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Klaus Graf: Schwaben und Schweizer - regionale Identitäten im Konflikt

Vortrag auf der gemeinsam mit Dieter Mertens veranstalteten Tagung Schwabenkrieg/Schweizerkrieg in Freiburg im Breisgau am 12. Mai 2000

http://www.hsozkult.de/hfn/event/id/termine-514
https://www.historicum.net/themen/schwabenkrieg/

Eine kompendiöse Geschichte des Universitätsschlafes - vor allem Nachmittagstermine sind, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, hochgefährdet - dürfte nicht auf jene Episode im Mai 1501 verzichten, als Magister Gregor Bünzli von Glarus im Kolleg über Zivilrecht an der Universität Basel sanft entschlummerte. Eine günstige Gelegenheit für seinen Freund Hieronymus Emser aus Weidenstetten bei Ulm, ihm ein Spottgedicht gegen die Eidgenossen ins Kollegheft zu schreiben. Hatte ihn doch der Innerschweizer mit einem Hexameter geneckt, der die Schwaben als Feiglinge, Ausreißer, Dummköpfe und Faulpelze verspottete (Suevi timidi, fugitivi, ignari et inertes). Die ersten beiden beleidigenden Bezeichungen - Suevi timidi, fugitivi - spielten offenbar auf das unrühmliche Abschneiden der Schwaben im Schwaben- oder Schweizerkrieg des Jahres 1499 an. Emsers lateinische Verse, deren Urheberschaft er selbst dem Tübinger Humanisten Heinrich Bebel zuschrieb, waren starker Tobak. Der Schweizer wird als Feind Gottes und des Glaubens bezeichnet, als Tyrann, niederträchtiger Milchsäufer und träger Kuhmelker. Meister Bünzli nahm die Rache des Schwaben nicht weiter krumm und zeigte den Eintrag arglos in Studentenkreisen herum. So gerieten die Schmähungen ins Stadtgespräch und dadurch wurde schließlich auch der Rat der im Juli der Eidgenossenschaft beigetretenen Stadt Basel auf sie aufmerksam. Der Studentenscherz avancierte zum Politikum, das sogar die eidgenössische Tagsatzung beschäftigte. Emser, am 1. Mai 1502 verhaftet, konnte froh sein, daß er dank der Fürsprache des Christoph von Utenheim, des späteren Basler Bischofs, und anderer nach dreiwöchiger Haft mit dem Schwur einer Urfehde und dem auf die Eidgenossenschaft bezogenen Stadt- und Landesverweis davonkam. Es hätte ihn durchaus den Kopf kosten können, denn die Schweizer waren überaus empfindlich auf ihre Ehre bedacht und die jüngst erst beigetretene Stadt Basel legte den Eifer des Neophyten an den Tag, wenn es galt, eidgenössische Identität zu demonstrieren.

Landsmannschaftliche Rivalitäten waren an den damaligen Universitäten wohl nicht ganz selten. Studenten gleicher regionaler Herkunft bildeten Cliquen, die sich manchmal mit anderen solchen Cliquen wohl ganz gern rauften. Neben den sogenannten Universitätsnationen gab es mehr oder minder formelle Gruppenbildungen auf landsmannschaftlicher Grundlage. Beispielsweise existierte an der Universität Heidelberg eine „Schwabenburse“, 1481 ist von der „natio Suevorum“ die Rede. Und als der Elsässer Jakob Wimpfeling sich 1503 despektierlich über die Sprache schwäbischer Kleriker äußerte, erregte dies an den Universitäten Freiburg und Tübingen einen Sturm der Entrüstung. Der Fall Emser aber hatte eine andere Qualität. Der Kuhspott der lateinischen Verse mußte den Nerv der Eidgenossen treffen, die sich nicht zuletzt deshalb zum Schwabenkrieg entschlossen hatten, um ihre mit unflätigen Schmähungen von Seiten der schwäbischen Landsknechte angetastete Ehre zu rächen. Schweizerhaß fand seinen schlimmsten Ausdruck im Vorwurf, die Schweizer seien „Kugehiger“, Sodomiten. In Emsers Versen fand sich davon zwar nichts, aber daß die Eidgenossen, die sich doch als Gottes auserwähltes Volk mit einer eigentümlichen Frömmigkeitspraxis stilisierten, als Feinde Gottes und des Glaubens beleidigt wurden, war in Basel 1502 alles andere als „politisch korrekt“.

Ein weiteres wichtiges Feld landsmannschaftlicher Rivalitäten war der Krieg, insbesondere der Reichskrieg, denn das Aufgebot war nach den alten deutschen Stammesländern gegliedert. In den Quellen des Schwabenkrieges treten solche internen Reibereien auf habsburgischer Seite mehrfach als Störfaktoren in Erscheinung. Nach einer späteren Überlieferung wurde Herzog Albrecht von Bayern in Bundeskreisen nicht als Befehlshaber akzeptiert, weil er ein Schreiber und Student sei. Außerdem sei es nicht der Brauch, daß ein Bayer über die freien Schwaben herrschen möge. Die Ideologie von den freien Schwaben erscheint ebenfalls in einem Brief eines Benedikt Cosstenz aus Freiburg im Breisgau vom 9. April 1499. Der Adressat, der kaiserliche Sekretär Blasius Hölzl, möge dem Hans von Stetten ausrichten, daß „der nam der freyen Swaben muess gewechselt werden mit den Etschleuwten, dann die Etschlewt haissen pillich freyswaben und die Swaben fawl Etschlewt“. Es wird also auf das Autostereotyp der freien Schwaben kritisch Bezug genommen: In Wirklichkeit seien nicht die wohl gemeinhin als faul gescholtenen Etschleute, also die Südtiroler, faul, sondern die sich als frei rühmenden Schwaben. Um die Ehre der Etschleute geht es auch Bemerkungen zu einer Schweizer Kriegsordnung, die im Archiv der Südtiroler Herren von Wolkenstein überliefert ist. Alle Welt sage in Schwaben Lob und Dank den Etschleuten und Bergknappen wegen ihrer Tapferkeit gegenüber den Schweizern. Der ganze Schwäbische Bund habe Wohlgefallen und Trost an den Etschleuten.

Das Schlagwort von der Schwabenfreiheit behauptete die Unabhängigkeit und Autonomie desjenigen, der sich ihrer rühmte. Im 15. Jahrhundert und frühen 16. Jahrhundert waren es vor allem Niederadelige, die sich damit gegen ihre Mediatisierung durch die hegemonialen Gewalten - an erster Stelle ist natürlich Habsburg zu nennen - wehrten. Zugleich hatte die Rede von der Schwabenfreiheit aber auch einen reichsrechtlichen Hintergrund, denn die Schwabenfreiheit wurde als kaiserliches Privileg verstanden, das von den Schwaben aufgrund kriegerischer Tapferkeit errungen worden war. In Reichskriegen beriefen sich die Schwaben seit dem Investiturstreit das sogenannte Vorstreitrecht, das im 13. Jahrhundert auf die Privilegierung Gerolds von Schwaben durch Karl den Großen zurückgeführt wurde. Dieses als besondere Auszeichnung der Schwaben gerühmte Vorstreitrecht, dessen Bedeutung für das Selbstverständnis der Ritterschaft nicht unterschätzt werden darf, hat wiederholt zu Konflikten innerhalb des Reichsaufgebots geführt. Willibald Pirckheimer erzählt in seinem Buch über den Schweizerkrieg, wie sich Franken und Schwaben gegenseitig die Schuld an einer militärischen Schlappe im Hegau nach dem Wegzug der Schweizer von Stockach zuschrieben (Wille 85). 1475 hatte Friedrich III. im Lager vor Neuss eine salomonische Entscheidung über die Führung des Georgenfähnleins getroffen, die den alten Streit zwischen Franken und Schwaben über den militärischen Vorrang beilegen sollte: Franken und Schwaben sollten sich täglich abwechseln. Diese Regelung galt zwar auch im Schwabenkrieg, es kam aber trotzdem laut Pirckheimer zu Rangeleien über den Vorrang. Einen weiteren störenden Binnenkonflikt registriert Pirckheimer, der ja selbst Nürnberger Feldhauptmann war: „Die Nürnberger standen nämlich zum Ärger der Schwaben mit den Bayern in gutem Einvernehmen und nicht mit ihnen“ (87).

Die landsmannschaftliche Heterogenität der auf der Seite König Maximilians kämpfenden Truppen schließt es aus, den Krieg von 1499 auf den einfachen Nenner „Schweizer versus Schwaben“ zu bringen. Was ist eigentlich das schwäbische am Schwabenkrieg? Horst Carl hat zu Recht diese provozierende Frage aufgeworfen und darauf aufmerksam gemacht, daß die Verwendung der seit dem 16. Jahrhundert von der Schweizer Historiographie propagierten Bezeichnung „Schwabenkrieg“ höchst problematisch ist. Die Beteiligung des Schwäbischen Bundes dürfe nicht überschätzt werden, denn auch Elsässer und Vorderösterreicher hätten im Westen und Tiroler bzw. Vorarlberger im Osten entscheidend mitgekämpft - von den Aufgeboten außerschwäbischer Reichsstände insbesondere aus Franken ganz abgesehen. [Tirolerkrieg, Engadinerkrieg]

Was war Schwaben in den Jahren um 1500? Ich möchte skizzenhaft eine Antwort mit den beiden Stichworten „Erosion“ und „Revitalisierung“ versuchen.

Die alte gentile Einheit Schwaben, das hochmittelalterliche Land Schwaben, befand sich seit dem Ende der Stauferzeit, also seit dem Ende des Herzogtums Schwaben, in einem Erosionsprozeß. Das Land Schwaben war um 1500 alles andere als ein Territorium, es war ein Land ohne Landesherrn, ein merkwürdiges Gebilde aus Traditionen und Diskursen, ohne feste Grenzen. Gelehrte Konstruktionen, politische Setzungen - ich denke dabei vor allem an die Mitgliedschaft im Schwäbischen Bund - und Selbstzuordnungen klafften auseinander. Gewiß, es gab eine einzige feste Grenze, die Lechgrenze gegen Bayern, und auch eine Kernlandschaft, in der die Zugehörigkeit unumstritten war. An den Rändern aber franste Schwaben aus. Der Wiener Kanoniker Ladislaus Sunthaim aus dem oberschwäbischen Ravensburg, der am Ende des 15. Jahrhunderts Oberdeutschland bereiste, war auf die Rheingrenze fixiert, nahm aber noch den Thurgau dazu: „die Prewskawer, Swartzwelder, Mortnawer und Turgawer sind alle Swaben und wellen doch nit Swaben sein, desgleichn die Krachgewer [...] sein auch Swabenn“ (Uhde 240) . Alles, was vom Ursprung des Rheins auf der einen (nämlich rechten) Seite liege, sei alles Schwabenland. An anderer Stelle behauptet er, Elsaß, Sundgau und Aargau seien nie schwäbisch gewesen (247). Hinsichtlich von Breisgau, Kraichgau und Thurgau meinte auch der Tübinger Gelehrte Johannes Naukler in seiner Beschreibung Schwabens - ein Exkurs seiner Weltchronik - , nach Auffassung der meisten gehörten diese Regionen zu Schwaben.

Im Bodenseegebiet und zwar nicht nur in den eidgenössischen Gebieten hat es wohl auch eine gewisse Absetzbewegung von Schwaben gegeben. In Augsburg oder Ulm war im späten Mittelalter der schwäbische Patriotismus weit ausgeprägter als in Konstanz, dem alten Mittelpunktsort Schwabens. Es war wohl ein gewisser Überdruß gegenüber den machtpolitischen Polarisierungen um 1500, der sich in einer von dem Konstanzer Chronisten Beat Widmer registrierten Äußerung ausdrückte: „dan frag man ain gepornen Constanntzer: Bist du ain Swab oder bist Du ain Thurgower oder ain Schwitzer, er spricht nain darzu und will nur ain Costanntzer sin“ (Maurer 70). Andererseits fand ich aber auch einen merkwürdigen früheren Hinweis auf eine Trennung des Bodenseeraums von Schwaben. Der Held des weitgehend unbekannten Märes „Sociabilis“, überliefert in einer um 1430 entstandenen Handschrift, ist der schwäbische Ritter Sociabilis, ein durch Wahl bestellter Pfleger des Landes Schwaben, der am Bodensee um eine Grafentochter wirbt. Er gilt dort aber als „gast in disem land“, als Landfremder.

Dem Erosionsprozeß läßt sich aber eine Revitalisierung Schwabens am Ende des 15. Jahrhunderts gegenüberstellen. Vor allem in der Gründungsphase des Schwäbischen Bundes, des Bundes im Lande Schwaben, wurde schwäbischer Patriotismus aktiviert - gleichsam eine „Anschubfinanzierung“. Das Gründungsmandat von 1487 stellte Schwaben als rechtes Vaterland vor, das zur Treue verpflichte. Wenn 1495 Graf Eberhard im Bart von Württemberg den Titel eines Herzogs von Schwaben anstrebte, so beweist dies mit anderen Zeugnissen, daß man in Württemberg in Schwaben keine überlebte Größe sah, sondern einen Grundwert, der als Bindeglied zwischen Politik und Kultur, zwischen rechtlicher Verfassung und Sprache fungieren und das aufstrebende Territorium mit der Dignität der alten gentilen Einheit in Verbindung setzen konnte. Ohne politische Instrumentalisierungen leugnen zu wollen, möchte ich doch darauf insistieren, daß es einen ständeübergreifenden schwäbischen Patriotismus gab, der die Diskurse der Fürsten, des Niederadels, der Städte, der Bauern und der Humanisten, die sich alle auf Schwaben beriefen, vernetzen konnte. Diese Formierung eines schwäbischen Selbstverständnisses erfolgte in Wechselwirkung mit der Ausbildung eines auf Deutschland bezogenen nationalen Diskurses. Die schwäbische Nation, in der frühen Neuzeit keine seltene Bezeichnung, begnet bereits in einer Quelle aus dem Jahr 1493. Damals war im Zusammenhang mit Verhandlungen über die Mitgliedschaft im schwäbischen Bund von „gemeiner swebischer nacion“ die Rede.

Im Krieg von 1499 hat eine Berufung auf schwäbischen Patriotismus in der offiziellen Propaganda keine Rolle gespielt. Weder Maximilian noch der schwäbische Bund haben angesichts der eidgenössischen Einfälle an die Pflicht der Schwaben, ihr Vaterland zu verteidigen, appelliert. Die Auseinandersetzung wurde von der Kriegspartei im Reich vor allem als ständischer, kaum als landsmannschaftlicher Konflikt verstanden. Im Vordergrund stand die Angst vor dem „Schweizerwerden“, vor der Auflösung der hergebrachten sozialen Ordnung. Gleichwohl möchte ich nicht ausschließen, daß in adeligen Kreisen ein gewisser schwäbischer Patriotismus, der das Bündnis mit einem Vaterland Schwaben identifizierte, mitgeschwungen hat. Belegen möchte ich dies mit einer semantischen Differenz. Meistens ist in den Akten vom schwäbischen Bund oder dem königlichen Bund im Land Schwaben die Rede. Es gibt aber auch Stellen, in denen stattdessen vom Schwabenland die Rede ist. Am 21. Februar 1499 rät Conrad von Schellenberg, die im Hegau umherziehenden Schweizer noch nicht anzugreifen, da bei einer Niederlage zu ermessen sei, „was schad dem lannd Swaben daruß enndsteen wurd“ (FUB VII, n. 192/3). Der elsässische Landvogt Jakob von Fleckenstein „und ander gu+ot gónner des Swábenlants“ wird in einem Schreiben des württembergischen Landhofmeisters Diepolt Spät an Herzog Ulrich von Württemberg vom 18. März erwähnt (ebd. IV, n. 256). Allerdings sind aus schwäbischen Archiven vergleichsweise wenige Dokumente im Wortlaut veröffentlicht worden. Daß die von Klüpfel gebotenen Aktenreferate aus Esslinger und Nördlinger Korrespondenzen - Klüpfels Text ist neuerdings bequem zugänglich auf der Internetseite unseres Projekts - unzulänglich sind, hat man bereits im 19. Jahrhundert wiederholt festgestellt. Überhaupt hat allzuoft bei den Editionen von Schwabenkriegakten ein rein faktographisches Interesse die Auswahl und Präsentation der Stücke beeinflußt.

Wie sah es nun auf der Seite der Schweiz aus? Ich muss mich mit ganz wenigen Stichworten begnügen. In den Burgunderkriegen war das Selbstbewusstsein der Eidgenossen enorm gewachsen. Die historische Fundierung dieser protonationalen Identität erfolgte einerseits durch die sogenannte Befreiungstradition (Stichwort: Wilhelm Tell), andererseits durch Propagierung eines neuen Herkommens der Schweizer, die als eingewanderte Schweden ausgegeben wurden [Marchal!]. Das Schweden-Herkommen löste die Schweizer von den Schwaben. Für den habsburgischen gesinnten Zürcher Bürgersohn Felix Fabri, der im Ulmer Dominikanerkloster in den 1480er Jahren eine Beschreibung Schwabens schrieb, waren die Schweizer, deren anderen Dialekt er durchaus registriert, dagegen immer noch Kinder Schwabens.

Nicht unterschätzt werden darf die Karriere der Gebietsbezeichnung Helvetia, die konkurrierend an die Seite der alten Einheit Suevia trat. Helvetia bezeichnet das Gebiet eines eigenständigen Volkes, der Nachfahren der antik verbürgten Helvetii. Der beispiellose Erfolg der gelehrten Caesar-Lektüre und des humanistischen Gentilpatriotismus in Gestalt der Helvetier-Ideologie der frühen Neuzeit ist hinreichend bekannt. Der Versuch des Schweizergegners Jakob Wimpfeling am Anfang des 16. Jahrhunderts, die Helvetii stattdessen im Elass zu lokalisieren, blieb ohne größere Resonanz.

Wie vollzog sich die Distanzierung der Schweiz von Schwaben? Die meisterhafte Studie von Helmut Maurer „Schweizer und Schwaben. Ihre Begegnung und ihr Auseinanderleben am Bodensee im Spätmittelalter“ hat hier Pionierarbeit geleistet. Anschaulich hat Maurer vor allem anhand Konstanzer Quellen den Prozeß des Fremdwerdens im 15. Jahrhundert nachgezeichnet. Um 1400 setzt er den Beginn des Auseinanderlebens an. Die Innerschweizer eckten mit ihrer „alpinen Mentalität“ in der Bischofsstadt am See mehr und mehr an, sie wurden zunehmend zum Opfer eines mitleidlosen Spotts, der auf ihren bäuerlichen Habitus abhob und mit dem Symbol der Kuh und der damit oft verbundenen Sodomie-Unterstellung extrem verletzende Formen annahm. Die Schweizer kompensierten die Demütigungen durch Freischarenzüge, Rache- und Beutezüge. Diese Kämpfe konfrontierten die Seeschwaben mit einer andersartigen Kultur des Krieges, die ihnen wilder und grausamer als die eigene Fehdepraxis erschien. Auch in den Quellen des Schwabenkriegs begegnen wiederholt Hinweise auf die Besonderheiten der eidgenössischen Kriegsführung. Eine kritische Revision der von dem Schweizer Militärhistoriker Walter Schaufelberger in der Nachfolge Hans Georg Wackernagels vorgelegten Deutungen zum eidgenössischen Kriegswesen und seinen irrational anmutenden Zügen steht allerdings noch aus.

Als tiefere Ursache der Entfremdung macht Maurer die „Auseinander-Entwicklung des alten Schwabens in zwei völlig verschiedene soziale Systeme“ (81) aus: Der ländlichen Innerschweiz mit ihrer breiten bäuerlichen Partizipation stand am See eine vom Adel geprägte Stadt mit einem vom Adel geprägten Hinterland, dem Hegau, gegenüber. Der „Schimpfkanonade“ der Schwaben läßt sich allerdings auf eidgenössischer Seite, dies hat bereits Maurer beobachtet, nichts Vergleichbares an die Seite stellen. Haben die Schweizer die verbale Stufe der Eskalation übersprungen und gleich zugeschlagen?

Ob der Vorwurf, die Schwaben verkehrten mit ihren Rössern - ein durchsichtiges Revanchefoul - allgemein verbreitet war, wage ich zu bezweifeln [Rossgeschnyher bei Niederhäuser]. In den mir bekannten Quellen des Schwabenkriegs läßt sich jedenfalls kein Schlagwort ausfindig machen, das ähnlich zündend wie der schwäbische Kuhspott gewesen wäre. Bereitgestanden hätte ein solcher Tiervergleich jedenfalls: die Schwaben als Hasenfüße. Im Siegesgedicht eines bayerischen Vikars auf die Schlacht von Giengen 1462 wird auf ein Sprichwort angespielt, das die Schwaben als feige Hasen kennzeichnet, und der Autor setzt hinzu, er kenne dazu eine Geschichte, die er aber nicht niederschreiben wolle. Handelt es sich womöglich um die bekannte Geschichte von den sieben Schwaben, deren älteste Fassung allerdings erst 1498 in einer Tegernseer Handschrift überliefert ist und die sich einer einleuchtenden Vermutung von Klaus Schreiner zufolge der schwäbisch-bayerischen Stammesrivalität verdankt? In einer Nürnberger Chronik heißt es jedenfalls zur Schlacht von Giengen, die Ritterschaft des Reichshauptmanns habe sich wie die Hasen verhalten, „als der schwaben und ir genosen recht ist“.

Wie sich die allmähliche Distanzierung der Schweizer von den Schwaben in den einzelnen eidgenössischen Orten vollzogen hat, bleibt noch zu erforschen. Nach wie vor ist man auf Franz Ludwig Baumanns Belege verwiesen, der für das 14. Jahrhundert noch keine Herauslösung der Eidgenossen aus dem Verband des ehemaligen schwäbischen Herzogtums feststellen konnte. In Zürich, einem alten Vorort des schwäbischen Herzogtums, gibt es allerdings einen irritierenden Frühbeleg. Die Ordnung des Züricher Seidengewerbes von 1336 setzt Schwaben bereits als Ausland an. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts kann man dagegen davon ausgehen, daß in der Limnatstadt Schwaben verdächtige Ausländer waren. Dies beweisen etwa die provozierenden Reden eines Stadtknechts, eines Günstlings des Bürgermeisters Waldmann, der anläßlich des Aufruhrs von 1489 behauptete, er wolle die Stadt lieber mit Schwaben als mit Zürchern behaupten. Und es schwirrten Gerüchte in der Stadt, ein schwäbisches Heer sei im Anzug. In diesem Kontext bezieht sich die Furcht vor den Schwaben auf den Haßgegner Österreich.

Im Rahmen des Waldmann-Auflaufs wird auch der Wunsch der in der Stadt ansässigen Bayern, Franken und Schwaben, am Regiment beteiligt zu werden, artikuliert. Die Angst vor der Überfremdung ist ein Hauptthema jeder sozialhistorischen Analyse landsmannschaftlicher Gruppenbildung. [Alterität] In einer Basler Handschrift aus dem 16. Jahrhundert wird diese xenophobe Einstellung in die Form eines Reimspruchs gebracht: „Sydhar das die Schwoben sind in das land kummen, und die hasen in Rin, Und baretli under die buren, ist nie kein glúck im land gsin“. Und ein Hauptwurf der Tiroler Landstände gegen den glücklosen königlichen Hauptmann Ulrich von Habsberg, einen Schwaben, war, daß er ein Landfremder war.

Aus den Zürcher Richtebüchern hat das „Schweizerische Iditiotikon“ einige anschauliche Belege abgedruckt, die solche Ressentiments im Zürich des 15. Jahrhunderts nachweisen. Als Schimpfwort begegnet Schwabe dort bereits 1434, und auch das noch heute so beliebte Sauschwab läßt sich als „Süwschwab“ bereits für 1468 dokumentieren. 1472 erfahren wir von einem Dialog, in dem Schwabe ebenfalls als Schimpfwort verwendet wurde. Es half dem einen Kontrahenten nichts, daß er sich als Allgäuer aus der Affäre ziehen wollte. 1478 geht es darum, daß ein Züricher lieber Bürgerkinder zu Ratsherren nehmen wollte als Schwaben.

Daß sich der Schwabenname in der Schweiz zu einer allgemeinen Bezeichnung des deutschen Ausländers entwickelte, vielleicht vergleichbar dem „Preußen“ in „Bayern“, dürfte eine sehr viel spätere Entwicklung sein. Als der Landammann von Appenzell-Innerroden in seiner Eröffnungsrede der Landgemeinde von 1879 die Greuel der Zulukaffer und russischen Nihilisten schilderte, rief ihm ein Innerrhoder zu (ich übersetze): „Landammann, jetzt könntet ihr allmählich anfangen aufzuhören zu predigen von diesen Schwaben!“

Ich möchte diesem Rat ebenfalls folgen und komme nun zum Schluß. Daß der Krieg von 1499 aufgrund seiner publizistischen Breitenwirkung wesentlich zur diskursiven Polarisierung zwischen den Schweizern und ihren Nachbarn beigetragen hat, scheint mir unbestreitbar. Bereits vorhandene Ressentiments auf beiden Seiten wurden verstärkt. Daß die juristischen und politischen Folgen des Konflikts lange Zeit überschätzt wurden, erscheint mir freilich ebenso sicher.

Mit der Stilisierung des Krieges als „Schwabenkrieg“ wollten die eidgenössischen Eliten einen emanzipatorischen Prozeß diskursiv forcieren, der schon lange vorher eingesetzt hatte. Schwaben war Bestandteil der Reichsverfassung. Die Schweizer wollten zwar im Reich bleiben, aber die mit dem Schwäbischen Bund eingeleitete regionale Neuordnung war ihnen mindestens ebenso suspekt wie die 1495 verabschiedeten Reichsreformen. Trotz aller strukturellen Ähnlichkeiten mit dem Schwäbischen Bund lehnten die Eidgenossen dieses ihnen zur Nachahmung empfohlene Modell ab, da ihrer Ansicht nach Habsburg und der Adel im Bund zu sehr den Ton angaben. „Schwaben“ stand im Schwabenkrieg nicht nur für den schwäbischen Bund, sondern auch für die verhaßten schwäbischen Landsknechte, die keine Gelegenheit ausließen, die Schweizer zu verhöhnen. Schwäbische Landsknechte und Schweizer Reisläufer waren professionelle Rivalen - Herr Rogg wird darauf noch näher eingehen.

„Schwaben“ stand aber auch für Habsburg, das ja im benachbarten Oberschwaben als Hegemonialmacht mit der Landvogtei Schwaben und dem Landgericht Schwaben in Erscheinung trat. Die Schweizer ordneten - die erwähnten Zürcher Belege könnten diesen Schluß nahelegen - die Schwaben umstandslos der österreichischen Klientel zu. Wenn der Konstanzer Chronist Widmer einige Zeit nach dem Schwabenkrieg „all frommen tutschen osterrichischen Schwaben“ einen freundlichen und brüderlichen Umgang ans Herz legte, so macht diese Trias Deutsche, Österreicher, Schwabe deutlich, daß der Schwabenname nicht nur aus Schweizer Sicht mit der habsburgischen Herrschaft in enger Beziehung gesehen wurde.

Natürlich kann man den Schwabenkrieg/Schweizerkrieg auch als Ausdruck landsmannschaftlicher Spannungen, als Konflikt regionaler Identitäten, verstehen. Aber von der diskursiven Dynamik, die solche Konfrontionen entstehen ließ, und ihren ständischen, sozialen und politischen Hintergründen wissen wir noch viel zu wenig. Mein eigener Beitrag heute, wenn man so will: auf den Schultern von Helmut Maurer, wollte dazu lediglich einige weiterführende Anregungen vermitteln.

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