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Südwestpresse - Pressehaus Heidenheim, 03.03.2007 (via HZ Online)
KULTUR / Zweifelhafte Vorwürfe gegen die Eichstätter Universitätsbibliothek erhalten nationale Aufmerksamkeit
80 Tonnen Bücher werden zum Skandal

Rund 100 000 alte Bücher aus der Bibliothek der Katholischen Universität Eichstätt sind im Altpapier-Container gelandet. Ein Skandal, rufen manche: Da wird Kulturgut tonnenweise vernichtet. Wer genau hinsieht, wundert sich über die Aufregung und das deutschlandweite Echo.

THOMAS SPANHEL

Die neue Universitätsbibliothek Eichstätt gilt als architektonisches Meisterwerk im Herzen Bayerns. Ein Bau, dessen große Glasfronten für die Weltoffenheit und Transparenz der Wissenschaft steht, die hier herrschen soll. Doch seit ein anonymer Informant fünf vor 1802 erschienene Buchbände in einem Altpapier-Container der Bibliothek entdeckt haben will, zweifeln manche Eichstätter, ob alles so offen und wissenschaftlich zugeht in dem Gebäude.

Die fünf Bände sollen zu rund 80 Tonnen alter Bücher gehört haben, die zum Großteil aus den Beständen der bayerischen Kapuziner-Klöster stammen und in den Jahren 2005 und 2006 zum Altpapier wanderten. "Skandal" - so titelte die Lokalzeitung "Eichstätter Kurier". Es tauchten Presseberichte auf, jedes vom früheren Leiter der Bibliothek Hermann Holzbauer "handverlesene" Buch der Kapuziner sei erhaltenswert, es handele sich "großteils um unbeschädigte Werke des 17. und 18. Jahrhunderts".

Buchliebhaber meldeten sich und fragten, ob sie ihre Bestände noch der Eichstätter Bibliothek widmen können - einer Bibliothek, die hoch angesehen ist aufgrund ihrer reichen Bestände, die vor zwei Jahren mit Angelika Reich eine erfahrene auswärtige Universitätsbibliothekarin zur Leiterin berufen hat und fest integriert ist ins Verbundsystem bayerischer Bibliotheken.

Augsburgs Bischof Walter Mixa, vor einer Weile noch Bischof in Eichstätt, sprach angesichts der schieren Masse von rund 100 000 zerschredderten Büchern entsetzt von der vermutlich größten Vernichtung christlicher Literatur in Bayern seit der Säkularisation. Der Aachener Archivar Klaus Graf sieht sich in seiner Einschätzung bestätigt, dass die Unibibliothek tonnenweise "Kulturgut vernichtet". Ein anderer Wissenschaftler, Reinhard Haupenthal, bezeichnet die Bibliothek gar als Augiasstall, der nur mit der Kraft eines Herkules in Ordnung gebracht werden könne. Die Vorwürfe werden fraglich, weil schon vor fünf Jahren ein Vorwurf Grafs lautete, die Bibliothek "verhökert Kapuzinerbücher". Im bayerischen Fernsehen kommen Personen zu Wort, die wie Haupenthal uneins mit der Bibliothek sind, weil diese nicht wie ursprünglich erhofft die eigenen Büchersammlungen angenommen hat.

Fraglich bleibt, wieso sich der Informant erst jetzt gemeldet hat und wie er auf die alten Bücher gestoßen ist. Auch über die Mühe, die sich die Bibliotheks-Mitarbeiter beim Aussortieren der rund 350 000 Bände umfassenden Kapuziner-Bibliothek machten, redet niemand. Die war enorm: Zu zweit saßen sie an den Kartons mit den alten Büchern, um durchzusehen, welche Exemplare bereits vor 1802 erschienen und im Besitz des Freistaats Bayerns blieben, welche Bände ins Archiv kamen und welche Bücher zum Altpapier wanderten, weil sie bereits im Bestand der Bücherei waren. "Jeder Karton aus dem Kapuziner-Bestand wurde durchgesehen", sagt eine der Mitarbeiterinnen, die nicht genannt werden will, denn auf Anweisung des Kanzlers der Uni sind öffentliche Äußerungen zum Thema nicht erwünscht. Die über die öffentlichen Vorwürfe tief deprimierte Mitarbeiterin schließt definitiv aus, dass Bücher vor 1802 oder Einzelstücke versehentlich zum Altpapier wanderten: "Da haben immer zwei hingesehen."

Um die Art der zerschredderten Bücher kümmert sich in den Medien indessen kaum jemand. Es waren tausende Bände christlicher Zeitschriften, typische Erbauungsliteratur des 19. und 20. Jahrhunderts, die heute nur noch hoch spezialisierte Wissenschaftler interessiert. Oftmals lagen Bücher in vielfacher Ausführung vor, da nicht nur jedes der über zehn bayerischen Kapuzinerklöster ähnliche Bücherbestände hatte, sondern auch einzelne Mönche. Dass Tausende solcher Dubletten ins Altpapier kommen, war mit den Kapuzinern so abgesprochen.

Viele Mitarbeiter der katholischen Uni Eichstätt vermuten daher, dass die allzu vagen Vorwürfe insbesondere gegenüber der neuen Bibliotheksdirektorin bewusst lanciert wurden, um diese unter Druck zu setzen. Bekannt ist, dass der frühere Direktor Holzbauer, der jetzt immer wieder öffentlich Vorwürfe äußert, eine andere Nachfolgerin wünschte, sich nach seinem Abschied immer wieder in die aktuellen Geschäfte einmischte und es darüber zum Streit kam.

Fakt ist: "Über die Presse haben wir Informationen über Unregelmäßigkeiten und Unprofessionalität in der Behandlung mit den Buchbeständen der Kapuziner erhalten", sagt Ruprecht Wimmer, Präsident der Universität. "Wir haben deshalb unverzüglich eine Untersuchung eingeleitet." Die Untersuchung ist hoch angesiedelt und geschieht in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Ingolstadt.

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Ein Stück unerträglicher Schönfärberei. LeserInnen von ARCHIVALIA sind am besten über den Fall informiert (von Insidern abgesehen), da alle wesentlichen Informationen und Beweise hier dargestellt wurden.

100.000 Bücher zu vernichten (auch wenn es sich um junge Dubletten handelt) ist kein normaler Vorgang, zumal wenn nachweisbar ist, dass eine soziale Organisation (die Bücherburg Katlenburg) sie kostenfrei für die UB Eichstätt abgeholt hätte, wenn sie die Chance dazu gehabt hätte.

Dürfen die Interessen hochspezialisierter Wissenschaftler mit Füßen getreten werden, weil ein belangloser Journalist das meint?

Und wieso werden die Vorwürfe 2007 fraglich, wenn bereits 2002 die UB Eichstätt Dreck am Stecken hatte? Die Dublettenverkäufe von Altbeständen waren und sind nachweisbar und wurden damals überhaupt nicht bestritten.

Mit anonymen Mitarbeitern kann man beliebig argumentieren. Ich kann auch meinen Informanten ins Feld führen, der mich bereits im Sommer 2006 über gravierende Unregelmäßigkeiten unterrichtete.

Es ist nachweisbar, dass die früheren Mäzene der UB allen Grund haben, der neuen Leiterin zu misstrauen. Eine geschenkte Schallplattensammlung zu verkaufen ist nicht nur schlechter Stil, sondern womöglich justiziabel.

Wenn man genau dokumentiert hätte, was man wegwirft bzw. verkauft, hätten wir nicht ein Beweisproblem, denn niemand kann wissen, was in den Containern tatsächlich sich befand (außer den beteiligten Mitarbeitern und diese haben allen Grund zur Verharmlosung). Weder Holzbauer noch Redl (Eichstätter Kurier) haben irgendeinen Zweifel daran, dass die 6 Bücher (5 bei RA Männlein abgegeben, eines vom Eichstätter Kurier abgebildet) tatsächlich aus den Containern stammen. In einem Fall soll sogar eine eidesstattliche Erklärung vorliegen.
KlausGraf meinte am 2007/03/04 23:26:
artikel in: neue bildpost
Alfred Herrmann hat mir seinen Artikel "Ordenserbe im Altpapier. vernichtet katholische Universität Kulturgut?" in der katholischen Boulevardzeitung "neue bildpost" vom 1.3.2007 S. 4 zukommen lassen (ich hatte ja auch mit ihm länger telefoniert, was sich allerdings - ebenso wie bei seinem von meinem INETBIB-Beitrag ausgelösten Artikel über Geistingen http://www.mgh-bibliothek.de/etc/dokumente/a132523.pdf - nicht in einer Namensnennung niedergeschlagen hat. Ich bin "heißt es aus Fachkreisen").



Mehr oder minder neue Informationen:

Der Uni-Kanzler ermittelt höchspersönlich, in 2 Wochen soll ein erstes Ergebnis vorliegen, das dann von externen Fachleuten nochmal gegengeprüft wird.

Die bayerischen Kapuziner finden die Aufregung "übertrieben". Man stehe zur UB, die Bibliothek sei zu einem wahren Sammelsurium geworden, daher sei es in Ordnung gewesen, "davon etwas wegzuschmeißen".

Die Aufarbeitung sei keine kurzfristige und kostengünstige Angelegenheit, die Bücher aus Altötting seien nur rudimentär in Katalogen erfasst.

Bis Dez. 2001 wurden durch 6 Mitarbeiter erst 10.400 Titel bearbeitet.

Die Kapuziner bezahlen einen Diplombibliothekar, der Rest wird von der Uni getragen, obwohl die bayerischen Diözesen ihren Finanzierungsanteil an den Uni-Kosten kürzten.

Abschließend wird Jochen Bepler, Hildesheim, Vorsitzender der AKThB, zitiert. "Rigorismus, hervorgerufen durch Haushaltspanik, läßt heutzutage leider häufiger bibliothekarische Vorsätze über den Haufen werfen". Er könne sich vorstellen, dass Reich Sachzwänge zu dieser Art Notwehrhandlung gezwungen haben könnten und dass sie nicht unbedingt alleine gehandelt habe. "Bücher kosten eben Geld und das nicht nur beim Erwerb." 
BCK antwortete am 2007/03/05 08:44:
Bearbeitete Titel ...
Naja, von gründlicher Recherche kann bei dem Artikel nicht die Rede sein. Mit der Aussage, daß bis Mitte Dez. 2001 "erst 10.400 Titel bearbeitet" worden seien, ist ohne Kontext wenig anzufangen, denn inzwischen sind ja ein paar Jahre ins Land gegangen. Die Bücher waren ja erst von Mitte 1999 bis Anfang 2000 aus Altötting nach Eichstätt transportiert worden. Ab Dez. 2001 - April 2002 war in Eichstätt die Ausstellung "Die Zentralbibliothek der Bayerischen Kapuziner seit 1999 in Eichstätt - erste Ergebnisse" zu sehen. Tatsache ist, daß im April 2004 laut Artikel in der Passauer Neuen Presse dann bereits ca. 40.000 Titel bearbeitet waren, seither aber weniger als 2000 weitere, wie sich anhand des OPACs der KU Eichstätt überprüfen lässt (aö im Feld Erscheinungsform selektiert die aus der Zentralbibliothek Altötting übernommenen Bestände). Wenn in der Zeit seit dem Amtsantritt der neuen Bibliotheksleitung Anfang 2005 800+ Kartons durchgesehen wurden, wundert es eher, daß seither nicht mehr katalogisierte Titel hinzugekommen sind. Alles Dubletten? Oder waren alle Kräfte durch das Räumen der klimatisch ungeeigneten Speditionshallen, das Verbringen in die Schäfflerhalle und das anschließende Sortieren und Aussortieren gebunden, sodass keine Zeit mehr für die Katalogisierung verblieb? 
BCK meinte am 2007/03/05 09:44:
Darstellung des Sachverhalts im Brief des Kapuzinerprovinzials
vgl. auch http://archiv.twoday.net/stories/3374403/

Es heißt dort:

Die beim ersten Transport geholten Bücher waren in Umzugskisten, die mit säurefreiem Papier ausgeschlagen waren, in die Turnhalle der Kapuziner verbracht und dort ordnungsgemäß gelagert. Beim zweiten Transport waren die Kartons nicht mehr mit säurefreiem Papier ausgekleidet; man hat diese Kisten in zwei Hallen der Spedition Stibolitzki gelagert. Diese Hallen sind feucht und auch nicht dicht abgeschlossen. Eine Halle ist offen zu einer KFZ-Werkstätte. Durch diese Lagerung waren die Kartons starken klimatischen Schwankungen ausgesetzt. Durch das Versäumnis, die Kartons mit säurefreiem Papier auszuschlagen, konnte sich der Schimmel ungehindert durch weitere Kisten ausbreiten. Beim Dienstbeginn der neuen Leiterin Frau Dr. Angelika Reich am 01.02.2005 wurden diese Kartons fünffach übereinander gestapelt in den zwei zugigen Hallen vorgefunden. Man kam zum Schluss, diesem vom Konservatorischen aus untragbaren Zustand durch rasche Umschichtung in einen geeigneteren Aufbewahrungsort ein Ende zu setzen. Es wurde auch festgestellt, dass in den sechs Jahren seit der Einlagerung keine einzige der 1441 Kapuzinerkisten geöffnet und durchgesehen wurden.

Kommentar: dies erweckt den Eindruck, als sei unter Holzbauer's Ägide gar nichts passiert. Die 40.000 bis April 2004 katalogisierten Titel aus Altötting müssen aber irgendwoher gekommen sein. Es dürfte sich dabei um die beim "ersten Transport" geholten, in ihrem Umfang vom Kapuzinerprovinzial leider nicht näher spezifizierten Bestände handeln, die in der Turnhalle der Kapuziner in Eichstätt gelagert wurden. Im Brief heißt es zu den in den Speditionshallen eingelagerten Beständen weiter:

Um die Bestände zu retten, nicht um diese zu vernichten, begann die neue Bibliotheksleitung im Mai 2005 mit einer groß angelegten Rettungsaktion. Die Bestände, die sich übrigens nicht in Bücherumzugskisten, sondern in normalen bis an den Rand voll gepackten Umzugskisten befanden, wurden in die Schäfflerhalle gebracht. Dort befand sich ein PC mit den offline gespeicherten Katalogdaten der UB Eichstätt bis 1983. (Es befanden sich verschwindend wenige Bücher in den 1441 Kartons aus den beiden Stibolitzkihallen, die nach 1983 erschienen waren). Sichtung und Über-prüfung wurden von einem sehr guten mittleren Dienst, der seit 25 Jahren in der Buch- und Medienbearbeitung (Erwerbung und Katalogisierung) arbeitet, organisiert. Ihm stand wechselndes Personal aus der gleichen Abteilung zum größten Teil aus dem gehobenen Dienst zur Seite. Es arbeiten dort immer zwei bis drei fachliche qua-lifizierte Bibliothekare, unterstützt von ein bis zwei studentischen Hilfskräften. Die ersten Wochen überwachte und leitete die Aktion die Leitende Bibliotheksdirektorin halbtags, später war sie im ersten Jahr (2005) immer wieder stundenweise vor Ort. (...)

Zu den im Mai 2005 in einem Gespräch zwischen Provinzial und Ökonom der Kapuziner mit der Bibliotheksleitung vereinbarten Vorgehen bei der Aussonderung vgl. http://archiv.twoday.net/stories/3374403/

Soweit die Darstellung im Schreiben an die Kapuzinerprovinz Bayern. Nicht erwähnt wird, dass nach Aussagen von Holzbauer in Übereinstimmung mit dem Mitte 1999 geschlossenen Überlassungsvertrag bereits in Altötting eine Selektion erfolgt war: Holzbauer teilte der Tagespost (DT vom 01.03.2007) mit, bei der Sichtung der Bestände in Altötting seien die buchklimatisch ungünstig deponierten Bücher „besonders auf ihre weitere Verwendbarkeit überprüft worden“. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Buchrestaurierung in München habe man vor dem Transport nach Eichstätt auch vom Schimmel befallene Bücher behandelt beziehungsweise aussortiert. Ungebundene und lückenhafte Mehrfachdubletten, die für den Antiquariatsverkauf nicht mehr in Frage kamen, seien entsorgt worden.

Unklar bleibt auch, ob sich in der Turnhalle des Kapuziner-Klosters Eichstätt immer noch an die 1544 Kartons (Stand: Ende 2005) befinden, oder ob diese inzwischen abtransportiert und eingelagert / aufbereitet / entsorgt wurden. Bei den lediglich 74 in 2005 aus dem Kapuzinerkloster handverlesen in die Hofgartenbibliothek bzw. die Zeitschriftenkatalogisierung verbrachten 74 Kartons aus Zeitschriften und Altbestand vor 1802 ist unklar, welcher Anteil Zeitschriften und welcher Altbestand war. 2006 wurden in der Schäfflerhalle von 1441 Kartons 782 Kartons durchgesehen. Ob hier auch 2005 Kartons durchgesehen wurden, bleibt unklar, ebenso, wieviel Kartons noch übrig sind und was mit dem Rest passierte.

Ob Nr. 23-28 der Kurzgefassten Regeln für den Umgang mit bibliothekarischem Altbestand ( http://www.akthb.de/Altbestandsregeln.htm ) eingehalten wurden und wie darüber hinaus mit den aussortierten Beständen insbesondere des neueren Bestands verfahren wurde, bleibt zumindest zweifelhaft, wenn man abweichenden internen Informationen aus der Bibliothek und den Aussagen von Holzbauer Gehör schenkt und sich anschaut, was aus dem Müll gezogen wurde bzw. bei ebay und anderswo auftauchte. Es ist sicherlich sinnvoll, dass die BSB als Aufsichtsbehörde die Vorwürfe gründlich untersucht (vgl. Pressemitteilung vom 01.03.2007)

 
 

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