Nicht nur im Frühmittelalter mit seiner Einnamigkeit lauern Probleme, wenn es um die Identifizierung gleichnamiger Personen geht. Der Kleriker Jörg Ruch aus Schwäbisch Gmünder Ratsfamilie, tätig als Pfarrer in Lautern und als Kaplan in Schwäbisch Gmünd wurde mit in einem ganz anderen Raum tätigen Klerikern zusammengeworfen, weil diese in den von Manfred Krebs mitgeteilten Konstanzer Investiturprotokollen auffindbar sind. Der berühmte, in Geislingen an der Steige wirkende Buchbinder Johannes Richenbach band für Ruch zwei Bände.
Ausgezeichnete Bilder des Kopenhagener Richenbach-Einbands Ruchs mit Wiedergabe des Kaufeintrags sind online:
http://wayback.kb.dk:8080/wayback-1.4.2/wayback/20100107153228/http://www2.kb.dk/elib/mss/treasures/bogbind/inc397.htm (freundlicher Hinweis von Dr. Dietrich Hakelberg am 29. September 2007)
Den aktuellen Census der Richenbach-Einbände publizierte Scott Husby: Another “per me”: A Richenbach Binding Discovered in the Huntington Library. In: The papers of the Bibliographical Society of America - 105 (2011), S. 295-324 (S. 317-323: R1-R56). Paul Needham war so freundlich, mir eine von ihm und Eric White angelegte Datei mit einem weiteren Richenbach-Census (in der Zählung von Husby abweichend) zur Verfügung zu stellen. Obwohl sie nicht ohne Fehler ist, wird man künftig von Husbys Zusammenstellung auszugehen haben. Ergänzend fand ich neulich einen losen rückwärtigen Handschriftendeckel Richenbachs in der Graphischen Sammlung München (Inv. Nr. 38510) erwähnt, der Ernst Kyriss zwar bekannt war, von ihm aber anscheinend nicht publiziert wurde:
http://retro.seals.ch/digbib/view?lp=239&rid=zak-003%3A1952%3A13%3A%3A343&Submit=ok (Erich Steingräber 1952)
Die aufgeklebte Miniatur (St. Johannes auf Patmos) schreibt Anne Winston-Allen (in: Schreiben und Lesen in der Stadt, 2012, S. 209, vgl. S. 201) der Freiburger Klarissin Sibylla von Bondorf zu.
[Siehe auch
http://www.agfem-art.com/bondorf-muumlnchenmunich--staatliche-graphische-sammlung-inv-nr-38510.html ]
Husby R3 (Glauning Nr. 10) ist eine Handschrift (Jacobus de Voragine: Sermones dominicales) von 1459, SB München Clm 2784, die 1469 für dominus Johannes Naegelin gebunden wurde, wie die Inschrift auf dem Einband sagt. Sie kam aus dem Zisterzienserkloster Aldersbach (bei Vilshofen) nach München. Handschriftenkatalog:
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00008252/image_46
Wer war der Kleriker (dominus) Johannes Naegelin? Needhams IPI hat nichts zu ihm. Zu suchen haben wir am ehesten im Großraum Ulm, zu dem auch Geislingen und am Rande Schwäbisch Gmünd gehört, wo mehrere Kunden Richenbachs ansässig waren, also im nordöstlichen Teil des Bistums Konstanz und im westlichen Teil der Diözese Augsburg.
Pfaff Johann Nägelin, Pfarrer zu Iggingen (nordöstlich Schwäbisch Gmünd) 1445 Januar 8 (Nitsch, Urkunden und Akten ... Gmünd, 1966, Nr. 1196) liegt zu früh.
1443 verzeichnet die Wiener Matrikel (Bd. 1, S. 235 II R 43) einen Johannes Negelein de Vlma. Um 1430 oder etwas früher geboren, wäre er 1469 etwa 40jährig gewesen. Schuler, Notare Südwestdeutschlands, 1987, S. 316 hat einen ab 1514 belegten Kaplan des Namens in Ulm. Dass die Ulmer Familie Nägelin um 1469 einen Geistlichen mit dem häufigsten Vornamen Hans stellte, ist alles andere als unwahrscheinlich.
Der Auskunft des Archivs des Bistums Augsburg " Im Generalschematismus für die Diözese Augsburg (ca. 1472 - 1762) von Moritz Wiedemann, Marktoberdorf 1945 (ungedrucktes Manuskript), ist für den von Ihnen genannten Zeitpunkt kein Geistlicher mit Namen Johannes Negelin nachweisbar." entnehmen wir immerhin, dass Recherchen nach Klerikern der Diözese Augsburg auf dieses ungedruckte prosopographische Hilfsmittel zurückgreifen können.
Am vielversprechendsten sind die beiden Notare Johannes Nägelin, zu denen Schuler (Notare S. 315f. Nr. 927f.) fleißig Belege gesammelt hat. Beide stammten aus dem Ulmer Raum, waren aber später im Konstanzer Raum tätig.
Johannes Nägelin (I) aus Ehingen an der Donau ist ab 1463 belegt und starb vor dem 26. Oktober 1501. 1462 als Johannes "Negelly" in Freiburg im Breisgau immatrikuliert, wurde er 1478 zum kaiserlichen Notar ernannt. Im gleichen Jahr war er Schulmeister in Ehingen. Von 1481 bis 1501 war er Schulmeister des Stifts St. Pelagius in Bischofszell und schrieb auch das Kopialbuch des Stifts. Nach seinem Tod erscheint seine 1504 verstorbene Witwe Margaretha Judas, er war also verheiratet. "Als Schulmeister war er ein energischer Vertreter der neuen Bildung".
Johannes Nägelin (II) stammte aus Leipheim und war Laie des Bistums Augsburg. Im Wintersemester 1474/75 ebenfalls in Freiburg immatrikuliert, erlangte er das Bakkalaureat 1478 in Tübingen. 1491/1511 war er Schreiber der Konstanzer Kurie. Er starb nicht vor 1511 und erscheint in den Konstanzer Steuerbüchern.
Gegenüber Schuler nachzutragen ist, dass er als Schüler der bedeutenden Ulmer Stadtschule 1474 die Pariser Handschrift Ms. lat. 10465 schrieb. Bl. 20v: "per me Johannem nägellin tunc temporis scolaris vlme", Bl. 208r "per me Johannem negelin de lipheim". Die Datierung Bl. 196r auf 1471 scheint mir aus der Straßburger Vorlage des Textes zu stammen.
http://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00050030_00028.html
(Schulliteratur im späten Mittelalter, 2000, S. 28f. Nr. 38)
Dass Richenbach den Ulmer Schüler von 1474 "dominus" nannte, möchte ich ausschließen. Daher kommt Nägelin (II) aus chronologischen Gründen nicht in Betracht.
Womit sich Nägelin (I) 1469 befasste, ist nicht bekannt. Notar wurde er erst 1478. Da er bei seinem Tod als verheiratet erscheint, könnte er allenfalls als verheirateter Kleriker ein Pfründeninhaber gewesen sein. Ob Richenbach einem Nicht-Priester das Prädikat dominus gegeben hätte? Ich möchte es eher verneinen. Damit ist auch Nägelin (I) ein unwahrscheinlicher Kandidat.
Die SB München teilte freundlicherweise mit, worauf ich in einem Google-Schnipsel von Anton Aubele: Straß. Zur Geschichte eines Dorfes im Ulmer Winkel, 1982, S. 51 stieß: ""Am 14. Juli 1469 kaufte der Elchinger Abt Paulus um 'fünfftzig guter Rinischer guldin der statt werung zu Ulme' das sogenannte 'Nägeleholz' im Klassenhart von Johannes Nägelin, 'Ain Priester Augspurg Bystumbs', Bantilon Vischer und Peter Lang von Leipheim, das 'von Hannsen und Agathen den Näglin unser vatter und mutter schweher und schwiger säligen ererbt und bysher Inngehabt'". Fußnote 106: HStA München KU Elchingen Nr. 150 (jetzt im Staatsarchiv Augsburg).
Es gab also im Ulmer Raum 1469 einen Priester Johannes Nägelin, der offenbar aus dem keine 10 km von Leipheim entfernten Straß stammte. In ihm möchte ich derzeit am ehesten den Kunden Richenbachs von 1469, dominus Johannes Naegelin, sehen, wenngleich weder ein Kleriker aus der Ulmer Familie (der Wiener Student?) oder Nägelin (I) ganz ausgeschlossen werden können. Es ist gut denkbar, dass mit zunehmender Erschließung der spätmittelalterlichen Urkundenbestände noch andere potentielle Kandidaten auftauchen. Von daher kann im Augenblick keine hinreichend abgesicherte Identifizierung angeboten werden.
#forschung
Ausgezeichnete Bilder des Kopenhagener Richenbach-Einbands Ruchs mit Wiedergabe des Kaufeintrags sind online:
http://wayback.kb.dk:8080/wayback-1.4.2/wayback/20100107153228/http://www2.kb.dk/elib/mss/treasures/bogbind/inc397.htm (freundlicher Hinweis von Dr. Dietrich Hakelberg am 29. September 2007)
Den aktuellen Census der Richenbach-Einbände publizierte Scott Husby: Another “per me”: A Richenbach Binding Discovered in the Huntington Library. In: The papers of the Bibliographical Society of America - 105 (2011), S. 295-324 (S. 317-323: R1-R56). Paul Needham war so freundlich, mir eine von ihm und Eric White angelegte Datei mit einem weiteren Richenbach-Census (in der Zählung von Husby abweichend) zur Verfügung zu stellen. Obwohl sie nicht ohne Fehler ist, wird man künftig von Husbys Zusammenstellung auszugehen haben. Ergänzend fand ich neulich einen losen rückwärtigen Handschriftendeckel Richenbachs in der Graphischen Sammlung München (Inv. Nr. 38510) erwähnt, der Ernst Kyriss zwar bekannt war, von ihm aber anscheinend nicht publiziert wurde:
http://retro.seals.ch/digbib/view?lp=239&rid=zak-003%3A1952%3A13%3A%3A343&Submit=ok (Erich Steingräber 1952)
Die aufgeklebte Miniatur (St. Johannes auf Patmos) schreibt Anne Winston-Allen (in: Schreiben und Lesen in der Stadt, 2012, S. 209, vgl. S. 201) der Freiburger Klarissin Sibylla von Bondorf zu.
[Siehe auch
http://www.agfem-art.com/bondorf-muumlnchenmunich--staatliche-graphische-sammlung-inv-nr-38510.html ]
Husby R3 (Glauning Nr. 10) ist eine Handschrift (Jacobus de Voragine: Sermones dominicales) von 1459, SB München Clm 2784, die 1469 für dominus Johannes Naegelin gebunden wurde, wie die Inschrift auf dem Einband sagt. Sie kam aus dem Zisterzienserkloster Aldersbach (bei Vilshofen) nach München. Handschriftenkatalog:
http://daten.digitale-sammlungen.de/bsb00008252/image_46
Wer war der Kleriker (dominus) Johannes Naegelin? Needhams IPI hat nichts zu ihm. Zu suchen haben wir am ehesten im Großraum Ulm, zu dem auch Geislingen und am Rande Schwäbisch Gmünd gehört, wo mehrere Kunden Richenbachs ansässig waren, also im nordöstlichen Teil des Bistums Konstanz und im westlichen Teil der Diözese Augsburg.
Pfaff Johann Nägelin, Pfarrer zu Iggingen (nordöstlich Schwäbisch Gmünd) 1445 Januar 8 (Nitsch, Urkunden und Akten ... Gmünd, 1966, Nr. 1196) liegt zu früh.
1443 verzeichnet die Wiener Matrikel (Bd. 1, S. 235 II R 43) einen Johannes Negelein de Vlma. Um 1430 oder etwas früher geboren, wäre er 1469 etwa 40jährig gewesen. Schuler, Notare Südwestdeutschlands, 1987, S. 316 hat einen ab 1514 belegten Kaplan des Namens in Ulm. Dass die Ulmer Familie Nägelin um 1469 einen Geistlichen mit dem häufigsten Vornamen Hans stellte, ist alles andere als unwahrscheinlich.
Der Auskunft des Archivs des Bistums Augsburg " Im Generalschematismus für die Diözese Augsburg (ca. 1472 - 1762) von Moritz Wiedemann, Marktoberdorf 1945 (ungedrucktes Manuskript), ist für den von Ihnen genannten Zeitpunkt kein Geistlicher mit Namen Johannes Negelin nachweisbar." entnehmen wir immerhin, dass Recherchen nach Klerikern der Diözese Augsburg auf dieses ungedruckte prosopographische Hilfsmittel zurückgreifen können.
Am vielversprechendsten sind die beiden Notare Johannes Nägelin, zu denen Schuler (Notare S. 315f. Nr. 927f.) fleißig Belege gesammelt hat. Beide stammten aus dem Ulmer Raum, waren aber später im Konstanzer Raum tätig.
Johannes Nägelin (I) aus Ehingen an der Donau ist ab 1463 belegt und starb vor dem 26. Oktober 1501. 1462 als Johannes "Negelly" in Freiburg im Breisgau immatrikuliert, wurde er 1478 zum kaiserlichen Notar ernannt. Im gleichen Jahr war er Schulmeister in Ehingen. Von 1481 bis 1501 war er Schulmeister des Stifts St. Pelagius in Bischofszell und schrieb auch das Kopialbuch des Stifts. Nach seinem Tod erscheint seine 1504 verstorbene Witwe Margaretha Judas, er war also verheiratet. "Als Schulmeister war er ein energischer Vertreter der neuen Bildung".
Johannes Nägelin (II) stammte aus Leipheim und war Laie des Bistums Augsburg. Im Wintersemester 1474/75 ebenfalls in Freiburg immatrikuliert, erlangte er das Bakkalaureat 1478 in Tübingen. 1491/1511 war er Schreiber der Konstanzer Kurie. Er starb nicht vor 1511 und erscheint in den Konstanzer Steuerbüchern.
Gegenüber Schuler nachzutragen ist, dass er als Schüler der bedeutenden Ulmer Stadtschule 1474 die Pariser Handschrift Ms. lat. 10465 schrieb. Bl. 20v: "per me Johannem nägellin tunc temporis scolaris vlme", Bl. 208r "per me Johannem negelin de lipheim". Die Datierung Bl. 196r auf 1471 scheint mir aus der Straßburger Vorlage des Textes zu stammen.
http://digi20.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb00050030_00028.html
(Schulliteratur im späten Mittelalter, 2000, S. 28f. Nr. 38)
Dass Richenbach den Ulmer Schüler von 1474 "dominus" nannte, möchte ich ausschließen. Daher kommt Nägelin (II) aus chronologischen Gründen nicht in Betracht.
Womit sich Nägelin (I) 1469 befasste, ist nicht bekannt. Notar wurde er erst 1478. Da er bei seinem Tod als verheiratet erscheint, könnte er allenfalls als verheirateter Kleriker ein Pfründeninhaber gewesen sein. Ob Richenbach einem Nicht-Priester das Prädikat dominus gegeben hätte? Ich möchte es eher verneinen. Damit ist auch Nägelin (I) ein unwahrscheinlicher Kandidat.
Die SB München teilte freundlicherweise mit, worauf ich in einem Google-Schnipsel von Anton Aubele: Straß. Zur Geschichte eines Dorfes im Ulmer Winkel, 1982, S. 51 stieß: ""Am 14. Juli 1469 kaufte der Elchinger Abt Paulus um 'fünfftzig guter Rinischer guldin der statt werung zu Ulme' das sogenannte 'Nägeleholz' im Klassenhart von Johannes Nägelin, 'Ain Priester Augspurg Bystumbs', Bantilon Vischer und Peter Lang von Leipheim, das 'von Hannsen und Agathen den Näglin unser vatter und mutter schweher und schwiger säligen ererbt und bysher Inngehabt'". Fußnote 106: HStA München KU Elchingen Nr. 150 (jetzt im Staatsarchiv Augsburg).
Es gab also im Ulmer Raum 1469 einen Priester Johannes Nägelin, der offenbar aus dem keine 10 km von Leipheim entfernten Straß stammte. In ihm möchte ich derzeit am ehesten den Kunden Richenbachs von 1469, dominus Johannes Naegelin, sehen, wenngleich weder ein Kleriker aus der Ulmer Familie (der Wiener Student?) oder Nägelin (I) ganz ausgeschlossen werden können. Es ist gut denkbar, dass mit zunehmender Erschließung der spätmittelalterlichen Urkundenbestände noch andere potentielle Kandidaten auftauchen. Von daher kann im Augenblick keine hinreichend abgesicherte Identifizierung angeboten werden.
#forschung
KlausGraf - am Samstag, 23. Februar 2013, 21:17 - Rubrik: Landesgeschichte
Jörg Martin (Gast) meinte am 2013/02/24 21:39:
Und noch einer ...
Johannes Nägelin aus Blaubeuren, immatr. Wien 1470 -- wohl zu jung, aber geographisch am nächsten an Geislingen (Quelle: Lonhard, Otto-Günter: Die Bürgerschaft der Stadt Blaubeuren, in: Decker-Hauff/Eberl (Hrsg.): Blaubeuren: Die Entwicklung einer Siedlung in Südwestdeutschland, Sigmaringen 1986, S.447-543, hier S. 498); weiterer Lebenslauf mir nicht bekannt.