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Unter diesem Titel bringt die FAZ (an meinem morgigen 49. Geburtstag) meinen Artikel zum Eichstätter Kulturgutdesaster. Der eingereichte Texte wurde an verschiedenen Stellen nicht unerheblich gekürzt, ich dokumentiere im folgenden die vollständige Fassung.

Historische Kapuzinerbücher in der Altpapierverwertung

Der Stadtdechant von Neumarkt in der Oberpfalz war 1802 einer von vielen Ortsgeistlichen, denen die „Abwicklung“ der säkularisierten Bettelordens-Bibliotheken anvertraut wurde. Den Großteil der Bücher der Neumarkter Kapuziner befand er als „wahrhaft schädlich“ und zwar nicht nur wegen ihres „widersinnigen, abergläubischen und lächerlichen Inhalts, sondern auch wegen des schlechten Teutsches und fehlerhafter Orthographie“. Sie sind wohl komplett in die Altpapierverwertung gegangen, ebenso die Bücher des Kapuzinerkonvents Pyrbaum, die einem Papiermacher verkauft wurden. In den Gebrauchsbibliotheken der Bettelorden, die kaum einmal bibliophile Schätze verwahrten, hat die Säkularisation vor zweihundert Jahren verheerend gewüstet. Aufgeklärte Zeitgenossen konnten mit den frommen Predigtwerken und asketischen Schriften ganz und gar nichts anfangen. Der Kapuziner, dem das Volk gern magische Kräfte zuschrieb, galt als typischer Vertreter eines unaufgeklärten, abergläubischen Mönchtums, dessen Zeit abgelaufen war. Heute sind erhaltene Kapuzinerbibliotheken gerade deshalb ein spannendes Forschungsobjekt. So trägt eine Studie über die Zusammensetzung der Büchersammlung der Ordensniederlassung in Zug (Schweiz) am Ende des 18. Jahrhunderts den programmatischen Titel: Eine Rüstkammer der Gegenaufklärung. Im Jahr 2003 unternahm die viel beachtete Wanderaussstellung „Frömmigkeit und Wissen“ der Universitätsbibliothek Münster eine Spurensuche, die sich den Resten der rheinisch-westfälischen Kapuzinerbibliotheken vor der Säkularisation widmete.

Während der etwa 5000 Bände umfassende Altbestand der rheinisch-westfälischen Ordensprovinz sorgsam betreut wird, kamen zum Schicksal des ungleich größeren Bucherbes der bayerischen Kapuzinerprovinz in den letzten Tagen verstörende Nachrichten. 1999 hatte der Orden mit der katholischen Universität Eichstätt einen Überlassungsvertrag geschlossen, der die 420.000 Bände der Zentralbibliothek der Bayerischen Kapuziner in Altötting in die Universitätsbibliothek Eichstätt brachte. Was ein beispielhaftes Modell für den Umgang mit kirchlichem Kulturgut hätte werden können, geriet aufgrund der Überforderung der Eichstätter Bibliothekare indes zum beispiellosen Desaster. Der Stiftungsvorstand musste vor kurzem die Notbremse ziehen und der Bibliotheksleiterin Dr. Angelika Reich die weitere Bearbeitung der Kapuzinerbestände verbieten. Eine genaue Prüfung der Vorgänge wurde angekündigt.

Nach Angaben des Kapuzinerprovinzials Mittermaier wurden in den Jahren 2005 und 2006 83 Tonnen Bücher und Zeitschriften vernichtet, davon 68,4 Tonnen aus Kapuzinerbeständen. Dies stimmt mit den Recherchen des „Eichstätter Kuriers“ und den Ermittlungen des Universitätskanzlers von der Heydte überein. Man schätzt, dass hunderttausend Bücher in 17 Containern in der Altpapierverwertung gelandet sind. Nachweislich wurden auch einige unbeschädigte alte Drucke aus der Zeit vor 1800 in dem zur Vernichtung bestimmten Bestand gefunden und der Lokalpresse zugänglich gemacht. Der ehemalige Bibliotheksleiter Dr. Hermann Holzbauer, den eine Privatfehde mit seiner als schwierig geltenden Nachfolgerin verbindet, meldete sich mit der Befürchtung zu Wort, womöglich seien tausende wertvoller Bände in den Müll gegeben worden. Bereits bei der Übernahme der 350.000 Werke seien unbrauchbare Bücher von ihm aussortiert worden. Umgekehrt wirft der Kapuzinerprovinzial dem Ex-Bibliothekschef vor, dass unter seiner Ägide 1441 Umzugskisten völlig unsachgemäß gelagert worden seien, sodass sich der Schimmel hätte ungehindert ausbreiten können.

Im Juli 2006 beschrieb ein anonymer Hinweisgeber das Vorgehen der neuen Direktorin bei der Ausräumung der für die Kisten angemieteten Lagerhalle so: „Von den 1.400 Bücherkisten wurde ca. die Hälfte, also 700 Kisten, aussortiert, und ging zum wohl größeren Teil in den Antiquariatsverkauf, der zweite Teil dieser 700 Kisten wird in den Bestand der Universitätsbibliothek aufgenommen. Weitere ca. 700 Kisten wurden jedoch einfach weggeworfen, in große Müllcontainer, und dann dem Restmüll, vermutlich in einer Müllverbrennungsanlage, zugeführt“. Die Aussonderung sei hastig und ohne die nötige Sorgfalt durchgeführt worden. Ende 2006 erhob dann der Musikantiquar und Mäzen der Hochschule Dr. Hans Schneider schwere Vorwürfe gegen die Universitätsbibliothek, da diese große Teile der von seinem Schwiegervater geschenkten Schallplattensammlung an ein Antiquariat verkauft hatte. Auch eine weitere geschenkte Schallplattensammlung wurde veräußert. Von einem „Augiasstall“ in Eichstätt spricht der Esperanto-Forscher Reinhard Haupenthal, der ebenfalls die Universitätsbibliothek mit einer Schenkung bedacht hatte. Und in einem Leserbrief vom 18. Januar zeigte sich der Aphoristiker und ehemalige Bibliothekar Dr. Ernst R. Hauschka bestürzt: „Wie lange noch werden diese Ungeheuerlichkeiten, welche zu Recht ‚Vernichtung von Kulturgut’ genannt werden, geduldet, ohne dass eingegriffen wird? Armes Eichstätt.“

Bereits 2002 musste festgestellt werden, dass große Mengen frühneuzeitlicher Drucke aus bayerischen Kapuzinerbibliotheken als angebliche „Dubletten“ im Antiquariatshandel auftauchten. Dazu gehörten auch Drucke des 17. Jahrhunderts, die von der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel für die „Sammlung Deutscher Drucke“ erworben wurden. Angebote der Eichstätter Bibliothek an andere Altbestandsbibliotheken sind nicht bekannt geworden, man setzte ausschließlich auf die Zusammenarbeit mit Antiquaren. Derzeit lassen sich außer im „Zentralen Verzeichnis antiquarischer Bücher“ auch bei eBay einige Titel aus bayerischen Kapuzinerbibliotheken nachweisen. Drucke aus der Zeit vor 1802 sind aber nach einer Vereinbarung als Eigentum des Freistaats Bayern anzusehen. Wenn ein in Wolfenbüttel gelandeter Salzburger Druck von 1695 einen Besitzvermerk der Burghausener Jesuiten von 1728 trägt, so legt das den Verdacht nahe, dass die Kapuziner (oder die Eichstätter Bibliothek) auch aus der durch Verfügung von 1861 als „Staatsbibliothek“ unter Eigentumsvorbehalt übergebenen Jesuitenbibliothek „Dubletten“ verkauft haben. Die staatlichen bayerischen Aussonderungsrichtlinien sagen aber eindeutig, dass Aussonderungen von Altbestand aus der Zeit vor 1830/50 in der Regel nicht zulässig sind.

Der Hamburger evangelische Kirchenhistoriker Johann Anselm Steiger, der sich für die Erhaltung historischer Kirchenbibliotheken des Protestantismus engagiert, lässt in einem Kommentar zu den Eichstätter Vorgängen das Dubletten-Argument nicht gelten: „Das in diesem wie in ähnlich gelagerten Fällen apologetische Standard-Argument lautet, man habe nur Dubletten ausgesondert. Sollte sich der Verdacht erhärten, dass von der Vernichtung auch frühneuzeitliche Bestandssegmente betroffen sind, wofür manches spricht, wäre dies ein Skandal. Wann endlich dringt es ins Bewusstsein ein, dass es bezüglich der frühneuzeitlichen Drucke Dubletten nicht gibt, da Benutzungsspuren wie Besitzeinträge, Notizen usw. jedem Exemplar eine spezifische Charakteristik verleihen?“ Auch wenn bei Kapuzinerbibliotheken die Fluktuation der Bücher außerordentlich hoch war, da diese häufig von Konvent zu Konvent wanderten, wäre es für vergleichende Forschungen trotzdem wichtig zu wissen, in welchem Konvent sich welche Werke befanden. Eine Dokumentation der Eichstätter Dublettenverkäufe, die diesem Gesichtspunkt Rechnung trüge, existiert nicht (ebenso wenig wie ein Verzeichnis der vernichteten Bücher). Ein bei eBay eingestelltes Buch aus dem Kapuzinerkloster Burghausen wurde laut Besitzvermerk 1677 erworben, ein Jahr nach dem Erscheinungsjahr. Der Autor, ein Jesuit, starb 1688 ebenfalls in Burghausen. Das Buch weist also einen gewissen lokalhistorischen Bezug auf. Durch Antiquariatsverkäufe gehen diese kleinen Mosaiksteine zur geistigen Kultur des frühneuzeitlichen Katholizismus verloren.

Mit Blick auf die Eichstätter Aussonderungspraxis sagt der in Rom lehrende Kapuzinerhistoriker P. Dr. Leonhard Lehmann: „Eine Bibliothek ist ein gewachsenes Corpus, das man nicht in seine einzelnen Glieder zerlegt“. Insbesondere in Italien sei es derzeit geradezu Mode, Bibliotheksbestände einzelner Klöster zu rekonstruieren. Aber man müsse etwas nicht erst zergliedern, um es nachher wieder zusammenzufügen.

Beunruhigen muss, dass in den kommenden Jahren mit der Auflösung von zahlreichen katholischen Ordensniederlassungen aus Personalmangel und damit auch in erheblichem Ausmaß mit der Freisetzung bisher gut betreuter Altbestände zu rechnen ist. Nicht immer wird eine erfreuliche Lösung wie bei der berühmten Dominikanerbibliothek in Walberberg gefunden werden können, die in die Diözesanbibliothek Köln umzieht. 2005 bemühten sich die Universitätsbibliotheken in Köln und Bonn vergeblich um den kostbaren und großen Altbestand der Redemptoristenhochschule im Kloster Geistingen. Die alten Drucke nach 1500 wurden von der Ordensleitung lieber an einen Antiquar verkauft.

Verständlich erscheint daher die Sorge des Ordenshistorikers und Ilmenauer Bibliothekars Dr. Eric Steinhauer: „Angesichts der personellen Einbrüche in den Ordensgemeinschaften ist
eine zentrale Sammelbibliothek, die das klösterliche Büchererbe auch mit Rücksicht auf seine Provenienz bewahrt, bitter nötig. Die UB Eichstätt als einzige kirchliche Universitätsbibliothek in Deutschland wäre hier ein idealer Partner. Umso bestürzender ist es, wenn ausgerechnet diese Bibliothek sich als böse Papiermühle entpuppen sollte.“

Klaus Graf
graupner meinte am 2007/02/20 20:30:
Glückwunsch, nicht nur zum Geburtstag! 
BCK meinte am 2007/03/23 12:40:
FAZ-Leserbrief "Bücher-Müll"
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.03.2007, Nr. 68, S. 8
Briefe an die Herausgeber

Bücher-Müll

Zu "83 Tonnen Bücher als Müll - Die Universität Eichstätt vernichtet eine Klosterbibliothek" (F.A.Z.-Feuilleton vom 21. Februar): Haben wir nicht schon durch Kriege und durch die Säkularisation so hohe Verluste an alten Büchern und Zeitschriften erlitten, dass der Restbestand nicht sorgfältig gehütet werden müsste? Die Direktorin einer angesehenen Bibliothek zeichnet sich nun dadurch aus, wertvolles bibliophiles Gut der Vernichtung anheimzugeben, oder hat dieses bereits "entsorgt". Dass es sich in diesem Fall um die Leiterin einer katholischen Universitätsbibliothek handelt, die für Ordensliteratur kein Verständnis zu zeigen scheint, fällt besonders gravierend ins Gewicht und führt zu der Frage, ob sie nicht in diesem Amt fehl am Platze ist.

Dr. Susanne Ritter, Leinfelden

Dr. Susanne Ritter ist Historikerin (Promotion 1970 in Tübingen über "Die kirchenkritische Tendenz in den deutschsprachigen Flugschriften der frühen Reformationszeit") und Schriftführerin des Geschichtsvereins Leinfelden-Echterdingen.

 
 

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