Jan Hodels Überlegungen http://weblog.histnet.ch/archives/4873 sollen nicht unkommentiert bleiben:
Das Thema Weblog und seine Potentiale für die Geschichtswissenschaften – und vor allem die Frage, warum diese Potentiale nicht genutzt werden – beschäftigt uns in den letzten Wochen, im Kontext des Workshops in Basel am 12. November, wieder etwas intensiver – nachdem die Vorstellung des Nachrichtendienst für Historiker als Weblog des Monats Juni schon zu einer kurzen Auseinandersetzung über die Frage geführt hat, was ein Weblog überhaupt sei.
Hier soll ein erster Versuch gemacht werden, einige grundlegende Funktionen von Weblogs zu benennen, die für die Geschichtswissenschaften und damit für Historikerinnen und Historiker von Bedeutung sein könnten. Vielleicht kann dieser Versuch beim Ansinnen hilfreich sein, den Nutzen von Weblogs und deren Einsatzmöglichkeiten in geschichtswissenschaftlichen Arbeitszusammenhängen besser zu verstehen und entsprechende Initiativen zu entwickeln.
Kern dieser Überlegungen ist die Eigenschaft von Weblogs als “Selbstverlags-Tool”, zur persönlichen oder gruppenspezifischen Profilbildung in der Scientific Community dienen zu können. Dabei lassen sich die verschiedenen Ausprägungen dieser Profilbildung mit den Kategorien Information, Reflexion und Publikation fassen. Dabei müssen Weblogs keinesfalls nur eine oder alle dieser Kategorien abdecken; Mischformen mit Beiträgen, die mal zur einen oder anderen der genannten Kategorien gezählt werden können, sind die Regel.
Information
Die naheliegendste und am meisten genutzte Funktion von Weblogs ist die der Information: Hinweise auf interessante Fundstücke im Netz, auf kommende Veranstaltungen, auf eigene und fremde Publikationen, auf bildungspolitische Entscheidungen, auf Resolutionen, neue Projekte, Ausstellungen, Angebote. Die Profilbildung kann dabei durch konsequente Darstellung eigener Tätigkeiten oder durch die erfolgreiche Besetzung eines Themenfeldes erreicht werden, das die entsprechenden Blogger/innen so gut kennen, dass das Blog für die Leser/innen einen Mehrwert darstellt. Aufmachung und Stil lassen hier noch etwas Gestaltungsmöglichkeit für die Profilbildung, doch grundsätzlich haben es hier neue Weblogs immer schwer, sich gegen etablierte Weblogs durchzusetzen – auch gegenüber anderen Anbieter von solchen Informationen, wie beispielsweise Newsletter von Institutionen oder Fachgesellschaften oder (in unserem Fach) dem fast schon monopolistischen H-Soz-Kult.
Ganz grundsätzlich stellt sich hier die Frage, ob diese Funktion der Information, der Hinweise und Mitteilungen nicht auch oder sogar besser in anderen aufkommenden Mediendiensten wie Twitter oder Facebook geleistet werden kann. Möglicherweise sind Weblogs für diese Funktionalität zu schwerfällig und (im Endeffekt) zu isoliert.
Diese Informationsfunktion betrifft die meisten Beiträge in Archivalia, das ja primär als facharchivisches Gemeinschaftsblog gedacht ist. Und für die Archive gibt es kein H-SOZ-U-KULT.
H-SOZ-U-KULT ist so prickelnd wie ein Paar eingeschlafene Füße. Es finden kaum Debatten statt; wer sich über Digitales informieren will, wird in Archivalia und nicht dort zeitnah unterrichtet. Das AGFNZ-Weblog ist ja ausdrücklich als Ergänzung zu H-SOZ-U-KULT gestartet, und es ist unendlich viel bunter und lebendiger als die Mailingliste.
Weder Facebook noch Twitter bieten hinreichend Raum für Kommentare zu Links. Natürlich überlege ich mir, was ich im Blog, was ich in Twitter oder gelegentlich auch auf FB mitteile. Was ich als wichtig empfinde, nehme ich, wenn es inhaltlich passt, immer in Archivalia auf, schon weil es weder auf Twitter noch auf FB etwas gibt, was mit der gut funktionierenden Suchfunktion von Archivalia vergleichbar ist.
Bei vielen Themen, die uns hier wichtig sind, genügen kurze Linkhinweise nicht. Auch weil manche tagesaktuellen Links rasch wieder verschwinden, bedarf die Dokumentation eines Themas wie des Kölner Archiveinsturzes ausführlicher Zitate.
Zu bestimmten Themen wie Köln oder Kulturgut oder Open Access oder Street View oder Rüxner bietet Archivalia ein einzigartiges Informationssystem im Sinne eines Blogarchivs, das im wesentlichen von der Suchfunktion, teilweise auch von der Kategorisierung lebt.
Wer die Rezeption des Kölner Archiveinsturzes nachvollziehen will, muss sich zwar durch unendlich viele Archivalia-Beiträge quälen, aber in Twitter oder Facebook würde er kaum fündig.
Reflexion
Weblogs können auch dazu dienen, öffentlich über Probleme oder offen Fragen nachzudenken (wie beispielsweise dieser Beitrag) oder neue Themen und Fragestellungen zu lancieren. Diese Beiträge könnten sich in einen Diskurs einbinden, der im Gegensatz zu den “die Zeit reicht noch für eine kurze Frage”-Diskussionen und den kurzlebigen “Ich meld mich dann bei Ihnen”-Konversationen an Tagungen kontinuierlich sich entwickeln könnte, gleichsam das Ideal des “literarischen Salons” aus der Zeit der Aufklärung in die virtuelle Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts zu transportieren. Wer wäre nicht gern Mitglied eines “digitalen akademischen Salons”? Doch das distinguierte (oder elitäre) Gehabe des 18. Jahrhunderts wirkt in der Wirklichkeit der digitalen Massengesellschaft etwas deplatziert. Es wäre noch zu zeigen, ob der Medienwandel zum Ideal eines herrschaftsfreien bürgerlichen und hier wissenschaftlichen Diskurses führen kann – auch wenn Habermas den durch das Web 2.0 eingeleiteten Strukturwandel die Möglichkeit dazu attestiert (worauf Kollega Haber vor langer Zeit hin diesem Blog schon hingewiesen hat). Denn im Alltag stellt sich die Frage, wer sich die Reflexionen von Herrn X und von Frau Y zu Gemüte führen will. Reicht diese Funktion aus, um die Blogosphäre so zu verdichten, dass tatsächlich ein interessanter Diskurs akademischer Reflexion entsteht?
Aus der Sicht blasierter Flaneure kann man es Reflexion nennen - als Blogger mit einem Sendungsbewusstsein, einer "Mission" bevorzuge ich den Begriff Meinung. Ich werbe hier für die Nutzung von Web 2.0, für Open Access und freie Inhalte, für Benutzerfreundlichkeit und für den Schutz von bedrohtem Kulturgut. Dabei ist es mir zunächst einmal wurscht, ob ein "interessanter Diskurs akademischer Reflexion entsteht". Ich bin dankbar, dass ich z.B. die Möglichkeit habe, chronikalisch festzuhalten, was im Bereich adeliger Sammlungen verscherbelt wird.
Natürlich gibt es immer wieder Ansätze zu Debatten, und ich schätze diese (auch wenn es oft nicht den Anschein hat). Bei diskussionsgeladenen Themen wie Open Access oder Juristischem gab es ja durchaus in anderen Blogs niveauvolle und vor allem weiterführende Diskussionen. Die alpenländischen Blogger sollten mal die Nase über den Tellerrand heben und beispielsweise die Diskussionen im Beck-Blog zu juristischen Fragen verfolgen, bei denen nicht selten Substantielles traktiert wird. Als Beispiel kann vielleicht die Recherche im Duisburger Loveparade-Casus dienen, wo in den Kommentaren sehr wichtige Hinweise kamen.
Web 2.0 heißt: Zusammenarbeit, gemeinsam Wissen schaffen.
Meine These: Die extrem verschnarchte deutschsprachige geschichtswissenschaftliche Szene kann nicht die Maßstäbe vorgeben. Man sieht ja auch in H-SOZ-U-KULT, dass fachliche Debatten nicht geführt werden.
Vernetzung der Blogosphäre und die Möglichkeit, Beiträge zu kommentieren, hätten das Potential, eine neue Debattenkultur zu fördern.
Aber auch ohne solches Feedback bieten Blogs große Chancen für Menschen, die sich trauen, ihre Meinung zu sagen.
Publikation
Doch der wissenschaftliche Diskurs findet – trotz allem – nicht so sehr im Austausch bedenkenswerter Überlegungen und Reflexionen statt, sondern primär in wissenschaftlichen Publikationen, seien dies Bücher, wissenschaftliche Aufsätze oder digitale Publikationen in verschiedenen Formaten. Publikationen sind zentraler Bestandteil des wissenschaftlichen Leistungsausweises. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass auch in Weblogs wissenschaftliche Abhandlungen publiziert werden können. Weblogs bieten sogar eine Reihe von Vorteilen für wissenschaftliche Beiträge: sie können Links enthalten, in kleinere, besser überschaubare Untereinheiten aufgeteilt werden und vor allem Rückmeldungen in den Kommentarspalten generieren und sogar in die Publikation aufnehmen.
Weblogs sind aber keine anerkannten wissenschaftlichen Publikationen – und das ist nicht nur in den Geschichtswissenschaften so. Das liegt sicherlich auch an der mangelnden Zertifizierung und Qualitätssicherung: Jeder und jede kann selbst publizieren und nicht genehme Einwände ignorieren. Erst wenn sich neue Formen der kollegialen Beurteilung von Beiträgen zum wissenschaftlichen Diskurs etabliert haben, die auch Weblogs umfassen, wird sich dies wohl ändern: Stichwort Open Peer Review. Hierzu gibt es allerdings verschiedene Vorstellungen und Varianten: von der Bekanntgabe der Begutachter/innen gegenüber den Autor/innen bis hin zur offenen Begutachtung des Beitrags durch jedermann/jedefrau (siehe die “Reflexion” von Bonnie Wheeler im Blog “In the Middle“, via archivalia). In diesem Bereich werden vermutlich die massgeblichen Entscheidungen fallen, ob sich Weblogs als wissenschaftliche Instrumente etablieren können – sei dies als etablierte Kanäle für Publikationen, oder als Watch-Blogs, die auf Unstimmigkeiten und Unregelmässigkeiten hinweisen. Auch das ist eine Möglichkeit der Profilbildung.
Diese ständige Rede von Qualitätssicherung kann ich nicht mehr hören. Sie ist einfach nur Schwachsinn. Ich habe seit ca. 1975, als ich begann, wissenschaftlich zu arbeiten, nie danach gefragt, ob eine Publikation qualitätsgesichert ist. Es gab Schwachsinn, den ich in renommierten Zeitschriften oder von angesehenen Autoren fand (Bayer-Aufsatz im letzten Archiv für Diplomatik, Lehmann-Aufsätze in landeskundlichen Periodika) und den ich dann ignoriert oder zurückgewiesen habe. Überspitzt gesagt: Qualitätssicherung (oder Peer Review) ist in der Geschichtswissenschaft etwas für Undergraduates, für Bachelor-Studierende, denen man keine solide quellenkritische Ausbildung vermitteln konnte. In den Naturwissenschaften mag es anders sein, aber für mich steht die eigenständige Prüfung der Qualität von Studien, mit denen ich arbeite, an erster Stelle. Wo diese erschienen sind, in den Beiträgen des Heimatvereins von Liestal oder in den Mitteilungen der Geleerten Gesellschaft des südöstlichen Teils des Kantons Basel-Land, ist mir ziemlich wurscht. Wenn etwas inhaltlich relevant ist, muss ich mich damit auseinandersetzen, unabhängig davon, ob irgendwelche Hohepriester der Wissenschaft es als "zitierfähig" erachten.
Nicht nur verschiedene Beiträge in Archivalia, auch zwei jüngst von Frank Pohle im AGFNZ-Weblog publizierte Einträge (Ergänzungen zum Nordrheinischen Klosterbuch) zeigen, was Blogs im Bereich von "original research" leisten können.
Blogs eignen sich ausgezeichnet für Miszellen, für kleine Beiträge, bei denen man nicht ein Thema lückenlos totrecherchiert. Sie sind unendlich viel schneller als die gedruckten Zeitschriften und ermöglichen die Beigabe von Abbildungen (oder Links zu solchen). Die Wissenschaft besteht nicht nur aus Meistererzählungen, sondern auch aus vielen kleinen Mosaiksteinen.
Das Thema Weblog und seine Potentiale für die Geschichtswissenschaften – und vor allem die Frage, warum diese Potentiale nicht genutzt werden – beschäftigt uns in den letzten Wochen, im Kontext des Workshops in Basel am 12. November, wieder etwas intensiver – nachdem die Vorstellung des Nachrichtendienst für Historiker als Weblog des Monats Juni schon zu einer kurzen Auseinandersetzung über die Frage geführt hat, was ein Weblog überhaupt sei.
Hier soll ein erster Versuch gemacht werden, einige grundlegende Funktionen von Weblogs zu benennen, die für die Geschichtswissenschaften und damit für Historikerinnen und Historiker von Bedeutung sein könnten. Vielleicht kann dieser Versuch beim Ansinnen hilfreich sein, den Nutzen von Weblogs und deren Einsatzmöglichkeiten in geschichtswissenschaftlichen Arbeitszusammenhängen besser zu verstehen und entsprechende Initiativen zu entwickeln.
Kern dieser Überlegungen ist die Eigenschaft von Weblogs als “Selbstverlags-Tool”, zur persönlichen oder gruppenspezifischen Profilbildung in der Scientific Community dienen zu können. Dabei lassen sich die verschiedenen Ausprägungen dieser Profilbildung mit den Kategorien Information, Reflexion und Publikation fassen. Dabei müssen Weblogs keinesfalls nur eine oder alle dieser Kategorien abdecken; Mischformen mit Beiträgen, die mal zur einen oder anderen der genannten Kategorien gezählt werden können, sind die Regel.
Information
Die naheliegendste und am meisten genutzte Funktion von Weblogs ist die der Information: Hinweise auf interessante Fundstücke im Netz, auf kommende Veranstaltungen, auf eigene und fremde Publikationen, auf bildungspolitische Entscheidungen, auf Resolutionen, neue Projekte, Ausstellungen, Angebote. Die Profilbildung kann dabei durch konsequente Darstellung eigener Tätigkeiten oder durch die erfolgreiche Besetzung eines Themenfeldes erreicht werden, das die entsprechenden Blogger/innen so gut kennen, dass das Blog für die Leser/innen einen Mehrwert darstellt. Aufmachung und Stil lassen hier noch etwas Gestaltungsmöglichkeit für die Profilbildung, doch grundsätzlich haben es hier neue Weblogs immer schwer, sich gegen etablierte Weblogs durchzusetzen – auch gegenüber anderen Anbieter von solchen Informationen, wie beispielsweise Newsletter von Institutionen oder Fachgesellschaften oder (in unserem Fach) dem fast schon monopolistischen H-Soz-Kult.
Ganz grundsätzlich stellt sich hier die Frage, ob diese Funktion der Information, der Hinweise und Mitteilungen nicht auch oder sogar besser in anderen aufkommenden Mediendiensten wie Twitter oder Facebook geleistet werden kann. Möglicherweise sind Weblogs für diese Funktionalität zu schwerfällig und (im Endeffekt) zu isoliert.
Diese Informationsfunktion betrifft die meisten Beiträge in Archivalia, das ja primär als facharchivisches Gemeinschaftsblog gedacht ist. Und für die Archive gibt es kein H-SOZ-U-KULT.
H-SOZ-U-KULT ist so prickelnd wie ein Paar eingeschlafene Füße. Es finden kaum Debatten statt; wer sich über Digitales informieren will, wird in Archivalia und nicht dort zeitnah unterrichtet. Das AGFNZ-Weblog ist ja ausdrücklich als Ergänzung zu H-SOZ-U-KULT gestartet, und es ist unendlich viel bunter und lebendiger als die Mailingliste.
Weder Facebook noch Twitter bieten hinreichend Raum für Kommentare zu Links. Natürlich überlege ich mir, was ich im Blog, was ich in Twitter oder gelegentlich auch auf FB mitteile. Was ich als wichtig empfinde, nehme ich, wenn es inhaltlich passt, immer in Archivalia auf, schon weil es weder auf Twitter noch auf FB etwas gibt, was mit der gut funktionierenden Suchfunktion von Archivalia vergleichbar ist.
Bei vielen Themen, die uns hier wichtig sind, genügen kurze Linkhinweise nicht. Auch weil manche tagesaktuellen Links rasch wieder verschwinden, bedarf die Dokumentation eines Themas wie des Kölner Archiveinsturzes ausführlicher Zitate.
Zu bestimmten Themen wie Köln oder Kulturgut oder Open Access oder Street View oder Rüxner bietet Archivalia ein einzigartiges Informationssystem im Sinne eines Blogarchivs, das im wesentlichen von der Suchfunktion, teilweise auch von der Kategorisierung lebt.
Wer die Rezeption des Kölner Archiveinsturzes nachvollziehen will, muss sich zwar durch unendlich viele Archivalia-Beiträge quälen, aber in Twitter oder Facebook würde er kaum fündig.
Reflexion
Weblogs können auch dazu dienen, öffentlich über Probleme oder offen Fragen nachzudenken (wie beispielsweise dieser Beitrag) oder neue Themen und Fragestellungen zu lancieren. Diese Beiträge könnten sich in einen Diskurs einbinden, der im Gegensatz zu den “die Zeit reicht noch für eine kurze Frage”-Diskussionen und den kurzlebigen “Ich meld mich dann bei Ihnen”-Konversationen an Tagungen kontinuierlich sich entwickeln könnte, gleichsam das Ideal des “literarischen Salons” aus der Zeit der Aufklärung in die virtuelle Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts zu transportieren. Wer wäre nicht gern Mitglied eines “digitalen akademischen Salons”? Doch das distinguierte (oder elitäre) Gehabe des 18. Jahrhunderts wirkt in der Wirklichkeit der digitalen Massengesellschaft etwas deplatziert. Es wäre noch zu zeigen, ob der Medienwandel zum Ideal eines herrschaftsfreien bürgerlichen und hier wissenschaftlichen Diskurses führen kann – auch wenn Habermas den durch das Web 2.0 eingeleiteten Strukturwandel die Möglichkeit dazu attestiert (worauf Kollega Haber vor langer Zeit hin diesem Blog schon hingewiesen hat). Denn im Alltag stellt sich die Frage, wer sich die Reflexionen von Herrn X und von Frau Y zu Gemüte führen will. Reicht diese Funktion aus, um die Blogosphäre so zu verdichten, dass tatsächlich ein interessanter Diskurs akademischer Reflexion entsteht?
Aus der Sicht blasierter Flaneure kann man es Reflexion nennen - als Blogger mit einem Sendungsbewusstsein, einer "Mission" bevorzuge ich den Begriff Meinung. Ich werbe hier für die Nutzung von Web 2.0, für Open Access und freie Inhalte, für Benutzerfreundlichkeit und für den Schutz von bedrohtem Kulturgut. Dabei ist es mir zunächst einmal wurscht, ob ein "interessanter Diskurs akademischer Reflexion entsteht". Ich bin dankbar, dass ich z.B. die Möglichkeit habe, chronikalisch festzuhalten, was im Bereich adeliger Sammlungen verscherbelt wird.
Natürlich gibt es immer wieder Ansätze zu Debatten, und ich schätze diese (auch wenn es oft nicht den Anschein hat). Bei diskussionsgeladenen Themen wie Open Access oder Juristischem gab es ja durchaus in anderen Blogs niveauvolle und vor allem weiterführende Diskussionen. Die alpenländischen Blogger sollten mal die Nase über den Tellerrand heben und beispielsweise die Diskussionen im Beck-Blog zu juristischen Fragen verfolgen, bei denen nicht selten Substantielles traktiert wird. Als Beispiel kann vielleicht die Recherche im Duisburger Loveparade-Casus dienen, wo in den Kommentaren sehr wichtige Hinweise kamen.
Web 2.0 heißt: Zusammenarbeit, gemeinsam Wissen schaffen.
Meine These: Die extrem verschnarchte deutschsprachige geschichtswissenschaftliche Szene kann nicht die Maßstäbe vorgeben. Man sieht ja auch in H-SOZ-U-KULT, dass fachliche Debatten nicht geführt werden.
Vernetzung der Blogosphäre und die Möglichkeit, Beiträge zu kommentieren, hätten das Potential, eine neue Debattenkultur zu fördern.
Aber auch ohne solches Feedback bieten Blogs große Chancen für Menschen, die sich trauen, ihre Meinung zu sagen.
Publikation
Doch der wissenschaftliche Diskurs findet – trotz allem – nicht so sehr im Austausch bedenkenswerter Überlegungen und Reflexionen statt, sondern primär in wissenschaftlichen Publikationen, seien dies Bücher, wissenschaftliche Aufsätze oder digitale Publikationen in verschiedenen Formaten. Publikationen sind zentraler Bestandteil des wissenschaftlichen Leistungsausweises. Grundsätzlich spricht nichts dagegen, dass auch in Weblogs wissenschaftliche Abhandlungen publiziert werden können. Weblogs bieten sogar eine Reihe von Vorteilen für wissenschaftliche Beiträge: sie können Links enthalten, in kleinere, besser überschaubare Untereinheiten aufgeteilt werden und vor allem Rückmeldungen in den Kommentarspalten generieren und sogar in die Publikation aufnehmen.
Weblogs sind aber keine anerkannten wissenschaftlichen Publikationen – und das ist nicht nur in den Geschichtswissenschaften so. Das liegt sicherlich auch an der mangelnden Zertifizierung und Qualitätssicherung: Jeder und jede kann selbst publizieren und nicht genehme Einwände ignorieren. Erst wenn sich neue Formen der kollegialen Beurteilung von Beiträgen zum wissenschaftlichen Diskurs etabliert haben, die auch Weblogs umfassen, wird sich dies wohl ändern: Stichwort Open Peer Review. Hierzu gibt es allerdings verschiedene Vorstellungen und Varianten: von der Bekanntgabe der Begutachter/innen gegenüber den Autor/innen bis hin zur offenen Begutachtung des Beitrags durch jedermann/jedefrau (siehe die “Reflexion” von Bonnie Wheeler im Blog “In the Middle“, via archivalia). In diesem Bereich werden vermutlich die massgeblichen Entscheidungen fallen, ob sich Weblogs als wissenschaftliche Instrumente etablieren können – sei dies als etablierte Kanäle für Publikationen, oder als Watch-Blogs, die auf Unstimmigkeiten und Unregelmässigkeiten hinweisen. Auch das ist eine Möglichkeit der Profilbildung.
Diese ständige Rede von Qualitätssicherung kann ich nicht mehr hören. Sie ist einfach nur Schwachsinn. Ich habe seit ca. 1975, als ich begann, wissenschaftlich zu arbeiten, nie danach gefragt, ob eine Publikation qualitätsgesichert ist. Es gab Schwachsinn, den ich in renommierten Zeitschriften oder von angesehenen Autoren fand (Bayer-Aufsatz im letzten Archiv für Diplomatik, Lehmann-Aufsätze in landeskundlichen Periodika) und den ich dann ignoriert oder zurückgewiesen habe. Überspitzt gesagt: Qualitätssicherung (oder Peer Review) ist in der Geschichtswissenschaft etwas für Undergraduates, für Bachelor-Studierende, denen man keine solide quellenkritische Ausbildung vermitteln konnte. In den Naturwissenschaften mag es anders sein, aber für mich steht die eigenständige Prüfung der Qualität von Studien, mit denen ich arbeite, an erster Stelle. Wo diese erschienen sind, in den Beiträgen des Heimatvereins von Liestal oder in den Mitteilungen der Geleerten Gesellschaft des südöstlichen Teils des Kantons Basel-Land, ist mir ziemlich wurscht. Wenn etwas inhaltlich relevant ist, muss ich mich damit auseinandersetzen, unabhängig davon, ob irgendwelche Hohepriester der Wissenschaft es als "zitierfähig" erachten.
Nicht nur verschiedene Beiträge in Archivalia, auch zwei jüngst von Frank Pohle im AGFNZ-Weblog publizierte Einträge (Ergänzungen zum Nordrheinischen Klosterbuch) zeigen, was Blogs im Bereich von "original research" leisten können.
Blogs eignen sich ausgezeichnet für Miszellen, für kleine Beiträge, bei denen man nicht ein Thema lückenlos totrecherchiert. Sie sind unendlich viel schneller als die gedruckten Zeitschriften und ermöglichen die Beigabe von Abbildungen (oder Links zu solchen). Die Wissenschaft besteht nicht nur aus Meistererzählungen, sondern auch aus vielen kleinen Mosaiksteinen.