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Das 2014 erschienene wichtige Buch von Marco Rainini: Corrado di Hirsau e il “Dialogus de cruce”. Per la ricostruzione del profilo di un autore monastico del XII secolo, SISMEL - Edizioni del Galluzzo, Firenze 2014: xxvi + 436 (70 Euro) ist leider in deutschen Bibliotheken kaum verbreitet (im HBZ-Verbund ein einziger Nachweis in Düsseldorf!), was seiner Rezeption definitiv im Wege stehen dürfte. Open Access wäre in so einem Fall die bessere Lösung.

Die Gliederung des Buchs entnimmt man dem Inhaltsverzeichnis:

https://www.gbv.de/dms/casalini/2958335.pdf

Die Rezension in der Revue Bénédictine

http://dx.doi.org/10.1484/J.RB.5.107617

ist mir nicht zugänglich.

Rainini hat drei frühere Studien (2008, 2009, 2010) in überarbeiteter Form in die Monographie aufgenommen, die sich vor allem mit dem im Clm 14159 überlieferten "Dialogus de cruce" befasst, den Rainini überzeugend dem von mir Peregrinus Hirsaugiensis genannten, als Konrad von Hirsau bekannten Autor zuweisen kann.

Digitalisat der Handschrift:

http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00018415/image_1

Der erste Teil widmet sich der Zuschreibung des Werks, dem Autor und der Chronologie seiner Werke, während im zweiten Teil die wichtigsten theologischen Konzepte des Dialogus erörtert werden. Der dritte Teil behandelt die Quellen des Autors und versucht eine Einordnung in das theologische Spektrum des 12. Jahrhunderts. Als Ganzes ist Raininis Studie ein sehr willkommener Beitrag zur monastischen Literatur des 12. Jahrhunderts und in Sachen "Konrad von Hirsau" ein entscheidender Fortschritt.

Eine Würdigung des theologiegeschichtlichen Ertrags muss Berufeneren vorbehalten bleiben. Ich muss mich auf eine Anmerkung zur Autorenfrage und einige kleinere ergänzende bzw. korrigierende Notizen beschränken.

S. XIII Das Siglum VI (De veritatis inquisitione) ist unpassend für die Sentenzensammlung, die man als "Sententiae morales" (SM) bezeichnen sollte.

S. 6 Anm. 3: Das Stammheimer Missale befindet sich seit 1997 im Getty-Museum
http://archiv.twoday.net/stories/629755469/

S. 52 Die Signatur der wichtigen Leipziger Handschrift lautet "Ms. 148" nicht "Cod. Theol. 148".
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/dokumente/html/obj31560845

S. 55 Die Neustifter Handschrift des Dialogus super autores hat sehr wohl eine Signatur, nämlich "Cod. 360".
http://manuscripta.at/?ID=35471

S. 217-220 Zu Werner von St. Blasien habe ich eine ausführliche Korrektur veröffentlicht
http://archiv.twoday.net/stories/1022414583/

S. 238f. Zum Diagramm "Homo constat ex carne": Bei der handschriftlichen Überlieferung ist ULB Darmstadt, Hs. 812 nicht berücksichtigt. Abbildung:
http://archivalia.tumblr.com/post/73965301565/peregrinus-conradus-hirsaugiensis-homo-constat

S. 395 Im Literaturverzeichnis ist ein bedeutender Aufsatz von Bernards "Um den Zusammenhang" fälschlich Bultot zugewiesen worden (korrekt in den Fußnoten).

Nun zur Autorenfrage.

Rainini hätte die Aufgabe gehabt, alle Indizien für die Ordenszugehörigkeit des Autors zusammenzutragen, was er aber unterlassen hat. Er weist darauf hin (S. 36, 75), dass im Dialogus de mundi contemptu, einem Dialog zwischen Mönch und Kanoniker, die monastische Lebensform als überlegen gewertet wird, nennt aber nicht das von Seyfarth (Einleitung zum Speculum virginum, CCCM V, S. 43*) leichthin weggewischte Zeugnis, dass im Speculum virginum (SV) Benedikt als sanctus pastor noster genannt und die Dialogpartnerin Theodora als Benediktinerin gedacht wird.
http://archiv.twoday.net/stories/1022473555/

Soll ich das wirklich tadeln? Es gibt mir doch Gelegenheit, erstmals den Befund aus dem Dialogus super auctores in diesen Strang der Konrad-Literatur einzubringen. Die Sekundärliteratur zu Konrads "Literaturgeschichte" hat - ohne die Debatten um die Autorschaft groß zur Kenntnis zu nehmen - den Dialogus super auctores (DSA) in einer benediktinischen Klosterschule, insbesondere in Hirsau situiert. Der Schüler lebt nach den Worten des Textes (wie Theodora) nach der Benediktsregel, da auf eine Übernahme aus Terenz "in Regula tua" verwiesen wird (ed. R. B. C. Huygens: Accessus ad auctores, 1970. S. 117 Zeile 1418). Diese Stelle registrierten Leslie G. Whitbread: Conrad of Hirsau as Literary Critic. In: Speculum 47 (1972), S. 235 und Terence O. Tunberg: Conrad of Hirsau and His Approach to the Autores. In: Mediaevalia et Humanistica NF 15 (1987), S. 67. Beide machten zusätzlich darauf aufmerksam, dass das Interesse des Autors an den Todesdaten von Petrus und Paulus mit dem Patrozinium der Hirsauer Klosterkirche erklärt werden könnte (Whitbread S. 235; Tunberg S. 80). Nicht ohne Gewicht erscheint mir die Beobachtung von Rainer Kurz: Zu Konrads von Hirsau "Dialogus super auctores" 590 über das Leben des Sedulius. In: Mittellateinisches Jahrbuch 14 (1979), S. 265-272, dass der Autor eine Reichenauer Handschrift oder eine Abschrift davon benutzt hat. Literarische Beziehungen Hirsaus zu Reichenau spiegeln sich im Hochmittelalter etwa in einer hypothetischen Überlieferungskette Reichenau-Hirsau-Schaffhausen bei einer Schaffhausener Handschrift, auf die Felix Heinzer hinwies:

https://books.google.de/books?id=DCKY2941XFQC&pg=PA99

Sowohl das Interesse an Petrus und Paulus als auch der Reichenauer Bezug können natürlich nicht beweisen, dass "Peregrinus" tatsächlich in Hirsau schrieb; das argumentative Gewicht dieser Indizien ist zwar nicht zu vernachlässigen, aber gering.

Das gilt auch für wörtliche Übernahmen aus der Benediktsregel (laut Register zu Benedetto da Norcia von Rainini S. 71, 300 angesprochen).

Auf die monastische Situierung des Dialogus de cruce und eine Erwähnung der Mainzer Kirchenprovinz (zu der z.B. Andernach definitiv nicht gehörte) weist Rainini S. 36f. hin.

Sowohl im Speculum virginum als auch im Dialogus super auctores beruft sich "Peregrinus" in einer Weise auf die Benediktsregel, die einen Schluss auf die eigene Ordenszugehörigkeit erlaubt. Im Dialog zwischen Mönch und "Matricularius" steht er auf der Seite des Mönchs. Angesichts dieses Befunds ist es aus meiner Sicht nicht zulässig, Seyfarths Vermutung, ein rheinischer Regularkanoniker sei "Peregrinus", als ernsthafte Möglichkeit weiter in Betracht zu ziehen.

(Ob man aus dem Autorenbild, das einen Mönch oder einen Kanoniker zeigt, siehe etwa "L":

http://archivalia.tumblr.com/post/59673364631/peregrinus-conradus-hirsaugiensis-speculum

Schlüsse ziehen kann, müssen Spezialisten für klösterliche Tracht entscheiden. Eine Mail-Anfrage von mir bei Frau Professorin Nilgen blieb unbeantwortet.)

Alles deutet daher auf einen Benediktinermönch, wenngleich auch die Zisterzienser nach der Benediktsregel lebten und Benedikt als Vater des Mönchtums verehrten.

Die älteste Überlieferung der Vollhandschriften des Speculum virginum hat ein deutliches zisterziensisches Profil, benediktinische und Regularkanoniker-Provenienzen treten deutlich zurück.

Von einer der beiden hochmittelalterlichen Handschriften des DSA kennt man den mutmaßlichen Schreibort St. Stephan in Würzburg OSB.
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0084_b006_jpg.htm

Der Dialogus de cruce stammt aus Regensburg St. Emmeram OSB, und im Regensburger Benediktinerkonvent in Prüfening befand sich, worauf Rainini S. 12 hinweist, im 14. Jahrhundert eine Handschrift des Speculum virginum.

Eine Schriftensammlung des Peregrinus nannte man in Eberbach OCist "Peregrinus minor" (Rainini S. 34). Der Peregrinus maior war dann sicher das Speculum virginum, dessen älteste (Londoner) Handschrift aus Eberbach stammt.

S. 202-204 erwägt Rainini, Felix Heinzer folgend, ob das Schaubild "Lamm Gottes" im ca. 1140/60 zu datierenden Kollektarium aus Zwiefalten OSB (WLB Stuttgart Cod. brev. 128, Bl. 10r) ebenfalls von Konrad oder einem Schüler stammt. Digitalisat:

http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz33972076X/page/21

Auch im Kapitelsoffiziumbuch (um 1162) dieser Hirsauer Gründung wollte Heinzer eine Abbildung auf das Speculum virginum zurückführen.

http://www.persee.fr/web/revues/home/prescript/article/ccmed_0007-9731_2001_num_44_176_2809 (S. 339)
https://www.freidok.uni-freiburg.de/data/8216 (S. 139)
http://digital.wlb-stuttgart.de/purl/bsz349406464/page/179 (Digitalisat)

Wenn man also den Blick weitet und nicht nur das SV einbezieht (wobei bei De fructibus - FCS - meine diesbezügliche Zusammenstellung noch nicht veröffentlicht ist), kann man von der frühen Verbreitung einen benediktinischen Entstehungskontext nicht ausschließen. Eher unwahrscheinlich sind die Regularkanoniker. Allerdings sollte man unterstreichen, dass aus Verbreitungsdaten methodisch schlüssig nicht auf den Entstehungskontext geschlossen werden darf. Sie liefern allenfalls einen gewissen Anhaltspunkt.

Könnte "Peregrinus" nicht ein Zisterzienser gewesen oder in diesen Orden übergetreten sein? Schließlich schrieb um 1140 Papst Innozenz II. Zisterzienseräbten im Einzugsbereich von Hirsau, dass sich der Hirsauer Abt Volmar beklagt hätte, sie hätten aus Hirsau entlaufenen Mönchen Zuflucht gewährt.

https://books.google.de/books?id=DCKY2941XFQC&pg=PA409 (Heinzer)

Ein Gegenargument sind die Datierungen seines Werks, wenn man sie mit der Ausbreitung des Zisterzienserordens korreliert. Wenn De fructibus (FCS) tatsächlich nicht später als 1133 entstanden ist, war das in der Überlieferungsgeschichte so wichtige Kloster Eberbach (Gründung 1136) noch gar nicht gegründet. Das niederrheinische Kamp wurde schon 1123 gegründet, aber man scheut trotzdem vor der Annahme zurück, dass ein monastischer Autor in der aufregenden Gründungsphase der deutschen Zisterzen die Muße für seine theologischen Schriften gefunden haben könnte.

Mit der Datierung der Werke befasst sich Rainini S. 51-56. Die Probleme liegen auf der Hand: die frühen Pergamenthandschriften sind nur ausnahmsweise hinreichend genau datierbar, zeitgeschichtliche Anspielungen und Textrezeptionen sind vielfach nicht hinreichend eindeutig anzunehmen. Daher beurteile ich die diesbezüglichen Resultate Raininis nicht so optimistisch wie er selbst. Der Befund gibt zu oft nur "weiche" Daten her.

Bei FCS kommt Rainini zu dem Schluss, dass die Hypothese einer Entstehung vor dem August 1133 plausibel bleibe - wie gern würde man ihm glauben und hätte dann einen festen Anker! Ganz sicher ist es natürlich nicht, dass man nachträglich und zeitgleich im August 1133 eine Sonnenfinsternis in das Leipziger Ms. 148 (aus Pegau OSB) eingetragen hat. [ http://archiv.twoday.net/stories/1022493888/ ] Die Salzburger Handschrift wird in der "offiziellen" Beschreibung mit Fragezeichen in das zweite Drittel des 12. Jahrhunderts datiert.
http://www.ubs.sbg.ac.at/sosa/handschriften/mi32txt.htm

Bei DMC und den anderen kleinen Schriften aus dem Eberbacher "Peregrinus minor" um 1200 ist eine nähere Datierung nicht möglich.

Die Benutzung von Werken Hugos von St. Viktor (S. 312-315) möchte Rainini bei dem DSA und der Altercatio (ASE) sowie dem DDC in einen terminus post quem ca. 1135 ummünzen. Bei der ASE überzeugt mich nicht, dass eine Anspielung auf den Kreuzzug 1147/48 vorliegen soll. Für den Dialogus de cruce (DDC) soll eine Benutzung eines Werks von Petrus Venerabilis einen Terminus post quem 1144 sichern.

Eine gewisse Sicherheit bei dem SV liefert allein die durch Cohen-Mushlin angenommene Datierung von Pal. lat. 565 auf ca. 1150/55. Mit Seyfarths paläographischer Datierung von Arundel 44 ca. 1140/50 fängt man nicht viel an. Übernahmen aus Bernhard von Clairvaux, die eine Datierung nach 1139 nahelegen (S. 62), sind wohl nicht hinreichend gesichert. Wie Seyfarth datiert Rainini das Speculum virginum in die beginnenden 1140er Jahre.

Nach der Tabelle S. 72 entstand De fructibus wahrscheinlich vor 1133 und das Speculum virginum vor 1150/55. Mit Vorbehalt akzeptiere ich auch die Datierungen für DSA nach 1135 und DDC nach 1144. "Peregrinus" wirkte also nachweislich im zweiten Viertel des 12. Jahrhunderts, was gut zur Aussage des Trithemius passt: "Claruit sub Conrado imperatore tertio. Anno Domini 1140" (Scr. eccl., zitiert von Rainini S. 28, 51). Zunächst hatte Trithemius aber die Zeit um 1100 angesetzt. Angesichts der Übereinstimmung mit den einigermaßen gesicherten Daten wird man das Zeugnis des Trithemius nicht ohne weiteres verwerfen dürfen.

Zu den Nennungen von Peregrinus bzw. "Konrad von Hirsau" bei Trithemius hätte Rainini (S. 27) nicht darauf verzichten dürfen, die Erörterungen und Textmitteilungen Valentin Roses 1893 zu zitieren:

http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0709_c0137_jpg.htm

Rainini zitiert zwar S. 38 meinen Beitrag von 2013 zu den Hirsauer Inschriften

http://ordensgeschichte.hypotheses.org/5502 (= Graf 2013)

zu dem Basellius-Zeugnis, aber weder hat er meine Argumentation erschöpfend verwertet noch kann der Leser seinem Zitat entnehmen, dass ich mich dort umfangreich mit dem Konrad-Problem auseinandersetzt habe. Ich muss also nochmals die Sachlage erörtern, wobei ich für Belege weitgehend auf den Beitrag von 2013 und Raininis Monographie verweise.

(Meine Konrad-Studien entstanden in den frühen 1990er Jahren. Von Raininis bahnbrechendem Aufsatz von 2009 erfuhr ich erst - dank der liebenswürdigen Zusendung durch Pater Rainini, dem ich auch für das Exemplar seines Buches zu danken habe - nach der Veröffentlichung meines Beitrags von 2013 mit dem Konrad-Exkurs.)

Die textimmanenten Hinweise auf einen benediktinischen Autor passen gut zur Hirsauer Tradition, die einen geistlichen Schriftsteller Peregrinus als Mönch des eigenen Klosters kennt - und zwar schon vor Trithemius.

1. Hieß Peregrinus Konrad?

Seyfarth hat in ihre SV-Ausgabe die sich auf den Autor, der sich sonst mit dem Pseudonym Peregrinus bezeichnet, beziehende Initiale C gesetzt (Erörterung bei Rainini S. 38-41). Von C auf Conradus zu kommen, ist außerordentlich naheliegend. Diesen Schluss zu ziehen darf man Trithemius nicht anlasten - vorausgesetzt, er hatte keine anderen alten Informationen zu Konrad von Hirsau.

Rainini legt zuviel Wert auf den Eintrag "Hhunradus" in der Salzburger Handschrift M I 32 (S. 41-43). Dass sich das auf den Autor von FCS bezieht, ist nur eine von mehreren Möglichkeiten und scheint mir auch nicht notwendigerweise die wahrscheinlichste - für mich kein wirklich tragfähiges Argument.

Ein von Trithemius unabhängiges Zeugnis, dass "Peregrinus" Konrad hieß, existiert nicht (bzw. das Salzburger Zeugnis wiegt zu leicht). Da Trithemius sich geirrt haben kann oder den Namen lediglich aus der Initiale C abgeleitet, bevorzuge ich weiterhin den Namen Peregrinus Hirsaugiensis. Ich meine aber, darin Rainini zustimmend, dass man den Autor des SV und der weiteren Werke wahrscheinlich Konrad von Hirsau nennen darf.

2. Der Hirsauer Bibliothekskatalog aus dem Hochmittelalter

Johannes Parsimonius schrieb den alten Bibliothekskatalog aus der verlorenen Handschrift A ab, die nicht nur Mittelalterliches enthielt (Graf 2013 zu Nr. 213). Viel Staat ist mit den 37 Nummern nicht zu machen

http://archive.org/stream/catalogibibliot00beckgoog#page/n230/mode/2up
nach Lessing
http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/pageview/4023022

Eine Auswertung versucht Rainini S. 283-285. Die tradierte Datierung um 1165 ist natürlich Unsinn. Sie stützt sich auf die mit dem 1165 verstorbenen Abt Mangold endende Liste der Äbte in der Vorbemerkung. Die Formulierung "sub praedicto patre Wilhelmo" zeigt aber, dass sie von dem Redaktor des Codex A oder sogar von Parsimonius stammt, also für die Datierung des eigentlichen Bibliotheksverzeichnisses streng genommen nicht das geringste besagt. Die Erwähnung von Hugo von St. Viktor De sacramentis liefert auch hier einen Terminus post quem 1135 für das offensichtlich im 12. oder 13. Jahrhundert zusammengestellte Bücherverzeichnis, das wir nur in kursorischer Zusammenfassung haben, da der Redaktor am Ende sagt, er habe von vielen Büchern Titel und Autoren nicht aufzeichnen wollen ("nolui huc scribere").

Natürlich ist es angesichts der nach-trithemianischen Datierung denkbar, dass der Peregrinus später interpoliert wurde, aber konkrete Anhaltspunkte gibt es nicht. Man darf also getrost davon ausgehen, dass ein hochmittelalterliches Hirsauer Zeugnis einen Hirsauer Mönch Peregrinus belegt, der schriftstellerisch tätig war.

3. Zeugnisse für Peregrinus in Hirsau vor Trithemius

Rainini zitiert S. 38 das von mir beigebrachte Testimonium aus dem Bonner Cod. S 310 Bl. 154r: "omnes uiri insignes, ab eorum collegio nequaquam retraendus est Peregrinus, uir utique egregius: hic eleganti tum Veteris tumque Novi Testamenti dogmate decorauit eram" (anders lese ich die Stelle auf meiner Kopie auch nicht). Rainini gibt aber nicht die von mir begründete genauere Datierung des Werks des Nikolaus Basellius, das Trithemius zur Verfügung gestellt wurde: 1490/95 (Wasserzeichen: 1488/92). Der Eintrag zeigt, dass man schon vor Trithemius von einem Hirsauer Mönch Peregrinus wusste, der Bibelstudien betrieben hatte. Außerhalb von Hirsau wusste der Augsburger Benediktiner (und Thierhauptener Abt) Petrus Wagner (sein Name fehlt leider im Namensregister von Rainini), dass ein Hirsauer Mönch Peregrinus viel geschrieben habe. Die Datierung ist unsicher, vermutlich 1493 (S. 35).

Das alles beweist nicht, dass der Hirsauer Schriftsteller Peregrinus auch jener Autor Peregrinus war, der das SV und die weiteren Werke verfasste.

Entscheidend ist nun - auch dafür interessiert sich Rainini S. 35f. nicht - die von mir 2013 angesprochene Datierung der Dormitoriums-Balken in das Jahr 1480. Sie wiesen ja unzweifelhaft Zitate eines "Peregrinus", der der SV-Peregrinus sein muss, auf - laut der Abschrift des Parsimonius in der Wolfenbütteler Handschrift und auch im Tübinger Mh 164 (aus dieser Handschrift von Bernards ediert). Ich sah keinen Anlass, Neumüllers-Klauser zu widersprechen, die bei Nr. 131 ihres Inschriftenbandes 1480 datierte, eine Jahreszahl, die auf Trithemius zurückgeht.

Bezweifelt man (ohne stichhaltigen Grund) die Datierung des Dormitoriums auf 1480 durch Trithemius oder die gleichzeitige Anbringung der Inschriften in diesem Innenraum, so entfiele dieses entscheidende vor-trithemianische Zeugnis, dass der Peregrinus des SV und der Peregrinus der Hirsauer Tradition in Hirsau als identisch angesehen wurden. Dem Ersteller der Inschriften lag das SV und ein nicht identifiziertes Werk des Peregrinus vor.

4. Texte und Bilder des Peregrinus in Hirsau

Neben den SV-Zitaten in den Dormitoriumsinschriften (samt einem Zitat aus einem unbekannten Peregrinus-Werk) ist vor allem die Abschrift der ASE durch den Hirsauer Mönch Johannes Rapolt 1511 zu nennen (S. 45f.). Sie würdigt Konrad von Hirsau nach Trithemius und soll einer Matricularius genannten Handschrift entnommen worden sein. Die Bezeichnung Matricularius ist der Titel von DMC. Wenn keine Verwechslung vorliegt, war also auch DMC in Hirsau vorhanden. Ich stellte mir die Frage, wie Rapolt überhaupt wissen konnte, dass ASE ein Werk von Conradus alias Peregrinus sei, denn in den gedruckten und ungedruckten Werklisten des Trithemius (S. 27 ab Anm. 13 zitiert) fehlt ASE. Es erscheint erst in den auf Trithemius zurückgehenden Inschriften des Sommerrefektoriums von 1517/21 (zitiert S. 47 Anm. 105 aber nicht nach der Wolfenbütteler Handschrift, sondern nach Lessings Wiedergabe derselben, die ich nach dem Erstdruck verlinke

http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/vd18/content/pageview/4023033 ).

Außerdem gab es im nach 1543 mit Wandgemälden ausgestatteten Hirsauer Abtshaus Bäume der superbia und der humilitas, die womöglich auf das SV oder ein anderes Peregrinus-Werk zurückgingen (Graf 2013 nach Neumüllers-Klauser Nr. 219).

Gab es im Hochmittelalter mehrere Werke des SV-Peregrinus und trifft die Datierung der Dormitoriums-Inschriften auf 1480 zu, so erscheint der Schluss berechtigt, dass der Peregrinus des Hirsauer Bibliothekskatalogs aus dem Hochmittelalter mit dem SV-Peregrinus identisch ist, also Peregrinus Hirsaugiensis das Speculum virginum, den Dialogus de cruce und die weiteren Schriften verfasste.

Dass es in der Hirsauer Bibliothek Schriften des SV-Verfassers Peregrinus und daneben Schriften eines Hirsauer Mönchs Peregrinus gab, die man womöglich am Ende des 15. Jahrhunderts zusammengeworfen hat, halte ich für höchst unwahrscheinlich.

Wenn aber nun Trithemius im Rheinland auf die Schriften des Augustinerchorherrn (?), der nach Bernards und Seyfarth das SV verfasst haben soll, stieß und diese in Abschrift nach Hirsau verfrachtete, da er überzeugt war, dass der Hirsauer Peregrinus und der SV-Peregrinus identisch seien? Dann müsste man nur die Datierung der Dormitoriums-SV-Zitate auf 1480 beseitigen. Die fälschende Interpolation des Bibliothekskatalogs wäre unnötig, denn der dort genannte Peregrinus hat ja nicht notwendigerweise etwas mit dem SV-Verfasser zu tun.

Für eine solche finstere Machenschaft fehlen jegliche konkreten Anhaltspunkte! Ich bin niemand, der dazu neigt, die Fälschungen des Trithemius zu beschönigen und teile mit Blick auf "Haymo von Halberstadt" auch nicht Klaus Arnolds optimistische Einschätzung, die literaturgeschichtliche Arbeit des Sponheimer Abts sei "sauber". Aber des Trithemius Angaben zu Peregrinus und ab 1495 Konrad von Hirsau sind bemerkenswert präzise. Seine Textanfänge ermöglichten ab dem Ende des 19. Jahrhunderts die Identifizierung der handschriftlichen Texte. Nur den Trithemius unbekannten Dialogus erkannte erst Rainini als Peregrinus-Werk.

Rätselhaft ist, wie Trithemius (eventuell unterstützt durch Hirsauer Mitarbeiter) die einzelnen Werke aus dem Peregrinus-Oeuvre zusammenführen konnte. Es wäre doch etwas naiv anzunehmen, dass es in einer alten Klosterbibliothek eine Reihe von Bänden gab, in denen die einzelnen Werke ein "Explicit liber Peregrini monachi" o.ä. trugen. In Eberbach konnte er das SV und die Texte des "Peregrinus minor" einander zuordnen. Vermutlich stammen auch die anderen Zuweisungen aus solchen heute verlorenen Autorensammlungen. Möglicherweise lag Rapolt in Hirsau 1511 eine solche Sammlung vor, die außer dem abgeschriebenen ASE auch den Matricularius = DMC enthielt.

Insgesamt ergibt sich eine Bestätigung der These von Rainini, wonach der Benediktiner Konrad von Hirsau, der - wie Trithemius angab - um 1140 lebte, das Speculum virginum, den Dialogus de cruce und die weiteren Werke verfasst habe. Die 1480 zu datierenden SV-Zitate im Hirsauer Dormitorium sichern neben der wohl auf eine hochmittelalterliche Hirsauer Handschrift zurückgehenden Altercatio-Abschrift Rapolts von 1511 die Gleichsetzung des im hochmittelalterlichen Bibliothekskatalog erwähnten Hirsauer Mönch Peregrinus mit dem Verfasser des Speculum virginum ab.

Deutlicher als Rainini kann ich die Zugehörigkeit des Peregrinus, der das SV und die anderen Texte verfasste, zum Benediktinerorden plausibel machen. Die von Rainini nicht berücksichtigten handschriftlichen Überlieferungsverhältnisse widersprechen dieser Zuweisung keineswegs - wenn man nicht nur das SV berücksichtigt. Dass Peregrinus Regularkanoniker war, darf man - gegen Seyfarth - wohl ausschließen. Nur weil das SV in Zisterzen gern gelesen wurde, muss er kein Zisterzienser gewesen sein. Stammt das Lamm-Schaubild in der sehr frühen Zwiefalter Handschrift tatsächlich von Peregrinus, so verweist das mit Nachdruck auf den nächsten Umkreis Hirsaus.

Als Peregrinus schrieb, hatte die Hirsauer Reform deutlich an Vitalität und Attraktivität verloren. Die Mühen der Forschung mit seinem Werk beweisen eines: Von einer spezifisch "hirsauischen" Geistigkeit kann bei Peregrinus überhaupt keine Rede sein. Die theologischen Konzepte von Benediktinern, Regularkanonikern und Zisterziensern unterschieden sich damals nicht in einer Weise, die es dem Forscher ermöglicht, einen theologischen Text klar und zweifelsfrei zuzuweisen. Peregrinus stand den theologischen Positionen nah, die in allen drei Gruppen vertreten wurden (auf Raininis Studien zu den "moderni" S. 303-341 sei verwiesen).

#forschung

 

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