Die folgende Rezension erschien in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 160 (2012), S. 742f.
Martin Ott: Die Entdeckung des Altertums. Der Umgang mit der römischen Vergangenheit Süddeutschlands im 16. Jahrhundert. (Münchener Historische Studien. Abteilung Bayerische Geschichte Bd. 17). Kallmünz/Opf: Michael Lassleben. 2002. XII, 309 S.
Die Münchener Dissertation nähert sich ihrem Thema interdisziplinär
und quellennah: Es geht um römische Inschriften - diese stehen im
Vordergrund - und Münzen, die im altbayerischen Raum und in
Bayerisch-Schwaben in der Zeit des Renaissance-Humanismus entdeckt und beschrieben wurden. Den größten Einfluss hat die
Wissenschaftsgeschichte der Archäologie und der antiken Epigraphik auf den Autor ausgeübt, während die deutschsprachige Humanismusforschung kaum rezipiert wurde.
Nach einem breiten Forschungsüberblick und Ausführungen zur
Quellenlage wendet sich Ott den Münzfunden zu, um dann zu den
Inschriftenfunden zu wechseln. Er stellt Peutingers Inschriftensylloge
(“Romanae vestustatis fragmenta” gedruckt 1505) in den Mittelpunkt, behandelt aber auch Aventins Inschriftenrezeption. Neben den humanistischen Syllogen gab es auch “protohumanistische Dokumentationen” antiker Inschriften (S. 122). Umfangreich werden die italienischen Syllogen des 15. Jahrhunderts erörtert, bevor Ott sich wieder seinem Untersuchungsgebiet widmet. Er sieht die süddeutschen
Inschriftensammlungen vor allem als “topographische Schriften”.
Ausführlich kommt die “antiquarische Bewegung” des 16. Jahrhunderts zur Sprache, die in und außerhalb von Bayern/Schwaben die Inschriften aufgriff, in gelehrten Werken zur römischen Geschichte, aber beispielsweise auch in Reisebeschreibungen. Als eine Art Appendix
können die letzten beiden Artikel zu antiken Überresten auf Karten und in Chroniken von Salzburg, Nürnberg und Kempten gelten, bevor ein kurzer Schlussabschnitt “Die Endeckung des Altertums” die Darstellung beschließt.
Otts Studie ist ein respektabler und wichtiger Beitrag zu einem lange vernachlässigten Forschungsgebiet. Sie besticht durch ihre
Erschließung neuen handschriftlichen und archivalischen Materials.
Indem sie aber auf einem einzigen Aspekt, dem topographischen,
insistiert, entwirft sie aus meiner Sicht ein Zerrbild der
humanistischen Inschriftenkultur. Berücksichtigt wird in der Tat nur
die Vorgeschichte der modernen wissenschaftlichen Archäologie, sehr viel wichtigere Gesichtspunkte werden konsequent ausgeblendet. Gelehrte, die sich um 1500 mit Inschriften befassten, schrieb ich 1998 (Fürstliche Erinnerungskultur, in: Les princes et l’histoire, S. 3), haben diese vor allem als “Muster für die Stiftung ewigen Nachruhms” geschätzt. Es grenzt schon an Manipulation, wenn Hartmann Schedels Bemühungen um Inschriften in einer Fußnote versteckt werden (S. 100 Anm. 338). Als ob die Zeitgenossen, die von Inschriften fasziniert
waren, zwischen nordalpinen und italienischen und zwischen antiken und mittelalterlich-zeitgenössischen Beispielen strikt unterschieden
hätten!
Otts Arbeit hat mich dazu angeregt, einen Stapel Material zur
humanistischen Inschriftenkultur aufzuhäufen, den ich hier nicht
ausbreiten möchte. Es genügt der Hinweis auf Christopher S. Wood,
Forgery, replica, fiction (2008), Index s.v. inscriptions und Dieter
Mertens, Oberrheinische Humanisten um 1500 als Sammler und Verfasser von Inschriften, in: Traditionen, Zäsuren, Umbrüche (2008), S. 149-164. Mertens beschreibt die Begegnung der Gelehrten “mit den antiken Inschriften als Dokumenten der Geschichte und Zeugnissen des Zusammenhangs von Ruhm und Zeit, mit ihrer Ästhetik, ihrer Aura und ihrem Prestige” (S. 149). Inschriften sind in der Zeit des Humanismus - und das verkennt Ott - weit mehr als Geschichtsquellen, denen man die antike Topographie entnehmen konnte. Sie fungierten als Vorlagen -
in Stil und Schriftformen (Renaissance-Kapitalis!) - für
zeitgenössische Inschriften um 1500. Die nach wie vor großartige
Passage in Paul Joachimsens “Geschichtsauffassung” (1910, S. 116ff.) erfasst das, worum es darum ging, erheblich besser. Ott zitiert Joachimsen, hat ihn aber ganz offenkundig überhaupt nicht verstanden.
An kleineren Mängeln fiel mir auf: S. 67 wird der Vorarlberger
Humanist Michael Hummelberg als Hummelburg eingeführt, wobei auch die beiden Literaturtitel von Burmeister und Podhradsky mit der falschen Schreibweise versehen werden. Dass die grundlegende Studie zu Andreas Althamer als Altertumsforscher (Joseph Zeller, Württ. Vjh. 1910) übersehen wurde, ist ärgerlich.
Weitergeführt hat Ott seine Überlegungen in dem 2010 erschienenen Aufsatz “Vor uns die Sintflut? Die vorgeschichtlichen Epochen süddeutscher Stadtgeschichte zwischen historiographischer Konstruktion und archäologischer Empirie” (in: Vorwelten und Vorzeiten, S. 125-151). In diesem neueren Beitrag hat mich die Einbettung der Inschriften in die Erinnerungskultur des 16. Jahrhunderts mehr überzeugt.
Klaus Graf
Nicht berücksichtigt hat Ott die wichtige Inschriftensammlung, die Johannes Streler für Petrus Jakobi auf dessen im Jahr 1500 geäußerten Wunsch schrieb und die vor wenigen Tagen ins Netz gestellt wurde: Darmstadt Hs. 2533.
http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/Hs-2533
Zu Johannes Streler siehe zusammenfassend:
http://www.mrfh.de/2560
Dort ist übersehen Dieter Mertens, Reuchlins Landesherr ..., in: Reuchlin und die politischen Kräfte seiner Zeit (1998), hier S. 242-249, der ausführlich über die Darmstädter Handschrift handelt. Dieser Beitrag ist online:
http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/2766/
Da das MRFH seinen Streler-Artikel 2012 datiert hat, sei der Hinweis erlaubt, dass das bibliographische Ermitteln dieser Literaturangabe nun wirklich kein Hexenwerk ist. Man braucht nur bei Google Book Search
darmstadt "hs 2533"
einzugeben und findet drei Erwähnungen:
https://www.google.de/search?q=darmstadt%20%22hs%202533%22&tbm=bks
Aber mit dem Internet haperts bei den Marburger Germanisten ja generell etwas.
Adolf Schmidt stellte 1905 in der Westdeutschen Zeitschrift die Darmstädter Inschriftensammlung vor und teilte einige kurze Texte u.a. von Heinrich Bebel mit:
http://archive.org/stream/westdeutschezei28unkngoog#page/n112/mode/2up
Waltzing edierte ebenfalls Texte aus dem Codex im Musée belge 1908 :
http://books.google.de/books?id=QS3VAAAAMAAJ&pg=PA35 (US)
#epigraphik
Martin Ott: Die Entdeckung des Altertums. Der Umgang mit der römischen Vergangenheit Süddeutschlands im 16. Jahrhundert. (Münchener Historische Studien. Abteilung Bayerische Geschichte Bd. 17). Kallmünz/Opf: Michael Lassleben. 2002. XII, 309 S.
Die Münchener Dissertation nähert sich ihrem Thema interdisziplinär
und quellennah: Es geht um römische Inschriften - diese stehen im
Vordergrund - und Münzen, die im altbayerischen Raum und in
Bayerisch-Schwaben in der Zeit des Renaissance-Humanismus entdeckt und beschrieben wurden. Den größten Einfluss hat die
Wissenschaftsgeschichte der Archäologie und der antiken Epigraphik auf den Autor ausgeübt, während die deutschsprachige Humanismusforschung kaum rezipiert wurde.
Nach einem breiten Forschungsüberblick und Ausführungen zur
Quellenlage wendet sich Ott den Münzfunden zu, um dann zu den
Inschriftenfunden zu wechseln. Er stellt Peutingers Inschriftensylloge
(“Romanae vestustatis fragmenta” gedruckt 1505) in den Mittelpunkt, behandelt aber auch Aventins Inschriftenrezeption. Neben den humanistischen Syllogen gab es auch “protohumanistische Dokumentationen” antiker Inschriften (S. 122). Umfangreich werden die italienischen Syllogen des 15. Jahrhunderts erörtert, bevor Ott sich wieder seinem Untersuchungsgebiet widmet. Er sieht die süddeutschen
Inschriftensammlungen vor allem als “topographische Schriften”.
Ausführlich kommt die “antiquarische Bewegung” des 16. Jahrhunderts zur Sprache, die in und außerhalb von Bayern/Schwaben die Inschriften aufgriff, in gelehrten Werken zur römischen Geschichte, aber beispielsweise auch in Reisebeschreibungen. Als eine Art Appendix
können die letzten beiden Artikel zu antiken Überresten auf Karten und in Chroniken von Salzburg, Nürnberg und Kempten gelten, bevor ein kurzer Schlussabschnitt “Die Endeckung des Altertums” die Darstellung beschließt.
Otts Studie ist ein respektabler und wichtiger Beitrag zu einem lange vernachlässigten Forschungsgebiet. Sie besticht durch ihre
Erschließung neuen handschriftlichen und archivalischen Materials.
Indem sie aber auf einem einzigen Aspekt, dem topographischen,
insistiert, entwirft sie aus meiner Sicht ein Zerrbild der
humanistischen Inschriftenkultur. Berücksichtigt wird in der Tat nur
die Vorgeschichte der modernen wissenschaftlichen Archäologie, sehr viel wichtigere Gesichtspunkte werden konsequent ausgeblendet. Gelehrte, die sich um 1500 mit Inschriften befassten, schrieb ich 1998 (Fürstliche Erinnerungskultur, in: Les princes et l’histoire, S. 3), haben diese vor allem als “Muster für die Stiftung ewigen Nachruhms” geschätzt. Es grenzt schon an Manipulation, wenn Hartmann Schedels Bemühungen um Inschriften in einer Fußnote versteckt werden (S. 100 Anm. 338). Als ob die Zeitgenossen, die von Inschriften fasziniert
waren, zwischen nordalpinen und italienischen und zwischen antiken und mittelalterlich-zeitgenössischen Beispielen strikt unterschieden
hätten!
Otts Arbeit hat mich dazu angeregt, einen Stapel Material zur
humanistischen Inschriftenkultur aufzuhäufen, den ich hier nicht
ausbreiten möchte. Es genügt der Hinweis auf Christopher S. Wood,
Forgery, replica, fiction (2008), Index s.v. inscriptions und Dieter
Mertens, Oberrheinische Humanisten um 1500 als Sammler und Verfasser von Inschriften, in: Traditionen, Zäsuren, Umbrüche (2008), S. 149-164. Mertens beschreibt die Begegnung der Gelehrten “mit den antiken Inschriften als Dokumenten der Geschichte und Zeugnissen des Zusammenhangs von Ruhm und Zeit, mit ihrer Ästhetik, ihrer Aura und ihrem Prestige” (S. 149). Inschriften sind in der Zeit des Humanismus - und das verkennt Ott - weit mehr als Geschichtsquellen, denen man die antike Topographie entnehmen konnte. Sie fungierten als Vorlagen -
in Stil und Schriftformen (Renaissance-Kapitalis!) - für
zeitgenössische Inschriften um 1500. Die nach wie vor großartige
Passage in Paul Joachimsens “Geschichtsauffassung” (1910, S. 116ff.) erfasst das, worum es darum ging, erheblich besser. Ott zitiert Joachimsen, hat ihn aber ganz offenkundig überhaupt nicht verstanden.
An kleineren Mängeln fiel mir auf: S. 67 wird der Vorarlberger
Humanist Michael Hummelberg als Hummelburg eingeführt, wobei auch die beiden Literaturtitel von Burmeister und Podhradsky mit der falschen Schreibweise versehen werden. Dass die grundlegende Studie zu Andreas Althamer als Altertumsforscher (Joseph Zeller, Württ. Vjh. 1910) übersehen wurde, ist ärgerlich.
Weitergeführt hat Ott seine Überlegungen in dem 2010 erschienenen Aufsatz “Vor uns die Sintflut? Die vorgeschichtlichen Epochen süddeutscher Stadtgeschichte zwischen historiographischer Konstruktion und archäologischer Empirie” (in: Vorwelten und Vorzeiten, S. 125-151). In diesem neueren Beitrag hat mich die Einbettung der Inschriften in die Erinnerungskultur des 16. Jahrhunderts mehr überzeugt.
Klaus Graf
Nicht berücksichtigt hat Ott die wichtige Inschriftensammlung, die Johannes Streler für Petrus Jakobi auf dessen im Jahr 1500 geäußerten Wunsch schrieb und die vor wenigen Tagen ins Netz gestellt wurde: Darmstadt Hs. 2533.
http://tudigit.ulb.tu-darmstadt.de/show/Hs-2533
Zu Johannes Streler siehe zusammenfassend:
http://www.mrfh.de/2560
Dort ist übersehen Dieter Mertens, Reuchlins Landesherr ..., in: Reuchlin und die politischen Kräfte seiner Zeit (1998), hier S. 242-249, der ausführlich über die Darmstädter Handschrift handelt. Dieser Beitrag ist online:
http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/2766/
Da das MRFH seinen Streler-Artikel 2012 datiert hat, sei der Hinweis erlaubt, dass das bibliographische Ermitteln dieser Literaturangabe nun wirklich kein Hexenwerk ist. Man braucht nur bei Google Book Search
darmstadt "hs 2533"
einzugeben und findet drei Erwähnungen:
https://www.google.de/search?q=darmstadt%20%22hs%202533%22&tbm=bks
Aber mit dem Internet haperts bei den Marburger Germanisten ja generell etwas.
Adolf Schmidt stellte 1905 in der Westdeutschen Zeitschrift die Darmstädter Inschriftensammlung vor und teilte einige kurze Texte u.a. von Heinrich Bebel mit:
http://archive.org/stream/westdeutschezei28unkngoog#page/n112/mode/2up
Waltzing edierte ebenfalls Texte aus dem Codex im Musée belge 1908 :
http://books.google.de/books?id=QS3VAAAAMAAJ&pg=PA35 (US)
#epigraphik
KlausGraf - am Freitag, 30. November 2012, 23:40 - Rubrik: Hilfswissenschaften