FAZ:
Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Open Access. Düstere Schreckensszenarien entwarf Roland Reuß gerade an dieser Stelle (Eingecremtes Publizieren: Open Access als Enteignung) im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen in der Wissenschaftskultur und -kommunikation: Hier die vornehmen Hüter der traditionellen Buchkultur, dort die ebenso fanatischen wie naiven Open-Access-Aktivisten, die nicht - oder, noch schlimmer, nur allzu genau - wissen, was sie tun.
Zu Reuß http://archiv.twoday.net/stories/5509895/
Statt auf Polemik mit Gegenpolemik zu antworten, sei hier zu einer kurzen und nüchternen Bestandsaufnahme eingeladen. Was bedeutet Open Access in der Praxis? Werfen wir einen Blick auf meine Forschungsinstitution, das im Jahre 1958 gegründete Deutsche Historische Institut in Paris. Auch in ihm beginnen neben den klassischen Buch- die neuen Open-Access-Publikationen eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Einerseits gibt das Institut neben der Fachzeitschrift „Francia“ in Zusammenarbeit mit dem Thorbecke- und Oldenbourg-Verlag mehrere Buchreihen heraus, in denen unter anderem Quelleneditionen, Dissertationen und Habilitationsschriften sowie die Ergebnisse deutsch-französischer Tagungen veröffentlicht werden.
Sämtliche Jahrgänge zugänglich
Andererseits aber hat das Institut in den vergangenen anderthalb Jahren dank der Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit dem systematischen Aufbau eines größeren Open-Access-online-Angebots begonnen, das sowohl die nachlaufenden Digitalisierungen bereits erschienener Werke als auch eigenständige online-Publikationen umfasst: Seit November 2008 sind sämtliche Jahrgänge der „Francia“ von 1973-2006 für jedermann zugänglich, mit einer zweijährigen „moving-wall“ werden auch die zukünftigen Ausgaben entsprechend online verfügbar sein. Der ehemals gedruckte Rezensionsteil der „Francia“ wurde gleichzeitig konsequent ins Netz ausgelagert.
All dies geschah nicht gegen den Willen, sondern mit vollem Einverständnis der „Francia“-Autoren, die - bis auf einige wenige Ausnahmen - geradezu enthusiastisch auf das ihnen vorgeschlagene neue Publikationsmodell reagierten. Bis 2010 wird nach ähnlichem Muster in Kooperation mit dem „Zentrum für Elektronisches Publizieren“ (ZEP) der Bayerischen Staatsbibliothek sukzessive auch die Digitalisierung zurückliegender Jahrgänge der Beihefte der „Francia“, der „Instrumenta“ und „Pariser historischen Studien“ sowie die Online-Publikation von Tagungssammelbänden auf www.perspectivia.net erfolgen, einer neuen Open-Access-Publikationsumgebung für die in der Stiftung „Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland“ zusammengefassten Institute und ihre Kooperationspartner.
Nachfrage groß und drängend
Warum lohnt es sich, open access zu publizieren? Warum geht das Pariser Institut diesen Weg? Unsere Erfahrungen, von denen vielleicht auch andere geisteswissenschaftliche Forschungsinstitute profitieren können, lassen sich in vier Beobachtungen resümieren: Erstens ist die Nachfrage der Wissenschaftler selbst nach Open Access inzwischen groß und drängend. Da die Außenwahrnehmung der eigenen Forschungsleistungen für jeden Schreibenden - und nicht nur für Nachwuchswissenschaftler - eine zentrale Rolle spielt, wird der Wunsch nach weltweiter „Sichtbarkeit“ zunehmend laut: Und hier können, wie Studien belegen und wie es auch die statistische Auswertung der Zugriffe auf www.perspectivia.net in wünschenswerter Klarheit zeigt, klassische Printpublikationen mit elektronischen Texten, die mit Meta- und Verschlagwortungsdaten ausgezeichnet sind und über Suchmaschinen erfasst werden, eben kaum mithalten.
An dieser Stelle wird auch gerne die Legende bemüht, dass Open Access zwangsläufig den Bankrott der Verlage nach sich zieht. Dem sei allerdings entgegengehalten, dass eine Erhöhung der Zahl frei zugänglicher Publikationen zu einem signifikanten „return on investment“ führte, wie eine von John Houghton und anderen jüngst publizierte, umfassende Analyse zum Publikationsaufkommen Englands eindrucksvoll belegt.
http://www.jisc.ac.uk/media/documents/publications/rpteconomicoapublishing.pdf
http://immateriblog.de/?p=262
Qualitätsbewusstes Publizieren
Open Access Publizieren ist zweitens qualitätsbewusstes Publizieren. Der Wert eines wissenschaftlichen Manuskripts hängt von der Stringenz der Argumentation und Sorgfalt der Darstellung ab, nicht vom Medium an sich. So, wie nicht jedes gedruckte Buch per se nobelpreisverdächtig ist, wird ein Manuskript durch die elektronische Verbreitung keineswegs automatisch schlecht, sondern oft sogar dann noch besser, wenn die Publikation mit einem Open-peer-review-Verfahren kombiniert wird. Zudem liefern gerade barrierefrei zugängliche Publikationen die Chance eines wirklich effizienten kollaborativ verteilten Arbeitens, indem sie die Verknüpfung von Texten, Quellen, Artikeln und Daten ermöglichen. Im Pariser Institut gibt es keinerlei Rangabstufung zwischen gedruckten und online verfügbaren Arbeiten. Alle Publikationen werden vor der Veröffentlichung bei uns demselben Prozess intensiver Begutachtung und Redaktion unterzogen, und zwar durch ein hauseigenes Lektorat.
Drittens: Als die von den Kritikern an die Wand gemalte Enteignung empfinden unsere Autoren den freien Zugang zu ihren Werken wahrlich nicht. Jegliche Publikation setzt schließlich voraus, dass deren Urheber Dritten bestimmte Verwertungsrechte einräumen. Andernfalls dürfte ein Verlag weder gedruckte noch elektronische Veröffentlichungen vorlegen. Im Open-Access-Modell definiert der Autor darüber hinaus durch die Vergabe von Lizenzen genau, welche Verwertungsrechte auch den Lesern eingeräumt werden. Somit bestehen klare Regeln für den Umgang mit den Manuskripten, deren Sichtbarkeit und Berücksichtigung im akademischen Diskurs im ureigenen Interesse der Autoren liegt. Der Vorwurf, Open Access missachte das geltende Urheberrecht, ist im besten Fall blanke Unkenntnis der Materie, im schlechtesten Fall eine gezielte Desinformation.
Zu guter Letzt begreifen wir die Open-Access-Politik unseres Instituts als einen wichtigen Beitrag zur Internationalisierung und Demokratisierung der Geisteswissenschaften: Nicht jeder Leser der „Pariser historischen Studien“ lebt in Paris und erfreut sich eines bequemen Zugangs zu einer der exzellenten Pariser Forschungsbibliotheken. Gerade frankophone Wissenschaftler aus armen Ländern mit chaotischer Bibliothekssituation und defizitärer Literaturversorgung wissen den freien Zugang zur Forschungsliteratur zu schätzen. Wird damit nicht ein Traum Wirklichkeit, den jüngst noch Robert Darnton, brillanter Historiker der Buchgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, in seiner Eigenschaft als Direktor der Universitätsbibliothek Harvard, umrissen hat - der Traum nämlich vom weltweiten freien Fluss der Ideen und Texte, den schon die Aufklärer träumten? Mir scheint, Open Access bedeutet keine Gefahr für das Abendland, im Gegenteil.
Gudrun Gersmann ist Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Paris und Vorsitzende des Unterausschusses „Elektronische Publikationen“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Gut gebrüllt, Löwin!
Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Open Access. Düstere Schreckensszenarien entwarf Roland Reuß gerade an dieser Stelle (Eingecremtes Publizieren: Open Access als Enteignung) im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen in der Wissenschaftskultur und -kommunikation: Hier die vornehmen Hüter der traditionellen Buchkultur, dort die ebenso fanatischen wie naiven Open-Access-Aktivisten, die nicht - oder, noch schlimmer, nur allzu genau - wissen, was sie tun.
Zu Reuß http://archiv.twoday.net/stories/5509895/
Statt auf Polemik mit Gegenpolemik zu antworten, sei hier zu einer kurzen und nüchternen Bestandsaufnahme eingeladen. Was bedeutet Open Access in der Praxis? Werfen wir einen Blick auf meine Forschungsinstitution, das im Jahre 1958 gegründete Deutsche Historische Institut in Paris. Auch in ihm beginnen neben den klassischen Buch- die neuen Open-Access-Publikationen eine immer wichtigere Rolle zu spielen. Einerseits gibt das Institut neben der Fachzeitschrift „Francia“ in Zusammenarbeit mit dem Thorbecke- und Oldenbourg-Verlag mehrere Buchreihen heraus, in denen unter anderem Quelleneditionen, Dissertationen und Habilitationsschriften sowie die Ergebnisse deutsch-französischer Tagungen veröffentlicht werden.
Sämtliche Jahrgänge zugänglich
Andererseits aber hat das Institut in den vergangenen anderthalb Jahren dank der Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit dem systematischen Aufbau eines größeren Open-Access-online-Angebots begonnen, das sowohl die nachlaufenden Digitalisierungen bereits erschienener Werke als auch eigenständige online-Publikationen umfasst: Seit November 2008 sind sämtliche Jahrgänge der „Francia“ von 1973-2006 für jedermann zugänglich, mit einer zweijährigen „moving-wall“ werden auch die zukünftigen Ausgaben entsprechend online verfügbar sein. Der ehemals gedruckte Rezensionsteil der „Francia“ wurde gleichzeitig konsequent ins Netz ausgelagert.
All dies geschah nicht gegen den Willen, sondern mit vollem Einverständnis der „Francia“-Autoren, die - bis auf einige wenige Ausnahmen - geradezu enthusiastisch auf das ihnen vorgeschlagene neue Publikationsmodell reagierten. Bis 2010 wird nach ähnlichem Muster in Kooperation mit dem „Zentrum für Elektronisches Publizieren“ (ZEP) der Bayerischen Staatsbibliothek sukzessive auch die Digitalisierung zurückliegender Jahrgänge der Beihefte der „Francia“, der „Instrumenta“ und „Pariser historischen Studien“ sowie die Online-Publikation von Tagungssammelbänden auf www.perspectivia.net erfolgen, einer neuen Open-Access-Publikationsumgebung für die in der Stiftung „Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland“ zusammengefassten Institute und ihre Kooperationspartner.
Nachfrage groß und drängend
Warum lohnt es sich, open access zu publizieren? Warum geht das Pariser Institut diesen Weg? Unsere Erfahrungen, von denen vielleicht auch andere geisteswissenschaftliche Forschungsinstitute profitieren können, lassen sich in vier Beobachtungen resümieren: Erstens ist die Nachfrage der Wissenschaftler selbst nach Open Access inzwischen groß und drängend. Da die Außenwahrnehmung der eigenen Forschungsleistungen für jeden Schreibenden - und nicht nur für Nachwuchswissenschaftler - eine zentrale Rolle spielt, wird der Wunsch nach weltweiter „Sichtbarkeit“ zunehmend laut: Und hier können, wie Studien belegen und wie es auch die statistische Auswertung der Zugriffe auf www.perspectivia.net in wünschenswerter Klarheit zeigt, klassische Printpublikationen mit elektronischen Texten, die mit Meta- und Verschlagwortungsdaten ausgezeichnet sind und über Suchmaschinen erfasst werden, eben kaum mithalten.
An dieser Stelle wird auch gerne die Legende bemüht, dass Open Access zwangsläufig den Bankrott der Verlage nach sich zieht. Dem sei allerdings entgegengehalten, dass eine Erhöhung der Zahl frei zugänglicher Publikationen zu einem signifikanten „return on investment“ führte, wie eine von John Houghton und anderen jüngst publizierte, umfassende Analyse zum Publikationsaufkommen Englands eindrucksvoll belegt.
http://www.jisc.ac.uk/media/documents/publications/rpteconomicoapublishing.pdf
http://immateriblog.de/?p=262
Qualitätsbewusstes Publizieren
Open Access Publizieren ist zweitens qualitätsbewusstes Publizieren. Der Wert eines wissenschaftlichen Manuskripts hängt von der Stringenz der Argumentation und Sorgfalt der Darstellung ab, nicht vom Medium an sich. So, wie nicht jedes gedruckte Buch per se nobelpreisverdächtig ist, wird ein Manuskript durch die elektronische Verbreitung keineswegs automatisch schlecht, sondern oft sogar dann noch besser, wenn die Publikation mit einem Open-peer-review-Verfahren kombiniert wird. Zudem liefern gerade barrierefrei zugängliche Publikationen die Chance eines wirklich effizienten kollaborativ verteilten Arbeitens, indem sie die Verknüpfung von Texten, Quellen, Artikeln und Daten ermöglichen. Im Pariser Institut gibt es keinerlei Rangabstufung zwischen gedruckten und online verfügbaren Arbeiten. Alle Publikationen werden vor der Veröffentlichung bei uns demselben Prozess intensiver Begutachtung und Redaktion unterzogen, und zwar durch ein hauseigenes Lektorat.
Drittens: Als die von den Kritikern an die Wand gemalte Enteignung empfinden unsere Autoren den freien Zugang zu ihren Werken wahrlich nicht. Jegliche Publikation setzt schließlich voraus, dass deren Urheber Dritten bestimmte Verwertungsrechte einräumen. Andernfalls dürfte ein Verlag weder gedruckte noch elektronische Veröffentlichungen vorlegen. Im Open-Access-Modell definiert der Autor darüber hinaus durch die Vergabe von Lizenzen genau, welche Verwertungsrechte auch den Lesern eingeräumt werden. Somit bestehen klare Regeln für den Umgang mit den Manuskripten, deren Sichtbarkeit und Berücksichtigung im akademischen Diskurs im ureigenen Interesse der Autoren liegt. Der Vorwurf, Open Access missachte das geltende Urheberrecht, ist im besten Fall blanke Unkenntnis der Materie, im schlechtesten Fall eine gezielte Desinformation.
Zu guter Letzt begreifen wir die Open-Access-Politik unseres Instituts als einen wichtigen Beitrag zur Internationalisierung und Demokratisierung der Geisteswissenschaften: Nicht jeder Leser der „Pariser historischen Studien“ lebt in Paris und erfreut sich eines bequemen Zugangs zu einer der exzellenten Pariser Forschungsbibliotheken. Gerade frankophone Wissenschaftler aus armen Ländern mit chaotischer Bibliothekssituation und defizitärer Literaturversorgung wissen den freien Zugang zur Forschungsliteratur zu schätzen. Wird damit nicht ein Traum Wirklichkeit, den jüngst noch Robert Darnton, brillanter Historiker der Buchgeschichte des achtzehnten Jahrhunderts, in seiner Eigenschaft als Direktor der Universitätsbibliothek Harvard, umrissen hat - der Traum nämlich vom weltweiten freien Fluss der Ideen und Texte, den schon die Aufklärer träumten? Mir scheint, Open Access bedeutet keine Gefahr für das Abendland, im Gegenteil.
Gudrun Gersmann ist Direktorin des Deutschen Historischen Instituts in Paris und Vorsitzende des Unterausschusses „Elektronische Publikationen“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Gut gebrüllt, Löwin!
KlausGraf - am Mittwoch, 18. Februar 2009, 20:37 - Rubrik: Open Access