Eichstätt, den 09.01.2008
http://www.ku-eichstaett.de/www/PressReleases/ZZikdTxyfX80kj
Gemeinsame Presseerklärung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und der Bayerischen Staatsbibliothek: Die Bayerische Staatsbibliothek hat ihre Untersuchung der Vorgänge an der Universitätsbibliothek der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt abgeschlossen.
Als Fachbehörde für das Bibliothekswesen in Bayern wurde sie vom Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst mit der Untersuchung der Anfang 2007 in den Medien erhobenen Vorwürfe beauftragt, die Universitätsbibliothek der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt habe wertvolle Bücher aus dem Bestand der 1999 übernommenen Zentralbibliothek der Kapuziner aus Altötting entsorgt und damit massenweise Kulturgut vernichtet. Die fachliche Untersuchung ist in Zusammenarbeit mit der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt durchgeführt worden. Der Untersuchungsbericht ist der Staatsanwaltschaft Ingolstadt auf deren Bitte zur Verfügung gestellt worden.
Kernpunkte der Untersuchung waren die Aufklärung des Sachverhalts und eine sich daran anschließende bibliotheksfachliche Bewertung. Die Tatsachenermittlung erfolgte primär anhand eines umfangreichen Fragenkatalogs für die Mitarbeiter, die mit der Übernahme der Kapuzinerbestände befasst waren, und einem Ortstermin.
Nach Auswertung aller vorliegenden Informationen kommt die Bayerische Staatsbibliothek zu folgendem Ergebnis: Der Vorwurf der massenweisen Vernichtung wertvoller Bücher aus dem Kapuzinerbestand kann nicht bestätigt werden, aber es liegen einige klärungsbedürftige Sachverhalte vor. Wie die Staatsanwaltschaft Ingolstadt bereits mitteilte, wurde wegen Untreue in fünf Fällen Anklage beim Landgericht Ingolstadt erhoben. Bei Amtsantritt der neuen Leiterin der UB Eichstätt-Ingolstadt, Frau Dr. Reich im Jahr 2005 war der weit überwiegende Teil des übernommenen Bestands von fast 400.000 Bänden noch unbearbeitet zwischengelagert. Die großteils nicht adäquaten Lagerbedingungen und der Zustand der Bücher erforderten eine beschleunigte Bearbeitung.
Constantin Schulte-Strathaus, pressestelle@ku-eichstaett.de
Vgl. auch Teleschau vom 9. Januar 2008
Bücherskandal in Eichstätt - Ermittlungen abgeschlossen (Bericht & Kamera: Jürgen Polifke, Video (Flash), 2'29")
EICHSTÄTT (hr) Auch wenn eine "lückenlose Rekonstruierung der Vorgänge nicht möglich" sei und "einige klärungsbedürftige Sachverhalte" vorlägen, hat die Leitung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt den Vorwurf, an der Unibibliothek seien "massenhaft wertvolle Bücher" im Altpapier gelandet, zurück gewiesen. Gestern stellten der Präsident der Universität, Professor Ruprecht Wimmer, sowie Kanzler Gottfried Freiherr von der Heydte das Ergebnis einer uniinternen Untersuchung vor, die in Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsbibliothek als Fachbehörde durchgeführt worden war.
Vorausgegangen war, wie berichtet, dass die Staatsanwaltschaft Ingolstadt im Zusammenhang mit der containerweisen Vernichtung von Büchern aus den der Unibibliothek überlassenen Beständen der bayerischen Kapuzinern Anklage wegen Untreue gegen die Leiterin der Universitätsbibliothek, Angelika Reich, erhoben hatte. Der Justizbehörde zufolge handelt es sich bei der Anklage um 14 Bücher. Hinsichtlich der containerweisen Entsorgung, der nach Meldungen vom vergangenen Jahr etwa 80 Tonnen Bücher in 17 Containern zum Opfer gefallen sein sollen, sah die Staatsanwaltschaft "keinen strafrelevanten" Vorwurf gegeben.
Uni-Kanzler von der Heydte bestätigte zwar erneut die Zahl der Container und damit auch die Menge der entsorgten Bücher aus den Beständen der Kapuziner, bescheinigte aber gleichzeitig, dass die von der Bibliotheksleiterin Dr. Angelika Reich verwandte Methode bibliotheksfachmännisch "weitestgehend nicht zu beanstanden" sei – auch wenn "Teile des Vorgehens nur schwer beurteilbar" seien und "nicht alles in Ordnung gewesen" sei.
Den Vorwurf, dass auch Bände, die vor dem Jahr 1802 erschienen sind und damit nach wie vor dem Freistaat Bayern gehören, weggeworfen worden seien, wies von der Heydte ebenfalls zurück. Sämtliche Bücher mit Erscheinungsjahr vor 1800 seien der Handschriftenabteilung der Unibibliothek zugeführt, dort durchgesehen worden und im Einzelfall über die Aufnahme in den Bestand entschieden worden sei. "Im Prinzip" aber seien "Werke vor 1800 von der ,Aussonderungsaktion nicht betroffen" gewesen, so von der Heydte. Ausschließen wollte von der Heydte dies aber auch nicht: "Es gibt keine Indizien, dafür, dass Bücher mit dem Erscheinungsjahr vor 1800 im Container gelandet sind."
Immerhin aber, so der Kanzler weiter, seien in den Jahren von 2005 bis 2007 insgesamt 42 420 Titel in die Bestände der Bibliothek aufgenommen worden, davon 14 905 mit Erscheinungsjahr vor 1802. Vor 2005, als noch in der Amtszeit von Bibliotheksdirektor Hermann Holzbauer, seien 6420 Werke (vor 1802) in die Bestände aufgenommen worden. Weitere 20 310 Bücher (vor 1802) stünden – unbearbeitet allerdings – noch in Regalen. Und etwa weitere 1000 Bücherkisten, nur oberflächlich durchgesehen, aber alle nach 1802 erschienen, seien noch gelagert. Der Kanzler: "Der Vorwurf, massenweise Kulturgut vernichtet zu haben, trifft einfach nicht zu."
"Von Ausnahmen abgesehen, wurden keine wertvollen Bestände vernichtet – schon gar nicht massenweise", machte auch Präsident Ruprecht Wimmer deutlich. Zwar habe die Universität die Vorkommnisse, die vor einem Jahr bekannt geworden waren "nicht ohne Sorge und Bedauern", verfolgt, das Ergebnis sei zum Glück aber nicht "in apokalyptischem Ausmaß" ausgefallen."
Der vor einem Jahr ebenfalls kritisierte Verkauf einer der Bibliothek geschenkten Plattensammlung des Musikprofessors Helmut Sievers war laut Wimmer und von der Heydte nicht Gegenstand der Untersuchung. Beide räumten ein, es sei "falsch gewesen, die Sammlung so zu veräußern".
EICHSTÄTT. Im Skandal um die Entsorgung von Büchern der Universitätsbibliothek Eichstätt sind nach Angaben des Landes Bayern nur verschimmelte und neuere Exemplare vernichtet worden. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Mittwoch vorgestellte Untersuchung der Bayerischen Staatsbibliothek im Auftrag des Wissenschaftsministeriums in München. Vor einem Jahr war bekanntgeworden, dass die Uni-Bibliothek rund 80 Tonnen der teils wertvolle Bestände der 1999 übernommenen Zentralbücherei der Kapuziner als Altpapier entsorgt hatte. Am Montag hatte die Staatsanwaltschaft Ingolstadt Anklage wegen Untreue in fünf Fällen gegen die Leiterin der Bibliothek erhoben.
Die Leitung der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) sieht sich durch das Gutachten der Staatsbibliothek rehabilitiert. "Wir können wohl sagen, dass - von Ausnahmen abgesehen - keine alten, wertvollen Bestände vernichtet wurden und schon gleich gar nicht massenweise", sagte der Präsident der KU, Ruprecht Wimmer. Die Ordensleute hatten der Universitätsbibliothek vor neun Jahren rund 350 000 Bücher überlassen. Etwa ein Zehntel davon sollen Bände sein, die vor der Säkularisation im Jahr 1803 erschienen und dem Freistaat gehören. Nach Angaben der Uni-Leitung wurden lediglich Bücher entsorgt, die verschimmelt waren, oder Exemplare, die nicht in den Bibliotheksbestand aufgenommen werden konnten und nicht mehr zu verkaufen waren. Wimmer räumte jedoch ein, dass eine vollständige Rekonstruktion der Geschehnisse nicht mehr möglich sei.
Anders als die Uni-Spitze geht die Ermittlungsbehörde jedoch davon aus, dass 12 der im Altpapier gelandeten Bände vor der Säkularisation erschienen sind. (dpa)
In der Süddeutschen Zeitung (Stadtausgabe, S.5, - Bayern -) vom 9.1. (das war noch vor der Pressekonferenz) schreibt Hans Kratzer unter dem Titel Irritationen um alte Bücher. Anklage gegen Chefin der Eichstätter Unibibliothek:
Vor wenigen Tagen erst hat Papst Benedikt XVI. den Wunsch geäußert, dei Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt (KU) solle eine der besten deutschen Hochschulen werden. Mit dieser frommen Absicht kollidiert jedoch der Umstand, dass die Bibliothek der Eichstätter Universität wieder einmal ins Gerede gekommen ist. Das war zu erwarten, denn vor einem Jahr wurde ruchbar, dass die KU mehr als 80 Tonnen Bücher und Zeitschriften, überwiegend aus Kapuzinerbeständen, aussortiert hatte. Leider ging damit der Verdacht einher, dass auch wertvolle Bücher im Altpapier landeten.
An dieser Büchervernichtung entzündete sich ein heftiger Streit, der immer noch nicht geklärt ist. Nach langer Funkstille erhob die Staatsanwaltschaft Ingolstadt am Montag Anklage gegen die Bibliotheksdirektorin. Ihr wird Untreue in fünf Fällen vorgeworfen. Konkret geht es um die Beseitigung von 14 Büchern aus Kapuzinerbeständen, die im 18. und 19. Jahrhundert erschienen sind.
(...) Die Bayerische Staatsbibliothek hat mittlerweile die Geschehnisse in der Bibliothek der KU eingehend untersucht. Die Ergebnisse werden heute in Eichstätt vorgestellt. Rolf Griebel, der Generaldirektor der Staatsbibliothek, bestätigte indessen die Aussage der Staatsanwaltschaft, wonach der zentrale Vorwurf, in Eichstätt seien massenhaft wertvolle Bücher zerstört worden, gegenstandslos sei. Die Prüfung habe ergeben, dass es sich bei den entsorgten Beständen fast ausschließlich um antiquarisch wertlose, vielfach verschmutzte und verschimmelte Trivialliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts sowie um Zeitschriftendubletten gehandelt habe.
(...)Harald Jung schreibt in der Augsburger Allgemeinen vom 09.01.2008, 18:15 unter dem Titel " "Das war keine massenhafte Vernichtung von wertvollem Kulturgut" [Zitat]
EICHSTÄTT. Die Leitung der Katholischen Universität Eichstätt nimmt die seit Montag wegen Untreue angeklagte Direktorin der Bibliothek in Schutz. Die Frau habe keinesfalls containerweise Bücher aus der Zentralbibliothek der Kapuziner in Altötting fahrlässig entsorgt.
Bis Anfang 2006 holte eine Entsorgungsfirma jede Menge alte Bücher ab. Wie sich herausstellte, hatte die Chefin der Bibliothek etwa 80 Tonnen Bücher, Zeitschriften und Einzelschriftstücke aussondern lassen. Laut Anklage waren darunter mindestens 14 wertvollere Objekte. Darüber hinaus besteht der Verdacht, dass Werke aus der Zentralbibliothek der Kapuziner in Altötting entsorgt wurden. Die Bibliothek der Uni hatte 1999 rund 400 000 Bücher aus Altötting übernommen mit dem Auftrag, sie zu katalogisieren und im Bedarfsfall weiterzupflegen. Auch Werke von den Kapuzinern wurden von Zeugen im Altpapier gefunden.
Unipräsident Ruprecht Wimmer und Kanzler Gottfried Freiherr von der Heydte verwiesen gestern auf eine neben den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen in Auftrag gegebene Untersuchung der Bayerischen Staatsbibliothek im Auftrag des Wissenschaftsministeriums. Demnach sei tatsächlich sehr viel Material von geringem Wert im Rahmen einer normalen und bibliothekarisch vertretbaren Bestandspflege in die Container gewandert. Leider sei auch das Schicksal einer Transportkiste mit vermutlich zwölf Büchern aus Altötting offen. Darüber hinaus habe die Untersuchung aber keine Anhaltspunkte auf weitere Verluste aus dem Kapuzinerbestand ergeben. "Das war keine massenhafte Vernichtung von wertvollem Kulturgut", resümierte deshalb Kanzler von der Heydte. Präsident Ruprecht Wimmer relativierte bei dem Punkt: "Eine völlige Rekonstruktion der Entsorgungsaktion damals ist nicht mehr möglich." Laut Wimmer und von der Heydte lägen "noch einige klärungsbedürftige Sachverhalte" vor. Die Bibliothekchefin hat im Bereich der Kapuzinerwerke weiter ein Arbeitsverbot.
Die Bibliothek der Uni Eichstätt hat mit dem Verkauf so genannter Doubletten aus der Kapuzinerbibliothek von 1999 bis 2006 rund 355.000 Euro eingenommen.[unsere Hervorhebung] Das Geld wurde reinvestiert, um andere alte Bände zu pflegen. Viele der 400.000 Bücher aus Altötting seien vergammelt und verschimmelt gewesen, hieß es gestern. Mitarbeiter der Uni hätten die Bücher nur mit Gasmasken und Schutzanzügen übernehmen können.
http://www.br-online.de/wissen-bildung/artikel/0702/16-reisswolf-eichstaett/index.xml
wurde aktualisiert. Unter dem Titel "Keine massenweise Vernichtung von Büchern" heisst es jetzt: Im Bücherskandal von Eichstätt bekommt die angeklagte Leiterin der Universitätsbibliothek Rückendeckung von der Bayerischen Staatsbibliothek. In einer heute vorgestellten Untersuchung heißt es, dass "der Vorwurf der massenweisen Vernichtung wertvoller Bücher nicht bestätigt werden kann". Allerdings gibt es einige "klärungsbedürftige Sachverhalte". (...)
(...) Die Entsorgung von 17 Containern Literatur sei nach einer Prüfung der Bayerischen Staatsbibliothek fachlich nicht zu beanstanden oder zumindest vertretbar (...) So seien lediglich Bücher entsorgt worden, die verschimmelt waren, oder Exemplare, die nicht in den Bibliotheksbestand aufgenommen werden konnten und nicht mehr zu verkaufen waren. (...)
Die Uni-Leitung räumte aber ein, dass eine völlige Rekonstruktion der Entsorgungsaktion nicht mehr möglich sei. Was genau sich in den Containern befand, lasse sich daher nicht klären. Es gebe aber keine Indizien, dass wertvolle Bücher, insbesondere solche von vor 1802, entsorgt worden sind, so von der Heydte. Der Bericht der Bayerischen Staats- bibliothek soll nicht veröffentlicht werden, ist aber der Staatsanwaltschaft Ingolstadt zur Verfügung gestellt worden [unsere Hervorhebung].
Wertlose Staubfänger oder historisch wertvolle Kulturgüter?
Die Universität Eichstätt hat der Bibliotheks-Chefin vorerst die weitere Arbeit an den Beständen verboten. Anders als die Universitätsleitung geht die Staatsanwaltschaft weiter davon aus, dass einige der im Altpapier gelandeten Bücher vor der Säkularisation im Jahr 1803 erschienen sind. Also: Wenn Sie das nächste Mal ein Schulheft aus Ökopapier in den Händen halten oder eine Rolle Recycling-Toilettenpapier, hören Sie mal genau hin: Vielleicht flüstert das aufbereitete Altpapier leise "Ich war einmal ein historisch wertvolles Klosterbuch."
Buchskandal in Eichstätt (mp3, 4'52")
Sendezeit: 09.01.2008 14:54
Autorin: Pfaller-Segador, Susanne
Das Fazit vorneweg: „Eine massenweise Vernichtung wertvollen Kulturgutes hat nicht stattgefunden, es gibt keine Beweise dafür.“, so Universitäts-Präsident Ruprecht Wimmer. Zwar stimme es, daß von den rund 300.000 Büchern aus der alten Kapuziner-Bibliothek, die 1999 als Geschenk an die Uni Eichstätt gingen, 17 Container in den Reißwolf wanderten, doch dabei soll es sich um „völlig verschimmelte Exemplare“ oder „wertlose Bände“ gehandelt haben. Bücher aus der Zeit vor der Säkularisierung, erschienen vor 1802, seien nicht darunter gewesen, „höchstens einzelne Exemplare“. Eine Beteuerung der Universität, die sich aber leider nicht überprüfen läßt, wie Kanzler Gottfried von der Heydte einräumt: „Wir haben ein Problem, das gebe ich auch zu: wir haben keine hinreichende Dokumentation dieser Entsorgung“, dennoch sei man an der Uni hier sicher, daß weitgehend nur „alter Ramsch“ entsorgt worden ist. „Und zwar einfach deswegen, weil wir wissen, daß die Altbestände vor 2004 noch, also vor diesem Fall, z.B. in dem Kapuzinerkloster, wo ein Großteil der Bestände lagerte, hier vorher durchgesehen worden ist“. Allerdings: es gibt auch eine „toten Manns Kiste“ voll von Büchern aus der Zeit vor der Säkularisierung. „Einen Fall einer Kiste, wo wir gewisse Prob…, wo wir noch Klärungsbedarf haben – richtig. Da kann ich einfach deshalb nichts sagen, weil das auch Gegenstand der gerichtlichen Ermittlungen [ist].“
Von „12 mutmaßlich wertvollen Bänden“ ist die Rede – das sind auch wohl die Bände, um die es im Strafverfahren gegen die Bibliotheksleiterin Dr. Angelika Reich geht. Die Anlage lautet hier auf Untreue, denn durch die Vernichtung der Bücher könnte der Universität nicht nur wissenschaftlicher, sondern auch monetärer Schaden entstanden sein, so Präsident Wimmer: „Finanzielle Einbußen sind nicht auszuschließen, denn es gibt durchaus versch… schwankende Preisvorstellungen auf dem Antiquariatsmarkt … und bei solchen Büchermengen kann’s immer mal passieren, daß ein wertvolles Buch einfach unter Wert veräußert wird.“
Während über den exakten Wert und das Schicksal dieser Bücher noch nichts genaues zu erfahren ist, redet der Kanzler ansonsten Klartext: die Universität Eichstätt habe sich mit dem riesigen Büchergeschenk aus dem Jahr 1999 einfach übernommen: „…dass kein Gesamtkonzept zur Abwicklung des Projekts vorlag“. Man habe den Schenkungsvertrag unterschrieben, ohne eine Vorstellung davon zu haben, wieviel Personal, Zeit und Geld man für die Sichtung der Bestände brauche und vor allem wo denn die Büchermassen sachgerecht eingelagert werden sollten. „Es wurde eben gelagert im Kapuzinerkloster, dort in der Turnhalle, es wurde aber eben auch gelagert in einer Halle eines Spediteurs, und das war eine Lagerung, da war sowohl klimatisch die Sache etwas sehr problematisch – das ist einfach eine Halle, die ist für die Lagerung von Büchern nicht geeignet.“
Allerdings betont der Kanzler, die alten Bücher kamen damit nur vom Regen in die Traufe, denn an ihrem ursprünglichen Lagerort im Kapuzinerkloster in Altötting war der Zustand noch katastrophaler: „Es gab – nicht immer, aber es gab Bereiche, wo wir gezwungen waren, Personal mit Schutzanzügen und Atemschutz reinzuschicken, um eben völlig verschimmelte, mit Rotschimmel behaftete und damit also schwer gesundheitsschädigende Bestände zu entsorgen“. Das alles geschah bereits im Jahr 1999, also lange bevor Dr. Angelika Reich 2005 die Leitung der Unibibliothek in Eichstätt übernommen hat. Damit reicht Universitätspräsident Wimmer die Verantwortung ein Stück weiter. „Na ja, der schwarze Peter geht natürlich an den Vorgänger von Frau Reich, aber ich muß sagen, natürlich an uns alle ein bißchen, denn wir hätten da vielleicht genauer hinsehen müssen.“
Die amtierende Bibliotheksleiterin will der Präsident damit aber auch nicht ganz aus der Pflicht nehmen: „Die Frau Dr. Reich hätte energisch ein solches Gesamtkonzept sofort einfordern und in die Wege leiten müssen.“ Trotzdem: die Bibliothekschefin bleibt im Amt, wie Kanzler von der Heydte betont: „Es gilt für sie die Unschuldsvermutung – damit haben wir noch keine Veranlassung irgendwelcher dienstrechtlichen Konsequenzen. Eine habe ich gezogen, nämlich: bis zur endgültigen Klärung dieses Sachverhalts einschließlich der gerichtlichen Entscheidung bleibt sie entbunden von der Aufgabe, sich mit dem Projekt „Kapuziner-Bibliothek“ zu beschäftigen.“
Und dieses Projekt „Kapuziner-Bibliothek“ ist noch lange nicht abgewickelt: über 20.000 Bücher, großteils aus der Zeit vor der Säkularisation, liegen noch immer unausgewertet in Kartons. Für sie will man nun nachholen, was bislang versäumt worden ist: ein Gesamtkonzept zur Eingliederung alter Buchbestände soll endlich her, und das möglichst schnell.
Eichstätt-Ingolstadt. Als die Staatsanwaltschaft Ingolstadt am Montag die Anklageerhebung gegen die Leiterin der Unibibliothek in Eichstätt bekannt gab, gab es von der Universität selbst kaum eine Reaktion. Dann folgten die Skandalmeldungen über Kulturgut-Vernichtung im großen Stil in den Abendnachrichten und tags darauf in den Printmedien. Gestern gingen Präsident Ruprecht Wimmer und Kanzler Gottfried Freiherr von der Heydte dann in die Offensive.
Derart negative Schlagzeilen kommen natürlich immer ungelegen. Zumal dann, wenn auch universitäre Einrichtungen unter Mittelkürzungen stöhnen. Dass der Aufsehen erregende Fall an einer Katholischen Universität in einer Stadt spielt, in der ein Bischof residiert, mag ebenso zur besonderen Sensibilisierung beitragen, wie die Tatsache, dass die Stadt zum Stimmkreis von Kultusminister Siegfried Schneider gehört . . .
Präsident und Kanzler bemühten sich gestern, Brisanz aus der Geschichte zu entnehmen: Sicher, es seien tonnenweise Bücher entsorgt worden, doch beileibe nicht 80 Tonnen wertvolle Exemplare aus der Zentralbibliothek der Kapuziner in Altötting. Was von den Kapuzinern in die Container gewandert ist, sei meist völlig vergammelt und oft nur teilweise erhalten gewesen. Der Verbleib von gerade mal einer Kiste mit zwölf Bänden aus Altötting sei offen, sonst nichts. "Die Anklage beschränkt sich also auf einen sehr begrenzten Umfang. Es geht hier nicht um Tonnen, sondern um Exemplare", so Ruprecht Wimmer gestern. Und weiter: "So apokalyptisch, wie es anfangs ausgesehen hat, ist es nicht."
Eingeschränkt wird allerdings auch, wenngleich nur in Nebensätzen: Die Arbeit der Bibliotheksleiterin sei "bibliotheksfachlich weitestgehend nicht zu beanstanden oder vertretbar gewesen", so Wimmer. "Einzelfall-Fehler" der Frau könne man natürlich nie ausschließen, sagt Kanzler von der Heydte. Er betonte gestern auch, dass man in der Konsequenz des ganzen Falles auch eine Neuordnung der Geschäftsvorgänge und der Dokumentation an der Uni überdenken wird.
Eine exakte Rekonstruktion, wie die umstrittene Entsorgungsaktion genau abgelaufen ist, sei aber objektiv nicht mehr möglich gewesen, muss man ebenfalls einräumen. Auch die intensiven Personalgespräche oder die Fragebögen, die man an alle 21 an der Aktion beteiligten Mitarbeiter ausgehändigt hat, hätten keine absolut ausreichenden Aufschlüsse gebracht. Trotzdem ist man sicher, dass an der Uni Eichstätt kein wertvolles Kulturgut "massenhaft vernichtet" worden ist, wie eine Boulevardzeitung im Nachbarland Österreich vorgestern in dicken Lettern gemeldet hat.
Vermutlich spätestens im Sommer wird es neue Schlagzeilen zu dem Fall geben. Dann dürfte der Prozess vor dem Landgericht Ingolstadt gegen die Frau über die Bühne gehen.
Habent sua fata libelli - die lateinische Sentenz, dass Bücher ihre Schicksale haben, hat in Eichstätt einen besonderen Klang erhalten. In der kleinen bayerischen Universitätsstadt erregt ein Geschehen die Gemüter, das Umberto Eco animieren könnte, eine Fortsetzung seines Romans "Der Name der Rose" zu schreiben. Es geht um Bücher aus dem Bestand der Zentralbibliothek des Ordens der Kapuziner in Altötting, die 1999 von der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt übernommen worden waren. Was aus den fast 400 000 Bänden geworden ist, darüber kursierten in den vergangenen Monaten wilde Gerüchte.
Tonnenweise seien wertvolle Bücher statt in die Werkstätten der Restauratoren in Altpapiercontainer gewandert, wurde geraunt.
Die Gefahr, dass Eichstätt als Ort der angeblich größten Vernichtung christlicher Literatur seit der Säkularisation zu zweifelhaftem Ruhm gelangen könnte, rief mehrere staatliche Instanzen auf den Plan: die Bayerische Staatsbibliothek und die Staatsanwaltschaft Ingolstadt. Mit vereinten Kräften kamen sie zu einem Ergebnis, das keinen plötzlichen Abbruch des Spannungsbogens befürchten lässt. Im besten Kanzleistil, den auch Heimito von Doderer nicht schöner hätte ersinnen können, teilte die Staatsbibliothek am Mittwoch das Ergebnis einer Untersuchung mit, mit der sie das Wissenschaftsministerium beauftragt hatte: "Der Vorwurf der massenweisen Vernichtung wertvoller Bücher aus dem Kapuzinerbestand kann nicht bestätigt werden, aber es liegen einige klärungsbedürftige Sachverhalte vor."
Was darunter zu verstehen ist, wird durch eine exegetische Zusammenschau mit Angaben der Staatsanwaltschaft Ingolstadt deutlich, die Anklage gegen die Leiterin der Eichstätter Universitätsbibliothek wegen Untreue in fünf Fällen erhoben hat. Danach soll aus dem Kapuzinerbestand zwar überwiegend verschmutzte und verschimmelte Trivialliteratur aussortiert worden sein - unter den zwangsexilierten Werken haben die Staatsanwälte aber auch 14 antiquarisch wertvolle Bücher ausgemacht. Das Landgericht Ingolstadt, das über die Zulassung der Anklage entscheiden muss, könnte gut beraten sein, Rat aus Rom einzuholen. Denn gleich beide Zentralorte des Bibliothekskrimis spielen in der Biographie Benedikts XVI. keine unbedeutende Rolle: Der junge Joseph Ratzinger pilgerte mit seinem Vater nach Altötting - und Kardinal Ratzinger förderte als Erzbischof von München und Freising die Gründung der Katholischen Universität in Eichstätt.
Albert Schäffer