"Sämtliche Kniffe und Tricks einer Fälschung werden kunstvoll angewendet, wenn ein Faksimile-Druck entsteht. Die Arbeit mutet an wie die Mischung aus Fälscherwerkstatt, Goldschmiede und Hightech. Da wird das Replikat des Einbands künstlich gealtert und die neueste Technik bei Fotografie und Druck lässt die alten Farben der Bilder in einer Pracht wieder auferstehen, als wäre das Jahr 1220 erst gestern gewesen.
Wenn der Verleger Gunter Tampe Bibliotheken durchstöbert, dann sucht er überall nach Büchern, die hinter Tresorwänden aus Stahlbeton liegen, im Allerheiligsten, der Schatzkammer der Bibliothek. Er ist auf der Suche nach Unikaten, die kaum jemand sieht, geschweige denn, anfassen darf - alte Bücher, meist älter als der Buchdruck selbst, geheimnisvolle Folianten aus dem Mittelalter, wie beispielsweise ein Band über die Kunst des Feuerwerks.
Der Augenschein entscheidet
"Für das Feuerwerksbuch spricht, dass es ein interessantes Thema ist", sagt Gunter Tampe. "Es gibt nicht viele Faksimiles auf dem Markt. Dagegen spricht, dass es zwei Bände sind, ein sehr großes Format und sehr umfangreich. Das zu faksimilieren, würde sehr teuer werden." Ein Faksimile des Quaternio-Verlags kostet ohnehin schon zwischen 3000 und 5000 Euro. Noch teurer wäre zu teuer. Also heißt es, weitersuchen. Nächste Station ist die Staatsbibliothek München. Tampe weiß aus Internet und Fachliteratur, welche Schätze ihn hier erwarten. Die weltweite Recherche kann Jahre dauern. Am Ende entscheidet immer der Augenschein.
Ein Stundenbuch aus dem England des frühen 13. Jahrhunderts, der Hochgotik, erzählt von der Erschaffung Evas aus Adams Rippe bis zur Geschichte vom Turmbau zu Babel. Die kleinen Zeilenmonster erinnern an die Wasserspeier von Kathedralen. Gemalt wurde es auf Blattgold. Mehrere Millionen Euro ist die Handschrift wert. "Was faszinierend ist", so Tampe, "wenn man durch alte Handschriften blättert, sind die Textseiten meist viel sauberer als die Bildseiten. Man sieht, die Bildseiten sind doch häufiger verwendet und angeschaut worden. Bild ist interessanter als Text."
Mittelalter trifft auf Neuzeit
Das Münchner Gebetbuch soll das nächste Faksimile des Quaternio-Verlages werden. Faksimile heißt "Mach es ähnlich". Diese Ähnlichkeit lässt sich Tampe etwas kosten. Schließlich ist es das, wofür die Kunden später 5000 Euro zahlen. Mittelalter trifft dabei auf Neuzeit. Die 800 Jahre alte Handschrift wird per Laser eingemessen. Ein sanfter Unterdruck saugt die wellige Pergamentseite an. Auf das empfindliche Original darf nur zehn Sekunden lang Licht fallen. Die ganze Konstruktion ist eine Spezialanfertigung für hochwertige Faksimiles. Allein die Kamera kostet 35.000 Euro Ihre Aufnahmen werden sofort auf dem Bildschirm korrigiert. "Durch die Auflösung von 50 Millionen Pixeln sieht man in der Aufnahme Verletzungen im Gold, die man mit dem bloßen Auge gar nicht mehr sehen würde", erklärt Fotograf Karl Perstling.
Eine Druckerei in Graz druckt die Bilder nicht auf Pergament, sondern ein dickes ganz spezielles Papier, auf dem die Goldfolie haftet. Die Bewährungsprobe für alle Mühen ist der Vergleich mit dem Original. Das heißt: Jeder Fleck wird einzeln angepasst, auf allen 332 Seiten. Zurück in der Schweiz in Avenches hat Gunter Tampe den fertigen Druckstock im Gepäck. Hier wird das Buch gebunden, hier bekommt es seinen Einband und die Patina. Von der Hightech-Kamera und dem hochmodernen Druckverfahren geht die Zeitreise wieder zurück zum Buchbinden wie im Mittelalter. Buchbinder Hans-Jörg Steinbrenner berichtet: "Es hat sich innerhalb der 600, 700 Jahre bei dieser Arbeit nichts geändert. Die Arbeit des Buchbinders ist gleich geblieben. Die Faksimiles sollten zumindest auch 500 Jahre halten. Wir können es nicht nachprüfen. Das ist vielleicht unser Glück."
Dreck von 800 Jahren nachmachen
Der Einband des Faksimiles ist aus Velourleder - kein Material, das im Mittelalter verwendet wurde. Doch auch das Original in München wurde im letzten Jahrhundert restauriert. Aus dieser Zeit stammt das Velourleder. Den Dreck von den Fingern Tausender Leser, der sich im Laufe der Zeit auf dem Buch ansammelte, trägt der Restaurator mit einigen Pinselstrichen auf. "Normalerweise sollte der Restaurator immer reinigen und putzen und freilegen", sagt Restaurator André Glaser. "Aber hier muss ich die Arbeit rückwärts machen. Als Restaurator vom Römischen Museum war es mein Job, römische Münzen und Schmuckstücke zu kopieren und das möglich so zu machen, dass man den Unterschied zwischen Alt und Neu nicht sieht." Nach knapp zwei Jahren Arbeit hat Gunter Tampe jetzt das erste Faksimile in der Tasche. Jetzt muss er nur noch 680 Käufer finden."
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http://www.3sat.de/kulturzeit/themen/152594/index.html
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[1] http://www.3sat.de/webtv/?110309_faksimile_kuz.rm
Wenn der Verleger Gunter Tampe Bibliotheken durchstöbert, dann sucht er überall nach Büchern, die hinter Tresorwänden aus Stahlbeton liegen, im Allerheiligsten, der Schatzkammer der Bibliothek. Er ist auf der Suche nach Unikaten, die kaum jemand sieht, geschweige denn, anfassen darf - alte Bücher, meist älter als der Buchdruck selbst, geheimnisvolle Folianten aus dem Mittelalter, wie beispielsweise ein Band über die Kunst des Feuerwerks.
Der Augenschein entscheidet
"Für das Feuerwerksbuch spricht, dass es ein interessantes Thema ist", sagt Gunter Tampe. "Es gibt nicht viele Faksimiles auf dem Markt. Dagegen spricht, dass es zwei Bände sind, ein sehr großes Format und sehr umfangreich. Das zu faksimilieren, würde sehr teuer werden." Ein Faksimile des Quaternio-Verlags kostet ohnehin schon zwischen 3000 und 5000 Euro. Noch teurer wäre zu teuer. Also heißt es, weitersuchen. Nächste Station ist die Staatsbibliothek München. Tampe weiß aus Internet und Fachliteratur, welche Schätze ihn hier erwarten. Die weltweite Recherche kann Jahre dauern. Am Ende entscheidet immer der Augenschein.
Ein Stundenbuch aus dem England des frühen 13. Jahrhunderts, der Hochgotik, erzählt von der Erschaffung Evas aus Adams Rippe bis zur Geschichte vom Turmbau zu Babel. Die kleinen Zeilenmonster erinnern an die Wasserspeier von Kathedralen. Gemalt wurde es auf Blattgold. Mehrere Millionen Euro ist die Handschrift wert. "Was faszinierend ist", so Tampe, "wenn man durch alte Handschriften blättert, sind die Textseiten meist viel sauberer als die Bildseiten. Man sieht, die Bildseiten sind doch häufiger verwendet und angeschaut worden. Bild ist interessanter als Text."
Mittelalter trifft auf Neuzeit
Das Münchner Gebetbuch soll das nächste Faksimile des Quaternio-Verlages werden. Faksimile heißt "Mach es ähnlich". Diese Ähnlichkeit lässt sich Tampe etwas kosten. Schließlich ist es das, wofür die Kunden später 5000 Euro zahlen. Mittelalter trifft dabei auf Neuzeit. Die 800 Jahre alte Handschrift wird per Laser eingemessen. Ein sanfter Unterdruck saugt die wellige Pergamentseite an. Auf das empfindliche Original darf nur zehn Sekunden lang Licht fallen. Die ganze Konstruktion ist eine Spezialanfertigung für hochwertige Faksimiles. Allein die Kamera kostet 35.000 Euro Ihre Aufnahmen werden sofort auf dem Bildschirm korrigiert. "Durch die Auflösung von 50 Millionen Pixeln sieht man in der Aufnahme Verletzungen im Gold, die man mit dem bloßen Auge gar nicht mehr sehen würde", erklärt Fotograf Karl Perstling.
Eine Druckerei in Graz druckt die Bilder nicht auf Pergament, sondern ein dickes ganz spezielles Papier, auf dem die Goldfolie haftet. Die Bewährungsprobe für alle Mühen ist der Vergleich mit dem Original. Das heißt: Jeder Fleck wird einzeln angepasst, auf allen 332 Seiten. Zurück in der Schweiz in Avenches hat Gunter Tampe den fertigen Druckstock im Gepäck. Hier wird das Buch gebunden, hier bekommt es seinen Einband und die Patina. Von der Hightech-Kamera und dem hochmodernen Druckverfahren geht die Zeitreise wieder zurück zum Buchbinden wie im Mittelalter. Buchbinder Hans-Jörg Steinbrenner berichtet: "Es hat sich innerhalb der 600, 700 Jahre bei dieser Arbeit nichts geändert. Die Arbeit des Buchbinders ist gleich geblieben. Die Faksimiles sollten zumindest auch 500 Jahre halten. Wir können es nicht nachprüfen. Das ist vielleicht unser Glück."
Dreck von 800 Jahren nachmachen
Der Einband des Faksimiles ist aus Velourleder - kein Material, das im Mittelalter verwendet wurde. Doch auch das Original in München wurde im letzten Jahrhundert restauriert. Aus dieser Zeit stammt das Velourleder. Den Dreck von den Fingern Tausender Leser, der sich im Laufe der Zeit auf dem Buch ansammelte, trägt der Restaurator mit einigen Pinselstrichen auf. "Normalerweise sollte der Restaurator immer reinigen und putzen und freilegen", sagt Restaurator André Glaser. "Aber hier muss ich die Arbeit rückwärts machen. Als Restaurator vom Römischen Museum war es mein Job, römische Münzen und Schmuckstücke zu kopieren und das möglich so zu machen, dass man den Unterschied zwischen Alt und Neu nicht sieht." Nach knapp zwei Jahren Arbeit hat Gunter Tampe jetzt das erste Faksimile in der Tasche. Jetzt muss er nur noch 680 Käufer finden."
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Wolf Thomas - am Donnerstag, 10. März 2011, 22:00 - Rubrik: Kodikologie