Online-Nachrufe:
http://www.mittelalter1.uni-freiburg.de/nachrichten/trauer-um-dieter-mertens
http://www.badische-zeitung.de/kultur-sonstige/historiker-sine-ira-et-studio--92580636.html
Nachtrag: Birgit Studt hat mir freundlicherweise die ausführliche Fassung ihres in der FAZ publizierten Nachrufs zur Verfügung gestellt:
Die Kolleginnen und Kollegen des Freiburger Mittelalterzentrums trauern um ihren lieben Kollegen
Professor em. Dr. Dieter Mertens
Am 4. Oktober ist in Freiburg der Mediävist Prof. Dr. Dieter Mertens im Alter von nur 74 Jahren verstorben.
Er studierte in Münster und Freiburg Geschichte, Germanistik und Philosophie. Seine Freiburger Dissertation über die Rezeption der Werke des Erfurter Kartäusers Jakob von Paradies im Umfeld der religiösen Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts wurde durch den Humanismusforscher Otto Herding betreut. Die Zusammenarbeit mit diesem, insbesondere die gemeinsame Herausgabe des umfangreichen Briefwechsels des Humanisten Jakob Wimpfeling, sollte ganz wesentlich Mertens' Zugang zu seinen zukünftigen Forschungsfeldern prägen. Deshalb erinnerte Mertens auch gern an die methodische Integrationsleistung, die Herding durch die Rückbindung der individuellen literarischen Produktion der Humanisten an ihre politisch-gesellschaftliche Umwelt als „Gesamthabitus“ angestrebt habe. Dieser erweiterte Zugang zeichnet auch Mertens' Habilitationsschrift über das Reich und Elsaß zur Zeit Maximilians I. aus, in der die literarische Produktion und Publizistik der Humanisten nicht als Zeugnisse einer Bildungsbewegung erfasste, sondern im Kontext der zeitgenössischen Politik verortete. Hier waren bereits die Themen im Kern angelegt, die er in seinen späteren Schriften immer weiter entfaltete: Vormoderner Nationalismus, Landes- und Reichsbewußtsein, Universitätsgeschichte, Hof und Haus Württemberg. Stets konfrontierte er die Überlieferung literarischer Zeugnisse mit dem herrschaftlichen Schriftgut und erreichte auf diese Weise eine fruchtbare Verbindung von Humanismusforschung und Landesgeschichte.
Diesem großen Themenspektrum ging er an seinen weiteren akademischen Wirkungsstätten im Südwesten nach, in Tübingen, wo er 1984 auf den Lehrstuhl für mittlere und neuere Geschichte mit dem Schwerpunkt Landesgeschichte und Historische Hilfswissenschaften berufen worden war, und schließlich wieder in Freiburg, wo er seit 1991 mittelalterliche Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität lehrte.
Bald nach seiner Emeritierung im Jahre 2005 widmete er sich der rechtlich umstrittenen und politisch heiklen Frage der badischen Kulturgüter. Aufgrund eines Archivfundes, den Mertens am 2. November 2006 in dieser FAZ veröffentlichte, gelang es ihm nachzuweisen, dass die sog. „Markgrafentafel“ von Hans Baldung Grien bereits 1930 in Staatsbesitz übergegangen war. Damit erregte er großes Aufsehen, plante doch das Land den Ankauf dieser millionenschweren Votivtafel.
Ungeachtet dieses Scoops waren Mertens wissenschaftliche Aufgeregtheiten oder gar Eitelkeiten fremd. Vielmehr prägten freundliche Gelassenheit seine Haltung, stilistische Eleganz seine Schriften und subtile Ironie seine Rede. Ungeachtet seiner sympathisierenden Überlegungen zum Freiraum der humanistischen Intellektuellen zwischen Gelehrsamkeit und Politik hat er nicht den Habitus des Gelehrten im Gehäuse gepflegt, sondern stets den lebendigen Austausch mit seinen Kolleginnen und Kollegen gepflegt, mit älteren und jüngeren, in seinem Schülerkreis und auch im großen interdisziplinären Zusammenhang. Von seiner Wertschätzung und andauernden wissenschaftliche Ausstrahlung zeugen zahlreiche Ehrungen und Preise. Aus Anlaß seines 70. Geburtstages widmeten ihm Freunde, Kollegen und Schüler ein Kolloquium und eine Publikation zu dem Thema „Humanisten edieren“. Die doppeldeutige Formulierung des Titels fängt das Grundanliegen von Mertens´ Forschungen ein: Erst die Beschäftigung mit der editorischen Tätigkeit als gelehrter Praxis der Humanisten und die methodengeleitete Erschließung von Humanistica ermöglichen den Zugang zur historischen Gelehrtenkultur und bilden damit die aktuellen Grundlagen für jede wissenschaftliche Auseinandersetzung.
Für die allermeisten kam der Tod von Dieter Mertens unerwartet, sie hatten gehofft, daß er seine Forschungen fortsetzen und zu einem Abschluß bringen könnte. Mit ihm verlieren die Mediävistik und Renaissanceforschung einen hochangesehenen Gelehrten. Und wer ihn kennenlernen durfte, trauert um einen großherzigen Menschen, einen geistreichen Gesprächspartner und intellektuell anregenden Redner.
Birgit Studt
http://www.mittelalter1.uni-freiburg.de/nachrichten/trauer-um-dieter-mertens
http://www.badische-zeitung.de/kultur-sonstige/historiker-sine-ira-et-studio--92580636.html
Nachtrag: Birgit Studt hat mir freundlicherweise die ausführliche Fassung ihres in der FAZ publizierten Nachrufs zur Verfügung gestellt:
Die Kolleginnen und Kollegen des Freiburger Mittelalterzentrums trauern um ihren lieben Kollegen
Professor em. Dr. Dieter Mertens
Am 4. Oktober ist in Freiburg der Mediävist Prof. Dr. Dieter Mertens im Alter von nur 74 Jahren verstorben.
Er studierte in Münster und Freiburg Geschichte, Germanistik und Philosophie. Seine Freiburger Dissertation über die Rezeption der Werke des Erfurter Kartäusers Jakob von Paradies im Umfeld der religiösen Reformbewegungen des 15. Jahrhunderts wurde durch den Humanismusforscher Otto Herding betreut. Die Zusammenarbeit mit diesem, insbesondere die gemeinsame Herausgabe des umfangreichen Briefwechsels des Humanisten Jakob Wimpfeling, sollte ganz wesentlich Mertens' Zugang zu seinen zukünftigen Forschungsfeldern prägen. Deshalb erinnerte Mertens auch gern an die methodische Integrationsleistung, die Herding durch die Rückbindung der individuellen literarischen Produktion der Humanisten an ihre politisch-gesellschaftliche Umwelt als „Gesamthabitus“ angestrebt habe. Dieser erweiterte Zugang zeichnet auch Mertens' Habilitationsschrift über das Reich und Elsaß zur Zeit Maximilians I. aus, in der die literarische Produktion und Publizistik der Humanisten nicht als Zeugnisse einer Bildungsbewegung erfasste, sondern im Kontext der zeitgenössischen Politik verortete. Hier waren bereits die Themen im Kern angelegt, die er in seinen späteren Schriften immer weiter entfaltete: Vormoderner Nationalismus, Landes- und Reichsbewußtsein, Universitätsgeschichte, Hof und Haus Württemberg. Stets konfrontierte er die Überlieferung literarischer Zeugnisse mit dem herrschaftlichen Schriftgut und erreichte auf diese Weise eine fruchtbare Verbindung von Humanismusforschung und Landesgeschichte.
Diesem großen Themenspektrum ging er an seinen weiteren akademischen Wirkungsstätten im Südwesten nach, in Tübingen, wo er 1984 auf den Lehrstuhl für mittlere und neuere Geschichte mit dem Schwerpunkt Landesgeschichte und Historische Hilfswissenschaften berufen worden war, und schließlich wieder in Freiburg, wo er seit 1991 mittelalterliche Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität lehrte.
Bald nach seiner Emeritierung im Jahre 2005 widmete er sich der rechtlich umstrittenen und politisch heiklen Frage der badischen Kulturgüter. Aufgrund eines Archivfundes, den Mertens am 2. November 2006 in dieser FAZ veröffentlichte, gelang es ihm nachzuweisen, dass die sog. „Markgrafentafel“ von Hans Baldung Grien bereits 1930 in Staatsbesitz übergegangen war. Damit erregte er großes Aufsehen, plante doch das Land den Ankauf dieser millionenschweren Votivtafel.
Ungeachtet dieses Scoops waren Mertens wissenschaftliche Aufgeregtheiten oder gar Eitelkeiten fremd. Vielmehr prägten freundliche Gelassenheit seine Haltung, stilistische Eleganz seine Schriften und subtile Ironie seine Rede. Ungeachtet seiner sympathisierenden Überlegungen zum Freiraum der humanistischen Intellektuellen zwischen Gelehrsamkeit und Politik hat er nicht den Habitus des Gelehrten im Gehäuse gepflegt, sondern stets den lebendigen Austausch mit seinen Kolleginnen und Kollegen gepflegt, mit älteren und jüngeren, in seinem Schülerkreis und auch im großen interdisziplinären Zusammenhang. Von seiner Wertschätzung und andauernden wissenschaftliche Ausstrahlung zeugen zahlreiche Ehrungen und Preise. Aus Anlaß seines 70. Geburtstages widmeten ihm Freunde, Kollegen und Schüler ein Kolloquium und eine Publikation zu dem Thema „Humanisten edieren“. Die doppeldeutige Formulierung des Titels fängt das Grundanliegen von Mertens´ Forschungen ein: Erst die Beschäftigung mit der editorischen Tätigkeit als gelehrter Praxis der Humanisten und die methodengeleitete Erschließung von Humanistica ermöglichen den Zugang zur historischen Gelehrtenkultur und bilden damit die aktuellen Grundlagen für jede wissenschaftliche Auseinandersetzung.
Für die allermeisten kam der Tod von Dieter Mertens unerwartet, sie hatten gehofft, daß er seine Forschungen fortsetzen und zu einem Abschluß bringen könnte. Mit ihm verlieren die Mediävistik und Renaissanceforschung einen hochangesehenen Gelehrten. Und wer ihn kennenlernen durfte, trauert um einen großherzigen Menschen, einen geistreichen Gesprächspartner und intellektuell anregenden Redner.
Birgit Studt
KlausGraf - am Montag, 13. Oktober 2014, 19:13 - Rubrik: Personalia