Thomas Gerlach berichtet für die taz aus Stralsund
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=sw&dig=2012%2F12%2F05%2Fa0090&cHash=586235c7e3eae1373fd561a0fd2ac898
Aufmarsch der Edelfedern: Erst Schmoll (FAZ), dann Briegleb (SZ) und nun der preisgekrönte taz-Redakteur Thomas Gerlach. Während Schmoll vergleichsweise nüchtern und kurz berichtete, ließ sich Briegleb vor den Karren des Antiquars spannen.
Gerlachs Stück ist sicher das sprachlich gelungenste. Die beste Passage fängt gekonnt Stimmung ein:
Nicht weit von Bartels' Büro liegt das Johanniskloster. Backsteinfluchten, ein mächtiger Efeu rankt hinauf, hinter dickem Glas stehen Regale, Bücher, Kartons und an der Tür ein Gruß vom Bürgermeister: "Aus technischen Gründen bis auf Weiteres geschlossen". Da irgendwo wächst der Schimmel durch das kulturelle Erbe, als wär's Roquefort. Dachziegel liegen bereit. Es ist nicht so, dass das Archiv Winterschlaf hält, derzeit wird das Dach gedeckt. Eine Tafel verkündet stolz: "Welterbe erhalten - Zukunft gestalten". Hinter dem Kloster neigt sich das Gelände dem Sund zu. Sein Wasser glänzt beinahe ruhig, und doch scheint es wie eine Bedrohung.
Gerlach erzählt zunächst die Geschichte des Skandals als Marktklatsch:
Im Rückblick klingt das, was selbst die Regionalzeitung nur noch als "Bibliotheksskandal" bezeichnet, wie eine Anekdote von Johann Peter Hebel, die auf dem Alten Markt von Stand zu Stand wanderte: Schon gehört, der Bürgermeister hat das Stadtarchiv schließen lassen. Warum denn das? Weil die Bücher vom Schimmel befallen sind. Vom Schimmel? Ja, ein Antiquar aus Bayern hat den Bürgermeister darauf hingewiesen. Ein Antiquar? Ja, als er die Bücher abgeholt hat. Welche Bücher? Na die Bücher der Gymnasialbibliothek. Die wertvolle Gymnasialbibliothek? Verschimmelt? Dann verscherbelt? So ging der Klatsch. Und dann kam diese Verstockung über den Bürgermeister.
Wenig später macht er deutlich, dass es diesen Marktklatsch nicht gab:
Einen Marktklatsch gab es nicht, tatsächlich interessierten sich die Bürger der 60.000-Einwohner-Stadt kaum für ihre kostbare Bibliothek. Seit 28 Jahren soll niemand mehr hineingeschaut haben. Von "totem Kapital" soll die jetzige Leiterin geredet haben. Der Sturm brach vom Internet aus über die Stadt herein. Klaus Graf, Archivar aus Aachen, erfuhr von Schimmel und Buchverkauf und stellte alles in seinen Blog. Seitdem ist vom "Kulturfrevel" die Rede, von den "Weltkulturverderbern" oder vom "Bibliotheksskandal".
Wenigstens wird die Aufdeckung des Skanals nicht einem Lübecker Rechtsanwalt zugeschrieben wie in einem unsäglichen Artikel der SHZ.
http://www.shz.de/nachrichten/deutschland-welt/kultur/artikeldetail/artikel/luebecker-anwalt-deckt-umstrittenen-stralsunder-buecherverkauf-auf.html
Zitat SHZ: Der Fall hat bundesweit für Aufsehen gesorgt: Das Stralsunder Stadtarchiv verkaufte Tausende von historischen Büchern ohne Ratsbeschluss. Ein Schleswig-Holsteiner hat dafür gesorgt, dass die meisten der im Sommer wohl unrechtmäßig veräußerten Bücher wieder in der Obhut der Stadt Stralsund sind.
Aber so richtig informiert ist auch Gerlach nicht:
Der Verkauf der historischen Bibliothek ist rückgängig gemacht, aber "die Rufschädigung bleibt", sagen Kritiker. Zwar sind die Bücher wieder da, doch ein Teil ist vernichtet. Eine Folge der Lagerung. Im Stadtarchiv waltet der Schimmel. Und das Rathaus schweigt sich aus
Nein, der Verkauf der historischen Bibliothek ist nicht rückgängig gemacht. Nach wie vor werden Stücke auch aus der Gymnasialbibliothek von dem skrupellosen bayerischen Antiquar und seinen ruchlosen Gesellen verscherbelt:
http://archiv.twoday.net/stories/219048320/
http://archiv.twoday.net/stories/219045903/
http://archiv.twoday.net/stories/219045446/
Die jetzt angebotenen Stücke sind höchstwahrscheinlich nicht on der Rückabwicklung umfasst, weil sie in erst jetzt bekannt gewordenen früheren Deals vom Stadtarchiv Stralsund verkauft wurden.
Nach unseren Informationen wurden schon 2010 Bücher aus dem Stadtarchiv Stralsund im Antiquariatshandel angeboten. (Wie die Journaille mehr und mehr ihre Unfähigkeit zeigt, werde ich andernorts schildern.)
[Dazu siehe jetzt auch:
Nach dem umstrittenen Bücherverkauf aus dem Stralsunder Stadtarchiv will die Linksfraktion der Bürgerschaft die Verantwortlichkeiten für die Vorgänge mit einem eigenen Ausschuss klären lassen. Der Linkspolitiker Wolfgang Meyer äußerte am Mittwoch die Vermutung, dass die Stadtspitze bereits seit längerem von dem Schimmelbefall im Archiv wusste. Auch sei der Verkauf von einzelnen Büchern offenbar seit Anfang der 1990-er Jahre gängige Praxis gewesen. „Davon muss die Stadtleitung gewusst haben“, sagte Meyer.
http://www.ostsee-zeitung.de/vorpommern/index_artikel_komplett.phtml?SID=c2517b99657f5ba5b80b8c4e950d7c48¶m=news&id=3625248 ]
Nach wie vor erhältlich ist für 295 Euro Stettens Selinde (gedruckt in Augsburg) aus dem Bestand der hochgeschätzten Löwen'schen Bibliothek:
http://www.abebooks.de/servlet/BookDetailsPL?bi=8811130142
Wieso stammt das Buch aus der Stralsunder sogenannten "Barockbibliothek"? Es wird von Peter Hassold, dem Käufer der Stadtarchivbestände, angeboten. Verräterisch ist der Hinweis auf das rote Siegel in der Beschreibung: "Bibliotheksexemplar mit Stempel, Titelblatt mit roten Siegel". Und ich fand das Buch als Teil der Löwen'schen Bibliothek im 1829 gedruckten Stralsunder Bibliothekskatalog.
Wie kommen Bücher der Gymnasialbibliothek in die derzeit noch verkauften Pomeranica? Ganz einfach: Vermutlich wurden schon bei den früheren Deals sogenannte Dubletten oder aber Bücher, die man in Stralsund als entbehrlich ansah (was soll ein in Augsburg gedruckter Ritterroman aus dem 18. Jahrhundert in einer lokal- und regionalgeschichtlich ausgerichteten Dienstbibliothek eines Archivs?) "ausgemistet" und gewinnbringend verscherbelt. Da sich Stadtbibliothek und Gymnasialbibliothek erheblich überschnitten, hat man sogenannte "Doppelstücke" aus der Gymnasialbibliothek dem schändlichen Bücher-Flohmarkt zugewiesen.
Nach wie vor werden kostbare und nach dem Willen der Stralsunder Archivsatzung von 2002 unveräußerliche Bücher aus der Archivbibliothek vertickt, ohne dass die Stadt Stralsund etwas dagegen unternimmt. Das ist der zweite Skandal.
***
Es gilt nach wie vor: Petition unterzeichnen und für sie werben!
https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-die-stralsunder-archivbibliothek
Frühere Beiträge:
http://archiv.twoday.net/search?q=stralsund
Update:
http://schmalenstroer.net/blog/2012/12/neues-aus-stralsund/
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=sw&dig=2012%2F12%2F05%2Fa0090&cHash=586235c7e3eae1373fd561a0fd2ac898
Aufmarsch der Edelfedern: Erst Schmoll (FAZ), dann Briegleb (SZ) und nun der preisgekrönte taz-Redakteur Thomas Gerlach. Während Schmoll vergleichsweise nüchtern und kurz berichtete, ließ sich Briegleb vor den Karren des Antiquars spannen.
Gerlachs Stück ist sicher das sprachlich gelungenste. Die beste Passage fängt gekonnt Stimmung ein:
Nicht weit von Bartels' Büro liegt das Johanniskloster. Backsteinfluchten, ein mächtiger Efeu rankt hinauf, hinter dickem Glas stehen Regale, Bücher, Kartons und an der Tür ein Gruß vom Bürgermeister: "Aus technischen Gründen bis auf Weiteres geschlossen". Da irgendwo wächst der Schimmel durch das kulturelle Erbe, als wär's Roquefort. Dachziegel liegen bereit. Es ist nicht so, dass das Archiv Winterschlaf hält, derzeit wird das Dach gedeckt. Eine Tafel verkündet stolz: "Welterbe erhalten - Zukunft gestalten". Hinter dem Kloster neigt sich das Gelände dem Sund zu. Sein Wasser glänzt beinahe ruhig, und doch scheint es wie eine Bedrohung.
Gerlach erzählt zunächst die Geschichte des Skandals als Marktklatsch:
Im Rückblick klingt das, was selbst die Regionalzeitung nur noch als "Bibliotheksskandal" bezeichnet, wie eine Anekdote von Johann Peter Hebel, die auf dem Alten Markt von Stand zu Stand wanderte: Schon gehört, der Bürgermeister hat das Stadtarchiv schließen lassen. Warum denn das? Weil die Bücher vom Schimmel befallen sind. Vom Schimmel? Ja, ein Antiquar aus Bayern hat den Bürgermeister darauf hingewiesen. Ein Antiquar? Ja, als er die Bücher abgeholt hat. Welche Bücher? Na die Bücher der Gymnasialbibliothek. Die wertvolle Gymnasialbibliothek? Verschimmelt? Dann verscherbelt? So ging der Klatsch. Und dann kam diese Verstockung über den Bürgermeister.
Wenig später macht er deutlich, dass es diesen Marktklatsch nicht gab:
Einen Marktklatsch gab es nicht, tatsächlich interessierten sich die Bürger der 60.000-Einwohner-Stadt kaum für ihre kostbare Bibliothek. Seit 28 Jahren soll niemand mehr hineingeschaut haben. Von "totem Kapital" soll die jetzige Leiterin geredet haben. Der Sturm brach vom Internet aus über die Stadt herein. Klaus Graf, Archivar aus Aachen, erfuhr von Schimmel und Buchverkauf und stellte alles in seinen Blog. Seitdem ist vom "Kulturfrevel" die Rede, von den "Weltkulturverderbern" oder vom "Bibliotheksskandal".
Wenigstens wird die Aufdeckung des Skanals nicht einem Lübecker Rechtsanwalt zugeschrieben wie in einem unsäglichen Artikel der SHZ.
http://www.shz.de/nachrichten/deutschland-welt/kultur/artikeldetail/artikel/luebecker-anwalt-deckt-umstrittenen-stralsunder-buecherverkauf-auf.html
Zitat SHZ: Der Fall hat bundesweit für Aufsehen gesorgt: Das Stralsunder Stadtarchiv verkaufte Tausende von historischen Büchern ohne Ratsbeschluss. Ein Schleswig-Holsteiner hat dafür gesorgt, dass die meisten der im Sommer wohl unrechtmäßig veräußerten Bücher wieder in der Obhut der Stadt Stralsund sind.
Aber so richtig informiert ist auch Gerlach nicht:
Der Verkauf der historischen Bibliothek ist rückgängig gemacht, aber "die Rufschädigung bleibt", sagen Kritiker. Zwar sind die Bücher wieder da, doch ein Teil ist vernichtet. Eine Folge der Lagerung. Im Stadtarchiv waltet der Schimmel. Und das Rathaus schweigt sich aus
Nein, der Verkauf der historischen Bibliothek ist nicht rückgängig gemacht. Nach wie vor werden Stücke auch aus der Gymnasialbibliothek von dem skrupellosen bayerischen Antiquar und seinen ruchlosen Gesellen verscherbelt:
http://archiv.twoday.net/stories/219048320/
http://archiv.twoday.net/stories/219045903/
http://archiv.twoday.net/stories/219045446/
Die jetzt angebotenen Stücke sind höchstwahrscheinlich nicht on der Rückabwicklung umfasst, weil sie in erst jetzt bekannt gewordenen früheren Deals vom Stadtarchiv Stralsund verkauft wurden.
Nach unseren Informationen wurden schon 2010 Bücher aus dem Stadtarchiv Stralsund im Antiquariatshandel angeboten. (Wie die Journaille mehr und mehr ihre Unfähigkeit zeigt, werde ich andernorts schildern.)
[Dazu siehe jetzt auch:
Nach dem umstrittenen Bücherverkauf aus dem Stralsunder Stadtarchiv will die Linksfraktion der Bürgerschaft die Verantwortlichkeiten für die Vorgänge mit einem eigenen Ausschuss klären lassen. Der Linkspolitiker Wolfgang Meyer äußerte am Mittwoch die Vermutung, dass die Stadtspitze bereits seit längerem von dem Schimmelbefall im Archiv wusste. Auch sei der Verkauf von einzelnen Büchern offenbar seit Anfang der 1990-er Jahre gängige Praxis gewesen. „Davon muss die Stadtleitung gewusst haben“, sagte Meyer.
http://www.ostsee-zeitung.de/vorpommern/index_artikel_komplett.phtml?SID=c2517b99657f5ba5b80b8c4e950d7c48¶m=news&id=3625248 ]
Nach wie vor erhältlich ist für 295 Euro Stettens Selinde (gedruckt in Augsburg) aus dem Bestand der hochgeschätzten Löwen'schen Bibliothek:
http://www.abebooks.de/servlet/BookDetailsPL?bi=8811130142
Wieso stammt das Buch aus der Stralsunder sogenannten "Barockbibliothek"? Es wird von Peter Hassold, dem Käufer der Stadtarchivbestände, angeboten. Verräterisch ist der Hinweis auf das rote Siegel in der Beschreibung: "Bibliotheksexemplar mit Stempel, Titelblatt mit roten Siegel". Und ich fand das Buch als Teil der Löwen'schen Bibliothek im 1829 gedruckten Stralsunder Bibliothekskatalog.
Wie kommen Bücher der Gymnasialbibliothek in die derzeit noch verkauften Pomeranica? Ganz einfach: Vermutlich wurden schon bei den früheren Deals sogenannte Dubletten oder aber Bücher, die man in Stralsund als entbehrlich ansah (was soll ein in Augsburg gedruckter Ritterroman aus dem 18. Jahrhundert in einer lokal- und regionalgeschichtlich ausgerichteten Dienstbibliothek eines Archivs?) "ausgemistet" und gewinnbringend verscherbelt. Da sich Stadtbibliothek und Gymnasialbibliothek erheblich überschnitten, hat man sogenannte "Doppelstücke" aus der Gymnasialbibliothek dem schändlichen Bücher-Flohmarkt zugewiesen.
Nach wie vor werden kostbare und nach dem Willen der Stralsunder Archivsatzung von 2002 unveräußerliche Bücher aus der Archivbibliothek vertickt, ohne dass die Stadt Stralsund etwas dagegen unternimmt. Das ist der zweite Skandal.
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Es gilt nach wie vor: Petition unterzeichnen und für sie werben!
https://www.openpetition.de/petition/online/rettet-die-stralsunder-archivbibliothek
Frühere Beiträge:
http://archiv.twoday.net/search?q=stralsund
Update:
http://schmalenstroer.net/blog/2012/12/neues-aus-stralsund/