Frankfurter Allgemeine Zeitung,
28.03.2007, Nr. 74, S. 33
Feuilleton
Jetzt steht die Handschriftenaffäre schon in der Bibliothek
Der Skandal ist zum Buch geworden, gehört aber lange noch nicht zu den Akten: Die Stuttgarter Landesregierung lässt die Kultur prophylaktisch bluten
Gut Ding will Weile haben. Wenn schlechte Entscheidungen in Hast gefallen sind, brauchen die sorgfältig erwogenen Urteile desto mehr Zeit. Seit Ende November beschäftigt sich eine Gruppe von Wissenschaftlern mit den Fragen um das Eigentum an Kulturgütern, die zwischen dem ehemals regierenden Haus Baden und dem Land Baden-Württemberg umstritten sind. Es kann noch bis zum Herbst dauern, ehe die Ergebnisse vorliegen.
Alles begann, zur Erinnerung, mit dem Plan der baden-württembergischen Landesregierung, einmalige Handschriften im Wert von siebzig Millionen Euro aus dem Besitz der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe zu veräußern, um damit die Anlage Schloss Salem zu erhalten, die dem Haus Baden gehört: dreißig Millionen für vom Markgrafenhaus bereits geleistete Instandhaltung und vierzig Millionen für eine Stiftung Salem. Im Gegenzug sollte Kulturgut für mindestens 250 Millionen Euro künftig dem Land gehören, in dessen Besitz sich das Haus Baden wähnte. Doch die internationale Öffentlichkeit reagierte nachgerade revoltiert; der Verkauf war nicht durchzusetzen. Heute wird in der Landesbibliothek in Karlsruhe ein Buch vorgestellt, herausgegeben von deren Direktor Peter Michael Ehrle und Ute Obhof, der Leiterin der Abteilung Sammlungen, das unter dem Titel "Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek - Bedrohtes Kulturerbe?" (erschienen im Casimir Katz Verlag, Gernsbach) die sogenannte "Handschriftenaffäre" minutiös dokumentiert bis zum jüngsten Stand, eingebettet in die Geschichte von Haus und Land Baden. Dass das dreist freigegebene "Altpapier" aus der Schusslinie kam und dafür die Forderungen des Adelshauses ins Visier gerieten, verdankt sich dem Freiburger Historiker Dieter Mertens, der in dieser Zeitung nachwies, dass vor allem Hans Baldung Griens bedeutende "Markgrafentafel" in der Karlsruher Kunsthalle, ein millionenschweres Herzstück des von Bernhard Prinz von Baden reklamierten Bestands, längst dem Land Baden gehörte. Jetzt musste Günther Oettingers Regierung, die die claims klaglos hingenommen hatte, reagieren: Seither tagt die Kommission; das Buch ist Anlass für eine Zwischenbilanz.
Im Zentrum des Geschehens hinter verschlossenen Türen müssen die Säkularisationsgüter stehen. Und die sieben Historiker und Rechtshistoriker werden gewiss bedenken, dass ja, bis das Jahr 1918 am Horizont der Gesellschaft aufschien, niemals so gehandelt wurde, als werde die Monarchie ein Ende nehmen. Der Hof und sein Staat, alimentiert von der Zivilliste, dienten also zur Darstellung der Würde des Fürsten - und waren mithin öffentlich-rechtliches Gut, keinesfalls Privatvermögen. Deshalb auch steht zunächst nicht die vielerörterte Frage an, ob die "Zähringer Stiftung" im Jahr 1954 je rechtsgültig ins Leben trat, sondern es gilt zu klären, worüber Friedrich II. von Baden in seinem Testament überhaupt verfügen konnte. Darüber sprechen die Akten im Generallandesarchiv. Merkwürdig genug freilich, dass das Haus Baden seine dort deponierten Akten der Kommission noch immer nicht zugänglich gemacht hat, wie zu hören ist.
Gerade ist Bernhard Prinz von Baden wieder auf seine siebzig Millionen Euro zurückgekommen (F.A.Z. vom 3. März). Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Frankenberg konterte kühl: Alles liege auf Eis, bis die Expertengruppe ihr Ergebnis vorgelegt hat. So ganz eingefroren ist aber doch nicht alles; denn das "Drei-Säulen-Modell" der Regierung, das immer noch dreißig Millionen Euro für Salem vorsieht, wird prophylaktisch schon angeschoben. Davon sind auch die Badische und die Württembergische Landesbibliothek betroffen: Die Erstere soll, im Fall des Falles, zu dessen Finanzierung 600 000 Euro einsparen, die zweite 400 000 Euro. Seltsam dabei nur, dass die Bibliotheken bereits in diesem Jahr gehalten sind, "eine Teilsumme in Form von Resten vorsorglich frei zu halten". Soll das heißen: Wer seine Handschriften behalten will, soll auch sehen, wie er das finanziert? Am Ende würden die Bibliotheksbenutzer dafür büßen, dass dem Land kein vernünftiger Plan einfällt, sein Kulturgut Salem zu retten.
Vor allem aber ist die der Kommission vorauseilende Einsparung nicht logisch; denn noch ist ihre Notwendigkeit gar nicht ausgemacht. Oder muss man das Kind endlich beim Namen nennen: Zahlen für die markgräfliche Immobilie soll, so oder so, die Kultur. Wieso eigentlich?
ROSE-MARIA GROPP
Aus dem Klappentext:
Das Buch "Die Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek - Bedrohtes Kulturerbe?" gibt einen Überblick über den Bestand dieser mittelalterlichen Kunstwerke. In sachkundigen Beiträgen schaffen es die Autoren, in anschaulicher Sprache den komplizierten Werdegang dieser Sammlung darzustellen. Dr. Ute Obhof, die Leiterin der Abteilung Sammlungen der Badischen Landesbibliothek, gibt einen fundierten Überblick über Bestand und Geschichte dieses Kulturguts. Dr. Peter Michael Ehrle, Direktor der Badischen Landesbibliothek, zeichnet die Ereignisse der vergangenen turbulenten Wochen nach. Eingebettet ist die Geschichte des Handschriftenbestandes in eine "kleine Geschichte des Hauses Baden" von Annette Borchardt-Wenzel. Der Rechtshistoriker Dr. Winfried Klein betrachtet eingehend die komplizierten Eigentumsfragen. In einem abschließenden Kapitel stellt der Journalist Michael Hübl den größeren kulturpolitischen Zusammenhang her. Setzt eine neue Politikergeneration auch in der Kulturpolitik neue Maßstäbe?
Inhalt:
Autorenverzeichnis S. 6 - Einführung (Peter Michael Ehrle, Ute Obhof) S. 7-8 - Die Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek (Ute Obhof) S. 9-48 - Eine kleine Geschichte des Hauses Baden (Annette Borchardt-Wenzel) S. 49-80 - Für Baden und Europa gerettet? Eine Zwischenbilanz des Kulturgüterstreits (20.09.2006 - 20.01.2007) (Peter Michael Ehrle) S. 81-126 - Eigentum und Herrschaft. Grundfragen zum Rechtsstatus der Handschriften der Badischen Landesbibliothek (Winfried Klein) S. 127-144 - Tendenz fallend. Anmerkungen zur Kulturpolitik des Landes Baden-Württemberg und zu den Forderungen des Hauses Baden (Michael Hübl) S. 145-159 - Abbildungsverzeichnis -
Das Buch ist prächtig illustriert mit zahlreichen Beispielen von einzigartigen Handschriften. Das Titelbild - eine Miniatur aus einer Reichenauer Handschrift, die den Kirchenlehrer Hieronymus als Bibliotheksbenutzer und eine Szene aus der 'Legenda aurea' zeigt, - wird von Ute Obhof nicht ohne Hintersinn kommentiert (via BLB Karlsruhe, Rezension folgt.)
28.03.2007, Nr. 74, S. 33
Feuilleton
Jetzt steht die Handschriftenaffäre schon in der Bibliothek
Der Skandal ist zum Buch geworden, gehört aber lange noch nicht zu den Akten: Die Stuttgarter Landesregierung lässt die Kultur prophylaktisch bluten
Gut Ding will Weile haben. Wenn schlechte Entscheidungen in Hast gefallen sind, brauchen die sorgfältig erwogenen Urteile desto mehr Zeit. Seit Ende November beschäftigt sich eine Gruppe von Wissenschaftlern mit den Fragen um das Eigentum an Kulturgütern, die zwischen dem ehemals regierenden Haus Baden und dem Land Baden-Württemberg umstritten sind. Es kann noch bis zum Herbst dauern, ehe die Ergebnisse vorliegen.
Alles begann, zur Erinnerung, mit dem Plan der baden-württembergischen Landesregierung, einmalige Handschriften im Wert von siebzig Millionen Euro aus dem Besitz der Badischen Landesbibliothek in Karlsruhe zu veräußern, um damit die Anlage Schloss Salem zu erhalten, die dem Haus Baden gehört: dreißig Millionen für vom Markgrafenhaus bereits geleistete Instandhaltung und vierzig Millionen für eine Stiftung Salem. Im Gegenzug sollte Kulturgut für mindestens 250 Millionen Euro künftig dem Land gehören, in dessen Besitz sich das Haus Baden wähnte. Doch die internationale Öffentlichkeit reagierte nachgerade revoltiert; der Verkauf war nicht durchzusetzen. Heute wird in der Landesbibliothek in Karlsruhe ein Buch vorgestellt, herausgegeben von deren Direktor Peter Michael Ehrle und Ute Obhof, der Leiterin der Abteilung Sammlungen, das unter dem Titel "Die Handschriften der Badischen Landesbibliothek - Bedrohtes Kulturerbe?" (erschienen im Casimir Katz Verlag, Gernsbach) die sogenannte "Handschriftenaffäre" minutiös dokumentiert bis zum jüngsten Stand, eingebettet in die Geschichte von Haus und Land Baden. Dass das dreist freigegebene "Altpapier" aus der Schusslinie kam und dafür die Forderungen des Adelshauses ins Visier gerieten, verdankt sich dem Freiburger Historiker Dieter Mertens, der in dieser Zeitung nachwies, dass vor allem Hans Baldung Griens bedeutende "Markgrafentafel" in der Karlsruher Kunsthalle, ein millionenschweres Herzstück des von Bernhard Prinz von Baden reklamierten Bestands, längst dem Land Baden gehörte. Jetzt musste Günther Oettingers Regierung, die die claims klaglos hingenommen hatte, reagieren: Seither tagt die Kommission; das Buch ist Anlass für eine Zwischenbilanz.
Im Zentrum des Geschehens hinter verschlossenen Türen müssen die Säkularisationsgüter stehen. Und die sieben Historiker und Rechtshistoriker werden gewiss bedenken, dass ja, bis das Jahr 1918 am Horizont der Gesellschaft aufschien, niemals so gehandelt wurde, als werde die Monarchie ein Ende nehmen. Der Hof und sein Staat, alimentiert von der Zivilliste, dienten also zur Darstellung der Würde des Fürsten - und waren mithin öffentlich-rechtliches Gut, keinesfalls Privatvermögen. Deshalb auch steht zunächst nicht die vielerörterte Frage an, ob die "Zähringer Stiftung" im Jahr 1954 je rechtsgültig ins Leben trat, sondern es gilt zu klären, worüber Friedrich II. von Baden in seinem Testament überhaupt verfügen konnte. Darüber sprechen die Akten im Generallandesarchiv. Merkwürdig genug freilich, dass das Haus Baden seine dort deponierten Akten der Kommission noch immer nicht zugänglich gemacht hat, wie zu hören ist.
Gerade ist Bernhard Prinz von Baden wieder auf seine siebzig Millionen Euro zurückgekommen (F.A.Z. vom 3. März). Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Frankenberg konterte kühl: Alles liege auf Eis, bis die Expertengruppe ihr Ergebnis vorgelegt hat. So ganz eingefroren ist aber doch nicht alles; denn das "Drei-Säulen-Modell" der Regierung, das immer noch dreißig Millionen Euro für Salem vorsieht, wird prophylaktisch schon angeschoben. Davon sind auch die Badische und die Württembergische Landesbibliothek betroffen: Die Erstere soll, im Fall des Falles, zu dessen Finanzierung 600 000 Euro einsparen, die zweite 400 000 Euro. Seltsam dabei nur, dass die Bibliotheken bereits in diesem Jahr gehalten sind, "eine Teilsumme in Form von Resten vorsorglich frei zu halten". Soll das heißen: Wer seine Handschriften behalten will, soll auch sehen, wie er das finanziert? Am Ende würden die Bibliotheksbenutzer dafür büßen, dass dem Land kein vernünftiger Plan einfällt, sein Kulturgut Salem zu retten.
Vor allem aber ist die der Kommission vorauseilende Einsparung nicht logisch; denn noch ist ihre Notwendigkeit gar nicht ausgemacht. Oder muss man das Kind endlich beim Namen nennen: Zahlen für die markgräfliche Immobilie soll, so oder so, die Kultur. Wieso eigentlich?
ROSE-MARIA GROPP
Aus dem Klappentext:
Das Buch "Die Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek - Bedrohtes Kulturerbe?" gibt einen Überblick über den Bestand dieser mittelalterlichen Kunstwerke. In sachkundigen Beiträgen schaffen es die Autoren, in anschaulicher Sprache den komplizierten Werdegang dieser Sammlung darzustellen. Dr. Ute Obhof, die Leiterin der Abteilung Sammlungen der Badischen Landesbibliothek, gibt einen fundierten Überblick über Bestand und Geschichte dieses Kulturguts. Dr. Peter Michael Ehrle, Direktor der Badischen Landesbibliothek, zeichnet die Ereignisse der vergangenen turbulenten Wochen nach. Eingebettet ist die Geschichte des Handschriftenbestandes in eine "kleine Geschichte des Hauses Baden" von Annette Borchardt-Wenzel. Der Rechtshistoriker Dr. Winfried Klein betrachtet eingehend die komplizierten Eigentumsfragen. In einem abschließenden Kapitel stellt der Journalist Michael Hübl den größeren kulturpolitischen Zusammenhang her. Setzt eine neue Politikergeneration auch in der Kulturpolitik neue Maßstäbe?
Inhalt:
Autorenverzeichnis S. 6 - Einführung (Peter Michael Ehrle, Ute Obhof) S. 7-8 - Die Handschriftensammlung der Badischen Landesbibliothek (Ute Obhof) S. 9-48 - Eine kleine Geschichte des Hauses Baden (Annette Borchardt-Wenzel) S. 49-80 - Für Baden und Europa gerettet? Eine Zwischenbilanz des Kulturgüterstreits (20.09.2006 - 20.01.2007) (Peter Michael Ehrle) S. 81-126 - Eigentum und Herrschaft. Grundfragen zum Rechtsstatus der Handschriften der Badischen Landesbibliothek (Winfried Klein) S. 127-144 - Tendenz fallend. Anmerkungen zur Kulturpolitik des Landes Baden-Württemberg und zu den Forderungen des Hauses Baden (Michael Hübl) S. 145-159 - Abbildungsverzeichnis -
Das Buch ist prächtig illustriert mit zahlreichen Beispielen von einzigartigen Handschriften. Das Titelbild - eine Miniatur aus einer Reichenauer Handschrift, die den Kirchenlehrer Hieronymus als Bibliotheksbenutzer und eine Szene aus der 'Legenda aurea' zeigt, - wird von Ute Obhof nicht ohne Hintersinn kommentiert (via BLB Karlsruhe, Rezension folgt.)
BCK - am Mittwoch, 28. März 2007, 18:55 - Rubrik: Kulturgut
Ladislaus meinte am 2007/03/28 19:44:
Da der Verlag C. Katz an VLB und Barsortiment offenkundig einen falschen Titel ("DIe Handschriften der...") gemeldet hat, hier zur besseren Auffindbarkeit die ISBN: 978-3-938047-25-5