Würzburger Ratsprotokolle 1432-1454. Bearbeitet von Antonia Bieber unter Mitwirkung von Anna Marika Fersch und Katharina Räth. Hrsg. von Franz Fuchs und Ulrich Wagner (Fontes Herbipolenses 9). Würzburg: Schöningh 2014. XXIV, 543 S., 13 farbige Abbildungen, 1 Stadtplan. 49 Euro.
Die Würzburger Ratsprotokolle sind gewiss keine anziehende und fesselnde Lektüre. Sie ermüden mit unendlich viel sprödem Stoff, der allenfalls für ausgewiesene Würzburg-Experten, deren Andacht zum Unbedeutenden ausgesprochen groß sein muss, Bedeutung hat. Selten wird der Leser belohnt durch derbe wörtliche Dialoge (z.B. S. 27), bei denen es meist um Verbalinjurien geht. Gern hat man Frauen im Zorn als Huren beschimpft (siehe Sachregister). Am 9. März 1434 (S. 155) kam es es einer Auseinandersetzung, als ein Mädchen seinen Barchent-Rock "beschissen hett". Der Vater empörte sich über die Beleidigung der Melberin mit den Worten: "Du verheite abgekneyte hu+er, warum heistu meyn kint ein banckart? Mein kint ist gleych als ein gut eekint [...]". Und am 3. Februar 1434 wurde protokolliert, dass Heinz Eber dem Hans Schwarz vorwarf: "Warumb heltstu ein knecht, der meyn frawen ein swebische huren heist?" (S. 135). Vermutlich war die Beziehung auf Schwaben als Verstärkung der Beschimpfung gemeint. Schon Felix Fabri am Ende des 15. Jahrhunderts bezeugt, dass Schwaben für seine Venusdienerinnen bekannt war, und bei Sebastian Franck heißt es dann: "Schwabenland gibt huren gnug" (Albrecht Keller: Die Schwaben in der Geschichte des Volkshumors, 1907, S. 67-70
https://archive.org/stream/dieschwabeninde00kellgoog#page/n91/mode/2up ).
Für die Germanistik von Interesse ist, dass nach dem Städtekrieg der Sohn eines Muskatblüt (wahrscheinlich der Dichter) am 24. Oktober 1453 Ansprüche stellte, weil seinem Vater Habe weggenommen worden sei (S. 368).
Eine "große Sache" war für die Würzburger der Streit mit Jakob Püterich von Reichertshausen, ebenfalls als Dichter bekannt (erstmals S. 238 mit Literaturangaben erwähnt, dann noch sehr häufig). Man berief sogar einmal eine Stadtviertelversammlung ein, um die Stimmung in der Bürgerschaft in dieser Angelegenheit zu erfahren (S. 369). Am 30. April 1451 wurde beschlossen: "Hans Walcz, burgermeyster, und Hiltmar sullen sich verein gein Bamberg zum kardenal zu reiten und von Buterichß sachen zu reden" (S. 297). Der Kardinal war niemand anderes als Nikolaus Cusanus.
Wie wenig die einfachen Leute mit den heftigen Konflikten zwischen Bischof, Domkapitel und Stadt anfangen konnten, zeigt eine Äußerung eines Hertlin Ohem 1433, für die er ins Gefängnis kam: "Ich wolt, daz eß stund als vor funff jaren, do dorfft ich in mein weingarten geen. Des darf ich iczundt nicht tu+en. Und das der bischoff noch herr were. Dem habe ich ein eydt geswo+eren, dein will ich ym halten; wem das leydt wer, das inn das wallend u+ebel [Epilepsie] angeen" (S. 88).
Kulturgeschichtlich ist die von Wilhelm Engel 1950 edierte sogenannte "Ratschronik" (eigentlich Chronik der Ungelter) ungleich reizvoller. In den Protokollen ist mir nichts aufgefallen, was man als chronikalischen Eintrag werten könnte. Der Städtekrieg, natürlich in der Ungelterchronik vertreten, kommt so gut wie nicht vor (rätselhaft die anderslautende Aussage in der Einleitung von Fuchs/Wagner S. XIV, aber ohne Belege). Der Berichtszeitraum der beiden Quellen überschneidet sich durchaus, wenngleich man wissen muss, dass 1432-1454 im Titel eigentlich 1432-1434, 1443-1454 zu lesen ist, also gut sieben Jahre fehlen. In Nr. 44 berichtet die Ungelter-Chronik von einem großen Mainhochwasser 1451 - keine Spur davon in den Ratsprotokollen!
2009 wurde das Projekt hier gemeldet:
http://archiv.twoday.net/stories/5533374/
Nicht nur aus freundschaftlicher Verbundenheit mit Hannes Obermair in Bozen halte ich dessen Vorgehen, die Bozener Ratsprotokolle ab 1470 ins Internet zu stellen
http://stadtarchiv-archiviostorico.gemeinde.bozen.it/
für zukunftsweisender. In Würzburg hat man sehr viel Geld in eine sehr aufwändige Edition mit 2765 Kommentar-Fußnoten investiert. Hätte man nicht mit dem Geld lieber die gesamte spätmittelalterliche Amtsbuchüberlieferung ins Netz stellen können? Als Nicht-Würzburger unterschätze ich vielleicht die Aussagekraft der Protokolle, aber in jedem Fall wäre eine Open-Access-Internet-Edition geboten gewesen. Ich darf an meine Stellungnahme von 2004 erinnern:
Open Access und Edition
http://archiv.twoday.net/stories/230198/
Soweit die wenigen Abbildungen ein Urteil erlauben, gibt es an der Transkription nichts zu bemängeln. Die buchstabengetreue Wiedergabe unter Normalisierung von u/v, i/j (S. XXI) ist angemessen. Dass bei Schlusskürzungen auf Verdreifachungen und Enddoppelungen verzichtet wurde, ist vertretbar.
Unangenehm fällt auf, dass man über die verschiedenen Hände (es sollen die der Stadtschreiber und ihrer Vertreter sein, S. X) nichts erfährt. Ich frage mich, wieso man mitten in Protokoll 4 mit Bl. 39v im August 1454 einen Schnitt gemacht hat.
Aus meiner Sicht sollte man bei Editionen so knapp wie möglich und so ausführlich wie nötig kommentieren. Das streberhafte "Ich weiß was" hat mir Lektüre des von der Bearbeiterin Bieber verantworteten Kommentars ziemlich verleidet. Häufig werden überflüssige Informationen bereitgestellt. So ist es etwa in Anm. 144 völlig belanglos für den Kontext, ob die Herkunft der Grafen von Giech eindeutig geklärt ist oder nicht. Bei Erwähnung eines Steinmetzen muss man nicht in der Fußnote (234) den Unterschied zu den Steinbrechern erläutern. Die ganzen bienenfleißigen Ermittlungen zur Würzburger Stadtgeschichte, die in die Fußnoten gestopft wurden, sind doch für die Katz, wenn man in Ermangelung einer Volltextsuche nicht zielgenau darauf zugreifen kann.
Wieso muss man S. 321 bei Erwähnung des Klosters Komburg drei Aufsätze von Jooß anführen, wenn es ein knapper Verweis auf das Württembergische Klosterbuch (auch online) auch getan hätte?
Die Register sind zwar eine große Hilfe, aber ich bezweifle, dass man bequem alle zusammengehörigen Gegenstände, die im Rat verhandelt wurden, auffindet. Es gibt nämlich nur Rückverweise. Stößt man etwa irgendwo auf die Causa Pütrich, findet man nur die erste Erwähnung (aber auf S. 329 gibt es keinen Rückverweis) und muss für die anderen das Register bemühen.
Sonderlich konsequent wurde bei den Kommentaren nicht verfahren. Manchmal hat man den Eindruck, ein Name (z.B. Gemunden) wird nur bei der ersten Erwähnung erklärt; dann stellt man aber fest, dass er durchaus erneut erklärt wird (ähnlich bei Ochsenfurt S. 187f.). Das fallende Übel ist zweimal eindeutig die Epilepsie, S. 88 aber nur "vermutlich".
Zur Aufblähung des Kommentars trägt bei, dass bei jeder Erwähnung der Viertelbezeichnungen diese mit Rückverweis auf die erste Erwähnung erklärt werden.
Völlig überfordert war die Bearbeiterin bei Namen von Adelsfamilien, die nicht im Würzburger Umland ansässig waren. Man mag es hinnehmen, dass S. 279 bei einem eindeutigen Beleg von Buchbrunn (16 km von Würzburg entfernt, es geht um die Flüchtung von Wein in die Stadt) an erster Stelle eine Burg bei Schwäbisch Hall erwogen wird und dass S. 43 angesichts des Kontextes die Erwägung, statt Dettelbach könnte auch der Dettelbacher Hof in Würzburg gemeint sein, eher abwegig ist. Aber vor allem bei der Liste der Stadtfeinde S. 91-102 offenbart sich ein so erschreckendes Unwissen, dass ich geneigt bin, der jungen Bearbeiterin einen Internet-Recherchekurs nahezulegen. Damit kein Name (wenn er in ihrer adelsgeschichtlichen Hauptquelle Rahrbach 2003 fehlt) unerklärt bleibt, ist sie auf abenteuerliche Identifizierungen verfallen.
Den Vogel schießt wohl Anm. 584 ab: "Rosenbach, LK Görlitz, Sachsen". Die fränkische Adelsfamilie, die wie vermerkt hohe Positionen im Hochstift bekleidete, stammt aus der Breuberger Burgmannschaft und besitzt einen eigenen Wikipedia-Artikel.
"Friderich von Wirczpurg zu Rotenkirchen" (S. 97) wird "eventuell" nach Rotenkirchen bei Einbeck gesteckt. Auch hier findet man schnell den Wikipedia-Artikel zur bekannten fränkischen Adelsfamilie Würtzburg, ansässig zu Rothenkirchen.
Nicht weniger absurd: "Fricz von Weyller" (S. 94) wird in Weiler bei Bingen lokalisiert. Die bekannte württembergische Familie von Weiler ist ebenfalls in der Wikipedia leicht ermittelbar. Google spuckt sofort bei der Suche nach Fritz von Weiler aus, dass in den Findmitteln des Landesarchivs Baden-Württemberg ein Fritz von Weyler ein Haus zu Königshofen 1472 erwarb.
Hans von "Aw+erbach" ist der bekannte Städtefeind und gehört ins Remstal (Urbach) und nicht in die Oberpfalz (S. 98); auch Anselm von Yberg, der statt nach Yberg bei Baden-Baden (so irrig S. 93) sich nach der Yburg bei Kernen im Remstal nannte, war ein "unverdrossener" Städtefeind (Blezinger, Städtebund S. 149).
"Steffan von Alaczheim" ist Stefan von Adelsheim, nicht Allersheim (S. 96).
Bei "Dittrich von Morlaw+e, Beheim genannt" (S. 99) kommt man mit Google Books und der Suche nach Dietrich von Morlau rasch weiter und findet die Adelsfamilie Mörlau genannt Böhm.
Schwieriger zu finden sind die Trahe. Die Bearbeiterin denkt bei der ersten Erwähnung S. 92 an Trach bei Miesbach ("wohl kaum") und dann an ein schlesisches Adelsgeschlecht. Den Weyhant von Trahe finde ich in der Tat nicht im Netz, aber bei der zweiten Erwähnung S. 99 steht Einrich von Trahe eindeutig in einem Wetterauer Kontext. Die Bearbeiterin liefert sogar den erfolgversprechenden Vornamen Emmerich bei dem darüber stehenden Einrich von Reifenberg, und Google stellt dann einen Emmerich von Trahe zu Buchsecken bereit. "Gerlach von Heiderßdorff" steht in der gleichen Liste, gehört also sicher nicht ins Erzgebirge. Es ist doch keine extreme Findigkeit, auf die Idee zu kommen, dass das i hier auch ein Dehnungs-i sein könnte. Google ist weiter unser Freund, denn es korrigiert bei der Suche nach Gerlach von Heddersdorf in Heddesdorf und weist einen passenden Adeligen nach.
Wie ein Blick in die Wikipedia zeigt, sollte man zu den Fürspängern (S. 375) inzwischen die maßgebliche Arbeit von Ranft zitieren.
Am allerpeinlichsten aber ist der Satz in Anm. 1035: "Für Würzburg zuständig war das Freistuhlgericht Rottweil" (S. 161). Auf S. 73 zeigt die Anm. 461, dass die Bearbeiterin den Wortlaut des Textes völlig missverstanden hat. Man wollte abwarten, "biß der tag verginge, den die ritterschaft zu Heyttingsfelt" anberaumt hatte. Es gab also ein Treffen der fränkischen Ritterschaft in Heidingsfeld. Heidingsfeld ist also weder ein Familienname noch der "Sitz einer Ritterschaft".
Nicht selten ist der Text trotz gründlicher Worterklärungen schwer verständlich, oder es fehlen Quellen, um die Ereignisse, auf die angespielt wird, aufhellen zu können. So rätselte ich, was es mit der (nicht weiter erläuterten) Frau von Prichsenstadt (S. 200, 211f.) auf sich hat. Zunächst dachte ich an eine Äbtissin oder Markgräfin, aber die Erwähnung eines Urteils lässt eher in eine andere Richtung denken. Es wird doch wohl kein Hexenprozess gewesen sein?
Im Anhang gibt es detaillierte Ämterlisten, aber bei den Stadtschreibern werden die Angaben aus dem Kommentar nicht mit den Nachweisen im Anhang verknüpft.
Die Register sind hoffentlich vollständig, ich habe nur wenige Stichproben gemacht. Die oben erwähnte schwäbische Hure hätte unter Schwaben gehört. Zu Hure hätte im Sachregister auch S. 155 genannt werden müssen.
Leider sind nicht alle Worterklärungen ins Sachregister aufgenommen worden. S. 133 erscheint hofieren, wird aber erst S. 146 erklärt. Unübersichtlich finde ich, dass man die Würzburger Topographica ins Ortsregister eingemischt hat.
Wie soll man die Mängel gewichten? Sie sind ärgerlich, aber kein Grund, die Edition als Ganzes für misslungen zu erklären (sieht man ab vom völlig falschen Ansatz, sie als Druckwerk zu erstellen). Man darf hoffen, dass Texterstellung und Würzburger Lokalrecherchen im wesentlichen korrekt sind. Geschichtsinteressierte können das Buch über die Register vielleicht als Nachschlagewerk nutzen; anders als die Fries-Chronik ist aus meiner Sicht der Text an sich für die breite Öffentlichkeit reizlos.
Die Würzburger Ratsprotokolle sind gewiss keine anziehende und fesselnde Lektüre. Sie ermüden mit unendlich viel sprödem Stoff, der allenfalls für ausgewiesene Würzburg-Experten, deren Andacht zum Unbedeutenden ausgesprochen groß sein muss, Bedeutung hat. Selten wird der Leser belohnt durch derbe wörtliche Dialoge (z.B. S. 27), bei denen es meist um Verbalinjurien geht. Gern hat man Frauen im Zorn als Huren beschimpft (siehe Sachregister). Am 9. März 1434 (S. 155) kam es es einer Auseinandersetzung, als ein Mädchen seinen Barchent-Rock "beschissen hett". Der Vater empörte sich über die Beleidigung der Melberin mit den Worten: "Du verheite abgekneyte hu+er, warum heistu meyn kint ein banckart? Mein kint ist gleych als ein gut eekint [...]". Und am 3. Februar 1434 wurde protokolliert, dass Heinz Eber dem Hans Schwarz vorwarf: "Warumb heltstu ein knecht, der meyn frawen ein swebische huren heist?" (S. 135). Vermutlich war die Beziehung auf Schwaben als Verstärkung der Beschimpfung gemeint. Schon Felix Fabri am Ende des 15. Jahrhunderts bezeugt, dass Schwaben für seine Venusdienerinnen bekannt war, und bei Sebastian Franck heißt es dann: "Schwabenland gibt huren gnug" (Albrecht Keller: Die Schwaben in der Geschichte des Volkshumors, 1907, S. 67-70
https://archive.org/stream/dieschwabeninde00kellgoog#page/n91/mode/2up ).
Für die Germanistik von Interesse ist, dass nach dem Städtekrieg der Sohn eines Muskatblüt (wahrscheinlich der Dichter) am 24. Oktober 1453 Ansprüche stellte, weil seinem Vater Habe weggenommen worden sei (S. 368).
Eine "große Sache" war für die Würzburger der Streit mit Jakob Püterich von Reichertshausen, ebenfalls als Dichter bekannt (erstmals S. 238 mit Literaturangaben erwähnt, dann noch sehr häufig). Man berief sogar einmal eine Stadtviertelversammlung ein, um die Stimmung in der Bürgerschaft in dieser Angelegenheit zu erfahren (S. 369). Am 30. April 1451 wurde beschlossen: "Hans Walcz, burgermeyster, und Hiltmar sullen sich verein gein Bamberg zum kardenal zu reiten und von Buterichß sachen zu reden" (S. 297). Der Kardinal war niemand anderes als Nikolaus Cusanus.
Wie wenig die einfachen Leute mit den heftigen Konflikten zwischen Bischof, Domkapitel und Stadt anfangen konnten, zeigt eine Äußerung eines Hertlin Ohem 1433, für die er ins Gefängnis kam: "Ich wolt, daz eß stund als vor funff jaren, do dorfft ich in mein weingarten geen. Des darf ich iczundt nicht tu+en. Und das der bischoff noch herr were. Dem habe ich ein eydt geswo+eren, dein will ich ym halten; wem das leydt wer, das inn das wallend u+ebel [Epilepsie] angeen" (S. 88).
Kulturgeschichtlich ist die von Wilhelm Engel 1950 edierte sogenannte "Ratschronik" (eigentlich Chronik der Ungelter) ungleich reizvoller. In den Protokollen ist mir nichts aufgefallen, was man als chronikalischen Eintrag werten könnte. Der Städtekrieg, natürlich in der Ungelterchronik vertreten, kommt so gut wie nicht vor (rätselhaft die anderslautende Aussage in der Einleitung von Fuchs/Wagner S. XIV, aber ohne Belege). Der Berichtszeitraum der beiden Quellen überschneidet sich durchaus, wenngleich man wissen muss, dass 1432-1454 im Titel eigentlich 1432-1434, 1443-1454 zu lesen ist, also gut sieben Jahre fehlen. In Nr. 44 berichtet die Ungelter-Chronik von einem großen Mainhochwasser 1451 - keine Spur davon in den Ratsprotokollen!
2009 wurde das Projekt hier gemeldet:
http://archiv.twoday.net/stories/5533374/
Nicht nur aus freundschaftlicher Verbundenheit mit Hannes Obermair in Bozen halte ich dessen Vorgehen, die Bozener Ratsprotokolle ab 1470 ins Internet zu stellen
http://stadtarchiv-archiviostorico.gemeinde.bozen.it/
für zukunftsweisender. In Würzburg hat man sehr viel Geld in eine sehr aufwändige Edition mit 2765 Kommentar-Fußnoten investiert. Hätte man nicht mit dem Geld lieber die gesamte spätmittelalterliche Amtsbuchüberlieferung ins Netz stellen können? Als Nicht-Würzburger unterschätze ich vielleicht die Aussagekraft der Protokolle, aber in jedem Fall wäre eine Open-Access-Internet-Edition geboten gewesen. Ich darf an meine Stellungnahme von 2004 erinnern:
Open Access und Edition
http://archiv.twoday.net/stories/230198/
Soweit die wenigen Abbildungen ein Urteil erlauben, gibt es an der Transkription nichts zu bemängeln. Die buchstabengetreue Wiedergabe unter Normalisierung von u/v, i/j (S. XXI) ist angemessen. Dass bei Schlusskürzungen auf Verdreifachungen und Enddoppelungen verzichtet wurde, ist vertretbar.
Unangenehm fällt auf, dass man über die verschiedenen Hände (es sollen die der Stadtschreiber und ihrer Vertreter sein, S. X) nichts erfährt. Ich frage mich, wieso man mitten in Protokoll 4 mit Bl. 39v im August 1454 einen Schnitt gemacht hat.
Aus meiner Sicht sollte man bei Editionen so knapp wie möglich und so ausführlich wie nötig kommentieren. Das streberhafte "Ich weiß was" hat mir Lektüre des von der Bearbeiterin Bieber verantworteten Kommentars ziemlich verleidet. Häufig werden überflüssige Informationen bereitgestellt. So ist es etwa in Anm. 144 völlig belanglos für den Kontext, ob die Herkunft der Grafen von Giech eindeutig geklärt ist oder nicht. Bei Erwähnung eines Steinmetzen muss man nicht in der Fußnote (234) den Unterschied zu den Steinbrechern erläutern. Die ganzen bienenfleißigen Ermittlungen zur Würzburger Stadtgeschichte, die in die Fußnoten gestopft wurden, sind doch für die Katz, wenn man in Ermangelung einer Volltextsuche nicht zielgenau darauf zugreifen kann.
Wieso muss man S. 321 bei Erwähnung des Klosters Komburg drei Aufsätze von Jooß anführen, wenn es ein knapper Verweis auf das Württembergische Klosterbuch (auch online) auch getan hätte?
Die Register sind zwar eine große Hilfe, aber ich bezweifle, dass man bequem alle zusammengehörigen Gegenstände, die im Rat verhandelt wurden, auffindet. Es gibt nämlich nur Rückverweise. Stößt man etwa irgendwo auf die Causa Pütrich, findet man nur die erste Erwähnung (aber auf S. 329 gibt es keinen Rückverweis) und muss für die anderen das Register bemühen.
Sonderlich konsequent wurde bei den Kommentaren nicht verfahren. Manchmal hat man den Eindruck, ein Name (z.B. Gemunden) wird nur bei der ersten Erwähnung erklärt; dann stellt man aber fest, dass er durchaus erneut erklärt wird (ähnlich bei Ochsenfurt S. 187f.). Das fallende Übel ist zweimal eindeutig die Epilepsie, S. 88 aber nur "vermutlich".
Zur Aufblähung des Kommentars trägt bei, dass bei jeder Erwähnung der Viertelbezeichnungen diese mit Rückverweis auf die erste Erwähnung erklärt werden.
Völlig überfordert war die Bearbeiterin bei Namen von Adelsfamilien, die nicht im Würzburger Umland ansässig waren. Man mag es hinnehmen, dass S. 279 bei einem eindeutigen Beleg von Buchbrunn (16 km von Würzburg entfernt, es geht um die Flüchtung von Wein in die Stadt) an erster Stelle eine Burg bei Schwäbisch Hall erwogen wird und dass S. 43 angesichts des Kontextes die Erwägung, statt Dettelbach könnte auch der Dettelbacher Hof in Würzburg gemeint sein, eher abwegig ist. Aber vor allem bei der Liste der Stadtfeinde S. 91-102 offenbart sich ein so erschreckendes Unwissen, dass ich geneigt bin, der jungen Bearbeiterin einen Internet-Recherchekurs nahezulegen. Damit kein Name (wenn er in ihrer adelsgeschichtlichen Hauptquelle Rahrbach 2003 fehlt) unerklärt bleibt, ist sie auf abenteuerliche Identifizierungen verfallen.
Den Vogel schießt wohl Anm. 584 ab: "Rosenbach, LK Görlitz, Sachsen". Die fränkische Adelsfamilie, die wie vermerkt hohe Positionen im Hochstift bekleidete, stammt aus der Breuberger Burgmannschaft und besitzt einen eigenen Wikipedia-Artikel.
"Friderich von Wirczpurg zu Rotenkirchen" (S. 97) wird "eventuell" nach Rotenkirchen bei Einbeck gesteckt. Auch hier findet man schnell den Wikipedia-Artikel zur bekannten fränkischen Adelsfamilie Würtzburg, ansässig zu Rothenkirchen.
Nicht weniger absurd: "Fricz von Weyller" (S. 94) wird in Weiler bei Bingen lokalisiert. Die bekannte württembergische Familie von Weiler ist ebenfalls in der Wikipedia leicht ermittelbar. Google spuckt sofort bei der Suche nach Fritz von Weiler aus, dass in den Findmitteln des Landesarchivs Baden-Württemberg ein Fritz von Weyler ein Haus zu Königshofen 1472 erwarb.
Hans von "Aw+erbach" ist der bekannte Städtefeind und gehört ins Remstal (Urbach) und nicht in die Oberpfalz (S. 98); auch Anselm von Yberg, der statt nach Yberg bei Baden-Baden (so irrig S. 93) sich nach der Yburg bei Kernen im Remstal nannte, war ein "unverdrossener" Städtefeind (Blezinger, Städtebund S. 149).
"Steffan von Alaczheim" ist Stefan von Adelsheim, nicht Allersheim (S. 96).
Bei "Dittrich von Morlaw+e, Beheim genannt" (S. 99) kommt man mit Google Books und der Suche nach Dietrich von Morlau rasch weiter und findet die Adelsfamilie Mörlau genannt Böhm.
Schwieriger zu finden sind die Trahe. Die Bearbeiterin denkt bei der ersten Erwähnung S. 92 an Trach bei Miesbach ("wohl kaum") und dann an ein schlesisches Adelsgeschlecht. Den Weyhant von Trahe finde ich in der Tat nicht im Netz, aber bei der zweiten Erwähnung S. 99 steht Einrich von Trahe eindeutig in einem Wetterauer Kontext. Die Bearbeiterin liefert sogar den erfolgversprechenden Vornamen Emmerich bei dem darüber stehenden Einrich von Reifenberg, und Google stellt dann einen Emmerich von Trahe zu Buchsecken bereit. "Gerlach von Heiderßdorff" steht in der gleichen Liste, gehört also sicher nicht ins Erzgebirge. Es ist doch keine extreme Findigkeit, auf die Idee zu kommen, dass das i hier auch ein Dehnungs-i sein könnte. Google ist weiter unser Freund, denn es korrigiert bei der Suche nach Gerlach von Heddersdorf in Heddesdorf und weist einen passenden Adeligen nach.
Wie ein Blick in die Wikipedia zeigt, sollte man zu den Fürspängern (S. 375) inzwischen die maßgebliche Arbeit von Ranft zitieren.
Am allerpeinlichsten aber ist der Satz in Anm. 1035: "Für Würzburg zuständig war das Freistuhlgericht Rottweil" (S. 161). Auf S. 73 zeigt die Anm. 461, dass die Bearbeiterin den Wortlaut des Textes völlig missverstanden hat. Man wollte abwarten, "biß der tag verginge, den die ritterschaft zu Heyttingsfelt" anberaumt hatte. Es gab also ein Treffen der fränkischen Ritterschaft in Heidingsfeld. Heidingsfeld ist also weder ein Familienname noch der "Sitz einer Ritterschaft".
Nicht selten ist der Text trotz gründlicher Worterklärungen schwer verständlich, oder es fehlen Quellen, um die Ereignisse, auf die angespielt wird, aufhellen zu können. So rätselte ich, was es mit der (nicht weiter erläuterten) Frau von Prichsenstadt (S. 200, 211f.) auf sich hat. Zunächst dachte ich an eine Äbtissin oder Markgräfin, aber die Erwähnung eines Urteils lässt eher in eine andere Richtung denken. Es wird doch wohl kein Hexenprozess gewesen sein?
Im Anhang gibt es detaillierte Ämterlisten, aber bei den Stadtschreibern werden die Angaben aus dem Kommentar nicht mit den Nachweisen im Anhang verknüpft.
Die Register sind hoffentlich vollständig, ich habe nur wenige Stichproben gemacht. Die oben erwähnte schwäbische Hure hätte unter Schwaben gehört. Zu Hure hätte im Sachregister auch S. 155 genannt werden müssen.
Leider sind nicht alle Worterklärungen ins Sachregister aufgenommen worden. S. 133 erscheint hofieren, wird aber erst S. 146 erklärt. Unübersichtlich finde ich, dass man die Würzburger Topographica ins Ortsregister eingemischt hat.
Wie soll man die Mängel gewichten? Sie sind ärgerlich, aber kein Grund, die Edition als Ganzes für misslungen zu erklären (sieht man ab vom völlig falschen Ansatz, sie als Druckwerk zu erstellen). Man darf hoffen, dass Texterstellung und Würzburger Lokalrecherchen im wesentlichen korrekt sind. Geschichtsinteressierte können das Buch über die Register vielleicht als Nachschlagewerk nutzen; anders als die Fries-Chronik ist aus meiner Sicht der Text an sich für die breite Öffentlichkeit reizlos.
KlausGraf - am Samstag, 11. Oktober 2014, 04:48 - Rubrik: Kommunalarchive
Jan Keupp (Gast) meinte am 2014/10/11 12:39:
Ich persönlich kann den protokollartigen Einträgen in Ratsbüchern einiges abgewinnen, auch wenn natürlich die mancherorts überlieferten ausführlichen Widergaben wörtlicher Rede erst die rechte Würze beitragen. Durchaus erfreut bin ich über das Editionsvorhaben: Wer im Seminarbetrieb versucht hat, Ratsprotokolle im Scan zu lesen, weiß um den Wert der Transkription gerade für Einsteiger und Nachwuchswissenschaftler. Dies rechtfertigt dann auch die ausführlichen Kommentare, die natürlich stimmen sollten (und im vorliegenden Fall grosso modo auch stimmen). Wir haben im Moment eine immer größer werdende Diskrepanz zwischen dem Zuwachs digitalisierter Archivalien und dem Schwund an paläographischer Lesefähigkeit. Die Bozener Ratsbücher sind zwar klar und gleichmäßig geschrieben, dürften aber für die Mehrzahl von Interessenten dennoch eine unüberwindliche Hürde bereitstellen.Dass google der beste Freund bei der Verwendung von Quellen(editionen) ist, kann ich nur ausdrücklich unterstreichen. Selbst zu Wigand von Trahe (auch: von Buchis) konnte ich Treffer generieren (http://books.google.de/books?id=k-9EAAAAcAAJ&pg=RA1-PA45&dq#v; http://books.google.de/books?id=zRUKAAAAMAAJ&q=%22+von+Trahe%22&dq). Es sei jedem Interessierten empfohlen, Identifizierungen im Zweifel nochmals selbst zu überprüfen – zumal die Datenmenge im Netz ständig wächst. Dies ist auch deshalb empfehlenswert, weil man auf diese Weise womöglich auf hilfreiche Seiten wie archivalia stößt.