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Zu der Directmedia-CD "Deutsche Märchen und Sagen" wurde im November 2008 ein Wikipedia-Artikel angelegt, der sich nun den üblichen ignoranten Löschantrag einfing.

http://de.wikipedia.org/wiki/Deutsche_M%C3%A4rchen_und_Sagen

Da meine Rezension in der FABULA 45 (2004), S. 376-378 nicht kostenfrei online verfügbar war, dokumentiere ich sie im folgenden.

Deutsche Märchen und Sagen. ed. Hans-Jörg U t h e r (Digitale Bibliothek 80). Berlin: Directmedia Publishing GmbH 2002 (CD-ROM mit ca 37 000 S.).

Ein digitaler Meilenstein der Erzählforschung! Nunmehr können 48 teilweise mehrbändige Sammlungen von Märchen und Sagen vom Ende des 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts mit etwa 24 000 Texten im Volltext durchsucht werden. Damit liegt zu einem Preis, den sich jeder Interessierte leisten kann, ein umfangreiches maschinenlesbares Korpus vor, das dank Angabe der originalen
Paginierung und wortgetreuer Wiedergabe der Vorlagen voll zitierfähig ist (wenngleich man sich dazu mit der Seitenumbruchfunktion vertraut machen und vorgeschaltete römische Zählungen ‚erraten‘ muß). Die bewährte
und einfach zu bedienende Suchoberfläche der Digitalen Bibliothek ermöglicht differenzierte Abfragen. Uthers allgemeine Einführung, die biographischen Hinweise zu den Sammlern und die abschließende Bibliographie von mehr als 20 000 Titeln sind wissenschaftlich solides Beiwerk.

Was die Auswahl der digitalisierten Werke betrifft, so ist zunächst hervorzuheben, daß aus der Zeit vor den paradigmatischen Sammlungen der Brüder Grimm wertvolle Quellenschriften für jenen historischen Prozeß präsentiert werden, aus dem die Gattungen ‚Märchen‘ und ‚Sage‘ der sogenannten ‚Volksliteratur‘
hervorgingen. Für die Volksmärchen des Musäus (1782/86) wurde der Wortlaut der Artemis-Ausgabe von 1976 zugrundegelegt, für Benedikte Nauberts Volksmärchen (1789/92) ein Druck von 1840. In der Originalausgabe ist dankenswerterweise die erste monographische deutsche Sagensammlung von Nachtigal (1800) greifbar, desgleichen die Bücher von Büsching (1812) und Gottschalck (1814). Von den Grimmschen Märchen wurde sowohl die Erstausgabe von 1812/15 als auch die Artemis-Ausgabe von 1977 erfaßt, während bei den Sagen ausschließlich der Text der Artemis-Ausgabe von 1965 geboten wird. Der Winkler-Verlag mit seiner Artemis-Reihe lieferte auch die Märchen Bechsteins,
während als Grundlage für das Sagenbuch (1853) eine Vorlage von 1930 diente.

Mehr oder minder seltene allgemeine Märchensammlungen wurden aufgenommen von A. L. Grimm (1809 und 1837), Löhr (ca 1819/20), Karoline Stahl [S. 377] (1821), Lehnert (1829), Wolf (1851) und Pröhle (1853 und 1854). Bei den Sagensammlungen
wurde offenkundig Wert darauf gelegt, das Gebiet der heutigen
Bundesrepublik abzudecken, wobei natürlich vor allem die großen Sammlungen Grässes für Preußen und Sachsen (1868/71 und 1874) unverzichtbar waren.

Ausgeklammert wurden – ohne Begründung – das Elsaß, die Schweiz und Österreich. Den Südwesten müssen die zwei badischen Sammlungen Baaders (1851 und 1859) sowie Birlinger/Buck (1861/62) vertreten, Bayern ist nur durch Schöppner (1852/1853) sowie für die Oberpfalz Schönwerth (1857/59) repräsentiert.
Für Hessen (allerdings nur Kurhessen!) steht Lynckers Sammlung
(1854). Das Rheinland erscheint – abgesehen von den preußischen Sagen Grässes – nur mit einer wenig prominenten Kompilation Pröhles (1886), der offenbar als zweimaliger Herausgeber (1856 und 1886) von Harzsagen – im Vorwort wird exemplarisch an ihnen die Quellengeschichte von Sagensammlungen aufgezeigt
– das Wohlwollen des Herausgebers genoß. Für Nord- und Mitteldeutschland sind die frühen Sammlungen von Temme (Altmark 1839, Pommern 1840), Müllenhoff (Schleswig-Holstein 1845) sowie von Kuhn und Schwartz (1843, 1848 und 1859) zu nennen, gefolgt in der zweiten Jahrhunderthälfte
von Schambach 1855 und Bartsch (Mecklenburg 1879/80). Berücksichtigt wurde darüber hinaus Strackerjan für Oldenburg (1909).

Komplettiert wird der Inhalt durch regionale Märchensammlungen sowie Sammlungen, die mehrere Volkserzählungsgattungen im Titel führen: Sommers Sagen, Märchen und Gebräuche aus Sachsen und Thüringen (1846), die schwäbischen Märchen Meiers (1852), Märchen und Sagen der Brüder Colshorn aus Hannover (1854), Jahns Märchen bzw. Schwänke aus Pommern und Rügen
(1890 und 1891) sowie als jüngstes Werk Spiegels bayerische Märchen von 1914. Eine eigene Erwähnung verdient die Sammlung des meist nur als Humoristen bekannten Wilhelm Busch Ut ôler Welt (München 1910). Nicht so recht zu den beiden im Titel der CD genannten Gattungen passen die Werke von Ludwig
Aurbacher, Büchlein für die Jugend (1834), Ein Volksbüchlein (1827/29). Sie sind als literarische Rezeption von Volksliteratur einzustufen.

Die Auswahlkriterien werden in der – für ein breites Publikum recht trocken geratenen – Einführung Uthers nicht erläutert. Warum fehlt Panzer für Bayern? Vermißt werden im heutigen Baden-Württemberg Ernst Meiers württembergische
Sagen und Birlingers jüngere Sammlung Aus Schwaben. Wieso wurden Wolfs und Bechsteins weitere Sagenausgaben nicht berücksichtigt?

Im wissenschaftlichen Apparat begegnen gelegentlich Nachlässigkeiten und vermeidbare Lücken. Zu Gottschalck wird das Todesjahr nicht angegeben: Er wurde (s. Wellner, A.: Kaspar Friedrich Gottschalck, der Verfasser des ersten
Harzreise-Führers. In: Harz-Zeitschrift 46/47 [1994/95] 91–105) am 15. Juni 1772 in Sondershausen geboren und starb am 17. Juni 1854 in Dresden. Als seine Sagensammlung erschien, war er Assistenzrat des Herzogtums Anhalt-Berneburg in Ballenstedt. Wesentlich weniger einfach spürt man die Lebensdaten von Bernhard Baader auf, die der Herausgeber ebenfalls nicht kennt. Der Geheime Finanzrat Bernhard Baader, teilte mir das Generallandesarchiv Karls[S. 378]ruhe freundlicherweise mit, „wurde am 30. 4. 1790 in Mannheim geboren und
verstarb am 6. 1. 1859 in Karlsruhe. Seine Personalunterlagen befinden sich im GLA unter den Signaturen 76/190 und 232/159, 160“. Ein paar Angaben zu ihm findet man in der Biographie seiner ebenfalls sagensammelnden Ehefrau Amalie (In: Badische Biographien. Bd. 3, Karlsruhe 1881, 8 f.). Zu Bechstein
hätte man die Angabe weiterer maßgeblicher Literatur erwartet, insbesondere der Arbeiten von S. Schmidt-Knaebel (siehe nun ead.: Ludwig Bechstein als Märchenautor. In: LiLi 37,130 [2003] 137–160).

Mit der riesigen Bibliographie, die viel Wertvolles neben Kraut und Rüben bringt, wird man nicht so recht glücklich, denn auf vielen Feldern der Erzählforschung sind grundlegende Studien nicht genannt. Eine kritische Durchsicht der Materialmasse hätte Doppelungen wie Denecke/Deneke oder Peuckert/Peukert
vermieden. Die Suchfunktion wirft nicht weniger als 24 maschinenschriftliche Magisterarbeiten aus. Es darf der dringende Wunsch geäußert werden, solche Arbeiten – wenn irgend möglich – nur mit einer Standortangabe zu zitieren.

Aber das sind alles läßliche Sünden. Erzählforscher werden an den bequem zu durchpflügenden Datenmassen der vorliegenden kleinen Silberscheibe ihre helle Freude haben.

Winningen/Mosel     Klaus Graf
KlausGraf meinte am 2009/04/01 22:23:
Nachweise zu den Texten
http://archiv.twoday.net/stories/5621304/ 
 

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