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FWE Roth, den ich vor kurzem als Fälscher entlarvt habe

http://archiv.twoday.net/stories/1022477029/

veröffentlichte ab 1884 eine Vielzahl bibliographischer Studien, die sich vor allem mit der Druckgeschichte der Inkunabelzeit und dem 16. Jahrhundert befassten.

https://de.wikisource.org/wiki/Ferdinand_Wilhelm_Emil_Roth

Ein hartes Urteil aus der Sicht der Inkunabelbibliographie fällt Falk Eisermann, der ihm nur eine "geringe bibliographische Kompetenz" attestiert.

http://archiv.twoday.net/stories/1022476725

Die Unzuverlässigkeiten und Schlampigkeiten Roths sollten jeden davor warnen, Angaben von ihm ungeprüft zu übernehmen. Bei Angaben, für die er die einzige Quelle darstellt, ist höchste Vorsicht angebracht. Im Zweifel sollte man auf die Verwertung des Belegs verzichten.

Wohl zu den besseren Publikationen Roths zählt seine im Centralblatt für Bibliothekswesen veröffentlichte kurze Studie zum Mainzer Drucker Friedrich Heuman(n):

Der Buchdrucker Friedrich Heuman zu Mainz 1508-1512. In: Zentralblatt 10 (1893), S. 476-483
http://www.digizeitschriften.de/de/dms/img/?PID=GDZPPN00025519X&physid=phys528#navi

Zum heutigen Forschungsstand zu Heumann siehe Reske 2007

https://books.google.de/books?id=zOTCP4MlY-QC&pg=PA590

Abgesehen von den neuen Nachweisen im VD 16 hat sich seit Roth nicht viel getan. Roth ist immer noch die ausführlichste Darstellung.

Roth weist zunächst die Erfindung Bodmanns zurück, Heumann habe die Druckeinrichtung der Brüder vom gemeinsamen Leben zu Marienthal angekauft. Er kritisiert frühere Bibliographen, namentlich Schönemann und Helbig, dafür, dass sie angenommen hätten, Heumanns Missaltype sei von Johannes Gutenberg übernommen worden. Er unterlässt aber einen Hinweis, dass schon 1884 der "Beschreibende Catalog des bibliographischen Museums von Heinrich Klemm", den er - klassisches Bauernopfer - erst unter I, 1 zitiert, zum gleichen Schluss gekommen war. Roth tut also so, als sei die Beweisführung auf seinem Mist gewachsen.

https://archive.org/stream/beschreibenderca00klem#page/56/mode/2up

Er ergänzt den Namen (Schoenemann, auf dem Titelblatt Schönemann) der "Hundert Merkwürdigkeiten", hat aber anders als Klemm bei Helbig das falsche Erscheinungsjahr 1858 statt richtig 1855.

http://reader.digitale-sammlungen.de/resolve/display/bsb10787476.html

Roth sagt, dass Helbig sieben Heumann-Drucke kannte, während er selbst 16 kenne. Dass bereits der später von ihm zitierte Hessels 1882 11 Drucke nachweist, vergisst er zu erwähnen.

http://www.e-corpus.org/notices/151325/gallery/1986875

Bei I 1 ist das vom Klemm-Katalog übernommene Datum 1508 ein Irrtum, denn die Beschreibung (mit Zeilenfall) ist identisch mit dem zweiten Teil von Nr. II 1, worauf Roth hätte eingehen müssen.

Digitalisat:
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00009163/image_3

Zum folgenden verlinke ich nicht jeweils das VD 16, das im Augenblick die maßgebliche Zusammenstellung der Heumann-Drucke bietet.

http://gateway-bayern.de/VD16+O+669

Zu streichen ist der in Mainz, aber nach VD 16

http://gateway-bayern.de/VD16+V+1004

bei Johann Schöffer gedruckte Druck "Hierin in disem büchleyn". Auch das VD 16 hat nur den von Roth angegebenen Standort Augsburg, Stadtbibliothek. Von Nutzen ist der Hinweis Roths auf den Abdruck von Keller. Dass es sich um eine Priamelsammlung handelt, hätte Roth dem Leser durchaus mitteilen dürfen. Wie der Zufall es will, habe ich sie hier bereits einmal erwähnt:

http://archiv.twoday.net/stories/948989603/

Ein noch schlimmerer Schnitzer ist die Zuordnung von

GW M46580 Thomas de Aquino: De vitiis et virtutibus. [Köln: Heinrich Quentell, um 1495]. 4°

zu Heumann (Nr. II 5). Nach der Beschreibung Roths nach einem Exemplar der Stadtbibliothek Mainz handelt es sich um diesen Druck. Er gehört in drei Exemplaren der Mainzer Stadtbibliothek und befindet sich mit den anderen Inkunabeln heute im Gutenberg-Museum.

Digitalisat:
http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/inc-ii-537/0001

Da die Nr. I 1, II 2 und II 5 zu streichen sind, schrumpft die Zahl der Roth bekannten Drucke auf 13 von 24 im VD 16. Hessels kannte zehn Drucke (Nr. 1 und Nr. 8 sind Roth Nr. I 1 = II 1), Roth also nur drei mehr.

Es fehlen bei Roth die Berliner Exemplare (zwei davon sind laut "ST 16" in Krakau, ohne dass das VD 16 davon Notiz nimmt!). Womöglich hätte Roth über sie Auskunft erhalten.

Von den 24 Ausgaben im VD 16 sind nach dessen Angaben derzeit 12 online. [13: http://archiv.twoday.net/stories/1022481156/ ]

Nach meiner Ansicht sind Roths bibliographischen Angaben für die damalige Zeit eine achtbare Leistung. Wenn Roth unzuverlässig ist, dann ist es das VD 16 auch (wobei das natürlich immer eine Frage der Größenordnung ist ...).

Völlig wertlos ist die Angabe im VD 16 zu R 627, die sich ohne weitere Angaben auf Benz(inger) beruft. Unklar ist das Verhältnis dieses Drucks zu R 1100/R 619. Überhaupt ist die extreme Kargheit der bibliographischen Angaben im VD 16 extrem ärgerlich, da man bei jeder Recherche von vorn anfangen muss und die unübersichtliche Fülle älterer Bibliographien, von denen heute viele bequem online sind, sichten. Roth bietet bessere Informationen als das VD 16, da er für die Forschung wichtige weitere Angaben bereitstellt (natürlich häufig fehlerhaft).

Leider als Einzelkämpfer agiert Walter Behrendt (Mailand) mit seinem

http://wikidrucke16tesjh.hist.net/

Aber in einem Wiki Ergänzungen zum VD 16 zusammenzutragen, ist im Prinzip der richtige Ansatz!

Unzuverlässig ist der VD 16 zu D 2230 , wenn er beim letzten bekannten Druck aus zweiter Hand "Roth Heum.8" (korrekt wäre: II 8) zitiert, denn Roth hat diesen Druck - anders als wohl etliche aus seiner eigenen Bibliothek - nicht erfunden, sondern nach Hessels Nr. 11 angeführt, der ihn 1881 in der Sammlung von Friedrich Culemann in Hannover sah. Da er von dem großen Inkunabelverkauf Culemanns nicht betroffen war, könnte er sich in der Stadtbibliothek Hannover befinden. In jedem Fall hätte nicht Roth, sondern Hessels zitiert werden müssen.

Anhangsweise widmet Roth sich etwa dem Psalterium Spirense von 1515, von dem er etwas ungenau behauptet, Hessels hätte es Heumann zugeschrieben. Hessels hat aber nur eine Typenidentität behauptet und die gleiche Type auch bei einem Druck von Peter Schöffer 1518 gefunden. Roth druckt aus dem Psalterium etwa die Hälfte des Schreiben Bischof Georgs von Speyer 1515 ab. Digitalisat:

http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00017928/image_7

ich habe den Wortlaut nicht genau verglichen, es gibt vermutlich schlimmere Textwiedergaben Roths als diese.

Zur literarischen Tätigkeit des Florentius Diel bietet Roth einige willkommene Hinweise. Die Ars bene cantandi (Nr. I 5) hatte er schon früher nach einem Exemplar der Mainzer Stadtbibliothek beschrieben und eine kurze Notiz über Diel angefügt:

http://www.archive.org/stream/MonatshefteMusikGeschichte_20/Monatshefte_fr_Musik_Geschichte#page/n165/mode/2up

Roth zitiert sich nicht namentlich, nur die Monatshefte für Musikgeschichte XXI (1888), S. 153. Statt XXI muss es korrekt XX heißen.

Ergänzungen zum VD 16 liefern der KVK (wobei die OPACs kaum Zusatzinformationen bieten) und Google Books/Google Websuche.

Beispiel: VD16 ZV 3148 (also nicht im gedruckten VD 16 enthalten!) ist Roth Nr. I 4, den Roth aus Panzer und Hessels kannte. Er wird vom VD 16 nur in der ULB Düsseldorf nachgewiesen, ist aber auch in der Beinecke Library (Yale) vorhanden. Siehe auch

Beispiel: Das im VD16 als ZV 28039 verzeichnete Stück erscheint mit Provenienzdaten im Solothurner OPAC, aber ohne Hinweis auf das VD 16.

http://aleph.ag.ch/F/?/&func=find-b&find_code=SYS&request=000552313

Zu Roth Standortsnachweisen: Nach bisherigem Kenntnisstand hat Roth immer wieder Drucke Sammlungen untergeschoben, in denen sie gar nicht vorhanden sind oder waren. Wenn man auf Antwort hoffen darf wie im Fall der Stadtbibliothek Mainz sollte man solche Nachweise Roths immer überprüfen. Bei kleinen Sammlungen wie der Pfarrbibliothek St. Quintin (Nr. I 3) ist Vorsicht geboten.

Nach meinen Ermittlungen zu Roths Bibliothek glaube ich ihm einfach nicht, dass er eine bei Heumann gedruckte Zweitausgabe einer Schrift des Kartäusers Johannes Rode sein eigen nannte.

"Epistola perutilis inter legendumque suauis: fratris Johannis Carthusi||ensis ordinis ad quosdam studentes Pragenses || de Hamburg.||" (angeblich Fragment aus Titelblatt und zwei Blättern)

Wortlaut und Zeilenfall weicht von der Speyerer Inkunabel um 1490/91, die Roth z.B. in Mainz oder Trier vorfinden konnte

http://gesamtkatalogderwiegendrucke.de/docs/M38424.htm
Gerhard Schlegel
http://www.cartusiana.org/files/Johann%20Rode%20von%20Hamburg.PDF

ab.

Anders als das VD 16 hätte der GW dieses dubiose Stück, das sonst nirgends aufgetaucht ist, wohl nicht aufgenommen.

Bei Druckerzuweisung verdient Roth keinerlei Vertrauen, es könnte sich auch um eine sonst nicht bekannte Variante des Speyerer Drucks (den Roth verschweigt), also um eine Inkunabel, gehandelt haben.

Die Erfindung dieser Ausgabe, die in die Kartäuserforschung eingegangen ist, war gefahrlos. Roth musste nur die Zeilenenden verschieben und den Wortlaut etwas ändern. Während die Inkunabel korrekt suaues hat (was sich auf epistule bezieht)

Digitalisat
http://diglib.hab.de/inkunabeln/24-3-rhet-2/start.htm?image=00001

gibt Roth suauis. (Das kann natürlich auch ein Druck- oder Lesefehler sein.)

Niemand kann beweisen, dass Roth die Ausgabe fingiert hat, um seine eigene Bibliothek einmal mehr mit dem Glanz eines Unikats zu nobilitieren. Aber angesichts der von mir in Sachen Roth vorgeschlagenen Beweislastumkehr dürfte es schwerfallen, den Beweis zu führen oder auch nur plausibel zu machen, dass es die Ausgabe tatsächlich gegeben hat. Sie hätte nie im VD 16 landen dürfen.

Resümieren wir: Roth konnten zur Last gelegt werden mehr als nur kleine Schlampigkeiten, Unredlichkeiten beim Umgang mit den Leistungen anderer, mutmaßlich die Fälschung einer Ausgabe. Auf der anderen Seite stehen fleißig zusammengesuchte Angaben und einige heute noch nützliche Hinweise. Es spricht nichts dagegen, wenn man sich auch heute noch von seinen bibliographischen Arbeiten anregen lässt, aber man sollte alles genauer als sonst überprüfen und auf die Verwertung nicht mehr überprüfbarer Zeugnisse vorsichtshalber verzichten.

Nachtrag:

Weiteres Beispiel für eine nur aus Roth bekannte Ausgabe im VD 16

http://gateway-bayern.de/VD16+H+144

1892 von Roth in seiner Studie zu den Wormser Buchdruckern angeführt mit Exemplarnachweis "Privatbesitz Wiesbaden". Roth wohnte laut Vorwort damals in Geisenheim.

http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/3772418

#forschung

 

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