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"Siegm. Jac. Baumgartens Nachrichten von einigen schätzbaren Handschriften der zahlreichen Bibliothek des weiland hochberümten Kanzlers von Ludwig, die zum Verkauf noch vorrätig sind" (Halle 1749) ist ein interessantes Beispiel für gelehrte Handschriftenbeschreibung im 18. Jahrhundert. Sie wurde jetzt digitalisiert

http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/titleinfo/1657199

Detailliert beschrieben werden vor allem Pergamenthandschriften aus dem Besitz des 1743 gestorbenen Hallenser Universitätskanzlers Johann Peter von Ludewig (1668-1743), die noch nicht verkauft worden waren. Im vierbändigen gedruckten Auktionskatalog Ludewigs von 1745 (alle 4 Bände in einem Google-Digitalisat http://books.google.de/books?id=Uk4VAAAAQAAJ ) waren die über 900 Handschriften des berühmten Historikers nur ganz knapp aufgelistet worden.

Der Theologe Siegmund Jakob Baumgarten (1706-1757) schrieb einerseits eine Werbeschrift, um den Verkauf der kostbaren Stücke anzukurbeln, andererseits eine gelehrte Abhandlung, die sich auf hohem Niveau um die Charakterisierung der Codices bemüht.

Papierhandschriften beschreibt Baumgarten nur zwei. Ich beschäftige mich nur mit der ersten, einer Handschrift Lamperts von Hersfeld, die von Baumgarten S. 31-40 ausführlich behandelt wird. Anhand der online vorliegenden MGH-Ausgabe von 1894

http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00000741/image_51

wurde rasch klar, dass es sich um die Göttinger Handschrift Ms. hist. 88 handeln muss, 1893 im Göttinger Handschriftenkatalog beschrieben:

http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0718_b029_jpg.htm

Weitere Beschreibungen

Archiv der Gesellschaft 7 (1839), S. 456-459
http://books.google.com/books?id=zOk1AAAAMAAJ&pg=PA456

Holder-Egger in: Neues Archiv 19 (1894), S. 153f.
http://www.digizeitschriften.de/main/dms/img/?PPN=PPN345858530_0019&DMDID=dmdlog13

Holder-Egger in den Monumenta Erphesfurtensia, 1899, S. 47, 134f.
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00000744/image_142
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00000744/image_55

Die Handschrift wird kurz aufgeführt im erwähnten Manuskript-Katalog der Bibliothek Ludewigs von 1745 Bd. 4, S. 93 Nr. 488:

http://books.google.de/books?id=Uk4VAAAAQAAJ&pg=RA1-PA93

Über die Vorbesitzer der Handschrift gibt ein von Baumgarten S. 37f. zitierter Vermerk Auskunft. Es waren

Petrus Albinus (1543-1598)
http://de.wikipedia.org/wiki/Petrus_Albinus

Andreas Erasmus von Seidel (1650-1707, das Todesdatum in manchen Quellen anders, ich folge http://www.bbaw.de/bbaw/MitgliederderVorgaengerakademien/AltmitgliedDetails?altmitglied_id=2547 )

Ludwig Otto von Plotho (1663-1731)
http://www.bbaw.de/bbaw/MitgliederderVorgaengerakademien/AltmitgliedDetails?altmitglied_id=2120
Der Göttinger Kalalog zitiert Bibliotheca Plothoniana, Bd. 2, 1732, S. 838 Nr. 10899

Die Göttinger Bibliothek kaufte die Handschrift 1792 aus J. S. Semlers Bibliothek in Halle: also aus dem Nachlass von Johann Salomo Semler (1725-1791).

Dazwischen hat also, wie wir jetzt wissen, Ludewig die Handschrift besessen.

Der Codex enthält in seinem ersten, nach Bl. 361 1506 niedergeschriebenen Teil wichtige hoch- und spätmittelalterliche Geschichtsquellen aus dem mitteldeutschen Raum. Der Lampert-Text und weitere Erfurter Geschichtsquellen gehen nach Holder-Egger auf einen verlorenen mittelalterlichen Codex des Erfurter Petersklosters zurück.

Wichtig ist die Beobachtung Holder-Eggers (NA 19, S. 143), dass der erste Teil in humanistischer Schrift geschrieben ist. Die dem Trithemius-Umkreis angehörige Würzburger Schwesterhandschrift aus dem Schottenkloster ist ebenfalls in Humanistica geschrieben:

http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0083_b114_JPG.htm

Aus einer der Vorlagen beider Handschriften exzerpierte auch Hartmann Schedel. Man wird den Codex der humanistischen Beschäftigung mit den mittelalterlichen Geschichtsquellen des Hochmittelalters zuweisen dürfen. Die wiederholte Anrufung des hl. Hieronymus könnte mit der humanistischen Hieronymus-Verehrung zusammenhängen, während Holder-Egger vermutete, sie sei von dem Angehörigen eines Stifts geschrieben worden, das den hl. Hieronymus als Schutzpatron hatte.

Der zweite Teil, nach den zitierten Beschreibungen ebenfalls Anfang des 16. Jahrhunderts geschrieben, überliefert vor allem die Ältere Hochmeisterchronik, einen kurzen deutschen Text über die Ordensgründung und ein Verzeichnis der Deutschordensablässe.

Die Überlieferungszusammenstellung von Ralf G. Päsler der Älteren Hochmeisterchronik im Handschriftencensus (2004) hat die Göttinger Handschrift übersehen:

http://www.handschriftencensus.de/werke/869

Bereits durch einen Blick in die Edition von Max Töppen in den Scriptores Rerum Prussicarum 3 (1866), S. 524, der sie nicht kannte, ließ sich feststellen, dass aufgrund der Mitüberlieferung die Göttinger Handschrift der Jenaer, Stuttgarter (HB V 72) und Wiener (DOZA Hs. 427B) nahesteht:

http://books.google.de/books?id=-4AOAAAAYAAJ&pg=PA524

Man wird abwarten müssen, was die noch ungedruckte Pariser Dissertation (2009, bei J.-M. Moeglin)) von Mathieu Olivier über die Ältere Hochmeister-Chronik (mit kritischer Edition) zur Göttinger Handschrift zu sagen hat, aber die Zusammengehörigkeit der genannten Handschriften (einschließlich der Göttinger) hat Olivier bereits in einem Aufsatz (in: Mittelalterliche Eliten und Kulturtransfer ... 2009, S. 165) kurz thematisiert:

http://books.google.de/books?id=xtpMqVq3TVcC&pg=PA165 (Vollständige Ansicht)

Außer der Älteren Hochmeisterchronik überliefert die Göttinger Handschrift, ihr vorangehend, Bl. 385 die 'Narratio de primordiis Ordinis Theutonici', dt.

Der Handschriftencensus http://www.handschriftencensus.de/werke/2299 gibt hier nur eine Handschrift (DOZA Hs. 787), während Udo Arnold im Verfasserlexikon (²VL 6, 857) die beiden Stuttgarter Handschriften (HB V 72 und HB V 73) und DOZA Hs. 427b nennt, nicht aber die Göttinger Handschrift.

Das Bl. 452 ff. überlieferte Verzeichnis der Ablässe des Deutschen Ordens fehlt in Falk Eisermanns Artikel "Ablaßverzeichnisse" (²VL 11, Sp. 7f.). Hier ist von der genannten Handschriftengruppe nur die Jenaer Handschrift vertreten, auch ist Eisermann Töppens Edition (S. 713-719, Leithandschrift Töppens ist nicht angegeben) entgangen:

http://books.google.de/books?id=-4AOAAAAYAAJ&pg=PA713

Ob Axel Ehlers, Die Ablasspraxis des Deutschen Ordens im Mittelalter (Quellen und Studien zur Geschichte des Deutschen Ordens 64), Marburg 2007 außer der Heid. Hs. 68 - siehe http://www.handschriftencensus.de/10534 - noch weitere Überlieferungen nennt, wäre zu überprüfen.

Nachtrag:

In ihrer Beschreibung von ULB Halle, ThSGV 3147 nennt Brigitte Pfeil (Katalog der deutschen und niederländischen Handschriften ... 2007, S. 143 die Göttinger Hs. 2° Hist. 88 (ein Google-Schnipsel aus dem Band "Mittelalterliche Texte" hg. von Schieffer 1996 S. 226 verführte mich zunächst, das Quartformat anzunehmen. Völlig unangemessen ist das von den Handschriftenbibliotheken betriebene Umsignieren ihrer Handschriften. Wieso musste Göttingen auf die Idee verfallen, die traditionell ohne Formatangabe zitierten Handschriften nun mit einer Formatangabe zu versehen, die sich jedenfalls nicht zweifelsfrei aus den alten Katalogen ergibt? Und wieso kann man nicht, wenn man schon derlei Schabernack betreibt, eine Konkordanz auf die Website stellen?). ThGSV 3147 (die lateinischen Teile sind 1492 datiert) stammt möglicherweise aus Leipzig und diente als Vorlage für die "Chronica Montis Sereni" des Göttinger Codex. Auch das "Chronicon Terrae Misnensis" überliefern beide Handschriften. Ausgehend von diesem Befund und dem Erstbesitzer Albinus wird man an eine Entstehung der Göttinger Handschrift im mitteldeutschen Raum zu denken haben, vielleicht in Leipzig-Erfurter Humanistenkreisen.

Nachträglich sehe ich, dass die Zugehörigkeit der Göttinger Handschrift zur Ludewig-Bibliothek anhand der Schrift Baumgartens bereits von Hesse 1844 SS Bd. 5, S. 150

http://www.mgh.de/dmgh/resolving/MGH_SS_5_S._150

notiert, von den späteren Autoren aber offenkundig ignoriert wurde!

#forschung

Johann Peter von Ludewig
 

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