Beitrag in INETBIB:
On Fri, 19 May 2006 07:40:52 +0200 (CEST)
Eric Steinhauer wrote:
> Lieber Herr Sprang,
>
> vielen Dank für Ihren Hinweis. Ich habe aber in keiner
> Weise bestritten,
> daß im aktuellen Streit die WBG über die von ihr geltend
> gemachten Rechte verfügt.
>
> Meine kleine Einlassung bezog sich auf retrospektive
> Digitalisierungsprojekte
> in Deutschland, insbesondere im Bereich der
> wissenschaftlichen Zeitschriften.
>
> Bei diesen Projekten kann keine Rede davon sein, daß die
> Verlage die Rechte für eine online-Nutzung vor allem der
> vor 1995 erschienen Aufsätze erworben haben. Gleichwohl
> findet im Zusammenwirken von Bibliotheken, Verlagen,
> Börsenverein, Verwertungsgesellschaft und DFG eine
> umfängliche Digitalisierung und Zugänglichmachung im
> Internet statt.
>
> Damit hier kein Mißverständnis entsteht: Ich begrüße
> derartige Digitalisierungsprojekte. Ich akzeptiere es aus
> rechtlicher Sicht auch, wenn die WBG einen Rechtsstreit
> mit goolge unternimmt. Ich finde es aber politisch
> merkwürdig, wenn der Börsenverein diesem Rechtsstreit
> moralisch beispringt und zugleich im Rahmen der genannten
> Digitalisierungsprojekte eher google-like agiert.
Dem ist voll und ganz zur Seite zu treten.
Quod licet Jovi not licet Google.
Die Diskussion ueber § 31 IV UrhG im Rahmen des zweiten
Korbs und die rechtswissenschaftliche Diskussion stimmen
darin ueberein, dass Rechte ueber eine Online-Nutzung vor
ca. 1995 (1995 ist weitgehend Konsens) als unbekannte
Nutzungsarten seit 1.1.1966 nicht uebertragen werden
konnten.
Soweit ich das beurteilen kann, wurden vor 1995
ueberwiegend keine besonderen Vertraege ueber
Zeitschriftenartikel abgeschlossen. Damit gilt fuer ab
1.1.1966 abgeschlossene Vertraege ueberwiegend die
Vorschrift des § 38, die den Verlegern bei periodischen
Sammlungen ein ausschliessliches Nutzungsrecht zeitlich
begrenzt auf ein Jahr einraeumt.
Daraus wiederum folgt, dass der vorgesehene § 137l des
Zweiten Korbs (Zweiter RefE) auf Zeitschriftenartikel im
wesentlichen nicht anwendbar ist, da es am Kriterium der
Einraeumung ALLER wesentlichen Nutzungsrechte (§ 38 regelt
nur die Vervielfaeltigung und Verbreitung, nicht die
oeffentliche Wiedergabe) und am Kriterium der zeitlich
unbegrenzten Einraeumung (stattdessen nur ein Jahr)
mangelt.
Ein Wissenschaftler braucht also - stimmt man dieser
Deutung zu - nach Inkrafttreten der vom
Urheberrechtsbuendnis und anderen abgelehnten Regelung des
§ 137l nur bei Buchpublikationen einen Widerruf zu
erklaeren. Bei Zeitschriftenartikeln ist er nach wie vor
frei in der Verfuegung.
Ich moechte hier nochmals meine Rechtsauffassung
wiederholen, dass ein Wissenschaftler derzeit NICHT an die
Jahresfrist des § 38 gebunden ist, wenn er seinen aelteren
Aufsatz (vor 1995) online veroeffentlichen moechte, da das
Recht der oeffentlichen Zugaenglichmachung dem Recht der
oeffentlichen Wiedergabe unterfaellt, dieses aber von § 38
NICHT erfasst wird.
Beabsichtigt er allerdings, sein Werk unter eine CC-Lizenz
zu stellen, so muss er die Jahresfrist abwarten, da
waehrend dieses Jahres der Verlag ausschliessliche Rechte
hat, die einer Lizenzierung im Wege stehen. Voraussetzung
ist natuerlich, dass der Verlag anderweitig nichts
vereinbart hat.
Gleiches gilt gemaess § 38 Abs. 2 auch fuer Festschriften
und aehnliche Sammelbaende, bei denen die Autoren nicht
bezahlt werden.
Somit kommt man zu dem Schluss, dass fuer DigiZeitschriften
auch die geplante Neuregelung keine Entschaerfung des durch
und durch rechtswidrigen Vorgehens der Verlage und der
Bibliotheken zustandekommt.
Der Boersenverein und die Verlage empoeren sich, weil
Google ohne ihre Erlaubnis scannt. Herr Steinhauer haette
durchaus den Begriff HEUCHELEI verwenden koennen.
Erst fragen, dann scannen - daran halten sich
DigiZeitschriften und zahlreichen anderen
Digitalisierungsunternehmen, die aeltere
Zeitschriftenjahrgaenge kostenfrei oder kostenpflichtig
zugaenglich machen. Ich weiss als betroffener Autor
definitiv, dass deutsche Verlage Zeitschriftenaufsaetze vor
1995 in grossem Umfang online kostenpflichtig zugaenglich
machen, ohne im mindestens die Autoren als Rechteinhaber zu
fragen oder auch nur zu informieren.
Ich moechte ergaenzen, dass DigiZeitschriften COPYFRAUD
begeht, indem es auch bei laengst gemeinfreien kompletten
Zeitschriftenjahrgaengen einen "Rechteinhaber" angibt, wenn
die Zeitschrift den Verlag nicht gewechselt hat.
"Caecilia , 1824 - 1847, Rechteinhaber: Schott"
Ich stelle dazu fest: Nach deutschem Recht haben Verlage
keinerlei weiterbestehende Rechte an ihren aelteren
Verlagsprodukten, wenn diese nicht mehr urheberrechtlich
geschuetzt sind. Der Vermerk ist gemaess UWG rechtswidrig.
> Will man das weiterführen, würde ich noch dies ergänzen:
> Der Börsenverein sollte, da er eine Notwendigkeit
> umfangreicher Digitalisierung gedruckter Bestände
> anscheinend positiv sieht, deutlich und offensiv eine
> angemessene juristische Lösung der rechtlichen Probleme
> anmahnen, etwa durch pauschale Abgeltung über
> Verwertungsgesellschaften. Er hätte hier die volle
> Unterstützung der Bibliotheken!
Hier hat der Bundesrat in seiner hoechst bemerkenswerten
und den Vorstellungen des Urheberrechtsbuendnisses bzw.
Open Access verpflichteten Stellungnahme einen
bemerkenswerten Vorschlag gemacht, der das Problem
"verwaister Werke" loesen koennte, siehe auch
http://archiv.twoday.net/stories/2007685/
"§ 52c
Wiedergabe von Archivwerken im öffentlichen Interesse
Zulässig ist, erschienene und veröffentlichte Werke des
eigenen Bestandes
von öffentlichen Bibliotheken, Archiven und Museen
öffentlich
zugänglich zu machen, soweit daran ein öffentliches
Interesse besteht
und keine vertraglichen Regelungen und ausschließlichen
Rechte
Dritter entgegenstehen. Für die Zugänglichmachung ist eine
angemessene
Vergütung zu zahlen. Der Anspruch kann nur durch eine
Verwertungsgesellschaft
geltend gemacht werden."
Ich wiederhole meine Kernpunkte:
* Die Retrodigitalisierung insbesondere aelterer
Zeitschriftenjahrgaenge ist im oeffentlichen Interesse, da
nur so rascher Zugriff auf fuer die Forschung wichtige
Inhalte besteht.
* Wissenschaftler muessen die Moeglichkeit haben, ihre
aelteren Aufsaetze "Open Access" zugaenglich zu machen
* Wenn Verlage das Recht beanspruchen, aeltere Aufsaetze in
kostenpflichtige Datenbanken ohne ausdrueckliche Zustimmung
der Rechteinhaber (der Autoren) aufzunehmen, sollten sie
Bibliotheken und anderen Organisationen (wie Google) das
gleiche Recht zugestehen.
Klaus Graf
On Fri, 19 May 2006 07:40:52 +0200 (CEST)
Eric Steinhauer wrote:
> Lieber Herr Sprang,
>
> vielen Dank für Ihren Hinweis. Ich habe aber in keiner
> Weise bestritten,
> daß im aktuellen Streit die WBG über die von ihr geltend
> gemachten Rechte verfügt.
>
> Meine kleine Einlassung bezog sich auf retrospektive
> Digitalisierungsprojekte
> in Deutschland, insbesondere im Bereich der
> wissenschaftlichen Zeitschriften.
>
> Bei diesen Projekten kann keine Rede davon sein, daß die
> Verlage die Rechte für eine online-Nutzung vor allem der
> vor 1995 erschienen Aufsätze erworben haben. Gleichwohl
> findet im Zusammenwirken von Bibliotheken, Verlagen,
> Börsenverein, Verwertungsgesellschaft und DFG eine
> umfängliche Digitalisierung und Zugänglichmachung im
> Internet statt.
>
> Damit hier kein Mißverständnis entsteht: Ich begrüße
> derartige Digitalisierungsprojekte. Ich akzeptiere es aus
> rechtlicher Sicht auch, wenn die WBG einen Rechtsstreit
> mit goolge unternimmt. Ich finde es aber politisch
> merkwürdig, wenn der Börsenverein diesem Rechtsstreit
> moralisch beispringt und zugleich im Rahmen der genannten
> Digitalisierungsprojekte eher google-like agiert.
Dem ist voll und ganz zur Seite zu treten.
Quod licet Jovi not licet Google.
Die Diskussion ueber § 31 IV UrhG im Rahmen des zweiten
Korbs und die rechtswissenschaftliche Diskussion stimmen
darin ueberein, dass Rechte ueber eine Online-Nutzung vor
ca. 1995 (1995 ist weitgehend Konsens) als unbekannte
Nutzungsarten seit 1.1.1966 nicht uebertragen werden
konnten.
Soweit ich das beurteilen kann, wurden vor 1995
ueberwiegend keine besonderen Vertraege ueber
Zeitschriftenartikel abgeschlossen. Damit gilt fuer ab
1.1.1966 abgeschlossene Vertraege ueberwiegend die
Vorschrift des § 38, die den Verlegern bei periodischen
Sammlungen ein ausschliessliches Nutzungsrecht zeitlich
begrenzt auf ein Jahr einraeumt.
Daraus wiederum folgt, dass der vorgesehene § 137l des
Zweiten Korbs (Zweiter RefE) auf Zeitschriftenartikel im
wesentlichen nicht anwendbar ist, da es am Kriterium der
Einraeumung ALLER wesentlichen Nutzungsrechte (§ 38 regelt
nur die Vervielfaeltigung und Verbreitung, nicht die
oeffentliche Wiedergabe) und am Kriterium der zeitlich
unbegrenzten Einraeumung (stattdessen nur ein Jahr)
mangelt.
Ein Wissenschaftler braucht also - stimmt man dieser
Deutung zu - nach Inkrafttreten der vom
Urheberrechtsbuendnis und anderen abgelehnten Regelung des
§ 137l nur bei Buchpublikationen einen Widerruf zu
erklaeren. Bei Zeitschriftenartikeln ist er nach wie vor
frei in der Verfuegung.
Ich moechte hier nochmals meine Rechtsauffassung
wiederholen, dass ein Wissenschaftler derzeit NICHT an die
Jahresfrist des § 38 gebunden ist, wenn er seinen aelteren
Aufsatz (vor 1995) online veroeffentlichen moechte, da das
Recht der oeffentlichen Zugaenglichmachung dem Recht der
oeffentlichen Wiedergabe unterfaellt, dieses aber von § 38
NICHT erfasst wird.
Beabsichtigt er allerdings, sein Werk unter eine CC-Lizenz
zu stellen, so muss er die Jahresfrist abwarten, da
waehrend dieses Jahres der Verlag ausschliessliche Rechte
hat, die einer Lizenzierung im Wege stehen. Voraussetzung
ist natuerlich, dass der Verlag anderweitig nichts
vereinbart hat.
Gleiches gilt gemaess § 38 Abs. 2 auch fuer Festschriften
und aehnliche Sammelbaende, bei denen die Autoren nicht
bezahlt werden.
Somit kommt man zu dem Schluss, dass fuer DigiZeitschriften
auch die geplante Neuregelung keine Entschaerfung des durch
und durch rechtswidrigen Vorgehens der Verlage und der
Bibliotheken zustandekommt.
Der Boersenverein und die Verlage empoeren sich, weil
Google ohne ihre Erlaubnis scannt. Herr Steinhauer haette
durchaus den Begriff HEUCHELEI verwenden koennen.
Erst fragen, dann scannen - daran halten sich
DigiZeitschriften und zahlreichen anderen
Digitalisierungsunternehmen, die aeltere
Zeitschriftenjahrgaenge kostenfrei oder kostenpflichtig
zugaenglich machen. Ich weiss als betroffener Autor
definitiv, dass deutsche Verlage Zeitschriftenaufsaetze vor
1995 in grossem Umfang online kostenpflichtig zugaenglich
machen, ohne im mindestens die Autoren als Rechteinhaber zu
fragen oder auch nur zu informieren.
Ich moechte ergaenzen, dass DigiZeitschriften COPYFRAUD
begeht, indem es auch bei laengst gemeinfreien kompletten
Zeitschriftenjahrgaengen einen "Rechteinhaber" angibt, wenn
die Zeitschrift den Verlag nicht gewechselt hat.
"Caecilia , 1824 - 1847, Rechteinhaber: Schott"
Ich stelle dazu fest: Nach deutschem Recht haben Verlage
keinerlei weiterbestehende Rechte an ihren aelteren
Verlagsprodukten, wenn diese nicht mehr urheberrechtlich
geschuetzt sind. Der Vermerk ist gemaess UWG rechtswidrig.
> Will man das weiterführen, würde ich noch dies ergänzen:
> Der Börsenverein sollte, da er eine Notwendigkeit
> umfangreicher Digitalisierung gedruckter Bestände
> anscheinend positiv sieht, deutlich und offensiv eine
> angemessene juristische Lösung der rechtlichen Probleme
> anmahnen, etwa durch pauschale Abgeltung über
> Verwertungsgesellschaften. Er hätte hier die volle
> Unterstützung der Bibliotheken!
Hier hat der Bundesrat in seiner hoechst bemerkenswerten
und den Vorstellungen des Urheberrechtsbuendnisses bzw.
Open Access verpflichteten Stellungnahme einen
bemerkenswerten Vorschlag gemacht, der das Problem
"verwaister Werke" loesen koennte, siehe auch
http://archiv.twoday.net/stories/2007685/
"§ 52c
Wiedergabe von Archivwerken im öffentlichen Interesse
Zulässig ist, erschienene und veröffentlichte Werke des
eigenen Bestandes
von öffentlichen Bibliotheken, Archiven und Museen
öffentlich
zugänglich zu machen, soweit daran ein öffentliches
Interesse besteht
und keine vertraglichen Regelungen und ausschließlichen
Rechte
Dritter entgegenstehen. Für die Zugänglichmachung ist eine
angemessene
Vergütung zu zahlen. Der Anspruch kann nur durch eine
Verwertungsgesellschaft
geltend gemacht werden."
Ich wiederhole meine Kernpunkte:
* Die Retrodigitalisierung insbesondere aelterer
Zeitschriftenjahrgaenge ist im oeffentlichen Interesse, da
nur so rascher Zugriff auf fuer die Forschung wichtige
Inhalte besteht.
* Wissenschaftler muessen die Moeglichkeit haben, ihre
aelteren Aufsaetze "Open Access" zugaenglich zu machen
* Wenn Verlage das Recht beanspruchen, aeltere Aufsaetze in
kostenpflichtige Datenbanken ohne ausdrueckliche Zustimmung
der Rechteinhaber (der Autoren) aufzunehmen, sollten sie
Bibliotheken und anderen Organisationen (wie Google) das
gleiche Recht zugestehen.
Klaus Graf
KlausGraf - am Freitag, 19. Mai 2006, 16:34 - Rubrik: Open Access