Dass seriöse landesgeschichtliche Zeitschriften spekulative Aufsätze von Hans-Dieter Lehmann zum Druck gebracht haben, zeigt, dass es mit der Qualitätssicherung in diesem Bereich nicht weit her ist.
Ich habe das bereits Ende 2012 formuliert, als ich mit Entsetzen feststellen musste, dass einer seiner Beiträge Aufnahme in die ZGO gefunden hatte.
http://archiv.twoday.net/stories/232596764/
Lehmann, Hans-Dieter: Der Beginn des Turnierwesens am deutschen Königshof. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 130 (1994), S. 65-73
http://periodika.digitale-sammlungen.de/bdlg/Blatt_bsb00000334,00071.html
ist an prominenter Stelle erschienen, aber aus meiner Sicht purer Unsinn.
Gemäß meiner Argumentation für "publish first filter later"
http://digigw.hypotheses.org/1063
ist das Problem weniger die Publikation als vielmehr die Tatsache, dass Lehmann niemals ausführlich widersprochen wurde.
Eine positive Rezeption des Aufsatzes ist mir nicht bekannt geworden. Helge Wittmann: Im Schatten der Landgrafen (2008), S. 28 Anm. 64 äußerte sich bei Besprechung eines Rüxner-Belegs eher ablehnend:
https://books.google.de/books?id=QXG5B84tqmMC&pg=PA534
Skepsis spricht auch aus den Worten von Klaus Arnold: Der fränkische Adel, die ,Turnierchronik' des Jörg Rugen (1494) und das Turnierbuch des Georg Rixner (1530). In: Nachdenken über fränkische Geschichte. Hrsg. von Erich Schneider (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte, Reihe IX. Darstellungen aus der fränkischen Geschichte, Bd. 50), Würzburg 2005, S. 129-153, hier S. 150
https://books.google.de/books?id=JhpoAAAAMAAJ&q=Lehmann+%22Beginn+des+Turnierwesens%22
(Wie Hechberger sich auf Lehmann bezieht, weiß ich nicht:
https://books.google.de/books?id=WGfaAAAAMAAJ&q=Lehmann+beginn )
Lehmann zitiert sich natürlich im JffL 2002, S. 70 in einer Arbeit über die Zollern-Genealogie zustimmend:
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00048855/image_84
Er sieht dort die Turnierchronik als "Machwerk des 14. Jahrhunderts".
In seinem Aufsatz von 1994 geht Lehmann von Stamms Fund der Rugen'schen Turnierchronik 1494 aus. Dass Klaus Arnold 2005 die Identität Jörg Rugens mit Georg Rüxner erweisen konnte (siehe den oben zitierten Titel) und ich 2008 eine vollständige Überlieferung (von 1499) der Turnierchronik Rugens in New York bekanntmachen konnte
http://archiv.twoday.net/stories/4993981
konnte er natürlich noch nicht wissen. Als historischen Kern der Turnierchronik bzw. der ihr zugrundeliegenden "alten Aufzeichnungen" möchte er S. 68 herausschälen, dass ein deutscher Herrscher Heinrich, der in Kämpfe mit Slawen und Ungarn verwickelt war, das Turnier aus Frankreich importiert habe. Das erste Turnier habe in Magdeburg stattgefunden. Lehmann denkt S. 69 an Heinrich III. und den Juni 1043.
Die zeitgenössischen Indizien, die Lehmann ins Feld führen kann, sind extrem dürftig. Ein Aufenthalt in Magdeburg widerspricht dem Itinerar 1043 nicht (Mai 22 Paderborn; Juni 27 Merseburg), aber man konnte natürlich von Paderborn nach Merseburg reisen, ohne Magdeburg zu berühren. Ein Brief des Abtes Siegfried von Gorze beklagt die Übernahme französischer Sitten insbesondere bei Rüstung und Reiterei, was Lehmann auf das Turnier beziehen will. Angesichts dieser Beweislage kann man die These Lehmanns getrost vergessen. Das S. 66 erwähnte Würzburger Turnier von 1127 kann also weiterhin als das frühestbezeugte Turnier auf deutschem Boden gelten.
Die unkritische Verwertung späterer Traditionen durch Lehmann ist hahnebüchen: "Fiktionen beruhen zumeist auf wahren Nachrichten, die durch Konjekturen verfälscht worden sind" (S. 68). Ich erinnere an meine These in meinem Aufsatz zu historischen Sagen in der Fabula 1988, S. 27,
http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/5273/
die Rede vom historischen Kern einer Überlieferung sei entweder trivial oder gefährlich, wenn sie zur Abstützung eines spekulativen Thesengebäudes dienen soll. So verhält es sich hier.
Lehmann glaubt den Erfindungen der Zimmern-Chronik zum Böhmenzug Heinrichs III. (S. 71). Nach der Turnierchronik nahm Gottfried von Zimmern am ersten Magdeburger Turnier teil. Froben-Christoph von Zimmern setzt diesen Gottfried als Sohn Werners an, der am Böhmenzug 1040/41 teilgenommen habe.
https://de.wikisource.org/wiki/Zimmerische_Chronik_Band_1:Kapitel_11
Wie der Zimmern-Chronist die Fiktionen dieses Kapitels konstruiert hat, hat Gerhard Wolf (Von der Chronik zum Weltbuch, 2002, S. 205ff.) detailliert dargestellt.
https://books.google.de/books?id=9a4z5akCcF0C&pg=PA205
Zu den Fiktionen der Historiker des Hauses Zimmern habe ich mich vor kurzem geäußert:
http://archiv.twoday.net/stories/985929969/
Was die von Lehmann akzeptierte Annahme Stamms, es habe eine in Magdeburg um 1430 entstandene Vorlage der Turnierchronik gegeben, betrifft, so habe ich diese in zwei Beiträgen hier widerlegt:
http://archiv.twoday.net/stories/5086177/
http://archiv.twoday.net/stories/29742435/
Meine Quellenstudien zu den Vierlandeturnieren
http://archiv.twoday.net/search?q=r%C3%BCxner+vierland
haben ergeben, dass für diese 1479 einsetzenden Turniere Rüxner mäßig zuverlässige Daten liefert. Für alle früheren müssen seine Angaben aber bezweifelt werden. So auch mein Aufsatz zu Rüxner 2009
http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/7140/
Für das angebliche Turnier in Schaffhausen 1392 habe ich neulich in meinem Beitrag "Fiktion und Geschichte" gezeigt, dass es eine Erfindung Rüxners darstellt:
http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1847
Zwischen dem Magdeburger "Original" der Turnierchronik und der Rugen-Chronik von 1494 stehe ein Überlinger Beleg von 1466, als bei dem Prozess eines wegen Gotteslästerung hingerichteten Herrn von Jungingen dessen adelige Abkunft durch Turnierbesuche (1080 Augsburg, 1209 Worms) belegt worden sei (S. 67).
Dank der liebenswürdigen und großzügigen Hilfe durch Andreas Zekorn, der mir sofort den von Lehmann zitierten Aufsatz von Eisele sandte, und Johannes Waldschütz, der für mich im Stadtarchiv Überlingen recherchierte und mir Fotos aus Reutlingers Sammelwerk zur Verfügung stellte, kann ich Näheres über dieses angebliche Turnierbuch-Zeugnis von 1466 mitteilen.
Als Quellenangabe zitiert Lehmann nur Friedrich Eisele: Die Herren von Jungingen. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern 62 (1931) [S. 1-52, hier] S. 12 mit Anm. 28. Dort steht aber keine Silbe von dem Prozess von 1466! In Anm. 28 wird ein angeblicher Beleg zum Augsburger Turnier 1080, an dem ein Rudolf von Jungingen teilgenommen haben soll, aus Voigt 1834
http://books.google.de/books?id=bIoCAAAAcAAJ&hl=de&pg=PA4
angeführt und zu Recht abgelehnt. Damals habe es noch keine Turniere in Deutschland gegeben. Voigt beruft sich auf eine briefliche Mitteilung, aber natürlich ist die Urquelle Rüxners 1530 erstmals gedrucktes Turnierbuch. Dort gibt es aber (in der Ausgabe 1530) nur die Nennung eines von Jüngingen,
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00090290/image_237
der Vorname Rudolf ist eine spätere Erfindung.
Die Hinrichtung eines Konrad von Jungingen in Überlingen 1466 wird von Eisele im zweiten Teil seines Aufsatzes (Jg. 63, 1932, S. 1-29, hier S. 17f. nach Reutlingers Collectaneen I, 303, 427f.) erwähnt. Herr Waldschütz hat mir freundlicherweise Bd. 1, S. 303 und Bd. 13, S. 95/96 aus dem Sammelwerk im Stadtarchiv Überlingen fotografiert.
Nach Eisele wurde Konrad von Jungingen von Hohenfels am Veitstag (15. Juni 1466) in Überlingen mit dem Schwert hingerichtet, da er einen Bürger eigenmächtig gepfändet habe und darauf angesprochen gotteslästerliche Schwüre (diese fehlen leider auf meinen Fotos) von sich gegeben habe. Eiseles Schluss, Jungingen sei wohl nicht ganz normal gewesen, ist verfehlt. Solche grässlichen Flüche waren durchaus üblich, wie ein Blick in Gerd Schwerhoffs Studie
http://pub.uni-bielefeld.de/publication/2304832
zeigt. Auf dem Weg zur Hinrichtung habe der Adelige einem Torhüter eine goldene Kette geschenkt. Solange keine parallelen Zeugnisse auftauchen, muss der Bericht über die Hinrichtung 1466 mit mindestens einem Fragezeichen versehen werden. Dass die Reichsstadt Überlingen einen Adeligen wegen üblen Fluchens und verbotener Verpfändung hinrichten ließ, erscheint eher unwahrscheinlich.
Aber es geht ja um die Turniere. Bd. 1, S. 303 wurde als Nachtrag vor dem Eintrag zur Hinrichtung 1466 eine Liste von Turnierteilnahmen der Junginger offenbar nach Rüxners Turnierbuch eingetragen:
1080 Augburg
1209 Worms Wolff von Jungingen
1392 Schaffhausen Beckh von Jungingen
1408 Heilbronn Albrecht von Jungingen
1436 Stuttgart
1439 Landshut
1479 Würzburg
1484 Stuttgart
1485 Augsburg
Es kann also keine Rede davon sein, dass die Turnierfähigkeit eine Rolle beim Prozess spielte. Jakob Reutlinger
http://archiv.twoday.net/stories/714908932/
hat am Ende des 16. Jahrhunderts einfach die am leichtesten erreichbaren Belege zur Adelsfamilie von Jungingen zusammengestellt, nämlich aus Rüxners vielgelesenem Turnierbuch.
Das Überlinger Zeugnis 1466 muss also gestrichen werden. Es ist ein Rezeptionszeugnis Rüxners und bezeugt keine Vorstufe der erstmals 1494 überlieferten Turnierchronik, die nach jetzigem Kenntnisstand von Rugen/Rüxner von vorne bis hinten erfunden wurde. Es kann offen bleiben, ob Lehmann Reutlingers Kollektaneen direkt oder womöglich aus zweiter Hand benutzt hat. Sein einziger Beleg Eisele ist jedenfalls unredlich, da dort nichts von Turnieren steht.
Abgesehen von ein bißchen uneigenständiger Rüxner-Kritik enthält der ganze Aufsatz von Lehmann nichts, was für die weitere Forschung von Bedeutung wäre. Seine These vom ersten deutschen Turnier in Magdeburg im Juni 1043 in Magdeburg ist ebenso verfehlt wie sein Umgang mit der Traditionsbildung des 15./16. Jahrhunderts. So etwas hätte den Druck nicht verdient gehabt.
#forschung
Ich habe das bereits Ende 2012 formuliert, als ich mit Entsetzen feststellen musste, dass einer seiner Beiträge Aufnahme in die ZGO gefunden hatte.
http://archiv.twoday.net/stories/232596764/
Lehmann, Hans-Dieter: Der Beginn des Turnierwesens am deutschen Königshof. In: Blätter für deutsche Landesgeschichte 130 (1994), S. 65-73
http://periodika.digitale-sammlungen.de/bdlg/Blatt_bsb00000334,00071.html
ist an prominenter Stelle erschienen, aber aus meiner Sicht purer Unsinn.
Gemäß meiner Argumentation für "publish first filter later"
http://digigw.hypotheses.org/1063
ist das Problem weniger die Publikation als vielmehr die Tatsache, dass Lehmann niemals ausführlich widersprochen wurde.
Eine positive Rezeption des Aufsatzes ist mir nicht bekannt geworden. Helge Wittmann: Im Schatten der Landgrafen (2008), S. 28 Anm. 64 äußerte sich bei Besprechung eines Rüxner-Belegs eher ablehnend:
https://books.google.de/books?id=QXG5B84tqmMC&pg=PA534
Skepsis spricht auch aus den Worten von Klaus Arnold: Der fränkische Adel, die ,Turnierchronik' des Jörg Rugen (1494) und das Turnierbuch des Georg Rixner (1530). In: Nachdenken über fränkische Geschichte. Hrsg. von Erich Schneider (Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte, Reihe IX. Darstellungen aus der fränkischen Geschichte, Bd. 50), Würzburg 2005, S. 129-153, hier S. 150
https://books.google.de/books?id=JhpoAAAAMAAJ&q=Lehmann+%22Beginn+des+Turnierwesens%22
(Wie Hechberger sich auf Lehmann bezieht, weiß ich nicht:
https://books.google.de/books?id=WGfaAAAAMAAJ&q=Lehmann+beginn )
Lehmann zitiert sich natürlich im JffL 2002, S. 70 in einer Arbeit über die Zollern-Genealogie zustimmend:
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00048855/image_84
Er sieht dort die Turnierchronik als "Machwerk des 14. Jahrhunderts".
In seinem Aufsatz von 1994 geht Lehmann von Stamms Fund der Rugen'schen Turnierchronik 1494 aus. Dass Klaus Arnold 2005 die Identität Jörg Rugens mit Georg Rüxner erweisen konnte (siehe den oben zitierten Titel) und ich 2008 eine vollständige Überlieferung (von 1499) der Turnierchronik Rugens in New York bekanntmachen konnte
http://archiv.twoday.net/stories/4993981
konnte er natürlich noch nicht wissen. Als historischen Kern der Turnierchronik bzw. der ihr zugrundeliegenden "alten Aufzeichnungen" möchte er S. 68 herausschälen, dass ein deutscher Herrscher Heinrich, der in Kämpfe mit Slawen und Ungarn verwickelt war, das Turnier aus Frankreich importiert habe. Das erste Turnier habe in Magdeburg stattgefunden. Lehmann denkt S. 69 an Heinrich III. und den Juni 1043.
Die zeitgenössischen Indizien, die Lehmann ins Feld führen kann, sind extrem dürftig. Ein Aufenthalt in Magdeburg widerspricht dem Itinerar 1043 nicht (Mai 22 Paderborn; Juni 27 Merseburg), aber man konnte natürlich von Paderborn nach Merseburg reisen, ohne Magdeburg zu berühren. Ein Brief des Abtes Siegfried von Gorze beklagt die Übernahme französischer Sitten insbesondere bei Rüstung und Reiterei, was Lehmann auf das Turnier beziehen will. Angesichts dieser Beweislage kann man die These Lehmanns getrost vergessen. Das S. 66 erwähnte Würzburger Turnier von 1127 kann also weiterhin als das frühestbezeugte Turnier auf deutschem Boden gelten.
Die unkritische Verwertung späterer Traditionen durch Lehmann ist hahnebüchen: "Fiktionen beruhen zumeist auf wahren Nachrichten, die durch Konjekturen verfälscht worden sind" (S. 68). Ich erinnere an meine These in meinem Aufsatz zu historischen Sagen in der Fabula 1988, S. 27,
http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/5273/
die Rede vom historischen Kern einer Überlieferung sei entweder trivial oder gefährlich, wenn sie zur Abstützung eines spekulativen Thesengebäudes dienen soll. So verhält es sich hier.
Lehmann glaubt den Erfindungen der Zimmern-Chronik zum Böhmenzug Heinrichs III. (S. 71). Nach der Turnierchronik nahm Gottfried von Zimmern am ersten Magdeburger Turnier teil. Froben-Christoph von Zimmern setzt diesen Gottfried als Sohn Werners an, der am Böhmenzug 1040/41 teilgenommen habe.
https://de.wikisource.org/wiki/Zimmerische_Chronik_Band_1:Kapitel_11
Wie der Zimmern-Chronist die Fiktionen dieses Kapitels konstruiert hat, hat Gerhard Wolf (Von der Chronik zum Weltbuch, 2002, S. 205ff.) detailliert dargestellt.
https://books.google.de/books?id=9a4z5akCcF0C&pg=PA205
Zu den Fiktionen der Historiker des Hauses Zimmern habe ich mich vor kurzem geäußert:
http://archiv.twoday.net/stories/985929969/
Was die von Lehmann akzeptierte Annahme Stamms, es habe eine in Magdeburg um 1430 entstandene Vorlage der Turnierchronik gegeben, betrifft, so habe ich diese in zwei Beiträgen hier widerlegt:
http://archiv.twoday.net/stories/5086177/
http://archiv.twoday.net/stories/29742435/
Meine Quellenstudien zu den Vierlandeturnieren
http://archiv.twoday.net/search?q=r%C3%BCxner+vierland
haben ergeben, dass für diese 1479 einsetzenden Turniere Rüxner mäßig zuverlässige Daten liefert. Für alle früheren müssen seine Angaben aber bezweifelt werden. So auch mein Aufsatz zu Rüxner 2009
http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/7140/
Für das angebliche Turnier in Schaffhausen 1392 habe ich neulich in meinem Beitrag "Fiktion und Geschichte" gezeigt, dass es eine Erfindung Rüxners darstellt:
http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1847
Zwischen dem Magdeburger "Original" der Turnierchronik und der Rugen-Chronik von 1494 stehe ein Überlinger Beleg von 1466, als bei dem Prozess eines wegen Gotteslästerung hingerichteten Herrn von Jungingen dessen adelige Abkunft durch Turnierbesuche (1080 Augsburg, 1209 Worms) belegt worden sei (S. 67).
Dank der liebenswürdigen und großzügigen Hilfe durch Andreas Zekorn, der mir sofort den von Lehmann zitierten Aufsatz von Eisele sandte, und Johannes Waldschütz, der für mich im Stadtarchiv Überlingen recherchierte und mir Fotos aus Reutlingers Sammelwerk zur Verfügung stellte, kann ich Näheres über dieses angebliche Turnierbuch-Zeugnis von 1466 mitteilen.
Als Quellenangabe zitiert Lehmann nur Friedrich Eisele: Die Herren von Jungingen. In: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern 62 (1931) [S. 1-52, hier] S. 12 mit Anm. 28. Dort steht aber keine Silbe von dem Prozess von 1466! In Anm. 28 wird ein angeblicher Beleg zum Augsburger Turnier 1080, an dem ein Rudolf von Jungingen teilgenommen haben soll, aus Voigt 1834
http://books.google.de/books?id=bIoCAAAAcAAJ&hl=de&pg=PA4
angeführt und zu Recht abgelehnt. Damals habe es noch keine Turniere in Deutschland gegeben. Voigt beruft sich auf eine briefliche Mitteilung, aber natürlich ist die Urquelle Rüxners 1530 erstmals gedrucktes Turnierbuch. Dort gibt es aber (in der Ausgabe 1530) nur die Nennung eines von Jüngingen,
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00090290/image_237
der Vorname Rudolf ist eine spätere Erfindung.
Die Hinrichtung eines Konrad von Jungingen in Überlingen 1466 wird von Eisele im zweiten Teil seines Aufsatzes (Jg. 63, 1932, S. 1-29, hier S. 17f. nach Reutlingers Collectaneen I, 303, 427f.) erwähnt. Herr Waldschütz hat mir freundlicherweise Bd. 1, S. 303 und Bd. 13, S. 95/96 aus dem Sammelwerk im Stadtarchiv Überlingen fotografiert.
Nach Eisele wurde Konrad von Jungingen von Hohenfels am Veitstag (15. Juni 1466) in Überlingen mit dem Schwert hingerichtet, da er einen Bürger eigenmächtig gepfändet habe und darauf angesprochen gotteslästerliche Schwüre (diese fehlen leider auf meinen Fotos) von sich gegeben habe. Eiseles Schluss, Jungingen sei wohl nicht ganz normal gewesen, ist verfehlt. Solche grässlichen Flüche waren durchaus üblich, wie ein Blick in Gerd Schwerhoffs Studie
http://pub.uni-bielefeld.de/publication/2304832
zeigt. Auf dem Weg zur Hinrichtung habe der Adelige einem Torhüter eine goldene Kette geschenkt. Solange keine parallelen Zeugnisse auftauchen, muss der Bericht über die Hinrichtung 1466 mit mindestens einem Fragezeichen versehen werden. Dass die Reichsstadt Überlingen einen Adeligen wegen üblen Fluchens und verbotener Verpfändung hinrichten ließ, erscheint eher unwahrscheinlich.
Aber es geht ja um die Turniere. Bd. 1, S. 303 wurde als Nachtrag vor dem Eintrag zur Hinrichtung 1466 eine Liste von Turnierteilnahmen der Junginger offenbar nach Rüxners Turnierbuch eingetragen:
1080 Augburg
1209 Worms Wolff von Jungingen
1392 Schaffhausen Beckh von Jungingen
1408 Heilbronn Albrecht von Jungingen
1436 Stuttgart
1439 Landshut
1479 Würzburg
1484 Stuttgart
1485 Augsburg
Es kann also keine Rede davon sein, dass die Turnierfähigkeit eine Rolle beim Prozess spielte. Jakob Reutlinger
http://archiv.twoday.net/stories/714908932/
hat am Ende des 16. Jahrhunderts einfach die am leichtesten erreichbaren Belege zur Adelsfamilie von Jungingen zusammengestellt, nämlich aus Rüxners vielgelesenem Turnierbuch.
Das Überlinger Zeugnis 1466 muss also gestrichen werden. Es ist ein Rezeptionszeugnis Rüxners und bezeugt keine Vorstufe der erstmals 1494 überlieferten Turnierchronik, die nach jetzigem Kenntnisstand von Rugen/Rüxner von vorne bis hinten erfunden wurde. Es kann offen bleiben, ob Lehmann Reutlingers Kollektaneen direkt oder womöglich aus zweiter Hand benutzt hat. Sein einziger Beleg Eisele ist jedenfalls unredlich, da dort nichts von Turnieren steht.
Abgesehen von ein bißchen uneigenständiger Rüxner-Kritik enthält der ganze Aufsatz von Lehmann nichts, was für die weitere Forschung von Bedeutung wäre. Seine These vom ersten deutschen Turnier in Magdeburg im Juni 1043 in Magdeburg ist ebenso verfehlt wie sein Umgang mit der Traditionsbildung des 15./16. Jahrhunderts. So etwas hätte den Druck nicht verdient gehabt.
#forschung
KlausGraf - am Freitag, 27. März 2015, 19:47 - Rubrik: Landesgeschichte