Im Preger'schen Katalog der Manuskripte des Historischen Vereins von Mittelfranken - siehe http://archiv.twoday.net/stories/97052702/ - fand ich zwei Handschriften zur Kemptener Geschichte, zu denen Dr. Daniel Burger vom Staatsarchiv Nürnberg am 8. Juni 2012 freundlicherweise Auskunft erteilte, da sie sich im Nürnberger Depositum des Vereins befinden.
Nr. 613: „Historia Campidonensis; von der alten statt Kempten, von dem schloss Hilermont, dessen
herkommen und gelegenhaith, dan von denen herren Fürsten und Äbbten des stüffts Kempten, von
Kayser Carl dem Grossen und seiner gemahlin Hildegardis und dem starcken Ritter Heinrich von
Kempten und andern alten begebenheiten“, 16. Jh. von einem ungenannten Verfasser, mit späteren
Nachträgen des ausgehenden 17. Jh. (bis 1677). Halbledereinband (18./19. Jh., 21,5 x 16,5cm,
0,02lfm), 65 gez. fol. zzgl. mehrere leere fol.
Nr. 614: Geschichte des Stiftes Kempten samt Wunderschilderungen, am Ende datiert 1494 und
1498 (deutsch, nur der auf dem sekundären Einband angebrachte Titel ist lateinisch: "Fundatio et
historia ducalis monasterii Campidonensis una cum miraculis s. fundatricis Hildegardis et eius filii
Ludovici Pii, nec non aliis valde memorabilibus, quiae a primaevis temporibus huius Illustrissimi
coenobii contigere, et vetustissimo calamo ac lingua conscripta et annotata sunt ita, ut ille, qui hoc
infringere praesummat, Dei odium habeat.")
Heller geprägter Schweinsledereinband (16. Jh.), 29 x 21,5cm, 0,04lfm; 65 fol. (durch Benutzung
Blätter alle v.a. unten verschmutzt). Darin: 59 farbige Zeichnungen (Personen- und
Wappendarstellungen). Beginn: „Stifftung des gotzhüß Kempten vnd sant Hyltgartün leben etc.“
(Blatt dann abgerissen, Rest des Textes fehlt). Schluss: „... den Got sy mit vnß allen hie zu°
Kempten vnd an allen stetten in diem Jar 1494 vnd dar nach ewegklich amen.“
Nr. 614 dürfte die wertvollste Handschrift des Vereins sein.
Wir erinnern uns: Für 145.000 Euro ersteigerte 2010 die Bayerische Staatsbibliothek eine mit 59 Federzeichnungen geschmückte Handschrift aus noch 147 Blättern mit der Kemptener Chronik des Johannes Birk:
http://www.merkur-online.de/nachrichten/bayern-lby/staatsbibliothek-ersteigert-kemptener-handschrift-835220.html
http://archiv.twoday.net/stories/6385537/
Trotz der etwas schlechteren Erhaltung könnte die ebenfalls mit 59 Illustrationen versehene Vereinshandschrift in Nürnberg einen niedrigen sechsstelligen Betrag erzielen. Hoffen wir, dass der gewiss ebenso wie alle Geschichtsvereine überalterte Verein noch eine Weile der Versuchung widersteht, die immer teurer werdende Publikation der gedruckten Vereinszeitschrift durch Abstoßung dieses kostbarsten Stücks, das ja auch gar keinen mittelfränkischen Bezug hat, für Jahre zu sichern. Es wäre dringend wünschenswert, der Forschung baldmöglichst ein gutes Digitalisat des Codex zur Verfügung zu stellen, da ja seit "Stralsund" klar ist, dass das Abstoßen von "totem Kapital" gewinnträchtig sein kann.
Seit meiner Beschäftigung mit dem Lorcher Marsilius-Turm interessiert mich die handschriftliche Überlieferung der historiographischen Werke aus der Feder des Johannes Birk oder seinem Umkreis.
Die Überlieferungszusammenstellung von Peter Johanek im ²VL 1 (1978), Sp. 870-875 ist inzwischen etwas veraltet. Ich übernehme ihr aber Titel und Reihenfolge der Werke.
1. 'Vita Hildegardis'
Das Widmungsexemplar für Kaiser Friedrich III. der um 1472 entstandenen lateinischen Via ist mit 27 ganzseitigen Miniaturen geschmückt und befindet sich in Privatbesitz. Durch das Antiquariat Dr. Jörn Günther kam Klaus Schreiner zu einer SW-Kopie der Handschrift, die nach 1945 mit anderen illuminierten Handschriften aus der Hofbibliothek Sigmaringen verkauft wurde (früher Cod. 50, nicht Cod. 23 wie Johanek hat). [Schoenberg-Datenbak: Kundig Cat. 95: Tres precieux manuscrits enlumines et incunables; livres anciens des XVIe, XVIIe, XVIIIe siecles et du début du xiXe siecle. - 1948/06/23]
Beschreibung von Wattenbach 1867
http://archive.org/stream/anzeigerfurkunde14germ#page/n133/mode/2up
Lehner S. 34
http://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=File%3AFuerstlich_Hohenzollernsches_Museum_zu_Sigmaringen-Verzeichniss_der_Handschriften.pdf&page=40
Katalog "Bürgerfleiß und Fürstenglanz" (1998), S. 132-134 Nr. 67
Den Text überliefert auch das sog. Passionale sanctorum decimum des Blaubeurer Priors Bartholomäus Krafft, Fulda Aa 96, Bl. 106v-113r.
http://fuldig.hs-fulda.de/viewer/image/PPN291354084/273/LOG_0159/
Hiernach druckten die Bollandisten die Vita: Acta Sanctorum April III, 1675, S. 793-802
http://visualiseur.bnf.fr/CadresFenetre?O=NUMM-6035&M=pagination (den Link im neuen Gallica-Angebot mit Permanent-Links aufzufinden, war ich nicht imstande)
Klaus Schreiner hat in seinem 1975 erschienenen wichtigen Aufsatz zu St. Hildegardis und ihrer Verehrung in Kempten (im AKG) damit begonnen, das von Baumann zusammengestellte Oeuvre Johannes Birks zu reduzieren. S. 24 Anm. 93
http://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a149295.pdf
spricht er mit allzu pauschaler Begründung die Vita Birk ab und verweist auf die Nennung einer Quelle durch Birk, der sich auf das Werk eines Konventualen Hartmann Nottfest beruft. Dabei dürfte es sich aber um eine der Quellenfiktionen Birks handeln. Etwas befremdlich wirkt, dass Schreiner die Arbeiten Birks als "Machwerke" bezeichnet.
Solange die Abweichungen von den anderen Chroniken Birks nicht detailliert aufgeschlüsselt werden, bleibe ich dabei, dass die der Vita zugrundeliegenden historischen Studien am ehesten dem Stiftsschulmeister Birk zuzutrauen sind.
Baumanns nach wie vor grundlegende Studie zu den Kemptner Chroniken des (ausgehenden) 15. Jahrhunderts:
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00009125/image_11
Schreiner nennt in der Gedenkschrift Graus (Spannungen und Widersprüche, zitiert unten) S. 44 Anm. 30 den Text in der Bollstatter-Handschrift München Cgm 735, Bl. 67r-76r eine auszugsweise Übersetzung der lateinischen Vita.
Katalog von Karin Schneider:
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0046_a188_JPG.htm
http://www.handschriftencensus.de/6357
2. 'Historia Karoli Magni et de fundatione monasterii in Campidonia'
Johanek nennt als Überlieferung des ungedruckten Werks, das sich als 1494 von Johannes Birk angefertigte Abschrift eines angeblichen Werks von Godefridus Keren de Marsilia, angeblich Mitglied der Kanzlei Karls des Großen und Ludwig des Frommen, ausgibt, die folgenden Handschriften:
München, SB, Clm 22104, Bl. 114v-129v Anfang 16. Jh. aus Wessobrunn
Clm 1211, Bl. 185r-197v (Abschrift von Clm 22104, datiert 1529), aus Tegernsee
Clm 1803, S. 1-22, 18. Jh.
In Auszügen online sind die wichtigen Ausführungen von Folz 1950:
http://books.google.de/books?id=brvJ9h3mhZkC&pg=PA483
3. 'Tractatus de monasterio Campidonensi et eius multiplicibus privilegiis'
Die etwa 2000 lateinischen Verse sind am frühesten überliefert in Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 245, Bl. 48r-53r
Die 1493 datierte Handschrift ist womöglich ein Autograph Birks (so Bruckner), jedenfalls aber das wichtigste Zeugnis für die Birk zugänglichen karolingerzeitlichen Quellen.
Ausführlich behandelte die Handschrift jüngst Matthias M. Tischler: Einharts Vita Karoli Bd. 1, 2001, S. 66-71
Aus der älteren Literatur am ausführlichsten Max Büdinger 1865:
http://books.google.de/books?id=1ckFAAAAQAAJ&pg=PA31
Katalog Meier S. 201f.
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Catalogus_codicum_manu_scriptorum_qui_in_bibliotheca_monasterii_Einsidlensis.pdf?page=223
Weitere Überlieferung des Tractatus:
München Clm 22104, Bl. 130r-154r
Clm 1211, Bl. 197v-218r
Zu beiden Handschriften siehe oben.
Clm 1370, Bl. 1r-35r (aus Polling)
Gedruckt nach einer Pollinger Handschrift (clm 1370?) in Kuens Quellensammlung Collectio Bd. 2 1756, siehe
http://archiv.twoday.net/stories/110777190/
Kuen-Digitalisat:
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/2711468
4. Deutschsprachige Bearbeitungen
Die oben erstmals nachgewiesene Nürnberger Handschrift des Historischen Vereins ist zu ergänzen in der Liste des Handschriftencensus:
http://www.handschriftencensus.de/werke/2658
Am wichtigsten sind die detaillierten Beschreibungen von Elisabeth Wunderle im Rahmen des Online-Projekts "Kemptener Klosterchroniken":
http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/kemptener-klosterchroniken
Die älteste bekannte Handschrift schrieb 1479 ein Konrad Widerlin von Ebenweiler: Cgm 5819
http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/kempten-cgm5819
Schreiner hat in seinem Aufsatz Hildegard, Adelheid, Kunigunde (in: Spannungen und Widersprüche, 1992) S. 44-47 aus diesem von ihm Widerlin als Verfasser zugeschriebenen Text referiert und etwas ominös behauptet, die Handschriften enthalte für die Quellenkritik Birks "grundlegende neue Erkenntnismöglichkeiten" (S. 44 Anm. 30). Angesichts der Übereinstimmungen des Textes mit der Birkschen Klosterchronik C1 meinte Wunderle. dies mache "eine Überprüfung der Rolle des Johannes Birk nötig, der gemeinhin als Verfasser dieser und der anderen 'Kemptener Chroniken' gilt".
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die leichtfertigen Versuche, Birk als Autor oder meinetwegen auch Spiritus rector des Kemptener historiographischen Ateliers am Ende des 15. Jahrhunderts in Frage zu stellen, stützen sich nicht auf nachvollziehbare Textbefunde oder schlüssige Argumente.
München Cgm 9470 datiert von 1499/um 1500. Einer der beiden Schreiber ist ein Petrus Brack.
http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/kempten-cgm9470
München Cgm 9280 datiert von 1506 und ist die Kräler'sche Handschrift, geschrieben von dem auch sonst als Schreiber hervorgetretenen Notar Johannes Kräler. Digitalisat:
http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/kempten-cgm9280
Noch dem Ende des 15. Jahrhunderts gehört Würzburg M.ch.f. 97 an:
http://www.handschriftencensus.de/14743
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0371_b129_jpg.htm
Hüttner hat aus dieser Handschrift bei Baumann Fehlendes abgedruckt:
http://www.digizeitschriften.de/link/0179-9940/0/28/751
Nach dem Handschriftencensus ist Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, 2° Cod. 249 eine direkte Abschrift von Cgm 9280.
http://www.handschriftencensus.de/14742
Über den Standort der von ihm C 2 genannten zweite Kemptener Klosterchronik schweigt sich Johanek aus. Nach Baumann (Forschungen S. 14f.) ist das Werk 1484/85 datieren und lag damals in einer ebenfalls Martin Leichtle gehörenden Abschrift des Notars Kräler wohl von 1507 vor. Es ist das Verdienst von Birgit Kata vom Stadtarchiv Kempten, dass wir nun wissen, dass die Handschrift sich heute in Kempten, Evang. Kirchengemeinde St. Mang, Sammlung Leichtle, L 180 befindet.
http://www.handschriftencensus.de/23752
Bedauerlicherweise ist dieser Text weder gedruckt noch digitalisiert. Hier vermute ich die Quelle für das oben genannte Lorcher Marsilius-Zeugnis.
Um eine intensive Beschäftigung mit dem spannenden Werk Birks bzw. aus seinem Umkreis zu ermöglichen, müssten alle relevanten Handschriften digitalisiert werden.
In der Zeit Birks war die Kemptener Stiftsschule ein wichtiges geistiges Zentrum. Neben der wohl von Birk selbst stammenden Einsiedler Handschrift (siehe oben) gibt es noch weitere, die hier erstmals zusammengestellt werden.
Für die naturkundlichen Interessen und die Zusammenarbeit mit Johannes Tallat ist der Stuttgarter Cod. HB XII 5 von Bedeutung, siehe meinen Beitrag
http://archiv.twoday.net/stories/233326676/
Saam erwähnte eine Abschrift der Imitatio Christi des Thomas von Kempen 1475 unter dem Rektor Johannes Birk Clm 26775 (ebd.).
1987 habe ich darauf hingewiesen, dass die wichtige chronistische lateinische Sammelhandschrift Cod. P I 1 der Stadtbibliothek Lindau aus dem Umkreis von Birk stammt, was die Birk-Forschung bislang beharrlich ignoriert hat. Eine 1476 datierte Notiz auf Bl. 180r weist auf die Tätigkeit des Johannes Birk an der Stiftsschule hin, Bl. 207r steht der Schreibervermerk des Christian Schimpflin von Rötenbach, Provisor an der Stiftsschule unter Birk.
http://books.google.de/books?id=pcvWAAAAMAAJ&pg=PA220
http://www.handschriftencensus.de/19561
Unzulängliche ältere Beschreibungen der Lindauer Handschrift gab Würdinger:
http://books.google.de/books?id=gwgPAAAAYAAJ&pg=PA9
http://archive.org/stream/AnzeigerFuerKundeDerDtVorzeit191872#page/n169/mode/2up
Ich habe keinen Zweifel, dass die bemerkenswerte historiographische Kemptener Produktion um 1500 im wesentlichen auf Birk und eventuell seine Mitarbeiter oder Schüler an der Stiftsschule zurückgeht. Es spielt keine Rolle, sondern macht die Texte besonders interessant, dass es sich um historiographische Fiktionen (also "Fälschungen" oder "Machwerke") handelt. Aufgrund der hier genannten handschriftlichen Überlieferung müssten sie intensiver analysiert werden.
#forschung
St. Hildegard Cgm 9470
Nr. 613: „Historia Campidonensis; von der alten statt Kempten, von dem schloss Hilermont, dessen
herkommen und gelegenhaith, dan von denen herren Fürsten und Äbbten des stüffts Kempten, von
Kayser Carl dem Grossen und seiner gemahlin Hildegardis und dem starcken Ritter Heinrich von
Kempten und andern alten begebenheiten“, 16. Jh. von einem ungenannten Verfasser, mit späteren
Nachträgen des ausgehenden 17. Jh. (bis 1677). Halbledereinband (18./19. Jh., 21,5 x 16,5cm,
0,02lfm), 65 gez. fol. zzgl. mehrere leere fol.
Nr. 614: Geschichte des Stiftes Kempten samt Wunderschilderungen, am Ende datiert 1494 und
1498 (deutsch, nur der auf dem sekundären Einband angebrachte Titel ist lateinisch: "Fundatio et
historia ducalis monasterii Campidonensis una cum miraculis s. fundatricis Hildegardis et eius filii
Ludovici Pii, nec non aliis valde memorabilibus, quiae a primaevis temporibus huius Illustrissimi
coenobii contigere, et vetustissimo calamo ac lingua conscripta et annotata sunt ita, ut ille, qui hoc
infringere praesummat, Dei odium habeat.")
Heller geprägter Schweinsledereinband (16. Jh.), 29 x 21,5cm, 0,04lfm; 65 fol. (durch Benutzung
Blätter alle v.a. unten verschmutzt). Darin: 59 farbige Zeichnungen (Personen- und
Wappendarstellungen). Beginn: „Stifftung des gotzhüß Kempten vnd sant Hyltgartün leben etc.“
(Blatt dann abgerissen, Rest des Textes fehlt). Schluss: „... den Got sy mit vnß allen hie zu°
Kempten vnd an allen stetten in diem Jar 1494 vnd dar nach ewegklich amen.“
Nr. 614 dürfte die wertvollste Handschrift des Vereins sein.
Wir erinnern uns: Für 145.000 Euro ersteigerte 2010 die Bayerische Staatsbibliothek eine mit 59 Federzeichnungen geschmückte Handschrift aus noch 147 Blättern mit der Kemptener Chronik des Johannes Birk:
http://www.merkur-online.de/nachrichten/bayern-lby/staatsbibliothek-ersteigert-kemptener-handschrift-835220.html
http://archiv.twoday.net/stories/6385537/
Trotz der etwas schlechteren Erhaltung könnte die ebenfalls mit 59 Illustrationen versehene Vereinshandschrift in Nürnberg einen niedrigen sechsstelligen Betrag erzielen. Hoffen wir, dass der gewiss ebenso wie alle Geschichtsvereine überalterte Verein noch eine Weile der Versuchung widersteht, die immer teurer werdende Publikation der gedruckten Vereinszeitschrift durch Abstoßung dieses kostbarsten Stücks, das ja auch gar keinen mittelfränkischen Bezug hat, für Jahre zu sichern. Es wäre dringend wünschenswert, der Forschung baldmöglichst ein gutes Digitalisat des Codex zur Verfügung zu stellen, da ja seit "Stralsund" klar ist, dass das Abstoßen von "totem Kapital" gewinnträchtig sein kann.
Seit meiner Beschäftigung mit dem Lorcher Marsilius-Turm interessiert mich die handschriftliche Überlieferung der historiographischen Werke aus der Feder des Johannes Birk oder seinem Umkreis.
Die Überlieferungszusammenstellung von Peter Johanek im ²VL 1 (1978), Sp. 870-875 ist inzwischen etwas veraltet. Ich übernehme ihr aber Titel und Reihenfolge der Werke.
1. 'Vita Hildegardis'
Das Widmungsexemplar für Kaiser Friedrich III. der um 1472 entstandenen lateinischen Via ist mit 27 ganzseitigen Miniaturen geschmückt und befindet sich in Privatbesitz. Durch das Antiquariat Dr. Jörn Günther kam Klaus Schreiner zu einer SW-Kopie der Handschrift, die nach 1945 mit anderen illuminierten Handschriften aus der Hofbibliothek Sigmaringen verkauft wurde (früher Cod. 50, nicht Cod. 23 wie Johanek hat). [Schoenberg-Datenbak: Kundig Cat. 95: Tres precieux manuscrits enlumines et incunables; livres anciens des XVIe, XVIIe, XVIIIe siecles et du début du xiXe siecle. - 1948/06/23]
Beschreibung von Wattenbach 1867
http://archive.org/stream/anzeigerfurkunde14germ#page/n133/mode/2up
Lehner S. 34
http://commons.wikimedia.org/w/index.php?title=File%3AFuerstlich_Hohenzollernsches_Museum_zu_Sigmaringen-Verzeichniss_der_Handschriften.pdf&page=40
Katalog "Bürgerfleiß und Fürstenglanz" (1998), S. 132-134 Nr. 67
Den Text überliefert auch das sog. Passionale sanctorum decimum des Blaubeurer Priors Bartholomäus Krafft, Fulda Aa 96, Bl. 106v-113r.
http://fuldig.hs-fulda.de/viewer/image/PPN291354084/273/LOG_0159/
Hiernach druckten die Bollandisten die Vita: Acta Sanctorum April III, 1675, S. 793-802
http://visualiseur.bnf.fr/CadresFenetre?O=NUMM-6035&M=pagination (den Link im neuen Gallica-Angebot mit Permanent-Links aufzufinden, war ich nicht imstande)
Klaus Schreiner hat in seinem 1975 erschienenen wichtigen Aufsatz zu St. Hildegardis und ihrer Verehrung in Kempten (im AKG) damit begonnen, das von Baumann zusammengestellte Oeuvre Johannes Birks zu reduzieren. S. 24 Anm. 93
http://www.mgh-bibliothek.de/dokumente/a/a149295.pdf
spricht er mit allzu pauschaler Begründung die Vita Birk ab und verweist auf die Nennung einer Quelle durch Birk, der sich auf das Werk eines Konventualen Hartmann Nottfest beruft. Dabei dürfte es sich aber um eine der Quellenfiktionen Birks handeln. Etwas befremdlich wirkt, dass Schreiner die Arbeiten Birks als "Machwerke" bezeichnet.
Solange die Abweichungen von den anderen Chroniken Birks nicht detailliert aufgeschlüsselt werden, bleibe ich dabei, dass die der Vita zugrundeliegenden historischen Studien am ehesten dem Stiftsschulmeister Birk zuzutrauen sind.
Baumanns nach wie vor grundlegende Studie zu den Kemptner Chroniken des (ausgehenden) 15. Jahrhunderts:
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00009125/image_11
Schreiner nennt in der Gedenkschrift Graus (Spannungen und Widersprüche, zitiert unten) S. 44 Anm. 30 den Text in der Bollstatter-Handschrift München Cgm 735, Bl. 67r-76r eine auszugsweise Übersetzung der lateinischen Vita.
Katalog von Karin Schneider:
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0046_a188_JPG.htm
http://www.handschriftencensus.de/6357
2. 'Historia Karoli Magni et de fundatione monasterii in Campidonia'
Johanek nennt als Überlieferung des ungedruckten Werks, das sich als 1494 von Johannes Birk angefertigte Abschrift eines angeblichen Werks von Godefridus Keren de Marsilia, angeblich Mitglied der Kanzlei Karls des Großen und Ludwig des Frommen, ausgibt, die folgenden Handschriften:
München, SB, Clm 22104, Bl. 114v-129v Anfang 16. Jh. aus Wessobrunn
Clm 1211, Bl. 185r-197v (Abschrift von Clm 22104, datiert 1529), aus Tegernsee
Clm 1803, S. 1-22, 18. Jh.
In Auszügen online sind die wichtigen Ausführungen von Folz 1950:
http://books.google.de/books?id=brvJ9h3mhZkC&pg=PA483
3. 'Tractatus de monasterio Campidonensi et eius multiplicibus privilegiis'
Die etwa 2000 lateinischen Verse sind am frühesten überliefert in Einsiedeln, Stiftsbibliothek, Cod. 245, Bl. 48r-53r
Die 1493 datierte Handschrift ist womöglich ein Autograph Birks (so Bruckner), jedenfalls aber das wichtigste Zeugnis für die Birk zugänglichen karolingerzeitlichen Quellen.
Ausführlich behandelte die Handschrift jüngst Matthias M. Tischler: Einharts Vita Karoli Bd. 1, 2001, S. 66-71
Aus der älteren Literatur am ausführlichsten Max Büdinger 1865:
http://books.google.de/books?id=1ckFAAAAQAAJ&pg=PA31
Katalog Meier S. 201f.
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Catalogus_codicum_manu_scriptorum_qui_in_bibliotheca_monasterii_Einsidlensis.pdf?page=223
Weitere Überlieferung des Tractatus:
München Clm 22104, Bl. 130r-154r
Clm 1211, Bl. 197v-218r
Zu beiden Handschriften siehe oben.
Clm 1370, Bl. 1r-35r (aus Polling)
Gedruckt nach einer Pollinger Handschrift (clm 1370?) in Kuens Quellensammlung Collectio Bd. 2 1756, siehe
http://archiv.twoday.net/stories/110777190/
Kuen-Digitalisat:
http://digital.ub.uni-duesseldorf.de/ihd/content/pageview/2711468
4. Deutschsprachige Bearbeitungen
Die oben erstmals nachgewiesene Nürnberger Handschrift des Historischen Vereins ist zu ergänzen in der Liste des Handschriftencensus:
http://www.handschriftencensus.de/werke/2658
Am wichtigsten sind die detaillierten Beschreibungen von Elisabeth Wunderle im Rahmen des Online-Projekts "Kemptener Klosterchroniken":
http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/kemptener-klosterchroniken
Die älteste bekannte Handschrift schrieb 1479 ein Konrad Widerlin von Ebenweiler: Cgm 5819
http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/kempten-cgm5819
Schreiner hat in seinem Aufsatz Hildegard, Adelheid, Kunigunde (in: Spannungen und Widersprüche, 1992) S. 44-47 aus diesem von ihm Widerlin als Verfasser zugeschriebenen Text referiert und etwas ominös behauptet, die Handschriften enthalte für die Quellenkritik Birks "grundlegende neue Erkenntnismöglichkeiten" (S. 44 Anm. 30). Angesichts der Übereinstimmungen des Textes mit der Birkschen Klosterchronik C1 meinte Wunderle. dies mache "eine Überprüfung der Rolle des Johannes Birk nötig, der gemeinhin als Verfasser dieser und der anderen 'Kemptener Chroniken' gilt".
Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Die leichtfertigen Versuche, Birk als Autor oder meinetwegen auch Spiritus rector des Kemptener historiographischen Ateliers am Ende des 15. Jahrhunderts in Frage zu stellen, stützen sich nicht auf nachvollziehbare Textbefunde oder schlüssige Argumente.
München Cgm 9470 datiert von 1499/um 1500. Einer der beiden Schreiber ist ein Petrus Brack.
http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/kempten-cgm9470
München Cgm 9280 datiert von 1506 und ist die Kräler'sche Handschrift, geschrieben von dem auch sonst als Schreiber hervorgetretenen Notar Johannes Kräler. Digitalisat:
http://www.bayerische-landesbibliothek-online.de/kempten-cgm9280
Noch dem Ende des 15. Jahrhunderts gehört Würzburg M.ch.f. 97 an:
http://www.handschriftencensus.de/14743
http://www.manuscripta-mediaevalia.de/hs/katalogseiten/HSK0371_b129_jpg.htm
Hüttner hat aus dieser Handschrift bei Baumann Fehlendes abgedruckt:
http://www.digizeitschriften.de/link/0179-9940/0/28/751
Nach dem Handschriftencensus ist Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek, 2° Cod. 249 eine direkte Abschrift von Cgm 9280.
http://www.handschriftencensus.de/14742
Über den Standort der von ihm C 2 genannten zweite Kemptener Klosterchronik schweigt sich Johanek aus. Nach Baumann (Forschungen S. 14f.) ist das Werk 1484/85 datieren und lag damals in einer ebenfalls Martin Leichtle gehörenden Abschrift des Notars Kräler wohl von 1507 vor. Es ist das Verdienst von Birgit Kata vom Stadtarchiv Kempten, dass wir nun wissen, dass die Handschrift sich heute in Kempten, Evang. Kirchengemeinde St. Mang, Sammlung Leichtle, L 180 befindet.
http://www.handschriftencensus.de/23752
Bedauerlicherweise ist dieser Text weder gedruckt noch digitalisiert. Hier vermute ich die Quelle für das oben genannte Lorcher Marsilius-Zeugnis.
Um eine intensive Beschäftigung mit dem spannenden Werk Birks bzw. aus seinem Umkreis zu ermöglichen, müssten alle relevanten Handschriften digitalisiert werden.
In der Zeit Birks war die Kemptener Stiftsschule ein wichtiges geistiges Zentrum. Neben der wohl von Birk selbst stammenden Einsiedler Handschrift (siehe oben) gibt es noch weitere, die hier erstmals zusammengestellt werden.
Für die naturkundlichen Interessen und die Zusammenarbeit mit Johannes Tallat ist der Stuttgarter Cod. HB XII 5 von Bedeutung, siehe meinen Beitrag
http://archiv.twoday.net/stories/233326676/
Saam erwähnte eine Abschrift der Imitatio Christi des Thomas von Kempen 1475 unter dem Rektor Johannes Birk Clm 26775 (ebd.).
1987 habe ich darauf hingewiesen, dass die wichtige chronistische lateinische Sammelhandschrift Cod. P I 1 der Stadtbibliothek Lindau aus dem Umkreis von Birk stammt, was die Birk-Forschung bislang beharrlich ignoriert hat. Eine 1476 datierte Notiz auf Bl. 180r weist auf die Tätigkeit des Johannes Birk an der Stiftsschule hin, Bl. 207r steht der Schreibervermerk des Christian Schimpflin von Rötenbach, Provisor an der Stiftsschule unter Birk.
http://books.google.de/books?id=pcvWAAAAMAAJ&pg=PA220
http://www.handschriftencensus.de/19561
Unzulängliche ältere Beschreibungen der Lindauer Handschrift gab Würdinger:
http://books.google.de/books?id=gwgPAAAAYAAJ&pg=PA9
http://archive.org/stream/AnzeigerFuerKundeDerDtVorzeit191872#page/n169/mode/2up
Ich habe keinen Zweifel, dass die bemerkenswerte historiographische Kemptener Produktion um 1500 im wesentlichen auf Birk und eventuell seine Mitarbeiter oder Schüler an der Stiftsschule zurückgeht. Es spielt keine Rolle, sondern macht die Texte besonders interessant, dass es sich um historiographische Fiktionen (also "Fälschungen" oder "Machwerke") handelt. Aufgrund der hier genannten handschriftlichen Überlieferung müssten sie intensiver analysiert werden.
#forschung
St. Hildegard Cgm 9470
KlausGraf - am Freitag, 18. Januar 2013, 01:41 - Rubrik: Kodikologie
ladislaus (Gast) meinte am 2013/01/18 21:28:
Solange der Verein die Hs. auch an die BSB verkauft, wäre ja nichts dagegen einzuwenden...