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Christine Stöllinger Löser tadelt im Artikel "Weiglin, Jakob" im Verfasserlexikon (2. Auflage, Bd. 10, 1999, Sp. 789f.),

http://www.libreka.de/9783110156065/405

der GW und Wolfgang Stammler hätten den Übersetzer der Pseudo-Cyprian-Schrift, die in Reutlingen 1492 erschien, mit dem Namen Jakob Weiglin versehen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Autorin sich der ehernen Devise "Regionalia non leguntur" http://archiv.twoday.net/stories/894827492/ nicht auch mit ganz analogen Mitteln hätte entgegenstellen können, indem sie Regionalliteratur zum Raum Messkirch ausgewertet hätte. Hätte sie dort recherchiert, könnte ich mich aber nicht mit den folgenden Belegen brüsten.

Bei dem Druck handelt es sich um GW 2935

Pseudo-Augustinus, Aurelius: De duodecim abusionum gradibus, deutsch von Jakob Weiglin. Daran: Appellatio des Sünders. Reutlingen: Johann Otmar, [Mai/Juni 14]92. 4°
http://www.gesamtkatalogderwiegendrucke.de/docs/GW02935.htm

Zur lateinischen Vorlage (einem frühmittelalterlichen irischen Text) genügt der Hinweis auf
https://de.wikipedia.org/wiki/De_duodecim_abusivis_saeculi
https://en.wikipedia.org/wiki/De_duodecim_abusivis_saeculi

Stöllinger Löser nennt eine zweite deutsche Übersetzung des Textes im Cod. 1035, S. 671-682 (15. Jahrhundert), die im Scherrer-Katalog erwähnt wird, aber im Handschriftencensus fehlt:

http://www.stibi.ch/handschriften/hss/1035.htm

Das MDZ hat den Reutlinger Druck digitalisiert:

http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00026721/image_36

In der Schlussschrift gibt der Drucker an, das Büchlein sei ins Deutsche übersetzt worden von dem "gelerten vnnd fürsichtigen N. Amman vnd vogt zu+o meßkirch".

Wer war damals Ammann der Stadt Messkirch? Vermutlich Jakob Weiglin.

Unergiebig ist die GND
http://beacon.findbuch.de/seealso/pnd-aks?format=sources&id=120950987

Jakob Weiglin ist "vor 1478" bis 1488 als Stadtammann zu belegen.

Tumbült gab seiner Messkircher Geschichte SVG Baar 1933, S. 64 (PDF, swbdok) eine Liste der Messkircher Stadtammänner bei, die zu Weiglin vermerkt, er heiße 1477 Altstadtammann und für Jacob Wigli, Weiglin Belege zu 1481-1503 angibt. Möglicherweise weiß man vor Ort oder vielleicht weiß Volker Trugenberger. der wiederholt zu Messkirch geforscht hat, mehr, aber ich habe zu Weiglin folgende Belege gefunden.

Über die Familiengeschichte der Weiglin unterrichtet die Zimmerische Chronik (vor allem II, 543-546), aber im Vordergrund steht der im frühen 16. Jahrhundert amtierende Stadtammann Heinrich Weiglin, der in den 1530er Jahren gestorben ist. Wie immer ist bei den Angaben der Chronik Vorsicht geboten.

https://de.wikisource.org/wiki/Zimmerische_Chronik

Die Weiglin stammten aus Mühlheim an der Donau. Sie "zogen nach Meßkirch, wo Hainrich Weiglin, vermutlich Bechtolds Sohn, das Amt des Stadtammanns bekleidete. Hainrich hatte von seinen Voreltern großen Güterbesitz ererbt. Woher die Wiglin kamen, ist unbekannt", so Elmar Bessing.
https://www.google.de/search?q=zogen+nach+Me%C3%9Fkirch,+wo+Hainrich+Weiglin&tbm=bks

1457 wurde Heinrich Weiglin als Neubürger in Messkirch aufgenommen (Trugenberger im Katalog: Die Grafen von Zimmern und die Kultur des schwäbischen Adels, 2012, S. 308). 1462 saß er schon im Rat (Fürstenbergisches Urkundenbuch = FUB VI, S. 92
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/5821323 ). Stadtammann war damals Hans Sträuli. 1461 hatte er wegen seiner Kinder Ärger mit dem Stadtherrn Junker Werner von Zimmern (FUB ebd.).

1474 kam es zu einem Streit zwischen dem Messkircher Kirchherrn und Jakob Wigli wegen einem Scheffel Korn, der von Johann Werner von Zimmern geschlichtet wurde. Für Wigli siegelte der Stadtammann Hans Sträwlin (Strow-). FUB VII, S. 36
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/5821838 .

Am 7. März 1477 heißt er Altstadtammann von Messkirch. Er siegelt die im Fürstenbergischen Archiv zu Donaueschingen erhaltene Urkunde mit seinem eigenen Siegel "+ S jacobi .... wiglin", das eine Lilie zeigt, FUB 7, S. 23
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/5821825

1484 kaufte der Messkircher Bürger Jakob Wiglin um 100 Gulden einen Hof zu Bietingen, der erblich an seinen Schwager Hans Vischer kam. Dieser verklagte Ortolf von Heudorf deswegen vor dem Landgericht Hegau, das am 14. Mai 1495 urteilte, FUB 7, S. 126
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/5821928

1485 belegt ihn die Datenbank des Landesarchivs als Stadtammann:
http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=6-1474663

Dem Beleg zu 1488 im Zusammenhang mit dem Übergang der Herrschaft an die Werdenberger dürfte Ruckgaber

http://books.google.de/books?id=bZxAAAAAcAAJ&pg=PA122

aus der Zimmern'schen Chronik (I, S. 537: alt Jacob Weiglin) haben. Als Vogt erscheint Nikolaus Uhl. Der Zimmern-Chronist erzählt eine obszöne Geschichte im Zusammenhang mit dem Tod des alt Jacob Weiglin und nennt Caspar Spindler genannt Schwarzach als Bürgermeister (IV, S. 183), der Bd. II, S. 81 zu 1503 erwähnt wird.

Als Messkirch 1503 wieder an die Zimmern kam, nennt der Chronist Jakob Weiglin als Stadtammann (Bd. II, S. 59), doch das dürfte - gegen Tumbült! - ein Irrtum sein, denn Jakob Weiglin hat schon im Mai 1495 (siehe oben) nicht mehr gelebt. Einen zweiten Jakob Weiglin, der 1503 Stadtammann gewesen sein könnte, darf man nicht annehmen.

Zur Genealogie der Familie: Am einfachsten setzt man Jakob Weiglin als Sohn des 1457 aufgenommenen Heinrich Weiglin an und den Stadtammann Heinrich als Sohn Jakobs. 1479 studierte Bonifatius Wigli aus Messkirch, der später im Bistum Chur auftaucht, in Tübingen:

http://download.burgenverein-untervaz.ch/downloads/buecher_listen/Liste%20der%20Bisch%C3%B6fe%20und%20Domherren%20des%20Bistums%20Chur.pdf

Er könnte ein Bruder von Jakob gewesen sein, aber aufgrund des erschlossenen Geburtsdatums um 1465 doch eher ein Sohn. Bonifaz hieß auch ein Sohn des Stadtammanns Heinrich Weiglin, der seinen Sohn Heinrich zum Studieren nach Tübingen schickte (Zimmerische Chronik II, S. 543-546).

Dass Jakob 1477 als Notar belegt ist, wie eine dubiose Internetseite suggeriert

http://www.heraldrysinstitute.com/cognomi/Wiglin/Germany/idc/794057/lang/de/

glaube ich nicht. Der Beleg dürfte aus Tumbült stammen, wo aber kein Notars-Amt genannt wird, siehe auch die ungarische Seite, auf der Wiglin laut Google Translate Stadtschreiber heißt

http://www.sulinet.hu/oroksegtar/data/magyarorszagi_nemzetisegek/nemetek/torokbalint/torokbalint_grossturwall/pages/032_Csaladi_nevek_szarmazasa.htm

Die Quelle bezieht sich aber eindeutig auf Tumbült.

Jakob Weiglein war mit mindestens einer Unterbrechung von vor 1478 bis 1488 Stadtammann von Messkirch. Der Reutlinger Drucker scheint den Namen nicht gekannt zu haben, da er ihn mit N. angibt. Dass Weiglin in Personalunion auch das Amt des Vogts bekleidet habe, wie der Drucker angibt, ist nicht zu belegen. Jedenfalls 1488 waren Vogt und Stadtammann getrennte Ämter.

Durchaus denkbar ist, dass der Reutlinger Drucker sich hinsichtlich der Verfasserschaft geirrt hat, also gar kein Messkircher Stadtammann die Abhandlung übersetzt hat. Und es ist auch denkbar, dass ein anderer, früherer Stadtammann z.B. Sträuli der Übersetzer war.

Für Weiglin spricht, dass seine Amtszeit nah am Erscheinungsdatum liegt und man generell eine Laienübersetzung eher in die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts setzen möchte, wenngleich sie prinzipiell auch im 14. Jahrhundert denkbar wäre.

Da über Weiglins Ausbildung nichts bekannt ist, kann man allenfalls als eher schwaches Indiz für eine Affinität zur Gelehrsamkeit das Tübinger Studium seines mutmaßlichen Sohnes anführen. Reich genug für eine eigene akademische Ausbildung dürfte er jedenfalls gewesen sein.

War Weiglin der Übersetzer, dann darf man ihn wohl mit den geistigen Interessen seines Herrn Johann Werner des Älteren von Zimmern in Verbindung bringen. Als Stadtammann hatte er eine Doppelloyalität zu beachten: Er musste dem Stadtherrn dienen, aber auch der Stadt. In einer kleinen Herrschaft wie dem Territorium der damaligen Freiherren von Zimmern darf man ihn getrost als engen Vertrauensmann Johann Werners betrachten. Da dieser literarisch sehr interessiert war, würde der Übersetzer eines religiösen Traktats gut zu ihm passen.

Zu Johann Werner dem Älteren (ca. 1455-1496) siehe zuletzt den Katalog Die Grafen von Zimmern (Register) und
http://www.mrfh.de/1305

"Herr Johannes Wernher freiherr zu Zimmern der elter hat zu schönen büechern ein grossen lust gehabt und vil gelesen", sagt die Zimmerische Chronik (I, S. 423) und erwähnt als Handschriftenschreiber den Gabriel Sattler von Pfullendorf, der modernen Forschung auch als Schreiber des übelen Gerhart bekannt:
http://archiv.twoday.net/stories/64967893/

1482 widmete Michael Christan dem Johann Werner von Zimmern zwei Brief-Übersetzungen:
http://archiv.twoday.net/stories/133339160/

Johann Werner verfasste ein Märe, siehe die ausführliche Interpretation durch Ursula Kocher 2005:

http://books.google.de/books?id=tqSt2gW2J0EC

Kocher (S. 292) und Jacob Klingner trauen Johann Werner auch die Verfasserschaft von "Der neuen Liebe Buch" zu.

http://www.gesamtkatalogderwiegendrucke.de/docs/BUCH.htm#DerNeuenLiebeBuch
http://www.iaslonline.lmu.de/index.php?vorgang_id=3700

Aber darf man Johann Werners Begeisterung für die Literatur auch als Indiz für die Verfasserschaft Weiglins verwerten?

Setzt man die 1492 gedruckte Übersetzung in das letzte Viertel des 15. Jahrhunderts, so ist es sehr wahrscheinlich (oder anders gewendet: ich bin davon überzeugt), dass Weiglin der Autor ist und seine Arbeit in Zusammenhang mit den Studien seines Herrn Johann Werner von Zimmern steht.

Ist sie aber beispielsweise schon um 1460 entstanden, könnte der Stadtammann Sträuli der Autor sein und der Bezug zu Johann Werner fällt natürlich weg. Von Johann Werners Vater Werner nimmt man an, dass er die Familienbibliothek begründet hat, aber viel Staat ist damit in unserem Zusammenhang nicht zu machen.

Natürlich gibt es keine Möglichkeit, den Zeitpunkt der Übersetzung zu datieren.

Der Überzeugungsgrad, mit dem man dem Namen Weiglin vertraut, hängt vom Vorwissen und den Vorurteilen des jeweiligen Wissenschaftlers ab. Wer geneigt ist, vor allem der älteren germanistischen Forschung vorzuwerfen, dass sie oft fahrlässig irgendwelche Verfasserschaften in Spiel gebracht hat, siehe etwa zu Hildegard von Hürnheim

http://www.aedph-old.uni-bayreuth.de/1999/0310.html

wird die Sachlage anders beurteilen als jemand, der in der "Weiglin"-Übersetzung ein willkommenes Mosaiksteinchen für die geistigen Interessen derer von Zimmern zu sehen sich wünscht. Dass man überhaupt einen Namen und einige Belege hat, nimmt für Weiglin ein; es ist interessanter, zu ihm zu recherchieren, als sich mit einem nicht weiter bekannten N.N., der nach Angabe des Reutlinger Druckers Otmar Stadtammann und Vogt zu Messkirch war, zu begnügen.

Einen Indizienprozess, der - wie Juristen sagen - jeden vernünftigen Zweifel ausschließt, konnte ich nicht führen. Auch wenn man wie ich dazu tendiert, die Abfassung der Übertragung an den Druck heranzurücken, bleibt ein mehr oder minder großes Fragezeichen. Der GW sollte es zusammen mit einem Link zu diesem Beitrag eintragen.

NACHTRAG:

Volker Trugenberger stellte freundlicherweise die folgenden wichtigen Ergänzungen zur Verfügung:

1468 Dez. 1: Anna Beringerin, Heinrich Wiglis selig Witwe (Staatsarchiv Sigmaringen FAS DS 39 T 1-3 U 559)

1482 Jan. 31: Jakob Wyglin [Wiglin], Stadtammann zu Meßkirch (Staatsarchiv Sigmaringen FAS DS 33 T 1 R 116, 6)

1484 Nov. 12: Heinz Mieger, Stadtammann zu Meßkirch; Jakob Wyglin [Wiglin], Amtmann des Herrn von Zimmern (Staatsarchiv Sigmaringen FAS DS 39 T 1-3 U 610 und U 611)

1493 Mai 25: Jakob Wiglin, Stadtammann zu Meßkirch (Staatsarchiv Sigmaringen FAS DS 39 T 1-3 U 658 und 659)

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