Schulzeugnis von Peter Behrens (Quelle: Archiv des Christianeums)
„Warum sollten Archive worüber wie bloggen?“ Diese Frage stellt siwiarchiv und ruft zum Schreiben auf. Ich weiß nicht, warum Archive worüber bloggen sollten und wie. Ich mach's einfach, aber mehr mit hübschen Bildern aus der Bibliothek und aus dem Archiv unseres Gymnasiums, dem Christianeum, gegründet 1738 im holsteinischen Altona, heute ein Bezirk von Hamburg. Der Archivbestand (zurückgehend bis zum Gründungsdatum) ist erfasst und in einem Findbuch erschlossen.
Was kann an einem Gymnasialarchiv interessant sein für ein Internetpublikum? Nun, vielleicht zunächst einmal, dass kaum eine Anstalt so etwas hat.
Nach heutigem Hamburger Archivgesetz (seit 1991 in Kraft) sind nicht mehr benötigte Dokumente aus Verwaltung und Schule dem Hamburger Staatsarchiv regelmäßig anzubieten. Das Christianeum wurde davon ausgenommen, es darf als sog. „Archivschule“ seinen alten Archivbestand behalten, unter anderem auch die Unterlagen über seine Lehrer und Schüler, die somit archivalisch seit 1738 an ihrem Wirkungsort präsent sind: eine Quelle, die von Historikern und Biographen, gelegentlich auch von Familienforschern, nicht selten in Anspruch genommen wird und zuweilen sogar bislang bestehende biographische Lücken zu füllen behilflich sein konnte, wie zum Beispiel im Fall des Designers Peter Behrens (1868-1940) und des Geschichtsforschers Gottfried Heinrich Handelmann (1827-1891). Auch gelangten Archivbestände bereits in Ausstellungen, so 2005 ins Vorderasiatische Museum zu Berlin zum archäologischen Bauforscher Robert Koldewey (1855-1925) oder in die Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek mit dem alten Siegel des Christianeums für die „Emblemata Hamburgensia“ 2009.
Die Matrikel des Christianeums, die handschriftlichen Einträge der Schullaufbahnen seit 1738, zeigen überdies die enge Verknüpfung mit der alten Bibliothek des Christianeums. Da es Sitte war, dass Schüler und Lehrer, die die Anstalt verließen, der Bibliothek ein Geschenk machten, lassen sich Besitzer- und Donationsvermerke in einzelnen Exemplaren des Bibliotheksbestands oft anhand der Matrikel erschließen. So stammt eine der Inkunabeln des Christianeums, ein wunderschöner und seltener Druck von Aldus Manutius, von einem ehemaligen Schüler im 18. Jahrhundert, dessen Name nur durch zwei Publikationen in Göttingen belegt ist - und in den Matrikeln des Christianeums.
Die Bibliothekare – seit 1738 bis heute stets Mitglieder des Lehrerkollegiums - sahen im 19. Jahrhundert die als Quellen zur Geschichte der Anstalt fungierenden Schulschriften als Bibliotheksgut an. Diese Schriften wurden seit dem 18. Jahrhunderts kontinuierlich gedruckt und gebunden, seit dem 19. Jahrhundert in Form der sog. „Schulprogramme“ gesammelt und ab 1850 mit einer Bibliothekssignatur versehen. Seit den 1920er Jahren erscheint die Schulchronik zweimal jährlich im „Christianeum“, der Publikation des Fördervereins der Schule, und wird – nunmehr wiederum gebunden im Fünfjahrespaket – der Tradition folgend in der Bibliothek verwahrt. Verknüpft mit Dokumenten des Archivs reicht die Aussagekraft dieser Schriften häufig über die Schule hinaus und verweist direkt in die Stadtgeschichte Altonas, das bis 1867 (danach preußisch, seit 1937 Hamburg) zum Herzogtum Holstein gehörte, dessen Landesherr in Personalunion der König von Dänemark war. So erfahren wir im Archiv zum Beispiel die Hintergründe des Geschenks der kolorierten Flora Danica seitens Frederiks VI. von Dänemark (komplett geliefert 1816 und die folgenden Jahrzehnte) und die Provenienz eines großen Teils unserer Inkunabelsammlung aus der Bibliothek des Altonaer Pfarres Johann Adrian Bolten (1808).
Die Stadt Altona erhielt 1664, vor genau 350 Jahren, das Stadtrecht durch Frederik III. , König von Dänemark. Sie verfügte dermaleinst über ein umfangreiches eigenes Stadtarchiv, das im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde; die Überreste befinden sich im Hamburger Staatsarchiv. Heute zeigt uns Google ein „Altonaer Stadtarchiv e.V.“ an, Bestände eines Altonaer Privatsammlers, der sie dem Publikum unterdessen auf seiner Hompage zur Benutzung anbietet. Und dann gibt es eben noch das Archiv des Christianeums. Darunter unter anderem wertvollste Zeugen auch jüngerer Hamburger Geschichte: Dokumente zum Bau des derzeitigen Schulgebäudes, das dritte in der Geschichte des Christianeums (gebaut zwischen 1968 und 1971, Architekt: Arne Jacobsen) – und dabei vor allem auch Fotos.
Das Christianeum verfügt über ein umfangreiches Fotoarchiv mit Abzügen seit dem 19. Jahrhundert, nicht nur von den Gebäuden (wie z. B. dem Abriss des bauhausinspirierten zweiten Gebäudes), sondern auch von Personen und insbesondere von Altona und dessen im Zweiten Weltkrieg zerstörten Straßen und Häusern in der Umgebung des ersten Schulgebäudes (genutzt bis 1936), dem alten Stadtkern, von dem nach der "Operation Gomorrha", dem Bombardement Hamburgs 1943, nicht viel übrig blieb.
Ob das alles aber jemanden interessiert? Ich weiß es nicht – und benutze denn auch das Blog „Bibliotheca Altonensis“ bei tumblr nicht selten dazu, auf die Homepage zu verlinken, wo sich das eine oder andere anschauen lässt - nicht nur aus der Bibliothek, sondern auch aus dem Archiv, nicht systematisch, vielmehr mit dem bescheidenen Anspruch, überhaupt einen kleinen Einblick zu liefern, was das eigentlich ist: eine Gymnasialbibliothek mit einem Schularchiv.
Wolf Thomas meinte am 2014/01/29 07:13:
Vielen Dank für diesen schönen Erfahrungsbericht!
Marlene Hofmann (Gast) meinte am 2014/01/29 09:05:
Bloggen macht sichtbar
Vielen Dank für den schönen - vor allem offen-transparenten Beitrag. Natürlich lässt sich der "Erfolg" und "Effekt" der Bloggerei und des Social Media-Engagements kaum gründlich messen. Aber hätte das Schularchiv nicht gebloggt, hätte ich z.B. davon vermutlich nie erfahren, obwohl ich jahrelang in Hamburg gewohnt und sogar mal eine Stadtführung durch Altona mitgemacht habe! Ich gehe davon aus, dass viele Historiker, Wissenschaftler, Hobby-Forscher und Familienforscher heute das Internet als Hauptwerkzeug benutzen und erst dadurch Anhaltspunkte finden, wo sie Originaldokumente suchen müssen. Darüber hinaus verbergen sich auch in der Schulgeschichte viele spannende Geschichten, die man sicher auch gern mal nebenbei liest.
FeliNo antwortete am 2014/01/29 21:08:
Liebe Marlene Hofmann, kommt drauf an, wann Sie in Hamburg waren, denn die Erfassung und Verzeichnung des Archivs in einem Findbuch erfolgte in den 1990er Jahren, und für mich (seit bald 10 Jahren im Amte) wurde die Homepage erst 2011 mit ausbaufähigem Space für die Bibliothek versehen. Das Archiv ist nun auch dabei, aus seinem Dornröschenschlaf zu erwachen (nicht zuletzt durch - leichtes Selbstschulterklopfen - zufriedene Benutzer:-) Das Blog wird unterdessen allerdings wohl zunehmend vom Bibliotheksförderverein beäugt, und das kann auch nicht verkehrt sein, weshalb ich Ihre Anregung gern aufgreife. Derzeit verfahre ich so, dass ich eher kleinere Mitteilungen aus Bibliothek und noch eher seltener: Archiv (meist mit Bild) ins Blog setze, während ich die etwas längeren Darstellungen auf die Homepage bringe und mit einer kurzen Zusammenfassung plus Link dann "verblogge" (z. B. so: http://anonymea.tumblr.com/post/74883250443/gymnasialarchiv-was-ist-das-denn). Via Twitter landet manches sogar hier auf dem Flaggschiff, der "Mutter aller Archivblogs" (siehe weiter oben Kommentar von "Wolf Thomas" http://archiv.twoday.net/stories/640154245/#comments :-) Mich faszinieren indes mehr und mehr die Formen der Vernetzung, weil sie via Archivalia mal diese erstaunliche Causa erbrachten: http://archiv.twoday.net/stories/55771605/ (siehe dazu auch: http://anonymea.tumblr.com/post/64571017524/update-makulatur-identifizierung-eines-fragments) Das ist einfach toll!
FeliNo meinte am 2014/03/21 22:12:
Korrektur
Im Artikel oben finde ich beim Nachlesen eine missverständliche (fehlerhafte) Formulierung meinerseits: "Nach heutigem Hamburger Archivgesetz (seit 1991 in Kraft) sind nicht mehr benötigte Dokumente aus Verwaltung und Schule dem Hamburger Staatsarchiv regelmäßig anzubieten. Das Christianeum wurde davon ausgenommen [...]."
Richtig ist, dass die Anstalt nach wie vor "nicht mehr benötigte" *aktuelle* Dokumente aus ihrer Verwaltung dem Hamburger Staatsarchiv anzubieten hat (ein Vorgang, mit dem ich nicht befasst bin); die Anbietungspflicht des *historischen* Archivs (*meine* Abteilung) war indes zum Beispiel durch die Übersendung der Pdf-Findbuchversion erfüllt.