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Nikolai B. Forstbauer sichtet in den Stuttgarter Nachrichten vom 4. November 2006 das Presseecho auf die Baldung-Blamage (S. 3)

Der Spott ist beißend, und er kommt national mit solcher Geschwindigkeit, dass man sich um den Werbewert für das Land Baden-Württemberg keine Gedanken mehr machen muss.

[...] Schuldzuweisungen gibt es genug: Ob Staatsministerium, Finanzministerium oder Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst - keiner der an dem Markgrafen-Thema Beteiligten traut mehr dem jeweils anderen.

"Jetzt ist Feuer unterm Dach", war am Freitag aus dem Finanzministerium zu hören. An diesem Tag sind auch die Wirren im Hintergrund schon Schlagzeilen wert. "Bild" druckt einen Brief von Karlsruhes Kunsthallendirektor Klaus Schrenk an Kunstminister Frankenberg, in dem der Museumschef auf neue Untersuchungen zum Baldung-Grien-Bild hinweist. Die Botschaft der Indiskretion ist klar: Frankenberg hätte wissen müssen, dass Unheil droht. Auf Anfrage blickt der Kunstminister lieber nach vorne: "Ich erwarte eine kritische und zügige Überprüfung wichtiger badischer Kulturgüter, die dann auch ein verlässliches Ergebnis bringt." Eine Spitze auch dies: Nicht etwa Frankenbergs Haus, sondern das Finanzministerium hatte die jetzt fraglichen Listen erstellen lassen - über das zuständige Referat Schlösser und Gärten. Und dort, so hallt es wiederum aus den Büros von Finanzminister Stratthaus, habe man wissen müssen, was in der Kunsthalle Karlsruhe hängt. [...]
Dieter Mertens Blick in das Generalarchiv des Landes provozierte die "Berliner Zeitung" am Freitag zu eigenem Hintersinn: "Auf die fleißigen Gelehrten im Ländle ist eben Verlass." Und: "Mit ihren blitzschnell und akribisch recherchierten Gutachten hatten sie schon die brüchige Rechtsgrundlage des Handschriften-Deals vorgeführt. Jetzt blamiert die Wissenschaft abermals die Landesregierung." Eine Sicht, die man im Staatsministerium in Stuttgart durchaus teilt. "In der Regierung macht sich die traurige Erkenntnis breit", so ein Mitarbeiter, der ungenannt bleiben will, "dass das Land das Vertrauen der Wissenschaft nicht mehr gewinnen kann." Und im Finanzministerium macht man eine Negativrechnung besonderer Art auf. Wolle man alle Listen badischer Kulturgüter, deren Besitz rechtlich strittig ist, neu überprüfen, koste dies "wahnsinnig viel Geld und Personal". Kurz - "dann hätte man auch gleich die ganze Summe bezahlen können". [...]

Oettinger steht im Kunstregen - allein gelassen von drei Ministerien, mehreren Fachabteilungen und beauftragten Experten.

Auch auf die Markrafenfamilie allerdings fällt ein Schatten. Mit Blick auf das dem Staat überlassene Baldung-Gemälde hieß es am Freitag in der "Berliner Zeitung": "Dass das durchaus traditionsbewusste Haus Baden den so wichtigen Abtretungsvertrag von 1930 nicht mehr präsent hatte, wirkt überraschend." Und man ahnt: Die Kritik wird zunehmen.


Da der Erbprinz gegenüber der Stuttgarter Zeitung (vom 5.10.2006) vom Zugriff auf die "zentralen Bestände" des Landesmuseums und der Kunsthalle sprach, darf man dem Haus Baden mindestens mangelhafte Recherche attestieren (wenngleich ein Betrugsversuch auch nicht ausgeschlossen werden kann).

Die FAZ vom gleichen Tag (S. 40) höhnt unter Farbbildern der beiden Cranach-Medaillons: "Oettingers Bilder, zweite Lieferung: Auch die hier gehören Baden-Württemberg schon!"

Auszug:

Damit zumindest die Karlsruher Bilder jetzt auf der sicheren Seite sind, hier ihre kleine Liste, die Dieter Mertens dem Archiv entnommen hat: Außer dem Renaissance-Meisterwerk der Markgrafentafel gehören dem Land Baden auch die beiden etwa elf Zentimeter hohen Porträts von Friedrich dem Weisen und Johann dem Beständigen aus der Cranach-Werkstatt. Sie wurden von der Regierung ebenfalls als "unbestrittener" Besitz des Hauses Baden bezeichnet - obgleich sie auch vor 1930 im Karlsruher Bestandsverzeichnis von Koelitz nicht als "Großherzogliches Privateigentum" ausgewiesen waren; ihr Wert ist vom Land mit je einer Million Euro veranschlagt, was für solche Arbeiten einigermaßen großzügig anmutet. Dann sind da noch die Nummern 106, 157 und 539 bei Koelitz. Einzig als Familienbildnis anzusprechen ist Nummer 537, nämlich "Der Türkenlouis erstürmt eine türkische Verschanzung in Ungarn", von Feodor Dietz 1837 gemalt.

Reiner Ruf in der Stuttgarter Zeitung vom gleichen Tag (S. 9) schilt die Juristen und insbesondere den Gutachter Würtenberger (der sich dem Vernehmen nach erst bequemte, Archiv- Akten zur Zähringer Stiftung einzusehen, NACHDEM er gegutachtet hatte):

Das Schmuckstück der Karlsruher Kunsthalle, die so genannte Markgrafentafel, zu Anfang des 16. Jahrhunderts gemalt von Hans Baldung Grien, ist dem Land Baden und als dessen Rechtsnachfolger dem Land Baden-Württemberg seit dem Jahr 1930 zu eigen. Nur hat das keiner mehr gewusst. [...] Da fügt sich ins Bild, dass Repräsentanten dieser Regierung zu Beginn der Debatte um das badische Kulturerbe kunsthistorische Unsicherheiten zeigten und den Dürer-Schüler mal als Hans Balduin, dann wieder als Hans Baldur über die sonst so flinke Ministerzunge huschen ließen.

Eine unglückliche Figur macht auch der Gutachter des Landes, der Freiburger Staatsrechtler Thomas Würtenberger. Dem Finanzausschuss des Landtags bestätigte er noch am 19. Oktober, dass die Markgrafentafel, deren Wert auf acht Millionen Euro taxiert wird, eindeutig dem Adelshaus derer von Baden gehöre. Jeder Zweifel schien sich zu verbieten, hatte sich doch über die Jahre ein ganzes Aufgebot von Juristen den strittigen Eigentumsfragen gewidmet. Schwierige Rechtsfragen wälzten sie hin und her, und wäre der Ausdruck gestattet, so dürfte man von allerschwierigsten Rechtsfragen sprechen. Sie handelten von Begriffen wie Patrimonialeigentum, Herausgabeanspruch, Ersitzen nach Paragraf 937 Bürgerliches Gesetzbuch, aber auch von Konstruktionen wie dem "auf der Willensentschließung des besitzmittelnden Landes beruhenden und nicht abgeleiteten Besitzmittlungsverhältnis".

Vielleicht hätte die Landesregierung aber auch einfach einen Historiker fragen sollen. Dieter Mertens jedenfalls, Professor für geschichtliche Landeskunde in Tübingen, später Lehrstuhlinhaber für mittelalterliche Geschichte in Freiburg, fand in den Archiven den entscheidenden Hinweis, der zu jenem Gesetz aus dem Jahr 1930 führte, welches die Markgrafentafel und andere Bildnisse in staatliches Eigentum überführte.

Mertens informierte Klaus Schrenk, den Direktor der Staatlichen Kunsthalle in Karlsruhe, dieser wiederum überbrachte die frohe Botschaft dem Wissenschaftsministerium erst telefonisch, dann per Brief. Danach herrschte im Regierungsdreieck von Wissenschaftsministerium, Finanzressort und Staatsministerium lähmendes Entsetzen.

Hatte es zunächst so ausgesehen, als ginge das tragikomische Spiel um den Verkauf von mittelalterlichen Handschriften zu Lasten von Wissenschaftsminister Peter Frankenberg aus, so hat sich die Machtbalance inzwischen zu Ungunsten von Finanzminister Gerhard Stratthaus verändert. Dessen Ressort hatte sich die Sache so ausgedacht: Der für die Museen zuständige Frankenberg verkauft die Handschriften aus der Karlsruher Landesbibliothek. Kein schönes Geschäft. Der für die Schlösser zuständige Finanzminister aber befreit sich von Zahlungen zum Erhalt der Schlossanlage Salem. Dieses Kalkül ist nicht aufgegangen.

Statt dessen bekommt Stratthaus jetzt Schelte. Er hat die Federführung in der Vergleichssache Baden. Auch für die Begutachtung ist er verantwortlich. Im Staatsministerium knurrt man, Oettinger sei "mit falschen Informationen ins Feuer" geschickt worden.


In der Tat ist das Gutachten von Würtenberger/Wax, das "Archivalia" vorliegt, sein Geld nicht wert. Als Staatsrechtler hätte sich Würtenberger auf die von Reicke herausgearbeitete spezifisch staatsrechtliche Problematik des Falls einlassen müssen. Stattdessen dominiert bürgerlichrechtliche dogmatische Akrobatik, die nur hinsichtlich der Verjährungsfragen und der erbrechtlichen Frage, ob es eine wirksame Übereignung an die Zähringer Stiftung gegeben habe, weiterführt. Diese Fragen werden einseitig zuungunsten des Landes beantwortet, man hat den Eindruck ein Parteigutachten für das Haus Baden zu lesen.

Wenn es dem Finanzministerium darum ging, Salem loszuwerden und mit dem Einsatz von 70 Mio., erlöst aus der Karlsruher Handschriftensammlung (womöglich hat Graf Douglas diesen Gedanken souffliert, schließlich braucht der alerte alternde Kunstberater noch ein Karriere-Highlight), ein Schnäppchen im Gegenwert von 300 Mio. zu machen, kam es ja entscheidend darauf an, die Rechtsansprüche des Hauses Baden möglichst aufzuwerten.

Würtenberger musste zugeben, dass ihm ein fertiger Vergleichsvorschlag vom Finanzministerium präsentiert wurde:
http://archiv.twoday.net/stories/2847715/#2856315

Als krassen handwerklichen Fehler kreide ich Würtenberger an, einen einschlägigen Präzedenzfall aus Bayern übersehen (oder ignoriert) zu haben, der aber an prominenter Stelle abgedruckt ist, in den "Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen" (1987, S. 195-203). Das Gericht wies am 9.6.1987 (Az.: ! Z 89/86) die Herausgabeklage eines Testamentsvollstreckers hinsichtlich von Gegenständen aus dem Staatsarchiv Coburg ab (siehe http://archiv.twoday.net/stories/2906816/ mit Link zum Faksimile auf Commons). Hier ging es im Kern um die Frage, ob das frühere Haus- und Staatsarchiv Privateigentum der herrschenden Familie oder als Staatseigentum anzusehen sei. Auch wenn der Fall sehr viel eindeutiger gelagert ist, so wären doch die Ausführungen des Gerichts zur Beweislast des Herausgabeklägers zu berücksichtigen gewesen, da auch in Coburg der Staat viele Jahrzehnte das fragliche Archivgut als unmittelbarer Besitzer besessen hat.

Angesichts von der für den Besitzer streitenden Vermutung des § 1006 BGB hätte das Haus Baden (oder der Insolvenzverwalter) in einem Prozess schlüssig den Zweifel auszuräumen, dass die als Eigentum beanspruchten Gegenstände 1918/1919 mit Resignation und Abfindungsvertrag zu Staatseigentum geworden sind. Angesichts des Gutachterstreits wäre es für ein Gericht das naheliegendste, sich auf die Beweislast des Herausgabeklägers zu berufen und die Klage abzuweisen. Es kann keine Rede davon sein, dass das Domänenvermögen eindeutig als Privateigentum des Landesherrn gesehen wurde. Und es ist ebenfalls nicht beweisbar, dass die strittigen Gegenstände nicht zum Domänenvermögen bzw. Patrimonialeigentum zählten und insofern auch nicht in den Vergleich von 1919 einbezogen waren. Da Reicke, Mußgnug (dem Willoweit, Reickes Assistent, zustimmte) und Klein als Juristen für Staatseigentum plädierten, wird die Gegenseite wohl kaum einen Trumpf aus dem Ärmel zaubern können, der das Gericht überzeugt.

Hinsichtlich der Handschriften der BLB scheint angesichts der Tatsache, dass sowohl die alten markgräflichen Provenienzen als auch das Säkularisationsgut vom Hausfideikommiss beansprucht wurden, bei letzteren aber die Vermutung auf Staatseigentum Vorrang hat , der Beweis eines eindeutigen badischen Eigentums ausgeschlossen. Hinsichtlich der "Hinterlegungen" mag etwas anderes gelten.

Ist aber diese schwere Hürde genommen, so hat das Haus Baden zu beweisen, dass diejenigen strittigen Gegenstände, die nicht Landeseigentum geworden sind, entgegen dem testamentarischen Willen Großherzogs Friedrichs II. nicht Eigentum der Zähringer Stiftung geworden sind. Da der Erbe der Ehefrau des Großherzogs, Markgraf Berthold, von der rechtswirksamen Existenz der Zähringer Stiftung und ihrer Vermögensausstattung ausgegangen ist, hat er durch konkludentes Handeln die Übereignung vollzogen. Wenn das Haus Baden angibt, dies sei nicht nachweisbar, verkennt es die zivilrechtliche Beweislast, die beim Herausgabekläger liegt.

Bernhard Markgraf von Baden hat im übrigen einen Prozess gegen das Land gegenüber der Stuttgarter Zeitung ausgeschlossen (5.10.2006, S. 8). Wenn der Zugriff eines Insolvenzverwalters abgewendet werden kann, fragt man sich, wieso angesichts dieser doch recht komfortablen Rechtslage das Land (bzw. andere Geldgeber) Millionen Euro dem Haus Baden zuschanzen soll.
KlausGraf meinte am 2006/11/04 18:45:
Kam das Angebot vom Haus Baden?
Die BUNTE (die MP Oettinger dem Vernehmen nach liest) stellte es am 19.10.2006 so dar, als sei das Angebot vom Haus Baden ausgegangen:

"Dem Prinzen kam eine geniale Idee: ein Kellerverkauf. Gemeint war allerdings nicht der Schlosskeller, sondern das tief gelagerte Archiv der Landesbibliothek Karlsruhe. [...] Um den millionenschweren Schatz zu he-ben, benoetigte das Haus Baden als Verbuendeten die Landesregierung von Baden-Wuerttemberg unter Ministerpraesident Guenther H. Oettinger. Prinz Bernhards Angebot: Das badische Adelshaus verzichtet ein fuer alle Mal auf alle bis dato ungeklaerten Eigentumsansprueche an Kulturguetern aus ehemals markgraeflichem Besitz im Land - wie die sogenannte Tuerkenbeute, Waffen- und Muenzsammlungen und Gemaelde. Geschaetzter Wert: ueber 200 Mio. Euro. Dafuer darf die Familie die Schriften aus der Landesbibliothek verkaufen."

Dass Prinz Bernhard ohne Rücksprache mit seinem "Kunstberater" und verwandten Graf Douglas diesen Plan entwickelt haben soll, erscheint undenkbar.

Freilich: Bewiesen ist die Darstellung der BUNTEN nicht. 
KlausGraf meinte am 2006/11/22 03:23:
Unsägliche Stellungnahme von Würtenberger im Parlament
Drucksache 14/495 S. 5ff.
http://www.landtag-bw.de/WP14/Drucksachen/0000/14_0495_d.pdf

Zweifelsfrei gehöre der Baldung in der Kunsthalle dem Haus Baden.

Man herrsche nicht mit einer Inkunabel.

"Damit der Fürst standesgemäß leben
kann, bekommt er ein bisschen Eigentum, Domäneneigentum zur
eigenen Verwendung – Schloss Salem beispielsweise." Richtig ist: Schloss Salem gehörte nie zum Domäneneigentum, es war mit Petershausen eine Fideikommiss-Standesherrschaft der Badener Sekundogenitur. 1919 hat man Salem überhaupt nicht in die Waagschale geworfen. Und angesichts der riesigen Kunstschätze (des gesamten Zähringer-Museums) trift es "ein bisschen Eigentum" nicht so ganz. 
KlausGraf meinte am 2006/11/24 18:56:
Wer ist überhaupt Würtenberger?
http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_W%C3%BCrtenberger 
 

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