zahlungsmodalitäten für das Haus Baden so günstig zu gestalten, daß der Aufwertungsanspruch damit abgegolten werde. Die beiderseitigen Vorstellungen lagen indes ziemlich weit auseinander. Zu Lebzeiten des letzten Großherzogs Friedrich II. kam kein Ergebnis mehr zustande; mit seinem Tod gingen die Sammlungen und damit auch die Gemälde in das Eigentum der Großherzogin Hilda über. Weil der Zweck des avisierten Erwerbs der Gemälde- und Kupferstichsammlung die Beseitigung des Aufwertungsanspruchs war, mußte nun nicht nur allein mit Hilda beziehungsweise dem Präsidenten der großherzoglichen Vermögensverwaltung in Baden-Baden verhandelt werden, sondern auch mit der markgräflichen Salemer Linie. Sie trat ab 1929 sogar als der eigentliche Verhandlungspartner auf, als der Graf Douglas-Langenstein, Präsident der badischen Landwirtschaftskammer und Verwandter des Fürstenhauses, den das Ministerium für Kultus und Unterricht im Juli 1928 um Kontaktaufnahme zu Friedrich gebeten hatte, nunmehr namens des Markgrafen Berthold verhandelte.
Graf Douglas sollte die Verhandlungen beschleunigen, weil die großherzogliche Vermögensverwaltung mittlerweile gezwungen war, für die laufenden Gehälter und Renten der etwa 130 Bediensteten - von den Lakaien, Kutschern und Fahrern über die Förster bis zum Hofmarschall und der Vermögensverwaltung selbst - Kredite aufzunehmen. Auf die bereits fertiggestellte Klageschrift wies das Haus Baden mehrfach hin. Ein Darlehen des Landes von 200 000 Reichsmark minderte 1929 den Zeitdruck ein wenig. Die Forderung des Hauses lautete 4,5 Millionen, das Land dachte an 4 Millionen Reichsmark; es hatte den Wert der Gemälde und Kupferstiche 1925 auf 2,9 Millionen taxiert, davon 2 Millionen für die Gemälde, 400 000 Reichsmark für das Thoma-Museum und 500 000 Reichsmark für die Kupferstichsammlung, gab aber 1928 zu, daß der Marktwert gestiegen sei. Was über den Wert der Bilder hinausging, sollte zusammen mit der Gestaltung der Zahlungsweise den Aufwertungsanspruch abgelten. Das Haus wollte eine Reihe von Bildern, die es als Familienbilder betrachtete, vom Verkauf an das Land ausnehmen. Zu diesen zählte als wertvollstes die Markgrafentafel. Die Kunsthalle schätzte ihren Wert auf 30 000 bis 50 000 Reichsmark. Sie war unbestritten privates Eigentum der Familie. Dem von Kultusminister Otto Leers im April 1928 erzielten Ergebnis - 4,4, Millionen, davon 0,5 Millionen Reichsmark sofort - versagte das Kabinett, das Innenminister Adam Remmele als Staats- und Ministerpräsident leitete, die Zustimmung. Für die Markgrafentafel hatte Leers ein Vorkaufsrecht des Landes ausgehandelt.
Seitens der Kunsthalle legte jetzt Lili Fischel dem Kultusministerium dar, daß die Markgrafentafel unmöglich aus dem Verband der altdeutschen Abteilung herausgelöst werden könne, zumal der Wert einiger ihrer Objekte durch neuere Forschungsergebnisse bezweifelt worden sei. Ein Vorkaufsrecht für die Tafel nütze nichts, wenn der Staat dieses gegebenenfalls aus Geldmangel nicht wahrnehmen könne. Deswegen führte das Ministerium die neuen Verhandlungen mit dem Ziel weiter, die Markgrafentafel und sechs andere Bilder von der Ausnahme auszunehmen, das heißt in den Verkauf an den Staat einzubeziehen. Adam Remmele, von 1919 bis 1929 Innenminister, 1925/1926 - anfangs der Verhandlungen mit dem Haus Baden - und wieder seit Ende 1929 Kultusminister, machte sich die Haltung der Kunsthalle zueigen. Er legte ein neues Verhandlungsergebnis - 4 Millionen, davon 1 Million abzüglich des Darlehens sofort - vor und drängte am 20. Januar 1930 seine Kabinettskollegen zur Eile. Er schob eine Warnung nach: Wenn sie die laufenden Verhandlungen scheitern ließen, würde das Haus das Vorkaufsrecht in Gang setzen und die marktgängigen Bilder anbieten. Dann geriete das Land in eine sehr schwierige Lage, weil der Markt mehr hergebe als die Schätzungen lauteten: Das Vorkaufsrecht werde teuer.
Die Freigabe der Bilder zum Verkauf aber würde einen unersetzlichen Schaden für die Kunsthalle bedeuten "und würde in den weitesten Kreisen ganz Deutschlands als ein schwerer Prestigeverlust des badischen Landes betrachtet werden". Remmele machte einen ebenso gescheiten wie naheliegenden Vorschlag zur angemessenen Entscheidungsfindung: "Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Angelegenheit wäre ich dankbar, wenn vor einer endgültigen Entscheidung die Mitglieder des Staatsministeriums der Badischen Kunsthalle (im Entwurf: unter meiner Führung) einen Besuch abstatten und die fraglichen Gemälde in Augenschein nehmen würden." Ob dies geschehen ist, sagen die Akten nicht, wohl aber, daß Remmele bereits im Kabinettsvortrag auf die berühmtesten Kunstwerke - das schließt die Markgrafentafel unweigerlich ein - hingewiesen hat.
Finanzminister und Ministerpräsident Josef Schmitt rechnete die entstehende Belastung für den Haushalt 1930/31 vor. Er wies auf deren Auswirkungen hin, die angesichts der Deckungslücke von 40 Millionen im Doppelhaushalt 1930/31 weithin spürbar sein würden. Er verlangte Modifikationen der Zahlungsweise; indes dürften finanzielle Erwägungen nicht allein den Ausschlag geben. Der Finanzminister verschloß sich den längerfristigen Vorteilen einer Gesamtbereinigung der finanziellen Beziehungen zum Haus Baden und der kulturellen Bedeutung der Sammlungen in der Kunsthalle keineswegs. Es handle sich für das Land "vor allem um die Aufrechterhaltung wichtiger kultur- und kunstgeschichtlicher Belange. Man würde es vielfach schwer verstehen, wenn das Land die Veräußerung von Kunstwerken aus einer Sammlung, die seit 1831 der Öffentlichkeit zugänglich ist, die mit der kunstgeschichtlichen Entwicklung und Stellung des Landes eng verwachsen sind und deren Erhaltung auch für den Unterricht an den Kunstschulen von Bedeutung ist, in Privatbesitz oder gar zur Ausfuhr über seine Grenzen zulassen würde."
Schmitt regte an, zur Ermäßigung der finanziellen Belastung des Landes zuzulassen, daß einzelne Kunstwerke zum Verkauf gelangen. Doch da widersprach ihm Remmele entschieden. Ein Verkauf von Kunstwerken des Großherzogs im Ganzen oder im Einzelnen sei für ihn völlig inakzeptabel (damals: "durchaus unmöglich"). Er wies darauf hin, "daß der Verkauf einzelner Kunstwerke die Situation in kulturpolitischer Hinsicht nur verschlimmern würde. Da die große Mehrzahl der im Eigentum des ehemaligen großherzoglichen Hauses stehenden Werke nur einen verhältnismäßig geringen Wert haben, müßte sich die Verwaltung des ehemaligen Großherzoglichen Hauses selbstverständlich bemühen, in erster Reihe die berühmtesten, in meinem Vortrag vom 22. Januar dieses Jahres genannten Kunstwerke, die einen internationalen Markt haben, zum Verkauf zu stellen, um eine ins Gewicht fallende finanzielle Entlastung zu erreichen."
Remmele brachte die Modifikationen des Finanzministers in die Mitte Februar 1930 fortgeführten Verhandlungen mit dem Grafen Douglas ein. Zur letzten Klippe auf dem Weg zu einer Einigung wurde aber die Frage der Familienbildnisse, voran die Abtretung der Markgrafentafel: Die Familie, so das Argument, könne auf sie nicht verzichten, zumal sie seinerzeit aus der großherzoglichen Kapelle des Klosters Lichtental nach Karlsruhe gebracht worden sei: Die Kapelle, in der die originale Tafel nur sehr kurze Zeit als Antependium fungiert hatte, galt inzwischen als ihr ursprünglicher Bestimmungs- und Aufstellungsort. Sogar der gedruckte Katalog der Karlsruher Kunsthalle von Karl Koelitz erweckt diesen Eindruck.
Remmele und Graf Douglas besuchten am 18. Februar 1930 im Anschluß an ihre Verhandlungen die Kunsthalle, um die Markgrafentafel zu besichtigen. Der Minister bestritt überhaupt nicht das Recht des Hauses Baden auf das Bild, hob aber noch einmal den kunsthistorischen und künstlerischen Wert für die Kunsthallensammlung hervor. Graf Douglas erwog, das Bild dem Haus Baden zwar vertragsmäßig zuzuschlagen, es aber für zwanzig Jahre in der Kunsthalle als Leihgabe zu belassen. "Eine Entscheidung brachte die Besichtigung nicht", stellte Remmele in der anschließenden Niederschrift fest. Doch noch am Nachmittag hatte er Anlaß, in einem Nachtrag festzuhalten, daß eine Entscheidung gefallen war. Graf Douglas übersandte ihm einen handgeschriebenen Brief des Markgrafen Berthold, der sich wohl eben der Verhandlungen wegen in Karlsruhe aufhielt. Der Brief ist auf Trauerpapier geschrieben - Bertholds Vater, der ehemalige Reichskanzler, war drei Monate zuvor verstorben - und lautet:
"Karlsruhe 18.II.1930.
Sehr geehrter Graf Douglas.
Auf Ihre nochmalige Vorstellung hin, ist das Großherzogliche badische Haus bereit auf das Votivbild von Hans Baldung (Grien) zu Gunsten des badischen Staates zu verzichten.
Ich hoffe, daß damit die letzte Klippe aus dem Wege geräumt ist.
Mit den besten Grüßen bin ich, sehr geehrter Herr Graf,
Ihr stets ergebener Markgraf Berthold."
Ausschnitt
Remmele sah aber immer noch Gefahren. Denn über den Zahlungsplan mußte noch weiter im Sinne des Finanzministers verhandelt werden, damit die Regierung ihn in der Öffentlichkeit und vor dem Parlament überhaupt vertreten könnte. Graf Douglas sicherte noch einmal zu, daß es bei der Abtretung der Markgrafentafel bleibe. Die Einigung gelang am 21. Februar 1930. Das Ergebnis der jahrelangen Bemühungen, das Minister Remmele abschließend erzielt hat, liegt in Gestalt des am 1. April 1930 vom Landtag beschlossenen, am 14. April verkündeten und am 17. April veröffentlichten Gesetzes über den Ankauf vor. Sein einziger Gegenstand ist die Vereinbarung zwischen dem Land Baden einerseits und der ehemaligen Großherzogin Hilda und dem Markgrafen Berthold, seiner Mutter und seiner Schwester, den lebenden Mitgliedern der Salemer Linie, andererseits. Die Zustimmung der Salemer zu allen Teilen der Vereinbarung wird festgehalten: zur Überführung der der Großherzogin Hilda gehörenden Werke der Kunsthalle und des Kupferstichkabinetts in das Eigentum des Landes Baden mit Ausnahme der einzeln nach Katalognummern aufgeführten Werke; zur Höhe der Vergütung und dem beiliegenden Tilgungsplan und zur Anerkenntnis, keinerlei Aufwertungsansprüche gegen das Land Baden zu haben. Die von der Übereignung an das Land ausgenommenen, also im Eigentum der Großherzogin Hilda verbleibenden Gemälde werden nach dem Katalog von Koelitz identifiziert. Die Markgrafentafel trägt bei Koelitz die Nr. 88. Daß sie unter den beim Haus verbleibenden Bildern nicht aufgeführt wird und folglich in das Eigentum des Landes überging, ist der Erfolg Adam Remmeles. Er war zu recht stolz, daß das Bild "für die Kunsthalle gerettet" war.
Drei Jahre später verhafteten die Nationalsozialisten Remmele, den Sozialdemokraten, in Hamburg. Ehe sie ihn in das Konzentrationslager Kislau verbrachten, wo er ein knappes Jahr inhaftiert blieb, fuhren sie ihn am 16. Mai 1933 auf offenem Lastwagen durch Karlsruhe. Die bestellte Menge verspottete ihn, Musikkapellen intonierten das Lied "Das Wandern ist des Müllers Lust". Der Müllerssohn Remmele, 1877 geboren, war in der Tat gelernter Müller und war als Geselle mehrere Jahre auf Wanderschaft gegangen. Im Jahr 1948 machte ihn die Stadt Karlsruhe zu ihrem Ehrenbürger; 1951 starb er in Freiburg. Seine umsichtige Rettung der Markgrafentafel für den Staat wurde vergessen.
Die Aktenfundstelle:
GLAK 235/40264 (Min. K u. U, Betr.: Kunsthalle)
Hinweis:
Zum Gesetz von 1930 und zur Erklärung von 1919 siehe
http://archiv.twoday.net/stories/2876347/
Markgrafentafel - Ausschnitt
Die Darstellung der Landesregierung von Baden-Württemberg, sie sei im Lichte der Rechtslage gehalten, mit dem vormals regierenden badischen Fürstenhaus zu einer gütlichen Einigung über vom Land verwahrte Kunstgegenstände aus früherem fürstlichen Besitz zu kommen, wird durch einen Aktenfund erschüttert. Von höchster Bedeutung unter den Kulturgütern, die Ministerpräsident Oettinger (CDU) als "unbestritten" im Eigentum des Hauses Baden stehend bezeichnet, ist die sogenannte "Markgrafentafel" des Hans Baldung Grien (1484/85 bis 1545) in der Karlsruher Kunsthalle. Der Wert des Gemäldes wird von der Landesregierung mit acht Millionen Euro beziffert. Im Generallandesarchiv in Karlsruhe hat der Freiburger Historiker Dieter Mertens nun in den Akten des Badischen Ministeriums für Kultus und Unterricht ein Schriftstück aufgefunden, das beweist, daß das bedeutende Kunstwerk bereits vor 76 Jahren in den Besitz des Landes Baden übergegangen ist.
Markgrafentafel - Ausschnitt
Auf den Seiten 39 und 41 legt Mertens seine Ergebnisse dar (Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Autors):
Der Baldung-Grien-Code
Wer will denn ein Bild kaufen, das ihm schon gehört? Günther Oettinger haut acht Millionen auf den Kopf / Von Dieter Mertens
Das Land Baden-Württemberg wirbt derzeit bei der Landesstiftung, bei seinen Kultureinrichtungen und bei Sponsoren Geld ein, damit Hans Baldung Griens "unbestritten" im Besitz des Hauses Baden stehende Markgrafentafel für das Land gekauft werden kann. Wie die Kenntnis der Aktenlage der Allgemeinheit einen Verlust von 8 Millionen Euro erspart, steht in unserem Beitrag: Der Freiburger Historiker Dieter Mertens hat im Generallandesarchiv Karlsruhe den eindeutigen Beweis dafür gefunden, daß das hochbedeutende Kunstwerk schon im Jahr 1930 in den Besitz des Landes Baden übergegangen ist.
Die Markgrafentafel von Hans Baldung Grien zählt zu den kunsthistorisch und historisch herausragenden Werken der Karlsruher Kunsthalle. Mit 64 Zentimeter Höhe und 216 Zentimeter Breite hat sie ein ungewöhnliches Format, und für welchen Ort und Zweck sie ursprünglich bestimmt sein mochte, ist gar nicht sicher. Die Tafel zeigt, der "Anna Selbdritt" in der Mitte betend zugewandt, auf der Männerseite den Markgrafen Christoph I. von Baden (1453 bis 1527), der dieses Bild in Auftrag gegeben hat, mit neun Söhnen und auf der Frauenseite seine Gemahlin Ottilie von Katzenelnbogen (1453 bis 1517) mit fünf Töchtern. Konrad Krimm hat 1990 die politische Programmatik des Bildes entschlüsselt. Die Anordnung der Söhne favorisiert entsprechend dem Testament des Markgrafen von 1503 den als Alleinerben vorgesehenen Sechstgeborenen, von den weltlichen Söhnen ist er der zweitälteste. Dieses Testament vermochte Christoph gegen die anderen Söhne aber nicht durchzusetzen, vielmehr hat er die Familie gesprengt, seine eigene Entmachtung heraufbeschworen und die Teilung des Landes herbeigeführt. Sie währte bis 1771.
Im Katalog der Karlsruher Kunsthalle von 1847 wurde das unsignierte Bild erstmals Hans Baldung zugeschrieben, was eine Datierung auf 1509/1510 erlaubt und seither unbestritten ist. Die älteste Nachricht von der Existenz der Tafel stammt aus einem Inventar des Jahres 1691 - es verzeichnete den Inhalt der Transportkisten, in denen der Hof von Baden-Durlach 1688 mehrere hundert Gemälde vor den französischen Truppen in seine Basler Residenz geflüchtet hatte; die Durlacher Karlsburg brannte 1689 nieder. 1789 kehrte die Tafel aus Basel in das inzwischen vereinigte Baden zurück, nun nach Karlsruhe in die Gemäldegalerie. Großherzog Leopold (1811 bis 1852) stellte das Bild für die neugestaltete Fürstenkapelle des Klosters Lichtental bei Baden-Baden als Antependium zur Verfügung, ließ aber 1833 eine Kopie anfertigen, so daß das Original schon bald wieder in Karlsruhe zu sehen war.
Auf Wunsch des Großherzogs ging die Verwaltung der Sammlungen und der Bibliothek 1872/73 an das Innenministerium über, die Finanzierung kam nun aus dem Staatshaushalt anstatt von der Hoffinanzkammer. Für die Kunsthalle galt das nicht, doch wurden ihr Zuschüsse aus dem Staatshaushalt zugesagt. 1919, nach dem Ende der Monarchie, traf der zwischen dem badischen Staat und dem vormaligen Großherzoglichen Haus geschlossene Abfindungsvertrag eine gesonderte Regelung über die Kunstwerke der Kunsthalle Karlsruhe, soweit sie Privateigentum des Großherzogs waren. Im letzten Paragraph verwies er auf eine Erklärung des Präsidenten der Generalintendanz der Zivilliste (der für die Hofhaltung bereitgestellten staatlichen Mittel) vom 18. März 1919, die lautet: "1. Die Kunstwerke der Kunsthalle (einschließlich Kupferstichkabinett), die Privateigentum des Großherzogs sind, bleiben solches. Ein Verzeichnis der einzelnen Kunstwerke wird mitgeteilt werden. 2. Seine Königliche Hoheit erklären für Sich und Seine Rechtsnachfolger, die Kunstwerke, solange sie Ihr Eigentum sind, gegen Übernahme aller Verwaltungskosten durch den Staat für immer in der Kunsthalle zu belassen. Sie behalten sich nur vor, das eine oder andere Stück (Familienbilder) vorübergehend aus der Galerie entnehmen zu dürfen. 3. Seine Königliche Hoheit und Seine Rechtsnachfolger werden die Bilder nur in dringenden Notfällen verkaufen; sie räumen für diese Fälle dem Staat ein Vorkaufsrecht ein." Eine solche Erklärung war ursprünglich gar nicht vorgesehen, weil die Regierung über den Erhalt der genannten Sammlungen, aber nicht über die Eigentumsrechte hatte verhandeln wollen. Seitens des Großherzogs wurden 549 Gemälde - darunter auch die Markgrafentafel - beansprucht; das Ministerium ließ die Liste unkommentiert: Die Sicherung des Eigentumsrechts ohne einvernehmliche Benennung der Objekte bei gleichzeitiger weitestgehender Beschränkung des Eigentumsrechts gehört zu der Art von Kompromissen, mit denen der lange Weg der "Auseinandersetzung" zwischen dem Haus Baden und dem Staat gepflastert ist.
Der letzte regierende Großherzog Friedrich II. (1857 bis 1928, regierend 1907 bis 1918), der keine leiblichen Nachkommen hatte, bestimmte in seinem Testament vom 12. August 1927 über alle seine Sammlungen, daß sie nicht an den Erben Berthold aus der Salemer Linie - den Sohn des ehemaligen Reichskanzlers Max von Baden, der am 9. November 1918 das Ende der Monarchie herbeigeführt hatte - gelangen sollten, sondern übertrug sie seiner Frau Hilda (1864 bis 1952) zu Eigentum - mit der 1919 festgelegten Einschränkung, sie öffentlich zugänglich zu erhalten und nicht zu veräußern außer im Falle der Not, wenn die Sammlungen etwa mit einer Erbschaftsteuer belegt würden. Was bei ihrem Tod noch vorhanden sein werde, sollte in eine Stiftung überführt werden, die "Zähringer Stiftung".
Als Fall der Not machte das Haus dann die Auswirkungen der Hyperinflation von 1923 geltend. Denn sie vernichtete den Wert des Kapitals von 8 Millionen Reichsmark, die der Abfindungsvertrag dem Haus Baden 1919 in Gestalt staatlicher Schuldbuchforderungen und Schuldverschreibungen zugesprochen hatte. Daraus hatte das Haus eine jährliche Rente von 240 000 Reichsmark gezogen, die nun fehlte. Wie andere ehemals regierende Häuser erhob das Haus Baden jetzt einen sogenannten Aufwertungsanspruch, den es einzuklagen bereit war: Sinn und Zweck des Vertrages von 1919 sei es gewesen, den Mitgliedern des Hauses ein standesgemäßes Leben ohne pekuniäre Sorgen zu ermöglichen. Dieses Ziel des Vertrages sei wegen der Entwicklung der Verhältnisse nicht erreicht worden und müsse nun auf andere Weise sichergestellt werden.
Die badische Regierung wies diese Forderung zurück, entwickelte aber in Etappen die Idee, die Gemäldesammlung insgesamt und die Kupferstichsammlung seitens des badischen Staates en bloc zu erwerben und dabei die Höhe des Preises und die Zahlungsmodalitäten für das Haus Baden so günstig zu gestalten, daß der Aufwertungsanspruch damit abgegolten werde. Die beiderseitigen Vorstellungen lagen indes ziemlich weit auseinander. Zu Lebzeiten des letzten Großherzogs Friedrich II. kam kein Ergebnis mehr zustande; mit seinem Tod gingen die Sammlungen und damit auch die Gemälde in das Eigentum der Großherzogin Hilda über. Weil der Zweck des avisierten Erwerbs der Gemälde- und Kupferstichsammlung die Beseitigung des Aufwertungsanspruchs war, mußte nun nicht nur allein mit Hilda beziehungsweise dem Präsidenten der großherzoglichen Vermögensverwaltung in Baden-Baden verhandelt werden, sondern auch mit der markgräflichen Salemer Linie. Sie trat ab 1929 sogar als der eigentliche Verhandlungspartner auf, als der Graf Douglas-Langenstein, Präsident der badischen Landwirtschaftskammer und Verwandter des Fürstenhauses, den das Ministerium für Kultus und Unterricht im Juli 1928 um Kontaktaufnahme zu Friedrich gebeten hatte, nunmehr namens des Markgrafen Berthold verhandelte.
Graf Douglas sollte die Verhandlungen beschleunigen, weil die großherzogliche Vermögensverwaltung mittlerweile gezwungen war, für die laufenden Gehälter und Renten der etwa 130 Bediensteten - von den Lakaien, Kutschern und Fahrern über die Förster bis zum Hofmarschall und der Vermögensverwaltung selbst - Kredite aufzunehmen. Auf die bereits fertiggestellte Klageschrift wies das Haus Baden mehrfach hin. Ein Darlehen des Landes von 200 000 Reichsmark minderte 1929 den Zeitdruck ein wenig. Die Forderung des Hauses lautete 4,5 Millionen, das Land dachte an 4 Millionen Reichsmark; es hatte den Wert der Gemälde und Kupferstiche 1925 auf 2,9 Millionen taxiert, davon 2 Millionen für die Gemälde, 400 000 Reichsmark für das Thoma-Museum und 500 000 Reichsmark für die Kupferstichsammlung, gab aber 1928 zu, daß der Marktwert gestiegen sei. Was über den Wert der Bilder hinausging, sollte zusammen mit der Gestaltung der Zahlungsweise den Aufwertungsanspruch abgelten. Das Haus wollte eine Reihe von Bildern, die es als Familienbilder betrachtete, vom Verkauf an das Land ausnehmen. Zu diesen zählte als wertvollstes die Markgrafentafel. Die Kunsthalle schätzte ihren Wert auf 30 000 bis 50 000 Reichsmark. Sie war unbestritten privates Eigentum der Familie. Dem von Kultusminister Otto Leers im April 1928 erzielten Ergebnis - 4,4, Millionen, davon 0,5 Millionen Reichsmark sofort - versagte das Kabinett, das Innenminister Adam Remmele als Staats- und Ministerpräsident leitete, die Zustimmung. Für die Markgrafentafel hatte Leers ein Vorkaufsrecht des Landes ausgehandelt.
Seitens der Kunsthalle legte jetzt Lili Fischel dem Kultusministerium dar, daß die Markgrafentafel unmöglich aus dem Verband der altdeutschen Abteilung herausgelöst werden könne, zumal der Wert einiger ihrer Objekte durch neuere Forschungsergebnisse bezweifelt worden sei. Ein Vorkaufsrecht für die Tafel nütze nichts, wenn der Staat dieses gegebenenfalls aus Geldmangel nicht wahrnehmen könne. Deswegen führte das Ministerium die neuen Verhandlungen mit dem Ziel weiter, die Markgrafentafel und sechs andere Bilder von der Ausnahme auszunehmen, das heißt in den Verkauf an den Staat einzubeziehen. Adam Remmele, von 1919 bis 1929 Innenminister, 1925/1926 - anfangs der Verhandlungen mit dem Haus Baden - und wieder seit Ende 1929 Kultusminister, machte sich die Haltung der Kunsthalle zueigen. Er legte ein neues Verhandlungsergebnis - 4 Millionen, davon 1 Million abzüglich des Darlehens sofort - vor und drängte am 20. Januar 1930 seine Kabinettskollegen zur Eile. Er schob eine Warnung nach: Wenn sie die laufenden Verhandlungen scheitern ließen, würde das Haus das Vorkaufsrecht in Gang setzen und die marktgängigen Bilder anbieten. Dann geriete das Land in eine sehr schwierige Lage, weil der Markt mehr hergebe als die Schätzungen lauteten: Das Vorkaufsrecht werde teuer.
Die Freigabe der Bilder zum Verkauf aber würde einen unersetzlichen Schaden für die Kunsthalle bedeuten "und würde in den weitesten Kreisen ganz Deutschlands als ein schwerer Prestigeverlust des badischen Landes betrachtet werden". Remmele machte einen ebenso gescheiten wie naheliegenden Vorschlag zur angemessenen Entscheidungsfindung: "Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Angelegenheit wäre ich dankbar, wenn vor einer endgültigen Entscheidung die Mitglieder des Staatsministeriums der Badischen Kunsthalle (im Entwurf: unter meiner Führung) einen Besuch abstatten und die fraglichen Gemälde in Augenschein nehmen würden." Ob dies geschehen ist, sagen die Akten nicht, wohl aber, daß Remmele bereits im Kabinettsvortrag auf die berühmtesten Kunstwerke - das schließt die Markgrafentafel unweigerlich ein - hingewiesen hat.
Finanzminister und Ministerpräsident Josef Schmitt rechnete die entstehende Belastung für den Haushalt 1930/31 vor. Er wies auf deren Auswirkungen hin, die angesichts der Deckungslücke von 40 Millionen im Doppelhaushalt 1930/31 weithin spürbar sein würden. Er verlangte Modifikationen der Zahlungsweise; indes dürften finanzielle Erwägungen nicht allein den Ausschlag geben. Der Finanzminister verschloß sich den längerfristigen Vorteilen einer Gesamtbereinigung der finanziellen Beziehungen zum Haus Baden und der kulturellen Bedeutung der Sammlungen in der Kunsthalle keineswegs. Es handle sich für das Land "vor allem um die Aufrechterhaltung wichtiger kultur- und kunstgeschichtlicher Belange. Man würde es vielfach schwer verstehen, wenn das Land die Veräußerung von Kunstwerken aus einer Sammlung, die seit 1831 der Öffentlichkeit zugänglich ist, die mit der kunstgeschichtlichen Entwicklung und Stellung des Landes eng verwachsen sind und deren Erhaltung auch für den Unterricht an den Kunstschulen von Bedeutung ist, in Privatbesitz oder gar zur Ausfuhr über seine Grenzen zulassen würde."
Schmitt regte an, zur Ermäßigung der finanziellen Belastung des Landes zuzulassen, daß einzelne Kunstwerke zum Verkauf gelangen. Doch da widersprach ihm Remmele entschieden. Ein Verkauf von Kunstwerken des Großherzogs im Ganzen oder im Einzelnen sei für ihn völlig inakzeptabel (damals: "durchaus unmöglich"). Er wies darauf hin, "daß der Verkauf einzelner Kunstwerke die Situation in kulturpolitischer Hinsicht nur verschlimmern würde. Da die große Mehrzahl der im Eigentum des ehemaligen großherzoglichen Hauses stehenden Werke nur einen verhältnismäßig geringen Wert haben, müßte sich die Verwaltung des ehemaligen Großherzoglichen Hauses selbstverständlich bemühen, in erster Reihe die berühmtesten, in meinem Vortrag vom 22. Januar dieses Jahres genannten Kunstwerke, die einen internationalen Markt haben, zum Verkauf zu stellen, um eine ins Gewicht fallende finanzielle Entlastung zu erreichen."
Remmele brachte die Modifikationen des Finanzministers in die Mitte Februar 1930 fortgeführten Verhandlungen mit dem Grafen Douglas ein. Zur letzten Klippe auf dem Weg zu einer Einigung wurde aber die Frage der Familienbildnisse, voran die Abtretung der Markgrafentafel: Die Familie, so das Argument, könne auf sie nicht verzichten, zumal sie seinerzeit aus der großherzoglichen Kapelle des Klosters Lichtental nach Karlsruhe gebracht worden sei: Die Kapelle, in der die originale Tafel nur sehr kurze Zeit als Antependium fungiert hatte, galt inzwischen als ihr ursprünglicher Bestimmungs- und Aufstellungsort. Sogar der gedruckte Katalog der Karlsruher Kunsthalle von Karl Koelitz erweckt diesen Eindruck.
Remmele und Graf Douglas besuchten am 18. Februar 1930 im Anschluß an ihre Verhandlungen die Kunsthalle, um die Markgrafentafel zu besichtigen. Der Minister bestritt überhaupt nicht das Recht des Hauses Baden auf das Bild, hob aber noch einmal den kunsthistorischen und künstlerischen Wert für die Kunsthallensammlung hervor. Graf Douglas erwog, das Bild dem Haus Baden zwar vertragsmäßig zuzuschlagen, es aber für zwanzig Jahre in der Kunsthalle als Leihgabe zu belassen. "Eine Entscheidung brachte die Besichtigung nicht", stellte Remmele in der anschließenden Niederschrift fest. Doch noch am Nachmittag hatte er Anlaß, in einem Nachtrag festzuhalten, daß eine Entscheidung gefallen war. Graf Douglas übersandte ihm einen handgeschriebenen Brief des Markgrafen Berthold, der sich wohl eben der Verhandlungen wegen in Karlsruhe aufhielt. Der Brief ist auf Trauerpapier geschrieben - Bertholds Vater, der ehemalige Reichskanzler, war drei Monate zuvor verstorben - und lautet:
"Karlsruhe 18.II.1930.
Sehr geehrter Graf Douglas.
Auf Ihre nochmalige Vorstellung hin, ist das Großherzogliche badische Haus bereit auf das Votivbild von Hans Baldung (Grien) zu Gunsten des badischen Staates zu verzichten.
Ich hoffe, daß damit die letzte Klippe aus dem Wege geräumt ist.
Mit den besten Grüßen bin ich, sehr geehrter Herr Graf,
Ihr stets ergebener Markgraf Berthold."
Ausschnitt
Remmele sah aber immer noch Gefahren. Denn über den Zahlungsplan mußte noch weiter im Sinne des Finanzministers verhandelt werden, damit die Regierung ihn in der Öffentlichkeit und vor dem Parlament überhaupt vertreten könnte. Graf Douglas sicherte noch einmal zu, daß es bei der Abtretung der Markgrafentafel bleibe. Die Einigung gelang am 21. Februar 1930. Das Ergebnis der jahrelangen Bemühungen, das Minister Remmele abschließend erzielt hat, liegt in Gestalt des am 1. April 1930 vom Landtag beschlossenen, am 14. April verkündeten und am 17. April veröffentlichten Gesetzes über den Ankauf vor. Sein einziger Gegenstand ist die Vereinbarung zwischen dem Land Baden einerseits und der ehemaligen Großherzogin Hilda und dem Markgrafen Berthold, seiner Mutter und seiner Schwester, den lebenden Mitgliedern der Salemer Linie, andererseits. Die Zustimmung der Salemer zu allen Teilen der Vereinbarung wird festgehalten: zur Überführung der der Großherzogin Hilda gehörenden Werke der Kunsthalle und des Kupferstichkabinetts in das Eigentum des Landes Baden mit Ausnahme der einzeln nach Katalognummern aufgeführten Werke; zur Höhe der Vergütung und dem beiliegenden Tilgungsplan und zur Anerkenntnis, keinerlei Aufwertungsansprüche gegen das Land Baden zu haben. Die von der Übereignung an das Land ausgenommenen, also im Eigentum der Großherzogin Hilda verbleibenden Gemälde werden nach dem Katalog von Koelitz identifiziert. Die Markgrafentafel trägt bei Koelitz die Nr. 88. Daß sie unter den beim Haus verbleibenden Bildern nicht aufgeführt wird und folglich in das Eigentum des Landes überging, ist der Erfolg Adam Remmeles. Er war zu recht stolz, daß das Bild "für die Kunsthalle gerettet" war.
Drei Jahre später verhafteten die Nationalsozialisten Remmele, den Sozialdemokraten, in Hamburg. Ehe sie ihn in das Konzentrationslager Kislau verbrachten, wo er ein knappes Jahr inhaftiert blieb, fuhren sie ihn am 16. Mai 1933 auf offenem Lastwagen durch Karlsruhe. Die bestellte Menge verspottete ihn, Musikkapellen intonierten das Lied "Das Wandern ist des Müllers Lust". Der Müllerssohn Remmele, 1877 geboren, war in der Tat gelernter Müller und war als Geselle mehrere Jahre auf Wanderschaft gegangen. Im Jahr 1948 machte ihn die Stadt Karlsruhe zu ihrem Ehrenbürger; 1951 starb er in Freiburg. Seine umsichtige Rettung der Markgrafentafel für den Staat wurde vergessen.
Die Aktenfundstelle:
GLAK 235/40264 (Min. K u. U, Betr.: Kunsthalle)
Hinweis:
Zum Gesetz von 1930 und zur Erklärung von 1919 siehe
http://archiv.twoday.net/stories/2876347/
Markgrafentafel - Ausschnitt
KlausGraf meinte am 2006/11/01 23:14:
Mir gebbat nix!
Die Leitglosse der FAZ haut tüchtig zu:"Eigentlich blickt man, um beim Bild der Felsspalte zu bleiben, in einen Abgrund von Ländlesverrat: Einerseits verscherbelt Oettinger auf schäbige Weise die Kulturgüter eines Landes, in dem man einst stolz reimte: "Der Schiller und der Hegel, der Uhland und der Hauff, die sind bei uns die Regel, die fallen gar nicht auf." Andererseits fällt auf, daß der Ministerpräsident eines Staates, in dem seine Vorgänger, von Reinhold Maier bis zu Erwin Teufel, die Künste als Chef- und Ehrensache betrachteten, nicht nur die Kultur zur reinen Handelsware degradiert, sondern nicht einmal richtig rechnen kann."
FeliNo meinte am 2006/11/02 00:26:
Die Causa reift zum Stoff; dieser Site ist zur Zeit das Spannendste, das es im Netz zu lesen gibt.Thomas Mann lieferte in seinem "Felix Krull" Bilder der deutschen Gegenwart vor dem Ersten Weltkrieg und in den zwanziger Jahren; Günther Grass rundete ab mit der "Blechtrommel"; Heinrich Böll schloss mit den "Ansichten eines Clowns" die 50er Jahre an. Die Gattung "Zeitroman" harrt des nächsten Nobelpreisträgers aus D.; Stoff findet er hier reichlich.
KlausGraf meinte am 2006/11/06 01:53:
Telefoninterview mit Prof. Mertens als MP3
MP Oettinger will ein Bild kaufen , das ihm schon gehört : Hans Baldung Grien(incl. Interview mit Prof. Mertens)
Von Sabine Freudenberg, Deutschlandradio Kultur 02.11.2006 23:09
http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2006/11/02/dkultur_200611022309.mp3
BCK meinte am 2006/11/10 08:14:
Jäger des verlorenen Schatzes
Dieter Mertens lehrt das Haus Baden das Fürchten und hilft dem Land Millionen sparen.Ein Porträt des Gelehrten zeichnet der
Südkurier, 09.11.2006, Die Dritte Seite / von Uli Fricker
http://www.suedkurier.de/nachrichten/seite3/art1798,2292748.html
Dieter Mertens ist ein unauffälliger Mensch. Gut mittelgroß, weiße Haare, 66 Jahre alt, dazu eine randlose Brille, durch die er mit freundlichen Augen schaut. Der gebürtige Niedersachse gehört zu den Zeitgenossen, die in ihrer Arbeit aufgehen - er ist der unauffällige Forscher aus dem Bilderbuch, der lateinische Texte des Humanismus zerlegt und analysiert, der alte Bibliothekskataloge studiert und gescheite Aufsätze über die Zähringer verfasst hat. Nun ist der Professor für Mittelalterliche Geschichte aus dem Dämmer der Gelehrtenstube herausgetreten und hat eine schläfrige Landespolitik aufgeweckt: Mertens hat aufgrund von dokumentarischen Funden nachgewiesen, dass wichtige Stücke auf der Verkaufsliste des Hauses Baden bereits dem Land gehören. Baden-Württemberg würde Dinge erwerben, die sein Eigentum sind.
(...)
Das markgräfliche Haus ist über die Funde des Gelehrten wenig erfreut. Erbprinz Bernhard, der Geschäftsführer der Familie, sprach bereits von einer "Kampagne der FAZ". Die Fakten liegen anders: Die kritisierte Zeitung kann sich vor Zuschriften, Gutachten, Dokumenten nicht retten. Engagierte Leser, Fachleute und Kulturschaffende wenden sich an die FAZ als dem zuverlässigen Forum für ihr Anliegen. In diesen Kreisen geht Sorge um, dass die Familie Baden eine Kampagne führen - zur Sanierung ihrer selbst.
Dieter Mertens selbst bleibt nüchtern. Im Gegensatz zum Markgrafenhaus freilich verfolgt er keine persönlichen und materiellen Interessen. Er wirft sein beträchtliches Gewicht als Fachmann in die Waagschale - nicht mehr und nicht weniger. Im Übrigen ist er als Professor zugleich Landesbeamter und deshalb zur Loyalität verpflichtet. Dieser Pflicht ist er nun tausendfach nachgekommen, indem er dem Bundesland und seinen braven Steuerzahlern eventuell Millionen sparen hilft. Zu Zeiten der Monarchie hätte man diesen Mann geadelt. Heute müsste ihm Finanzminister Stratthaus mindestens um den Hals fallen. Das hat er nicht getan. Bleibt die Frage: Warum eigentlich?