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Geschichte einer Festkultur lautet der Untertitel der großen Ausstellung zum Ritterturnier im Schaffhauser Allerheiligenmuseum, die noch bis 21. September 2014 läuft. Anders als die zeitlich engere Mannheimer Ausstellung „Kaiser Maximilian I. und das höfische Turnier“ widmet sich die Schaffhauser Ausstellung der Geschichte des ritterlichen Turniers in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, wenngleich ein deutlicher Schwerpunkt auf dem 15. und 16. Jahrhundert zu beobachten ist.

Flankiert wurde die Ausstellung von einer Tagung zum Thema „Turnier, Tanz und Totengedenken - Stadt und Adel im Mittelalter“ Anfang Mai sowie zehntägigen Ritterspielen, in deren Rahmen sich noch bis zum 20. Juli in täglich zwei Vorstellungen „die besten Turnierreiter aus ganz Europa […] im Lanzenstechen und im Schwertkampf zu Pferd“ messen.

Plakat der Ausstellung: Ritterturnier - Geschichte einer Festkultur

Man kann darüber streiten, ob die im Begleittext gewählten Formulierungen „originalgetreu”, „höchstmögliche Authentizität” oder „lebendig und historisch korrekt” sinnvoll gewählt sind, [1] die Ergänzung der Ausstellung durch das Reenactment eines Turniers weisen aber auf einen äußerst gelungenen Aspekt der Schaffhauser Ausstellung hin: die praktische Erfahrbarkeit des Turnierwesens für den Ausstellungsbesucher. So finden sich im Verlauf der Ausstellung zahlreiche Objekte, die von den Besucherinnen und Besuchern angefasst und anprobiert werden können, beispielsweise verschiedene Turnierhelme und fein geplättelte Turnierhandschuhe.

Damit ist ein zentraler Fokus der Ausstellung angesprochen: Die Entwicklung der Turnierrüstung. So beginnt die Ausstellung im ersten Raum mit der Präsentation von Rüstungselementen und Helmen aus der Antike, die eigenen Beständen des Allerheiligenmuseums entnommen sind, um dann – das Frühmittelalter wird weitgehend ausgespart – die Entwicklung von Helmen, Rüstung und Waffen bis in die Frühe Neuzeit in den Blick zu nehmen. Die Objekte sind sorgsam ausgewählt und verfügen fast ausnahmslos über qualitativ hochwertige Beschreibungen – ein großer Pluspunkt der Schaffhauser Ausstellung!

Auf diese Weise kommt die Ausstellung völlig ohne die sonst ubiquitären Audioguides aus. Die einzelnen Objektbeschreibungen werden durch längere – aber nicht zu lange – Texte zu den thematisch konzipierten Räumen der Ausstellung ergänzt. Für Kinder sind in jedem Raum kurze Texte angebracht, in denen Fragen zu den Ausstellungsstücken des Raums formuliert werden. Die thematische Gliederung der Ausstellung in Sinnabschnitte, die zumeist in eigenen Räumen unter Formulierung eines Leitmottos präsentiert werden, gibt der Schaffhauser Ausstellung einen klaren roten Faden. Auf die Entwicklung von Rüstungen und Waffen (besonders interessant: die Helmhaube Erzherzog Sigismunds von Tirol), folgt der anhand des Schaffhauser Turnierberichts von 1436 [2] sowie des Turnierbuchs von René d'Anjou geschilderte Ablauf eines Turniers. Besondere Aufmerksamkeit wird dabei der Rolle der Frauen als handelnde Subjekte geschenkt. Zur Illustration des Turnierablaufs wurden Darstellungen aus Handschriften in einer Filmsequenz stark vergrößert.

Weitere Räume waren unter anderem den Anlässen und Ausrichtern des Turniers (von den Rittergesellschaften im 15. Jh. zu den herrschaftlichen Turnieren des 16. Jahrhunderts!), der Zulassung zum Turnier, der Beziehung zwischen Städten und Adel, Frauen am Turnier, Gesellen- und Bürgerstechen sowie der Festgesellschaft gewidmet. In allen Räumen beeindruckte die sorgsame Auswahl der Objekte: Wenigen qualitativ ausgesuchten und gut beschriebenen Objekten wurde der Vorzug gegeben vor einem "Zuviel an Eindrücken". Handschriften und frühe Drucke (u.a. Wappenbuch des Conrad Grünenberg, Turnierbuch des Caspar von Lamberg, Rüxners Turnierchronik, Spiezer Bilderchronik …) wurden sinnvoll mit Kunstobjekten (sogenannter Basler "Holbein-Tisch", Türkenmaske Ferdinands II. von Tirol, All Antica-Rundschild etc.), Objekten der Turniersachkultur (Waffen, Sättel, Schilde etc.) und Ausschnitten aus Chroniken und literarischen Texten kombiniert.

Besonders kleine Ausstellungstücke wie Münzen oder Ausschnitte aus Handschriften/Drucken können auf neben den Vitrinen angebrachten iPads vergrößert werden. Auch wenn die Benutzung etwas instinktiver hätte gestaltet werden können (Abbildungen werden erst etwas vergrößert dargestellt und können nur durch ein zweites Klicken auf die Größe des Bildschirms vergrößert werden), handelt es sich doch insgesamt um einen gelungenen Medieneinsatz.

Ein eigener Raum der Ausstellung ist Schaffhausen als Turnierstadt gewidmet. Neben dem Turnier von 1436 wird dabei auch auf weitere Turniere im 15. Jahrhundert eingegangen. Das von Georg Rüxner zum Jahr 1392 berichtete Turnier wird jedoch berechtigerweise in Zweifel gezogen und damit die museumseigene Dauerausstellung zur Schaffhauser Geschichte korrigiert. [3]

Zum Abschluss des Rundgangs durch 600 Jahre Turniergeschichte, werden die Besucherinnen und Besucher durch einen großen Raum geführt, in dem lebensgroße Rüstungen (Stechzeug Erzherzog Sigmunds von Tirol) ausgestellt, Turnierszenen aus Maximilians Freydal nachgebaut (inklusive eines "Stechsattel im Hohen Zeug" von Anfang des 15. Jahrhunderts) sowie Helme und Handschuhe zum Anprobieren bereitgestellt werden. So wird unter anderem nochmal der Unterschied zwischen Stech- und Rennzeug deutlich zu machen. Der Raum kann somit sinnbildlich für die gesamte Ausstellungskonzeption gelten, die das Turnierwesen auf vielfältige Weise "erfahrbar" machen will. Insofern ist die Schaffhauser Ausstellung eine sinnvolle Umsetzung der oft eingeforderten „Wenden“: material und performative turn. [4]

Insgesamt beeindruckt die Schaffhauser Ausstellung nicht nur durch die vielfältig aufgezeigten Perspektiven auf das Turnierwesen, sondern auch aufgrund der gelungenen Darstellung. Sucht man nach Verbesserungsvorschlägen, so ist vor allem die Kontextualisierung im Rahmen der Entwicklung des Adels in Hoch- und Spätmittelalter sowie Früher Neuzeit anzuführen. Insbesondere für interessierte Laien wäre es hilfreich gewesen, begleitend zur ausführlichen Entwicklung des Rüstungswesens zu Beginn der Ausstellung auch die Wandlungsprozesse des Adels und das Aufkommen eines Rittertums seit dem Hochmittelalter vorgestellt zu bekommen.[5] Schließlich sind diese für das Entstehen des ritterlichen Turniers zentral. Das Turnier ist eben kein Phänomen des Mittelalters an sich, sondern insbesondere eines des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit. In diesem Sinn wären auch Angaben in den Objektbeschreibungen zu präzisieren, die den generischen Singular „im Mittelalter“ aufweisen (so bsw. auch in der Beschreibung von Sporen des 17. Jahrhunderts), gerade weil diese „statischen“ Beschriftungen mit dem sonst so deutlich in der Ausstellung verankerten Konzept konkurrieren, das darauf abzielt, die Entwicklung und Veränderungen des Turnierwesens aufzuzeigen.

Von dieser Kritik unbeachtet, ist es der Schaffhauser Ausstellung auf beeindruckende Weise gelungen, ein facettenreiches Bild des Turnierwesens in Spätmittelalter und Früher Neuzeit zu entwerfen. Gerade im Vergleich zu sonstigen Großausstellungen der vergangenen Jahre sticht die sinnvoll in eine Gesamtkonzeption der Ausstellung eingebettete Auswahl der Ausstellungsobjekte hervor. Ebenso gut gelungen: Die Konzeption der Ausstellung ist ohne Audioguide erfahrbar, ohne die Besucherinnen und Besucher mit einem Übermaß an Texten zu erschlagen. Die Objekte sind fast durchweg sehr gut beschrieben und schlagen eine gelungene Brücke zwischen der Entwicklung der materiellen Turnierobjekte und der Schilderung des Turnierwesens in kultur- und sozialhistorischer Perspektive. Die Ausstellung wird durch einen Katalog abgerundet, der Essays zur Geschichte und Entwicklung des Turniers aufbietet, (leider nur) die wichtigsten Objekte der Ausstellung vorstellt, sowie zentrale Quellen zu Ablauf und Charakter des Turniers in deutscher Übersetzung versammelt.[6]

Für den Rest ihrer Laufzeit, bis zum 21. September 2014, ist der vom Direktor des Allerheiligenmuseums, Peter Jezler, kuratierten Schaffhauser Ausstellung großer Zuspruch zu wünschen: Sie ist für Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftler, interessierte Laien und Kinder gleichermaßen lehrreich.


[1] Vgl. meinen Beitrag: Ausstellung und Tagung zu Ritterturnieren in Schaffhausen, in: Mittelalter am Oberrhein, 17. März 2014: http://oberrhein.hypotheses.org/335#more-335

[2] Vgl. Karl Stehlin: Ein spanischer Bericht über ein Turnier in Schaffhausen im Jahr 1436, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 14 (1915), S. 145-176, wiederabgedruckt auch im Katalog der Ausstellung: Ritterturnier. Geschichte einer Festkultur, hg. von Peter Jezler, Peter Niederhäuser und Elke Jezler, Luzern 2014, S. 231-235.

[3] So auch Klaus Graf, Herold mit vielen Namen. Neues zu Georg Rüxner alias Rugen alias Jerusalem alias Brandenburg alias, in: Ritterwelten im Spätmittelalter. Höfisch-ritterliche Kultur der Reichen Herzöge von Bayern-Landshut (Schriften aus den Museen der Stadt Landshut 29), Landshut 2009, S. 115-125, Online bei Freidok: http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/7140

[4] Jay Winter, Introduction. The performane of the past. Memory, history, identity, in: Performing the past. Memory, History, and Identity in modern Europe, hg. von Karin Tilmans, Frank van Vree und Jay Winter, Amsterdam 2010, S. 11-31; Jan Keupp/ Romedio Schmitz-Esser, Einführung in die „Neue alte Sachlichkeit“: Ein Plädoyer für eine Realienkunde des Mittelalters in kulturhistorischer Perspektive, in: Blog: Mittelalter. Interdisziplinäre Forschung und Rezeptionsgeschichte: http://mittelalter.hypotheses.org/3904 13.06.2014

[5] Auch der von Peter Jezler verfasste Beitrag "Grundlagen" im Katalog schildert zwar sehr gelungen, die Entwicklung von Rüstungen, Turnierablauf und Turniercharakter, geht aber auf die allgemeinen sozialgeschichtlichen Wandlungsprozesse weniger ein: Vgl. Peter Jetzler, Grundlagen, in: Ritterturnier. Geschichte einer Festkultur, hg. von Peter Jezler, Peter Niederhäuser und Elke Jezler, Luzern 2014, S. 15-23.

[6] Ritterturnier. Geschichte einer Festkultur, hg. von Peter Jezler, Peter Niederhäuser und Elke Jezler, Luzern 2014.
 

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