Herrn Jaworek danke ich für die Veröffentlichungsgenehmigung:
Quelle: PapierRestaurierung - Mitteilungen der IADA (Internationale Arbeitsgemeinschaft der Archiv-, Bibliotheks- und Graphikrestauratoren), Dezember 2006, Vol. 7, No. 4
Wolfgang Seidel
Papier, Presse und Politik
In den vergangenen Monaten berichteten deutsche Zeitungen ausführlich von dem möglichen Verkauf der Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Weitschweifend kommentierten sie das Possenspiel der baden-württembergischen Landesregierung, die ausgerechnet in der Stadt ihren Sitz hat, in der der Verlag Ihrer Zeitschrift angesiedelt ist: Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger und Bernhard Erbprinz von Baden hatten in aller Stille einen Plan geschmiedet, nach welchem das Haus Baden „für alle Zeit" auf historische Kunstschätze aus staatlichen Museen im Wert von mindestens 250 Mio. Euro verzichten wollte. Diese werden vom ehemaligen Großherzogtum seit Jahren als Eigentum beansprucht, die Rechtslage ist jedoch ungeklärt. Im Gegenzug sollten wertvolle Stücke aus der etwa 4.200 Stück umfassenden historischen Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe versteigert werden. Der Erlös von erhofften 70 Mio. Euro wäre dem finanziell angeschlagenen Adelshaus zugute gekommen. Absicht war, aus einem Teil des Erlöses in Form einer noch zu gründenden Stiftung den Erhalt des Schlosses und des Münsters der Markgrafenfamilie in Salem zu finanzieren.
Eigentlich wollte Ministerpräsident Oettinger die Öffentlichkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt über den Verkauf des „Bibliotheksguts" informieren. Doch die Presse war schneller. Und umgehend folgte Kritik von amerikanischen und britischen Professoren in einem offenen Brief an die Adresse der Landesregierung ( http://cgi-host.uni-marburg.de/ ~mrep/brief ). Darin äußerten sie sich entsetzt über deutsche Kulturpolitik nach Hausmacherart und nannten das Vorhaben „einen skandalösen Plan". In Baden-Württemberg stünde „die Vergangenheit zum Verkauf - und das zu Schleuderpreisen". Ein derart gewachsener Bestand sei ein „Repositorium von Erinnerung", das nicht zerfleddert werden darf. Einwände kamen auch von der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe selbst. Mit der „Rückgabe" der Handschriften an das Adelshaus würde die Institution ihre überregionale Bedeutung einbüßen, so Direktor Peter Mi-chael Ehrle. „Das ist für uns das Ende als Forschungsbibliothek. Wir sind dann nur noch eine ganz normale Bibliothek", sagte Ehrle. Auf der Website der Bibliothek sind zahlreiche Bürger, die ähnlich denken, der Aufforderung nachgekommen, ihrem Unmut Luft zu verschaffen. (Eine Gesamtübersicht der im Internet zugänglichen Beiträge zum vorliegenden Fall s. unter
http://archiv. twoday.net/stories/2895938 ).
Günther Oettinger zeigte zunächst wenig Einsicht, indem er herablassend feststellte, daß die Kritik am Vorhaben seiner Regierung nur im Kulturteil der Zeitungen und nicht in deren Wirtschaftsteil stehe, daher also unbedeutend sei. Ähnlich reagierte Justizminister Ulrich Goll, der sich darüber beschwerte, daß „Zukunftprojekte … für das alte Papier, das in Kellern liegt", zurückgestellt werden müßten. Inzwischen hat die Landesregierung mit dem sog. 3-Säulen-Modell eine neue Lösung auf der Hand: Im genannten Fall sollten 30 Mio. Euro zum einen durch die Landesstiftung, zum zweiten durch Solidarbeiträge des Kunstbereichs in Abzweigung der Ankaufsetats von Museen und Bibliotheken des Landes und zum dritten durch Sponsoren aus der Wirtschaft und durch Beiträge privater Spender erbracht werden, die Kunstwerke von Rang ankaufen und diese als Dauerleihgaben zur Verfügung stellen. Das ist kurz gedacht: Zum einen führt dies zu einer unguten Diskussion unter den Institutionen, die ohnehin sparen müssen; da sind Reibungen vorherzusehen. Zum anderen sind die Werke nicht für immer gerettet, falls unterstützende Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Dann könnte das „Investment in Kunst" schnell zur beweglichen Konkursmasse werden.
Zwar geriet die Diskussion durch diesen Vorschlag für den Moment aus den Schlagzeilen, doch jenseits kultureller Highlights bleibt zu befürchten, daß der Einsatz für Kulturgüter, mit welchen sich politisch Verantwortliche in guten Zeiten gerne schmücken, ohne öffentliche Aufmerksamkeit bei finanziellen Engpässen gefährdet ist - trotz verstärkter Öffentlichkeitsarbeit und der Mahnung durch das Drama in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu Weimar. In jedem Fall muß alles getan werden, um eine Zersplitterung von derartigen Sammlungen zu verhindern. Es kann nicht sein, daß Kulturgüter nur zur Beseitigung - welcher finanzieller staatlicher Probleme auch immer - regelrecht verhökert werden. Jedes verkaufte Kulturgut geht für die Öffentlichkeit, die Wissenschaft und die Forschung unwiederbringlich verloren. Daher muß die gesellschaftliche Diskussion über die Wertigkeit von Kulturgut weitergeführt werden - und diese darf nicht enden. Gerade diejenigen, die für den weniger spektakulären und weniger öffentlichkeitswirksamen Bereich der Archive und Bibliotheken verantworlich sind, und PapierkonservatorInnen und PapierrestauratorInnen müssen weiterhin als Mithüter des papiernen Kulturgutes ständig und nachhaltig um eine gute Lobby in der Politik kämpfen. Dies scheint eine Sisyphusarbeit, doch sie funktioniert zum Glück vermutlich doch: Presse, Öffentlichkeit und Kulturwelt waren aufmerksam und haben den genannten Verkauf mit vereinten Kräften vermutlich zu vereiteln gewußt.
Wir bleiben Ihnen auch nächstes Jahr mit hoffentlich interessanten Beiträgen in der „PapierRestaurierung" erhalten. In diesem Sinne verbleibe ich im Namen des Verlags mit den besten Wünschen für ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein erfolgreiches, Neues Jahr
Quelle: PapierRestaurierung - Mitteilungen der IADA (Internationale Arbeitsgemeinschaft der Archiv-, Bibliotheks- und Graphikrestauratoren), Dezember 2006, Vol. 7, No. 4
Wolfgang Seidel
Papier, Presse und Politik
In den vergangenen Monaten berichteten deutsche Zeitungen ausführlich von dem möglichen Verkauf der Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe. Weitschweifend kommentierten sie das Possenspiel der baden-württembergischen Landesregierung, die ausgerechnet in der Stadt ihren Sitz hat, in der der Verlag Ihrer Zeitschrift angesiedelt ist: Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger und Bernhard Erbprinz von Baden hatten in aller Stille einen Plan geschmiedet, nach welchem das Haus Baden „für alle Zeit" auf historische Kunstschätze aus staatlichen Museen im Wert von mindestens 250 Mio. Euro verzichten wollte. Diese werden vom ehemaligen Großherzogtum seit Jahren als Eigentum beansprucht, die Rechtslage ist jedoch ungeklärt. Im Gegenzug sollten wertvolle Stücke aus der etwa 4.200 Stück umfassenden historischen Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe versteigert werden. Der Erlös von erhofften 70 Mio. Euro wäre dem finanziell angeschlagenen Adelshaus zugute gekommen. Absicht war, aus einem Teil des Erlöses in Form einer noch zu gründenden Stiftung den Erhalt des Schlosses und des Münsters der Markgrafenfamilie in Salem zu finanzieren.
Eigentlich wollte Ministerpräsident Oettinger die Öffentlichkeit erst zu einem späteren Zeitpunkt über den Verkauf des „Bibliotheksguts" informieren. Doch die Presse war schneller. Und umgehend folgte Kritik von amerikanischen und britischen Professoren in einem offenen Brief an die Adresse der Landesregierung ( http://cgi-host.uni-marburg.de/ ~mrep/brief ). Darin äußerten sie sich entsetzt über deutsche Kulturpolitik nach Hausmacherart und nannten das Vorhaben „einen skandalösen Plan". In Baden-Württemberg stünde „die Vergangenheit zum Verkauf - und das zu Schleuderpreisen". Ein derart gewachsener Bestand sei ein „Repositorium von Erinnerung", das nicht zerfleddert werden darf. Einwände kamen auch von der Badischen Landesbibliothek Karlsruhe selbst. Mit der „Rückgabe" der Handschriften an das Adelshaus würde die Institution ihre überregionale Bedeutung einbüßen, so Direktor Peter Mi-chael Ehrle. „Das ist für uns das Ende als Forschungsbibliothek. Wir sind dann nur noch eine ganz normale Bibliothek", sagte Ehrle. Auf der Website der Bibliothek sind zahlreiche Bürger, die ähnlich denken, der Aufforderung nachgekommen, ihrem Unmut Luft zu verschaffen. (Eine Gesamtübersicht der im Internet zugänglichen Beiträge zum vorliegenden Fall s. unter
http://archiv. twoday.net/stories/2895938 ).
Günther Oettinger zeigte zunächst wenig Einsicht, indem er herablassend feststellte, daß die Kritik am Vorhaben seiner Regierung nur im Kulturteil der Zeitungen und nicht in deren Wirtschaftsteil stehe, daher also unbedeutend sei. Ähnlich reagierte Justizminister Ulrich Goll, der sich darüber beschwerte, daß „Zukunftprojekte … für das alte Papier, das in Kellern liegt", zurückgestellt werden müßten. Inzwischen hat die Landesregierung mit dem sog. 3-Säulen-Modell eine neue Lösung auf der Hand: Im genannten Fall sollten 30 Mio. Euro zum einen durch die Landesstiftung, zum zweiten durch Solidarbeiträge des Kunstbereichs in Abzweigung der Ankaufsetats von Museen und Bibliotheken des Landes und zum dritten durch Sponsoren aus der Wirtschaft und durch Beiträge privater Spender erbracht werden, die Kunstwerke von Rang ankaufen und diese als Dauerleihgaben zur Verfügung stellen. Das ist kurz gedacht: Zum einen führt dies zu einer unguten Diskussion unter den Institutionen, die ohnehin sparen müssen; da sind Reibungen vorherzusehen. Zum anderen sind die Werke nicht für immer gerettet, falls unterstützende Unternehmen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Dann könnte das „Investment in Kunst" schnell zur beweglichen Konkursmasse werden.
Zwar geriet die Diskussion durch diesen Vorschlag für den Moment aus den Schlagzeilen, doch jenseits kultureller Highlights bleibt zu befürchten, daß der Einsatz für Kulturgüter, mit welchen sich politisch Verantwortliche in guten Zeiten gerne schmücken, ohne öffentliche Aufmerksamkeit bei finanziellen Engpässen gefährdet ist - trotz verstärkter Öffentlichkeitsarbeit und der Mahnung durch das Drama in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek zu Weimar. In jedem Fall muß alles getan werden, um eine Zersplitterung von derartigen Sammlungen zu verhindern. Es kann nicht sein, daß Kulturgüter nur zur Beseitigung - welcher finanzieller staatlicher Probleme auch immer - regelrecht verhökert werden. Jedes verkaufte Kulturgut geht für die Öffentlichkeit, die Wissenschaft und die Forschung unwiederbringlich verloren. Daher muß die gesellschaftliche Diskussion über die Wertigkeit von Kulturgut weitergeführt werden - und diese darf nicht enden. Gerade diejenigen, die für den weniger spektakulären und weniger öffentlichkeitswirksamen Bereich der Archive und Bibliotheken verantworlich sind, und PapierkonservatorInnen und PapierrestauratorInnen müssen weiterhin als Mithüter des papiernen Kulturgutes ständig und nachhaltig um eine gute Lobby in der Politik kämpfen. Dies scheint eine Sisyphusarbeit, doch sie funktioniert zum Glück vermutlich doch: Presse, Öffentlichkeit und Kulturwelt waren aufmerksam und haben den genannten Verkauf mit vereinten Kräften vermutlich zu vereiteln gewußt.
Wir bleiben Ihnen auch nächstes Jahr mit hoffentlich interessanten Beiträgen in der „PapierRestaurierung" erhalten. In diesem Sinne verbleibe ich im Namen des Verlags mit den besten Wünschen für ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein erfolgreiches, Neues Jahr