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http://www.aedph-old.uni-bayreuth.de/2002/0270.html

Ein Forschungsbeitrag zum Thema Schlachtengedenken (Armagnakenüberfall 13./14. Februar 1445) von mir am 7.6.2002.

Witte:
http://archive.org/stream/diearmagnakenim00wittgoog#page/n145/mode/2up

Stöber
http://books.google.de/books?id=GlhMAAAAYAAJ&pg=PA49

Abbildung der offenbar modernen Darstellung der Begebenheit in St. Léger in Guebwiller
http://lieuxsacres.canalblog.com/archives/2008/11/12/11340353.html

Siehe auch
http://archiv.twoday.net/search?q=schlachtengedenken

NACHTRAG 2015

Volltext des Beitrags von 2002

In der Pfarrkirche St. Leodegar von Gebweiler (im Elsass) sind im
rechten Seitenschiff am Gewölbe noch zwei aufgerollte Strickleitern
angebracht, die von der Tradition auf den vergeblichen Sturm der Stadt
in der Valentinsnacht 1445 durch die Armagnaken zurückgeführt werden.
Noch heute wird mit einer Messe in der Kirche jährlich dieses
Ereignisses gedacht (Einzelheiten zur Liturgie: Beck 1983).
Es existieren anscheinend in der archivalischen Überlieferung der Stadt
(und auch nicht im Murbacher Bestand) keine zeitgenössische Quellen aus
dem 15. Jahrhundert zu diesem im städtischen Gedächtnis Gebweilers so
prominenten Ereignis (so ausdrücklich Gardner 1957-60). Daß die
berüchtigten französischen Kriegsscharen mit anderen Städten im Elsass
auch Gebweiler heimgesucht haben, geht aus einer Instruktion von 1446 in
der Deutschordensüberlieferung hervor. Es heißt in ihr, die Bürger
hätten die vor der Mauer gelegene Ordensniederlassung selbst verbrannt,
damit sich die Armagnaken ("Armen Jäcken") dort nicht festsetzen konnten
[1].
Als Hauptquelle gilt die am Anfang des 18. Jahrhunderts
zusammengetragene Chronik eines Gebweiler Dominikaners [2]. Am
Valentinsabend (Vortag des 14. Februar) 1445 habe der Dauphin die Stadt
zwischen Mitternacht und drei Uhr die Stadt mit Leitern zu ersteigen
versucht, habe aber dabei soviel Lärm verursacht, daß die Bürger erwacht
seien. Ein "wackhers weib" Bridt (Brigitta) Schickhin habe mit
angezündeten Strohballen, die sie in den Stadtgraben warf, für weiteren
Schrecken gesorgt. Auf der Ringmauer, schreibt der fromme Dominikaner,
sichtete man die Muttergottes und den Heiligen Valentin, umgeben von
großem Glanz, "anzuzeigen, das sie die statt undt dero inwoner undter
ihren schutz undt schirm genommen haben". Anderntags fand man vor den
Toren, "etliche leitter von sonderbarer invention theils von strickh,
teils von holtz gemacht, die man zusamen legen kundte, an der
ringmauwren hangendt gefunden; die man zur ewigen gedächtnus in der
pfarrkhürchen alhier auffgehenckht" (alle Zitate S. 52). Der Stadtherr,
der Fürstabt von Murbach, habe den Rat und die sieben Zunftmeister in
das Refektorium der Prediger einberufen, wo sie gemeinsam "beschlossen,
und verlobt, das man zu ewigen zeiten Sancti Valentini tag solte
verehren undt hochfeüwrlich halten als wie den heiligen wienachttagen
selbsten" (S. 53). Die Frühmesse soll von St. Valentin gesungen werden,
das Hochamt zu Ehren Mariä. Vor diesem sollen Jung und Alt mit
brennenden Kerzen um die Kirche gehen. Adel, Ratsherren und die sieben
Zunftmeister sollen samt ihren Frauen zum Opfer gehen, damit auch
fürderhin durch die Fürbitte Marias und des Bischofs Valentin die Stadt
und alle ihre Einwohner vor feindlichen Überfällen und allem Übel
behütet würden. Zu diesem Gelübde existiert noch eine Aufzeichnung des
Stadtschreibers Johann Melchior Nussbaumer von 1695, die Xavier Mossmann
seiner 1846 erschienenen Ausgabe der Gebweiler Dominikanerchronik
beigefügt hat (S. 423f., nicht eingesehen). Älter als die
Dominikanerchronik ist die im 16. Jahrhundert entstandene Chronik des
Bürgers Hans Stolz [3].
Angesichts dieser Umstände dürfen lateinische annalistische
Aufzeichnungen aus Murbach, die wahrscheinlich in der Zeit des Fürstabts
Bartholomäus von Andlau (gest. 1476) entstanden sind, besondere
Aufmerksamkeit für sich beanspruchen. Sie sind überliefert in einer
Bibel der Colmarer Bibliothek sowie in gelehrten Papieren der Mauriner,
die sich abschriftlich in der Zurlauben-Sammlung der Aarauer
Kantonsbibliothek befinden und wurden von Ingold ediert [4]. Die Notiz
wurde in der Sekundärliteratur zu Gebweiler nicht beachtet, obwohl sie
anscheinend die älteste derzeit greifbare Überlieferung zum Valentinstag
darstellt. Sie lautet: "Anno ejus regiminis M.CCCC.XLIIII [!]
Armijacentus provinciam presenteis devastantes oppidum Gewilr vigilia S.
Valentini nocturnis horis intrantes (?) suisque instrumentis murum
accedentes. Incole dicti oppidi Gewilr divinitus admoniti in sompnis et
ipsos dictos devastatores realiter exprimentes eisque resistentes ob
cujus rei festum dicti S. Valentini verenerantur usque ad presens in
futurumque colere nitentur."
Die Gebweiler Traditionsbildung gehört in den Kontext der sogenannten
Schlachtengedenktage und Mordnacht-Überlieferungen [5]. Da auch
andernworts tapfere Frauen als Motiv erscheinen, dürfte es sich bei der
Nennung von Brigitta Schick um eine frühneuzeitliche Ausschmückung
handeln. Ebenfalls gibt es noch andere Beispiele, daß der (oder die)
Tagesheilige einer erfolgreichen Bewahrung städtischer Freiheit als
"Votivheiliger" besonders verehrt wird oder sogar zu einem städtischen
Patron avanciert. In einem vervielfältigten Informationsblatt zu den
Kirchenfenstern von René Kuder (1922) in St. Leodegar heißt es zu einer
der Darstellungen: "La crucifixion, flanquée des saints patrons: St.
Léger et St. Valentin, ce dernier pris dans la defense de la Ville en
1445, accompagné de la Vierge Marie".
Klaus Graf
[1] Dieter Heckmann, ZGO 140 (1992), S. 122 - PrUB, JS 182 (1446
Dezember 23. o.O.), online:
http://www.rrz.uni-hamburg.de/Landesforschung/pub/js/js182.htm
[2] Die Gebweiler Chronik des Dominikaners Fr. Seraphin Dietler, hrsg.
von Johann von Schlumberger, Gebweiler 1898, S. 51-53. Nach der Ausgabe
von Mossmann 1846 bei Stöber 1858, S. 49-52.
[3] Die Hans Stolz'sche Gebweiler Chronik. Zeugenbericht über den
Bauernkrieg am Oberrhein, hrsg. von Wolfram Stolz, Freiburg 1979 (nicht
eingesehen). Frühneuzeitlich sind auch die Thanner Annalen des Tschamser
S. 570 (erwähnt bei Witte 1889 S. 140).
[4] Nouvelles Oeuvres inédites de Grandidier, Bd. 5, Colmar 1900, S.
163.
[5] Vgl. zur Einordnung:
http://www.uni-koblenz.de/~graf/riten.htm
http://www.uni-koblenz.de/~graf/dud.htm
Klaus Graf, Maria als Stadtpatronin in deutschen Städten des
Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: Frömmigkeit im Mittelalter.
Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche
Ausdrucksformen, hrsg. von Klaus Schreiner, München 2002, S. 125-154.
Bibliographie:
August Stöber, Die Sagen des Elsasses [...]. Zweite Ausgabe, St. Gallen
1858
Heinrich Witte, Die Armagnaken im Elsass 1439-1445, Strassburg 1889
A. Gardner, L'assaut manqué des Armagnacs contre Guebwiller dans la nuit
de la St-Valentin 1445, in: Annuaire de la Société d'Histoire des
Régions de Thann-Guebwiller 1957-60, S. 29-34
Georges Bischoff, Guebwiller au Moyen-Age. II. Naissance et frustration
d'une conscience politique, in: Annuaire de la Société d'Histoire des
Régions de Thann-Guebwiller 1975-76, S. 27-40
Jean-Pierre Beck, La céremonie de la Saint-Valentin a Guebwiller, in:
Archives de L'Église d'Alsace 42 (1983), S. 344-349
Alexander Meichler, St. Leodegar in Gebweiler (Schnell, Kunstführer Nr.
963), 2. Aufl., Regensburg 1995

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