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Die siebzehnjährige Idilia Dubb aus Edinburgh soll im Jahr 1851 auf einem der Türme der Burg Lahneck verdurstet sein, weiß die Wikipedia.

https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Idilia_Dubb&oldid=137108254

Schon viele haben sich mit diesem überaus merkwürdigen Casus befasst. Eine sehr verdienstvolle Quellensammlung hat der Lahnsteiner Altertumsverein (Hans G. Kuhn) im Internet vorgelegt:

http://www.lahnsteiner-altertumsverein.de/die-geschichte.html

Peter Wellers Schrift 2006 ist in der Wikipedia einsehbar:

https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Benutzer:Peter_Weller&oldid=110268175

Zu dem 2001 in Schweden veröffentlichten angeblichen (ersten) Tagebuch halte ich an meiner 2006

https://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Idilia_Dubb

geäußerten Einschätzung, dass es sich um eine Fälschung handelt, fest. Es handelt sich um ein modernes Jugendbuch, das an die Fiktion des 19. Jahrhunderts anknüpft und lediglich vorgibt, eine Bearbeitung durch eine (nicht näher fassbare) Genevieve Hill zu sein. Wahrer Autor ist (nach Weller) der schwedische Autor Hans Hatwig:

https://sv.wikipedia.org/wiki/Hans_Hatwig

Neben Weller ist die Einschätzung von Karla Schneider lesenswert

http://www.lahnsteiner-altertumsverein.de/karla-schneider.html

aber auch die Skepsis in einem englischsprachigen Blogeintrag von 2010: "Well, after reading this, I have to say that I don’t believe a word of it."

https://bookssnob.wordpress.com/2010/03/07/the-diary-of-miss-idilia-by/

Eine Fälschung (Fiktion) war aber auch schon die im 19. Jahrhundert entstandene Idilia-Story (einschließlich des Tagebuch-Texts). Es genügt, auf Wellers Ermittlungen und die Recherchen Kuhns zu erweisen. Es gibt keinen archivischen Beleg, der die erstmals 1863 bezeugte Geschichte absichern könnte. Auch die angeblichen Zeitungsmeldungen über den schauerlichen Tod der jungen Frau konnten nicht aufgetrieben werden.

Die Darstellung im Adenauer Kreis- und Wochenblatt vom 26. Oktober und 2. November 1863 ist inzwischen online:

http://s2w.hbz-nrw.de/ulbbn/periodical/pageview/1336903

Kuhns nächste "Quelle" stammt erst aus dem Jahr 1902.

Wie kommt man weiter? Natürlich mit Google Books!

Zunächst einmal stellt man fest, dass kein Beleg für die Geschichte der Idilia/Ottilie Dubb älter als 1863 ist, was den bisherigen negativen Befund bestätigt.

Sodann zeigt sich, dass man einen nicht ganz unerheblichen Aufwand treiben muss, um mittels der Google-Volltextsuche möglichst viele (zu hoffen ist: alle) Belege zusammenzubekommen. Das liegt nicht nur an der OCR, sondern auch an misslichen Einschränkungen der Google-Suche.

Erst nach vielen anderen Suchen fand ich den ältesten datierten Beleg vom 26. August 1863 mit

goldene uhr ringe gerippe dubb

Dieser Treffer wird aber - entgegen jeder Bool'schen Suchlogik - NICHT gefunden, wenn man nur nach

gerippe dubb

sucht!

Ich stelle im Folgenden den Erscheinungsort nach vorne und ordne danach alphabetisch.

Aschaffenburger Zeitung 25. Juni 1864
https://books.google.de/books?id=CflDAAAAcAAJ&pg=RA10-PA44

Augsburg - Der Sammler 23. Juni 1864
https://books.google.de/books?id=9fpDAAAAcAAJ&pg=PA292

Augsburger Sonntagsblatt 1864 Nr. 26 [26. Juni ?]
https://books.google.de/books?id=IeBDAAAAcAAJ&pg=PA206

Augsburger neueste Nachrichten
Auf S. 210 von 1864 steht der Artikel
https://books.google.de/books?id=gtBFAAAAcAAJ&q=gerippe+dubb
definitiv nicht. Ab
http://bavarica.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10541529_00890.html
konnte ich meine manuelle Durchsicht (die Volltextsuche mit Dubb versagte) nicht fortsetzen, da die BSB meinen Zugang blockierte! Google gibt diesen (auch nach Google-Maßstäben) gemeinfreien Band auch für US-Bürger nicht frei und das MDZ verunmöglichst seine Durchsicht!
Quelle: "Pf. Ztg."

Augsburger Postzeitung 24. Juni 1864
https://books.google.de/books?id=S_1DAAAAcAAJ&pg=PA990
Quelle: "Pf. Ztg."

Augsburger Tagblatt 27. Juni 1864
https://books.google.de/books?id=MrFDAAAAcAAJ&pg=PT418
Quelle: "Pf. Z."

Berliner Gerichts-Zeitung 30. Juni 1864
https://books.google.de/books?id=Bk9LAAAAcAAJ&pg=PA316

Eichstätter Tagblatt 2. Juli 1864
https://books.google.de/books?id=HapDAAAAcAAJ&pg=PA690
Quelle: "Pf. Z."

Frankfurt am Main - Didaskalia 26. Juni 1864
https://books.google.de/books?id=DHZeAAAAcAAJ&pg=PT612
Quelle: "Pf. Z."

Groningen - De huisvriend 1863, S. 267 (eventuell Juli/August, berechnet nach der Gesamtseitenzahl 412)
https://books.google.de/books?id=vm9NAAAAcAAJ&pg=PA267

Innsbruck - Volks- und Schützen-Zeitung 4. Juli 1864
https://books.google.de/books?id=b7lDAAAAcAAJ&pg=PA443

München - Allgemeine Zeitung. Beilage 30. Juni 1864
https://books.google.de/books?id=k_VDAAAAcAAJ&pg=PA2963
Quelle: "Pf. Z."

München - Familienschatz 3. Juli 1864
https://books.google.de/books?id=qbpPAAAAcAAJ&pg=PA211
Quelle: Pf. Z.

Schönberg (bei Ratzeburg) 1. Juli 1864
http://wafr.lbmv.de/show.php?action=1864-07-01

Speyer - Pfälzer Zeitung 21. Juni 1864
https://books.google.de/books?id=NexDAAAAcAAJ&pg=PA239

Stadtamhof - Neues bayerisches Volksblatt 26., 27., 29., 30., 31. August, 1. September 1863
https://books.google.de/books?id=4LlDAAAAcAAJ&pg=PA934

Würzburg - Epheuranken 30. Juni 1864
https://books.google.de/books?id=zKNLAAAAcAAJ&pg=PA311
Quelle: "Pf. Ztg."

Würzburg - Extra-Felleisen 10. Juli 1864
https://books.google.de/books?id=nphDAAAAcAAJ&pg=PA328

Den Schönberger Beleg lieferte die Google Websuche; die übrigen 17 Google Books. Einige Suchanfragen:

dubb lahneck
odilie dubb
"schöne und talentvolle" rhein
https://www.google.de/search?tbm=bks&q=%22burg+lahneck%22&tbs=,bkv:f,cdr:1,cd_min:01.01.1860,cd_max:31.12.1870

http://www.theeuropeanlibrary.org/tel4/newspapers/search?query=dubb+lahneck&decade=1860-1869

liefert zwei weitere Fassungen aus dem Teplitz-Schönauer Anzeiger vom 8. (nach der Pfälzer Zeitung) und der Bozner Zeitung vom 7. Juli 1864.

Man sieht: Im Juni/Juli 1864 hatte eine Kurzfassung der Idilia-Geschichte in den deutschen Unterhaltungsblättern Konjunktur, vom Fürstentum Ratzeburg bis nach Südtirol. Anscheinend ging die Pfälzer Zeitung am 21. Juni 1864 voran, deren Meldung vor allem durch die Münchner Allgemeine Zeitung weiterverbreitet wurde. Diese fügte einen kritischen Kommentar an:

Diese Unglücksgeschichte mag sich ereignet haben. Hoffentlich aber ist sie nur romantisch erfunden und ältern ähnlichen Vorfällen nacherzählt. So findet sich in der "Italy" des Dichters Rogers die Erzählung von einer Braut in Modena, die sich, um die Gesellschaft zu necken, in einem abseits im Haus stehenden Kasten versteckte, dessen Deckel über ihr zuschlug, worauf ihre geschmückte Leiche erst nach vielen Jahren zufällig entdeckt wurde.

Von besonderer Bedeutung ist der im Feuilleton der Neuen bayerischen Volkszeitung unter dem Titel "Der Tod auf Burg Lahneck" erschienene Text, da er (aus dem August 1863 stammend) definitiv älter ist als die bisher bekannte früheste Version in der Adenauer Zeitung. Es gibt kleine Abweichungen, ganz am Anfang heißt es in der Adenauer Fassung, vor elf Jahren habe man nach Idilia geforscht, während die Version von Stadtamhof "vor zehn oder zwölf Jahren" angibt. Ebenso die nicht näher datierbare niederländische Version von 1863. Man wird annehmen dürfen, dass der Groninger Vielschreiber Goeverneur eine noch nicht entdeckte deutsche Zeitungs-Quelle übersetzt hat, die auch Vorlage für die Fassung in Stadtamhof gewesen sein dürfte.

Da die Presse der 1860er Jahre von Google erst zu einem kleinen Teil digitalisiert wurde, ist mit weiteren Funden zu rechnen. Der Eifelort Adenau liegt noch im Rheinland, während Stadtamhof (heute Teil von Regensburg) und Groningen weitab liegen. Man kann also die Suche nach dem Erstbeleg nicht auf Periodika aus den Rheinlanden eingrenzen, da es durchaus möglich ist, dass die mit vielen der Beglaubigung dienenden Detailrealismen ausgestattete Erzählung gar nicht im Rheinland niedergeschrieben wurde.

Eine bisher nicht beachtete Quelle des unbekannten Erdichters der Idilia-Geschichte sehe ich in der romantischen Erzählung "The Tower of Lahneck" (1842) des englischen Schriftstellers Thomas Hood.

Werkausgabe seines Sohns
http://books.google.de/books?id=-JsLAQAAIAAJ&pg=PA420

Mutmaßliche Erstausgabe im New Monthly 1842
https://books.google.de/books?id=4zQwAQAAMAAJ&pg=PA161

Edith May setzte die Geschichte in englische Verse um (Ausgabe 1852):

https://books.google.de/books?id=CKcsAAAAYAAJ&pg=PA83

Zwei Frauen, eine aus England und eine Deutsche, besteigen den Turm von Burg Lahneck und sind oben gefangen. Niemand hört ihre Schreie, die Deutsche stürzt sich hinunter. Der offene Schluss deutet an, dass auch die Rufe der anderen Dame unerhört bleiben.

Anlass war eine wirkliche Begebenheit, bei der die Ehefrau des Dichters Hood und eine deutsche Bekannte aus Burg Lahneck befreit werden mussten. Hood berichtet davon in seinen Memorials:

https://books.google.de/books?id=BZtOAAAAcAAJ&pg=PA180

Hoods humoristisches Rheinbuch von 1840 war übrigens in zwei Wochen ausverkauft:

https://books.google.de/books?id=kdrfAgAAQBAJ&pg=PA73

Dies mag andeuten, welche Resonanz die Rheinromantik in England hatte. Selbstverständlich haben gebildete Kreise in den Rheinlanden zur Kenntnis genommen, was Engländer oder Franzosen über den Rhein schrieben bzw. welche Stoffe sie am Rhein lokalisierten.

Wenn Hood den Lahnecker Turm 1842 zum Schauplatz einer schaurig-sentimentalen Geschichte machte, bei der eine Engländerin auf dem Turm gefangen ist, und gut zwanzig Jahre später eine Engländerin bzw. Schottin in einer Feuilleton-Geschichte das gleiche grausame Schicksal erleidet, wird man das kaum als Zufall ansehen dürfen. Hoods Erzählung lieferte die Inspiration für die Idilia-Story, die sich auch dadurch als literarische Fiktion erweist.

Fälschungen in Archivalia:
http://archiv.twoday.net/stories/96987511/

#forschung

 

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