Völlig unkritisch hatte 1986 Heide Stamm eine angeblich 1430 entstandene, von Kaspar Schlick in Magdeburg in Auftrag gegebene Turnierchronik als Vorlage für die Rugen'sche Turnierchronik aus der Versenkung gezogen (Das Turnierbuch des Ludwig von Eyb, S. 44). Dass die Turnierchronik offenkundig die Verhältnisse der Vierlandeturniere ab 1479 und damit den Stand des Turnierwesens um 1480 in das 10. Jahrhundert zurückprojiziert, blieb unberücksichtigt.
Leider konnte ich Johann Georg Estor, Kleine Schriften. das erste Stück, Marburg 1761, S. 331-340, auf den sie sich stützt, noch nicht einsehen, und das Zitat aus Estor bei Stamm S. 300f. Anm. 23 ist nicht sehr ergiebig, da an wesentlichen Stellen gekürzt.
[Update: http://archiv.twoday.net/stories/29742435/ ]
Es lässt aber erkennen, dass die Jahreszahl 1430 nicht als genaue Datierung zu verstehen ist ("um das 1430te Jahr").
Estor sagt, dieses Turnierbuch bestehe aus dem gleichen Inhalt wie das Exemplar des Professors Johann Gottfried Meyer, das ein gar seltenes Werkchen sei, von dem es aber womöglich an unbekanntem Ort mehrere Exemplare gebe.
Nun ist aber die Handschrift Meyers identisch mit der Göttinger Handschrift 2° Cod. Ms. histor. 98, die vermutlich eine Abschrift des 1518 gedruckten Würsung'schen Turnierbuchs darstellt:
http://cgi-host.uni-marburg.de/~mrep/beschreibung.php?id=19108
Das Turnierbuch von Würsung wird nach dem Digitalisat der BSB derzeit transkribiert von Wikisource:
http://de.wikisource.org/wiki/Index:Wuersung_Turnierbuch
Stamm verweist auf Roth von Schreckenstein, Geschichte der ehemaligen Reichsritterschaft ... Bd. 1, Tübingen 1859, S. 134, der ebenfalls von einem Original der Turnierchronik weiss, das von Schlick in Auftrag gegeben worden sein soll.
Roth bezieht sich auf die Geschichte der Deutschen von Michael Ignaz Schmidt (II, 82). Es war mir auf Anhieb nicht möglich, dieses Zitat in Google Book Search zu verifizieren, zumal das Aufsuchen der verschiedenen Ausgaben von Schmidts Werk außerordentlich zeitraubend ist.
Tipp: Enthält ein Begriff Umlaute, sollte man - außer bei der Phrasensuche - in Google Book Search ihn ohne Umlaut suchen (also Ruxner statt Rüxner).
Dann findet man eine französische Übersetzung der Schmidt'schen Geschichte:
http://books.google.com/books?id=ElEPAAAAQAAJ&pg=PA370
Mit den Angaben (Buch 4, Kapitel 7) bewaffnet, machte ich mich daran, die diversen Ausgaben Schmidts zu sichten, was etwa eine Viertelstunde in Anspruch nahm, bevor ich
http://books.google.com/books?id=_kEBAAAAYAAJ&pg=PA367
Michael Ignaz Schmidt, Geschichte der Deutschen. Neue Auflage Bd. 2, Wien 1784, S. 367
fand.
Schmidt nennt lediglich die Auftraggeberschaft Schlicks, den Ort Magdeburg und das Jahr 1430 ohne Quellenangabe. Es ist anzunehmen, dass er direkt auf Estor fußt, dessen Ausführungen zum Turnierwesen damals maßgeblich gewesen sein dürften.
Stamm nennt außerdem noch Auszüge aus einem Turnierbuch eines Grafen Johann Schlick im handschriftlichen Turnierbuch des Johann Sigmund Prechtl 1617. Gemeint sei vermutlich Caspar Schlick, der auch im Vorwort genannt werde. Ein mehr als tollkühner Schluss!
Seit Hunds Abdruck der Turnierreime des Herolds Johann Holland (zu ihnen demnächst mehr) war für die Gelehrten der Name des Kanzlers Caspar Schlick mit dem Turnierwesen verknüpft. Es ist daher gut möglich, dass Estor die Nachricht Hollands mit den Angaben Rüxners über seine angebliche Magdeburger Vorlage, die ins Feuer geworfen worden sei, kombiniert und auch für die Vorlage Rüxners eine Auftraggeberschaft Schlicks angenommen hat.
So in etwa schon Gumppenberg
http://books.google.com/books?id=LeUSAAAAYAAJ&pg=PA13
Zurückhaltend zu Estor auch Waitz, Jbb. Heinrichs I. S. 265 Anm. 5.
Möglicherweise hat Rüxner in der Magdeburger Schöppenchronik, die davon berichtet, dass Kaiser Heinrich I. nach dem Ungarnsieg Turniere abhalten ließ, den Kern seiner Ursprungsgeschichte des Turnierwesens in Deutschland gefunden. Bereits Widukind hatte "Kampfspiele" Heinrichs erwähnt (S. 59).
Damit ergibt sich vorläufig: Estors Vermutung einer von Caspar Schlick veranlassten Magdeburger Vorstufe der Turnierchronik um 1430 ist als späte Kombination zurückzuweisen.
Leider konnte ich Johann Georg Estor, Kleine Schriften. das erste Stück, Marburg 1761, S. 331-340, auf den sie sich stützt, noch nicht einsehen, und das Zitat aus Estor bei Stamm S. 300f. Anm. 23 ist nicht sehr ergiebig, da an wesentlichen Stellen gekürzt.
[Update: http://archiv.twoday.net/stories/29742435/ ]
Es lässt aber erkennen, dass die Jahreszahl 1430 nicht als genaue Datierung zu verstehen ist ("um das 1430te Jahr").
Estor sagt, dieses Turnierbuch bestehe aus dem gleichen Inhalt wie das Exemplar des Professors Johann Gottfried Meyer, das ein gar seltenes Werkchen sei, von dem es aber womöglich an unbekanntem Ort mehrere Exemplare gebe.
Nun ist aber die Handschrift Meyers identisch mit der Göttinger Handschrift 2° Cod. Ms. histor. 98, die vermutlich eine Abschrift des 1518 gedruckten Würsung'schen Turnierbuchs darstellt:
http://cgi-host.uni-marburg.de/~mrep/beschreibung.php?id=19108
Das Turnierbuch von Würsung wird nach dem Digitalisat der BSB derzeit transkribiert von Wikisource:
http://de.wikisource.org/wiki/Index:Wuersung_Turnierbuch
Stamm verweist auf Roth von Schreckenstein, Geschichte der ehemaligen Reichsritterschaft ... Bd. 1, Tübingen 1859, S. 134, der ebenfalls von einem Original der Turnierchronik weiss, das von Schlick in Auftrag gegeben worden sein soll.
Roth bezieht sich auf die Geschichte der Deutschen von Michael Ignaz Schmidt (II, 82). Es war mir auf Anhieb nicht möglich, dieses Zitat in Google Book Search zu verifizieren, zumal das Aufsuchen der verschiedenen Ausgaben von Schmidts Werk außerordentlich zeitraubend ist.
Tipp: Enthält ein Begriff Umlaute, sollte man - außer bei der Phrasensuche - in Google Book Search ihn ohne Umlaut suchen (also Ruxner statt Rüxner).
Dann findet man eine französische Übersetzung der Schmidt'schen Geschichte:
http://books.google.com/books?id=ElEPAAAAQAAJ&pg=PA370
Mit den Angaben (Buch 4, Kapitel 7) bewaffnet, machte ich mich daran, die diversen Ausgaben Schmidts zu sichten, was etwa eine Viertelstunde in Anspruch nahm, bevor ich
http://books.google.com/books?id=_kEBAAAAYAAJ&pg=PA367
Michael Ignaz Schmidt, Geschichte der Deutschen. Neue Auflage Bd. 2, Wien 1784, S. 367
fand.
Schmidt nennt lediglich die Auftraggeberschaft Schlicks, den Ort Magdeburg und das Jahr 1430 ohne Quellenangabe. Es ist anzunehmen, dass er direkt auf Estor fußt, dessen Ausführungen zum Turnierwesen damals maßgeblich gewesen sein dürften.
Stamm nennt außerdem noch Auszüge aus einem Turnierbuch eines Grafen Johann Schlick im handschriftlichen Turnierbuch des Johann Sigmund Prechtl 1617. Gemeint sei vermutlich Caspar Schlick, der auch im Vorwort genannt werde. Ein mehr als tollkühner Schluss!
Seit Hunds Abdruck der Turnierreime des Herolds Johann Holland (zu ihnen demnächst mehr) war für die Gelehrten der Name des Kanzlers Caspar Schlick mit dem Turnierwesen verknüpft. Es ist daher gut möglich, dass Estor die Nachricht Hollands mit den Angaben Rüxners über seine angebliche Magdeburger Vorlage, die ins Feuer geworfen worden sei, kombiniert und auch für die Vorlage Rüxners eine Auftraggeberschaft Schlicks angenommen hat.
So in etwa schon Gumppenberg
http://books.google.com/books?id=LeUSAAAAYAAJ&pg=PA13
Zurückhaltend zu Estor auch Waitz, Jbb. Heinrichs I. S. 265 Anm. 5.
Möglicherweise hat Rüxner in der Magdeburger Schöppenchronik, die davon berichtet, dass Kaiser Heinrich I. nach dem Ungarnsieg Turniere abhalten ließ, den Kern seiner Ursprungsgeschichte des Turnierwesens in Deutschland gefunden. Bereits Widukind hatte "Kampfspiele" Heinrichs erwähnt (S. 59).
Damit ergibt sich vorläufig: Estors Vermutung einer von Caspar Schlick veranlassten Magdeburger Vorstufe der Turnierchronik um 1430 ist als späte Kombination zurückzuweisen.
KlausGraf - am Samstag, 26. Juli 2008, 17:40 - Rubrik: Landesgeschichte