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Die folgende Rezension erschien in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 160 (2012), S. 675-677.

[Zuvor schon hier präsent: http://archiv.twoday.net/stories/110778713/ ]

Tom Scott, Town, country and regions in Reformation Germany.
Leiden/Boston: Brill 2005. XXV, 447 S., EUR 112,-.

Eingeleitet von einer kundigen Einführung von Thomas A. Brady Jr.
präsentiert Tom Scott 15 zwischen 1978 und 2004 meist auf Deutsch
publizierte Aufsätze in einer durchgesehenen Fassung nun auch dem
englischsprachigen Leser. Seit dem 1986 erschienenen Buch “Freiburg
and the Breisgau” hat sich der Sozial- und Wirtschaftshistoriker immer
wieder quellennah und anregend mit der oberrheinischen Geschichte vor
allem des 16. Jahrhunderts auseinandergesetzt.

Der erste der drei Hauptteile vereint Studien zu Bauernkrieg,
Reformation und regionalen Aufständen im Vorfeld des Bauernkriegs.
Kapitel 1 bietet eine umfangreiche Strukturanalyse von
reformatorischer Bewegung und Bauernkrieg 1525 in und um Waldshut,
während sich Kapitel 3 dem Rufacher “Butzenkrieg” von 1513 und Kapitel
4 der Rolle von Freiburg im Breisgau bei den verschiedenen
Bundschuh-Erhebungen widmet. Die übrigen Beiträge dieses Teils
thematisieren allgemeine Aspekte des sozialen Hintergrunds der
damaligen Unruhen und der Reformation.

Um “ökonomische Landschaften” (Economic Landscapes) geht es im zweiten
Hauptteil, das an das bedeutende Buch Scotts von 1997 “Regional
Identity and Economic Change: The Upper Rhine, 1450-1600" anknüpft
(vgl. ZGO 153, 2005, S. 731f.). Im Mittelpunkt stehen die
Stadt-Land-Beziehungen und das Städtenetz am Oberrhein. Kapitel 11
schildert die spätmittelalterliche Territorialpolitik von Freiburg im
Breisgau.

Heterogener zusammengesetzt ist der letzte Teil “Regions and Local
Identities”. Kapitel 12 würdigt das Elsass als “Brückenlandschaft”,
Kapitel 14 thematisiert die Genese der Eidgenossenschaft in der
Innerschweiz. Die komparative Perspektive steht zwar nur im Titel des
15. Aufsatzes, in dem es um die südwestdeutsche
Leibherrschaft/Leibeigenschaft geht, zeichnet aber alle Studien des
Bandes aus.

Etwas näher möchte ich auf das 13. Kapitel eingehen, dessen Gegenstand
das Verhältnis der Reformschrift des sogenannten “Oberrheinischen
Revolutionärs” zu Vorderösterreich ist (Erstdruck 1997 in der
Festschrift für Hans-Jürgen Goertz). Scott weist (S. 351) meine
Einwände gegen die lange von Klaus Lauterbach vertretene Gleichsetzung
des Oberrheins mit Mathias Wurm von Geudertheim zurück und behandelt
die Identifikation als “wasserdicht”. Er trennt - methodisch
unzulässig - nicht zwischen dem Verfasser des “Buchli der hundert
capiteln mit xxxx statuten” und Mathias Wurm. Das war ziemlich
unvorsichtig, denn Lauterbach hat in seiner inzwischen erschienenen
Edition des Werks in der Reihe der MGH-Staatsschriften 2009
erfreulicherweise darauf verzichtet, seine Vermutung über den
Verfasser mit der früheren Vehemenz zu wiederholen. Er äußert sich
ausgesprochen zurückhaltend zur Verfasserfrage (S. 18f.) und verweist
auf die dann in der ZGO 2009 von Volkhard Huth vorlegte alternative
Identifizierung. Für Huth ist der Verfasser der Straßburger Jurist Dr.
Jakob Merswin. Huth meint dort, meine Zweifel seien bisher nicht
entkräftet worden (S. 85). Huths eigener Vorschlag überzeugt mich,
zumal Merswin anders als der Kanzleisekretär Wurm graduierter Jurist
war, was ja mein Hauptargument gegen Lauterbachs These war.
Selbstverständlich ist Scotts Aufsatz damit nicht wertlos, da er ja
interessante Beobachtungen zum Verhältnis des Oberrheiners zu
Vorderösterreich und zu den politischen Konzeptionen in
Vorderösterreich um 1500 enthält. Dabei spielt natürlich eine wichtige
Rolle der Plan des Landvogts Kaspar von Mörsberg aus den frühen 1490er
Jahren, die habsburgischen Lande am Oberrhein mit anderen Herrschaften
zu einem mächtigen Territorium zusammenzuschließen. Der Oberrheiner
(Jakob Merswin?) war also nicht der einzige, der damals die Reform des
Reichs von einer blühenden Oberrhein-Region erhoffte (S. 359).

Aufgrund der präganten Argumentation, der meist schlüssigen Ergebnisse
und ihrer Quellennähe sind Scotts gesammelte Beiträge auch für
deutschsprachige Leser empfehlenswert. Ein Index der Personen- und
Ortsnamen und - ausgesprochen löblich! - ein Sachindex beschließen den
preislich leider nicht sehr günstigen Band, dessen innere Kohärenz die
manch anderer Aufsatzsammlungen deutlich überragt.

Klaus Graf


Im gleichen Band 2012 der ZGO (Der Oberrheinische Revolutionär und Jakob Merswin. Einige Anmerkungen zur neuesten Verfasserthese, S. 183–223) hat Klaus Lauterbach, wie ich finde allzu rechthaberisch, seine Verfasserthese verteidigt und Volkhard Huths besser begründete (Jakob Merswin) zurückgewiesen.

Zur Bibliographie des Werks (lückenhaft):
http://www.geschichtsquellen.de/repOpus_04086.html

Dort z.B. zu ergänzen mein (auch im Literaturverzeichnis der MGH-Ausgabe unterschlagener) Regionalismus-Aufsatz von 1988:

http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/5367/

Lauterbachs mit handwerklichen Mängeln ausgestattete MGH-Ausgabe ist leider noch nicht online [Ich erinnerte mich nicht an: http://archiv.twoday.net/stories/97003137/ ]. (Und meine Rezension für Archivalia ist leider noch nicht geschrieben.)

[Rezension: http://archiv.twoday.net/stories/232602165/ ]

Lauterbach zitiert zwar meinen Internetbeitrag von 2002 (die Internetadresse des Listenarchivs von Mediaevistik hat sich geändert), aber nur nach der Wiedergabe Huths, als ob es ein Ding der Unmöglichkeit wäre, für einen Gymnasiallehrer Google anzuwerfen oder eine URL in eine Fußnote der ZGO einzufügen!

Ich sehe nicht, was ich an meinen Ausführungen 2002 zurücknehmen müsste, in denen ich Gegenargumente gegen Lauterbachs These zusammenstellte:

http://www.aedph-old.uni-bayreuth.de/2002/0028.html

Lauterbachs Aufsatz im DA, den ich damals kommentierte, ist online:

http://resolver.sub.uni-goettingen.de/purl?GDZPPN000359335

Was Lauterbach 2012 absondert, ist sophistisches Wegdiskutieren von Kritik. Nach kursorischer Lektüre sehe ich nicht, dass schwere Gegenargumente gegen Huth aufgefahren werden konnten, während mein Hauptargument, dass der Oberrheiner offenkundig gelehrter Jurist war, der mit Allegationen umgehen konnte, und Matthias Wurm nun einmal ersichtlich nicht, nach wie vor nicht widerlegt ist. Dr. Jakob Merswin war dagegen graduierter Jurist.

Lauterbach wirft mir jetzt vor, ich hätte 1988 missverständlich "landfremd" als Quellenterminus gegeben. Ich bedaure das, aber wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, dann war die Kursivierung des von mir in Anführungszeichen gesetzten "landfremd" ein redaktioneller Eingriff von Dr. Kurt Andermann. Lauterbach vergisst zu erwähnen, dass die Interpretation des "fromden" als "landfremd" auf die Autorität von Dieter Mertens zurückgeht, der in seiner Habilitationsschrift von 1977 von dem im Elsass und Sundgau landfremden Sekretär Wurm sprach (S. 192).

http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/2514/pdf/Reich-und_Elsass_zur_Zeit_Maximilians_I.pdf

Jeder, der die dort zitierte Quelle unvoreingenommen liest, muss Lauterbachs Wegdisputieren befremdlich finden.

Seit meiner Rezension (ZGO 1987, ich musste sie auf Weisung Schwarzmaiers entschärfen) von Lauterbachs in allzu hochgestochener Diktion verfasster Dissertation über den Oberrheiner bekämpfe ich die Verfasserthese Matthias Wurm:

http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Rezension_lauterbach.jpg

Lauterbach ist leider ziemlich kritikresistent.

Nachtrag: Schon 2009 gab Dieter Mertens, Elsässer als Räte Kaiser Maximilians I., in: König Fürsten und Reich im 15. Jahrhundert, S. 101-119, hier S. 115-118 eine ausführliche Übersicht zur Suche nach dem Verfasser und machte deutlich, dass er zu Huths These tendiert: "Die Position eines nicht exklusiven Rates von Haus aus und promovierten Juristen paßt besser [...] als die Position eines Kanzleibeamten."

2010 hat Tom Scott in seiner Besprechung von Lauterbachs Edition an Wurm festgehalten (in: German History 28, 2010, S. 574f. - doi 10.1093/gerhis/ghq074 - toll access):

Lauterbach himself has long suggested as author the Strasbourg patrician, Mathias Wurm von Geudertheim (senior). This identification has failed to find widespread acceptance, and has been challenged in particular by Klaus Graf, though the present reviewer is sympathetic to Lauterbach's ascription. The chief objection has been that there is no trace of Wurm's having acquired a law degree, which would be commensurate with the text's saturated references to Justinian and to Gratian's Decretals. The latest attempt to identify the author (by Volkhard Huth) names another Strasbourg patrician, the jurist Dr Jakob Merswin, not least because (aside from his legal training) he is known to have had contacts with more than one of the transcribers and moved in their humanist circles, as well as having had ready access to Maximilian. This is not the place to dwell upon such ascriptions, except to note that Wurm's topographical familiarity with the Upper Rhine and of recent events in the history of Outer Austria far outstripped anything that Merswin could have known, given that his career was spent mostly on the northern fringes of Alsace bordering the Palatinate. The reforming biblicism of the tract, moreover, is also markedly at odds with the milieu of humanist scholarship and the world of a cultivated elite in which Merswin moved. Merswin's sympathy for the Swiss finds no echo in the ‘Booklet’, whose author was only too familiar, not merely with Maximilian's humiliation at their hands in 1499, but with the details of the daily war of attrition waged by Swiss freebooters on the northern frontiers of the Confederation into Outer Austrian territories in the Sundgau and the Hegau.

Does the name of the author matter, or is it only of concern to specialists? Yes, it does, because an assured identification would help scholars to weigh the tract's discrepant textual components properly against each other, and so dispel the often scathing verdicts on the author as a confused bungler, a hopeless visionary, or (as now with Huth) as a ‘theological terrorist’!
 

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