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Handbuch der hessischen Geschichte Bd. 3: Ritter, Grafen und Fürsten - weltliche Herrschaften im hessischen Raum ca. 900-1806. Hrsg. von Wilfried Spreitkamp (Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 63). Marburg: Historische Kommission für Hessen 2014. XVIII, 530 S., 15 Karten. 36 EUR.

Inhaltsverzeichnis:
http://d-nb.info/1060509571/04

Rezension von Gerhard Köbler:

http://www.koeblergerhard.de/ZIER-HP/ZIER-HP-04-2014/HandbuchderhessischenGeschichte3-RitterGrafenundFuersten.htm

Das Handbuch behandelt folgende Territorien: Nassauische Grafschaften, Grafschaft Diez, Herrschaften an der Lahn (Limburg, d.h. vor allem von Isenburg, Runkel und Schadeck mit Wied-Runkel und Leiningen-Westerburg, Merenberg), Grafschaft Katzenelnbogen, Herrschaften zwischen Rhein und Odenwald (Kurpfalz, Fränkisch-Crumbach, Breuberg, Frankenstein, Ernsthofen, Hirschhorn), Grafschaft Erbach, Grafschaft Hanau, Grafschaft Isenburg-Büdingen, Herrschaften in der Wetterau (Reichsministerialien von Münzenberg, Edelherren von Büdingen, Lißberg, Falkenstein-Münzenberg, Herren von Eppstein, Grafen von Stolberg), Wetterauer Grafenverein, Reichsritterschaften, Grafschaft Solms, Grafschaft Ziegenhain, Grafschaft und Fürstentum Waldeck bis 1814/1816 und Grafschaft Wittgenstein.

Schon diese Auflistung zeigt, wie irreführend der Titel ist, der aus Verkaufsgründen die Ritter an die erste Stelle stellt und die Fürsten dazunimmt, obwohl Waldeck erst 1717 Reichsgrafschaft wurde, Isenburg-Birstein 1744 und das Territorium von zwei Linien der Wittgensteiner erst kurz vor dem Ende des Alten Reiches. Die reichsritterschaftlichen Familien spielen eine sehr kleine Rolle im Band. Der Schwerpunkt liegt auf den mindermächtigen Grafen und Herren, wobei eindeutig die Grafenfamilien im Vordergrund stehen. Aber bis 1397 waren die Falkensteiner noch keine Grafen, bis 1429 die Hanauer, bis 1442 die Isenburger, bis 1462/67 die von Westerburg-Runkel, bis 1532 die Erbacher. Schon früh ausgestorben sind die Edelherren von Merenberg (1328), Breuberg (1323), Büdingen (nicht vor 1240) und Lißberg (Ende 14. Jahrhundert). Eberhard IV. von Eppstein wurde 1505 Graf von Königstein. Nach seinem Tod 1535 ging die Grafschaft Königstein an die Grafen von Stolberg.

Aus ständegeschichtlicher Sicht ist es ärgerlich, dass man sich die Standeserhöhungen mühsam in den Artikeln zusammensuchen muss.

Zu kurz kommen die ritterschaftlichen Familien. Eher lieblos wurde S. 355-358 eine karge Tabelle zusammengestellt, in die noch nicht einmal das Aussterbejahr konsequent eingetragen wurde. S. 170 erfährt man den Tod des letzten Hirschhorners 1632, aber S. 356 heißt es nur "ausgestorben". Gewöhnungsbedürftig ist die Bezeichnung der Degenfeld-Schonburg als Degenfeld-Schonberg. Angebracht gewesen wären Kurzporträts der Familien mit Basisdaten.

Der überwiegend von Archivaren bestrittene Band huldigt dem obsoleten Konzept einer politischen Geschichte. Im Vordergrund stehen territorialgeschichtliche Details, die nicht selten in ermüdender Weise und ohne einen Funken Esprit ausgebreitet werden. Es ist bezeichnend, dass es nur zur Grafschaft Hanau einen Gliederungspunkt "Die Pflege von Kunst und Kultur" gibt. Ein Lob verdient allerdings Georg Menks einleitender Abschnitt "Zur Historiographie und zu den Besonderheiten Waldeck-Pyrmonts".

Zu den 1479 ausgestorbenen Grafen von Katzenelnbogen hätte man auf die literarischen Bestrebungen hinweisen müssen (vor allem Arbeiten von Silvia Schmitz zur Pilgerreise Philipps des Älteren 1990, Ulrich Seelbach zur Bibliothek). Immerhin wird im Artikel Erbach die Stiftung der Matz-Bibliothek 1499 S. 187 erwähnt, doch die Aussage, dies sei "sicher vorreformatorischem Gedankengut zuzuschreiben", ist von allergrößter Banalität, und eine Literaturangabe wird zu dem bedeutenden Ensemble nicht spendiert.

Einzelnachweise als Fußnoten werden teils sparsam, teils verschwenderisch eingesetzt. Ich definiere als "Fußnotendichte" ein Maß, das die durchschnittliche Anzahl der Fußnoten je Druckseite angibt. Nassauische Grafschaften 172 auf 89 Seiten: 2,04; Herrschaften in der Wetterau 246/51 = 4,82. Mein Eindruck ist, dass Mittelalterliches generell liebevoller belegt wird als Frühneuzeitliches.

Obsolet ist teilweise auch der Forschungsstand, denn der Band blieb lange liegen, was einem solchen Handbuch nicht gut bekommt. Nicht immer erfährt man etwas über den Aktualisierungsgrad. Die beiden Beiträge von Georg Schmidt wurden 1989 abgeschlossen. Nachträge finden sich nur im Literaturverzeichnis. Klaus-Peter Deckers Studie zu Isenburg-Büdingen gibt den Forschungsstand von 1994 wieder und wurde durch eine Nachbemerkung zu neuerer Literatur ergänzt. Mein Ceterum Censeo, dass Nachschlagewerke ins Netz gehören, ist auch hier angebracht.

Anerkennung verdient Winfried Speitkamps Versuch, in seiner Einführung sechs charakteristische Aspekte herauszuarbeiten.

1. Die "Bedeutung von Dynastien und Familienpolitik, von Korporationen und Lehnsbeziehungen, von Verträgen und Verbindungen" (S. XIII).

2. Änderung der Verwaltungsstrukturen.

3. Landstände fehlen fast immer.

4. Besonderheiten von Kultur, Bildung und Religion: geringe Bedeutung der Konfession, kaum Erneuerungsimpulse bei Bildung und Kultur.

5. Nur begrenzte Entwicklungsimpulse im Bereich der Wirtschaft.

6. Hauptgegenstand der Regierungstätigkeit war der Erhalt der stets bedrohten politischen Eigenständigkeit.

Der Band enthält keine Abbildungen, abgesehen von Schwarzweiß-Karten, die ich für völlig missraten halte. Die gewählten Schraffuren verhindern die gebotene Anschaulichkeit. Dringend wünschenswert wären (auf das Wesentliche reduzierte) Stammtafeln gewesen. Da das Handbuch dem Leser in Sachen Didaktik nicht entgegenkommt, was die Linienbildungen angeht, ist damit zu rechnen, dass auch Fachleute sich lieber in der mitunter aktuelleren Wikipedia orientieren.

Ein Sachregister fehlt leider. Dass im Personenregister "Henneberg, Bobbo von" über den Henneberger Grafen Poppo I. und II. steht, spricht nicht gerade für Kompetenz.

Wenn man in einem solchen Nachschlagewerk ungedruckte Magisterarbeiten anführt (S. 251, 253), sollte man dies nie ohne Standortnachweis tun.

Obwohl ich mit der Landesgeschichte des hessischen Raums kaum vertraut bin, fielen mir eine Reihe von Fehlern und Auslassungen auf. Weder die Nennung eines "Bertolf von Hohenberg-Calw" (S. 179) noch die Angaben zur Kraichgau-Grafschaft der Katzenelnbogener (S. 130) entsprechen dem etablierten Forschungsstand (zum Kraichgau siehe meinen Aufsatz von 1993, S. 17). Bei den Erbachern, deren ständischer Aufstieg in den Herrenstand nicht thematisiert wird, hätte der einschlägige Inschriftenband zitiert werden müssen, und bei dem bedeutenden Sammler Graf Franz von Erbach fehlen Literaturangaben (S. 193). Die Herren von Hirschhorn, um 1400 auf dem Weg in den Herrenstand, werden unzulänglich und zu kurz abgehandelt, maßgebliche Literatur fehlt (von Lohmann ist nur die Monographie von 1986 angeführt, es fehlt Christina Kimmels kleines Buch über Hans V. von Hirschhorn).

Trotz der genannten Mängel stellt das Handbuch eine wichtige Bereicherung der adelsgeschichtlichen Forschung dar.

 

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