http://wiklin.blogspot.com/2009/08/akademische-wikipedia.html
"Wikipedia ist ein Dienst für die Öffentlichkeit, kein Dienst primär für Akademiker. Wir sollten die Welt der Wissenschaft und die Welt der Öffentlichkeit deutlich auseinanderhalten."
Stöcklin hat die Wikipedia nicht verstanden. Selbstverständlich geht es in der Wikipedia auch um Wissenschaft, sogar nicht nur um Populärwissenschaft. Zur Wissenschaft gehört nicht nur die Theoriefindung, sondern auch das Strukturieren von Informationen als Teil des Erkenntnisprozesses. De facto gibt es jede Menge wissenschaftlich verwertbarer zitierfähiger Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia (auch wenn diese nur einen winzigen Bruchteil des Gesamtbestands ausmachen, möglicherweise unter 1 %).
Weil ich nicht immer, meine "eigenen" Artikel über Felix Fabri oder die Judensau anführen will, mal etwas aus der Biologie:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hepatopankreas
Das ist als extrem spezielles Wissen absolut kein Teil der Öffentlichkeit, wie ich sie verstehe. Kein Brockhaus und kein Meyers enthält dazu etwas, und ich würde ohne biologische Kenntnisse behaupten, dass ein übliches biologisches Nachschlagewerk für Wissenschaftler in etwa die gleichen Informationen präsentiert, womöglich aber ohne Einzelnachweise. Gerade auf dem Gebiet der Biologie ist die Grenze zwischen den Hobbyforschern und den zünftischen Wissenschaftlern fließend. Es gibt sehr viele biologische Artikel auf einem vergleichbaren Niveau.
Wem das zu biologisch ist, kann ja das Gebiet der russischen Militärschiffe hernehmen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Militärschiff_(Russisches_Reich)
Ist das, was Waffenfans, von denen es in der Wikipedia leider zuviele gibt, zusammentragen, per se unwissenschaftlich? Neben akademischen technik- und militärhistorischen Studien gibt es offenbar viele "Hobby-Forscher", die ein sehr spezielles Gebiet beackern, das die allgemeine Öffentlichkeit nicht im mindesten interessiert.
Halten wir fest: Außerordentlich spezielles fachliches oder wissenschaftliches Wissen, das für die allgemeine Öffentlichkeit völlig uninteressant ist, ist in sehr großem Umfang in der Wikipedia vertreten.
Und das ist gut so. Wenn die Qualität stimmt, leistet die Wikipedia folgendes:
- Sie komprimiert in populärwissenschaftlicher Weise wissenschaftliches oder fachliches Wissen
- Sie weist durch durch Literaturangaben und Nachweise den Weg zu den Resultaten der wissenschaftlichen Forschung
Dies ist ein Service nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für die Forschung. Zumindest in den Geisteswissenschaften kann es ohne weiteres vorkommen, dass ein Forscher durch die Wikipedia etwa auf einen übersehenen biographischen Beitrag aufmerksam wird.
- Sie kann neues Material für Wissenschaftler bereitstellen oder durch Zusammenführung bekannter Tatsachen die Forschung anregen - und zwar ohne gegen das Wikipedia-Dogma "keine Theoriefindung" zu verstoßen!
Siehe etwa
http://de.wikipedia.org/wiki/Ritter_Toggenburg
UPDATE:
Habers Stellungnahme
http://weblog.histnet.ch/archives/2767
Er will zurecht nicht "an einer künstlichen Trennung von Wissenschaft und Öffentlichkeit" festhalten.
Stöcklins Replik
http://wiklin.blogspot.com/2009/08/akademische-wikipedia-2.html
"Ich stimme sowohl mit Peter Haber als auch mit Klaus Graf überein und finde beide Ausführungen inhaltlich sehr spannend."
Nochmals:
Das Geniale an der Wikipedia ist ja, dass sie beide, sich häufig überlappende Systeme Wissenschaft und Öffentlichkeit bedienen kann. Schon allein der schiere Impact-Faktor macht sie für die Wissenschaft zum wichtigen Kooperationspartner. Daher ist es nicht nur "bedingt" vorteilhaft, wie Stöcklin will, darüber nachzudenken, wie die Wikipedia für Forscher attraktiver wird.
Eine Möglichkeit könnte ein "vorgelagertes" Wissenschaftswiki sein, das den Akademikern den Kontakt mit den ja wirklich unerfreulichen Aspekten der Wikipedia erspart, dessen Inhalte aber in die Wikipedia eingebracht werden. Für die deutschsprachige Wikipedia sind die ätzenden Punkte nach meiner Einschätzung vor allem: die Tyrannis inkompetenter und parteiischer Admins, teilweise minderjährig, jede Menge Oberlehrer-Typen, kleinliche exklusionistische Relevanzkriterien/Löschpraxis.
***
Eingesandt
Zu WP und Wissenschaft:
1. Die populäre Darstellung wissenschaftlicher Fragen, Erkenntnisse und
Theorien wird in Europa nicht gepflegt. Gleichwohl erscheinen WP-Artikel aus dem Bereich Medizin den Ärzten geeignet, sie als Patienteninformationen einzusetzen.
2. Die WP unterschätzt Inhalte. "Ausgezeichnet" werden formal stimmige und
lange Ausführungen. Gegen sorgfältige Artikel über Kleinstädte hat ein feiner und in seiner Art einmaliger Spitzenartikel aus der Romanistik, wie zum Beispiel "Cino da Pistoia" , keine Chance.
3. Bei sog. "zentralen Lemmata" kann in der WP die Wissenschaftlichkeit nicht in einem 100Kb-Artikel bestehen, sondern in der Nutzung der vertikalen Tiefenstruktur der Verlinkung, die Zugehörigkeiten und Zusammenhänge als Plan für ein "Artikelfeld" in einer Weise ermöglichen, die eine linear gegliederte Darstellung im herkömmlichen Druckwerk nicht leisten kann. Artikel wie "Stilleben" nebst zugehörigen Artikeln, wie z. B. "Vanitas" oder "Emblematik", widersetzen sich allerdings einer "Schwarm"-Intelligenz und bleiben deshalb in ihrem bedauernswertem Zustand und ohne wissenschaftlichen Halt.
4. Die Idee der Wikipedia, das "Wissen" zu demokratisieren, wird gelegentlich verwechselt mit "Qualität", deren Erscheinen sich einer "Konsensdemokratie" entzieht.
"Wikipedia ist ein Dienst für die Öffentlichkeit, kein Dienst primär für Akademiker. Wir sollten die Welt der Wissenschaft und die Welt der Öffentlichkeit deutlich auseinanderhalten."
Stöcklin hat die Wikipedia nicht verstanden. Selbstverständlich geht es in der Wikipedia auch um Wissenschaft, sogar nicht nur um Populärwissenschaft. Zur Wissenschaft gehört nicht nur die Theoriefindung, sondern auch das Strukturieren von Informationen als Teil des Erkenntnisprozesses. De facto gibt es jede Menge wissenschaftlich verwertbarer zitierfähiger Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia (auch wenn diese nur einen winzigen Bruchteil des Gesamtbestands ausmachen, möglicherweise unter 1 %).
Weil ich nicht immer, meine "eigenen" Artikel über Felix Fabri oder die Judensau anführen will, mal etwas aus der Biologie:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hepatopankreas
Das ist als extrem spezielles Wissen absolut kein Teil der Öffentlichkeit, wie ich sie verstehe. Kein Brockhaus und kein Meyers enthält dazu etwas, und ich würde ohne biologische Kenntnisse behaupten, dass ein übliches biologisches Nachschlagewerk für Wissenschaftler in etwa die gleichen Informationen präsentiert, womöglich aber ohne Einzelnachweise. Gerade auf dem Gebiet der Biologie ist die Grenze zwischen den Hobbyforschern und den zünftischen Wissenschaftlern fließend. Es gibt sehr viele biologische Artikel auf einem vergleichbaren Niveau.
Wem das zu biologisch ist, kann ja das Gebiet der russischen Militärschiffe hernehmen:
http://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Militärschiff_(Russisches_Reich)
Ist das, was Waffenfans, von denen es in der Wikipedia leider zuviele gibt, zusammentragen, per se unwissenschaftlich? Neben akademischen technik- und militärhistorischen Studien gibt es offenbar viele "Hobby-Forscher", die ein sehr spezielles Gebiet beackern, das die allgemeine Öffentlichkeit nicht im mindesten interessiert.
Halten wir fest: Außerordentlich spezielles fachliches oder wissenschaftliches Wissen, das für die allgemeine Öffentlichkeit völlig uninteressant ist, ist in sehr großem Umfang in der Wikipedia vertreten.
Und das ist gut so. Wenn die Qualität stimmt, leistet die Wikipedia folgendes:
- Sie komprimiert in populärwissenschaftlicher Weise wissenschaftliches oder fachliches Wissen
- Sie weist durch durch Literaturangaben und Nachweise den Weg zu den Resultaten der wissenschaftlichen Forschung
Dies ist ein Service nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern auch für die Forschung. Zumindest in den Geisteswissenschaften kann es ohne weiteres vorkommen, dass ein Forscher durch die Wikipedia etwa auf einen übersehenen biographischen Beitrag aufmerksam wird.
- Sie kann neues Material für Wissenschaftler bereitstellen oder durch Zusammenführung bekannter Tatsachen die Forschung anregen - und zwar ohne gegen das Wikipedia-Dogma "keine Theoriefindung" zu verstoßen!
Siehe etwa
http://de.wikipedia.org/wiki/Ritter_Toggenburg
UPDATE:
Habers Stellungnahme
http://weblog.histnet.ch/archives/2767
Er will zurecht nicht "an einer künstlichen Trennung von Wissenschaft und Öffentlichkeit" festhalten.
Stöcklins Replik
http://wiklin.blogspot.com/2009/08/akademische-wikipedia-2.html
"Ich stimme sowohl mit Peter Haber als auch mit Klaus Graf überein und finde beide Ausführungen inhaltlich sehr spannend."
Nochmals:
Das Geniale an der Wikipedia ist ja, dass sie beide, sich häufig überlappende Systeme Wissenschaft und Öffentlichkeit bedienen kann. Schon allein der schiere Impact-Faktor macht sie für die Wissenschaft zum wichtigen Kooperationspartner. Daher ist es nicht nur "bedingt" vorteilhaft, wie Stöcklin will, darüber nachzudenken, wie die Wikipedia für Forscher attraktiver wird.
Eine Möglichkeit könnte ein "vorgelagertes" Wissenschaftswiki sein, das den Akademikern den Kontakt mit den ja wirklich unerfreulichen Aspekten der Wikipedia erspart, dessen Inhalte aber in die Wikipedia eingebracht werden. Für die deutschsprachige Wikipedia sind die ätzenden Punkte nach meiner Einschätzung vor allem: die Tyrannis inkompetenter und parteiischer Admins, teilweise minderjährig, jede Menge Oberlehrer-Typen, kleinliche exklusionistische Relevanzkriterien/Löschpraxis.
***
Eingesandt
Zu WP und Wissenschaft:
1. Die populäre Darstellung wissenschaftlicher Fragen, Erkenntnisse und
Theorien wird in Europa nicht gepflegt. Gleichwohl erscheinen WP-Artikel aus dem Bereich Medizin den Ärzten geeignet, sie als Patienteninformationen einzusetzen.
2. Die WP unterschätzt Inhalte. "Ausgezeichnet" werden formal stimmige und
lange Ausführungen. Gegen sorgfältige Artikel über Kleinstädte hat ein feiner und in seiner Art einmaliger Spitzenartikel aus der Romanistik, wie zum Beispiel "Cino da Pistoia" , keine Chance.
3. Bei sog. "zentralen Lemmata" kann in der WP die Wissenschaftlichkeit nicht in einem 100Kb-Artikel bestehen, sondern in der Nutzung der vertikalen Tiefenstruktur der Verlinkung, die Zugehörigkeiten und Zusammenhänge als Plan für ein "Artikelfeld" in einer Weise ermöglichen, die eine linear gegliederte Darstellung im herkömmlichen Druckwerk nicht leisten kann. Artikel wie "Stilleben" nebst zugehörigen Artikeln, wie z. B. "Vanitas" oder "Emblematik", widersetzen sich allerdings einer "Schwarm"-Intelligenz und bleiben deshalb in ihrem bedauernswertem Zustand und ohne wissenschaftlichen Halt.
4. Die Idee der Wikipedia, das "Wissen" zu demokratisieren, wird gelegentlich verwechselt mit "Qualität", deren Erscheinen sich einer "Konsensdemokratie" entzieht.