Man kann nicht sagen, dass die Publikationsreihe der "Deutschen Inschriften" - siehe http://www.inschriften.net - unter Historikern unbekannt sei, aber sie ist leider nicht so bekannt, wie sie es verdienen würde. In fünf Buchbesprechungen (erschienen 1994-2005 in den Blättern für württembergische Kirchengeschichte) habe ich mich mit den Bänden Rems-Murr-Kreis, Göppingen, Böblingen, Bad Mergentheim und Pforzheim auseinandergesetzt. Die Texte mögen einen Einblick in die Werkstatt der Inschriftendokumentation vermitteln.
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Die Inschriften des Rems-Murr-Kreises. Gesammelt und bearb. von Harald Drös und Gerhard Fritz unter Benutzung der Vorarbeiten von Dieter Reichert. (Die Deutschen Inschriften Bd. 37; Heidelberger Reihe Bd. 11) Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag 1994. 230 Seiten, 121 Abb.
Daß Inschriften für eine Fülle von Fragestellungen eine überaus bedeutsame Quellengattung darstellen, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Gerade der kirchengeschichtliche Forschung kann durch die Auswertung des großen Inschriftenwerks "Die Deutschen Inschriften" ein Erkenntnisgewinn zuwachsen, den man nicht zu gering veranschlagen sollte. Dies gilt nicht nur für die Berücksichtung der reichen personengeschichtlichen Angaben und Nachweise, sondern auch für frömmigkeitsgeschichtliche Fragestellungen. Über "das Aussehen, die Funktion und das Formular der unterschiedlichen Formen von Totengedächtnisgrabmälern"(S. XXIV) einer Region wird man beispielsweise nirgends so bequem unterrichtet wie in der Einleitung der Inschriftenbände. Obwohl diese Inventare durchweg höchstes wissenschaftliches Niveau aufweisen, werden sie merkwürdigerweise von der landesgeschichtlichen Forschung nicht in dem Ausmaß rezipiert wie es wünschenswert wäre.
1986 wurden die Inschriften des Landkreises Ludwigsburg publiziert. Mit dem Erscheinen des vorliegenden Bandes über den östlich anschließenden Rems-Murr-Kreises, ebenfalls bearbeitet von der Inschriftenkommission der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, sind nunmehr für ein größeres Gebiet innerhalb des mittleren Neckarraumes die inschriftlichen Quellen (bis 1650) mustergültig für die Forschung aufbereitet. Das vorliegende Inventar enthält die üblichen Bestandteile: außer den 320 Nummern eine ausführliche Einleitung mit Beschreibung und Geschichte der wichtigsten Standorte (Murrhardt, Backnang, Beutelsbach, Schorndorf, Waiblingen, Winnenden und das durch seine Sturmfeder-Grablege bedeutsame Oppenweiler). Es fehlen weder Angaben über die Quellen der abschriftlichen Überlieferung noch Ausführungen über die Inschriftenträger (Schwerpunkt: Inschriften des Totengedenkens) und die Schriftformen. Nicht weniger als zehn Register (z.B. "Zitate und Paraphrasen aus Bibel, liturgischen Texten und Literatur") erschließen den Inhalt des Inventars, und ein stattlicher Abbildungsanhang erlaubt es in vielen Fällen, die Lesungen und Einschätzungen des Textteils nachzuvollziehen.
Da es sich um ein Grundlagenwerk von größter Relevanz für die landesgeschichtliche Forschung handelt, habe ich im folgenden zusammengestellt, was mir an Korrekturen und Ergänzungen aufgefallen ist. Meine Anmerkungen, die auch einen Eindruck vom reichen Inhalt des Bandes vermitteln mögen, beziehen sich überwiegend auf die Kommentierung der Inschriften, wobei ich mir darüber im klaren bin, daß man über die Ausführlichkeit der inhaltlichen Erläuterungen und Literaturangaben lange streiten kann.
In Nr. 11 (Wandmalereien in Winterbach) wäre das Zitat der uckermärkischen Redensart in Anm. 1 durchaus entbehrlich und stattdessen zu dem in der Kirchenkunst häufigen Thema des Teufels mit dem Sündenregister ein Hinweis auf L. Röhrich, Das Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten II, 1992, S. 906-908 mit umfangreichen Literaturangaben am Platz gewesen.
Nr. 25, die Deckplatte einer Tumba für Kaiser Ludwig den Frommen, eröffnet eine Reihe von Zeugnissen der Rückbesinnung auf die Anfänge des Klosters Murrhardt (Nr. 69: Glasgemäldezyklus 1498; Nr. 74: Walterich-Grabmal 14./15. Jh.; Nr. 137 Glasfenster ca. 1528; Nr. 159f. Inschriften um 1550). Die Datierung von Nr. 25 "um 1440 (?)" erscheint vorschnell. Methodisch ist zu bemängeln, daß zur Begründung eine Einordnung in die Klostergeschichte vorgeschlagen wird, die alles andere als zwingend ist. Daß das Fehlen der Versalien für eine Frühdatierung spricht, entnimmt man lediglich indirekt der Einleitung S. XLVIIf., doch scheint angesichts der Neuheit dieses Datierungskriteriums vorerst Zurückhaltung geboten. Schahl hat seine kunsthistorische Datierung um 1460/70 nicht begründet; Harald Keller meinte (Hist. Jb. 60, 1940, S. 674), das Murrhardter Kenotaph sei "etwa zur gleichen Zeit" wie das Lorcher Stiftergrabmal von 1475 (mit Versalien!) geschaffen worden. Ein weiteres Vergleichsbeispiel, das Hirsauer Stiftergrabmal für Erlafried, ist nicht datiert (R. Neumüllers-Klauser in DI 30, Nr. 135: "um 1470/85"). Nichts spricht dagegen, das Murrhardter Denkmal in die Abtszeit Herbords (1452-1468) zu setzen, der bei seinen Bemühungen, dem Kloster die Reichsunmittelbarkeit zu sichern, die Gründung durch Kaiser Ludwig als "historisches Argument" ins Feld führen konnte. Von Herbord ist - in Abwehr württembergischer Ansprüche - der Ausspruch überliefert, Kaiser Ludwig habe ein Kloster und keinen Hundestall gestiftet. 1456 ließ er sich die Gründungsprivilegien bestätigen (vgl. G. Fritz, Stadt und Kloster Murrhardt im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, 1990, S. 47, 52, 337). Daß eine frühere Bestätigung der Stiftungsurkunde im Jahr 1444 mit der "Weihe der Tumba" (??) in Verbindung stehen könnte (so auch S. XV), ist durch nichts zu belegen. Da sichere Datierungskriterien bislang nicht in die Diskussion eingebracht wurden und die von mir vorgeschlagene historische Situierung nicht weniger plausibel erscheint, wird man vorerst vorsichtiger "Mitte des 15. Jahrhunderts" zu datieren haben.
Daß man sich damals Kaiser Ludwig "nur als einen Angehörigen des mächtigen Staufergeschlechts vorstellen konnte", ist eine Überinterpretation des Dreilöwenwappens des Landes Schwabens, da man es im 15. Jahrhundert auch den vorstaufischen Schwabenherzögen zuschrieb. Das schwäbische Wappen wurde m.E. Kaiser Ludwig beigegeben, weil man sich in Murrhardt gegen die Ansprüche des Bischofs von Würzburg als Herzog von Franken (vgl. Nr. 136: nur Diözesan, das Herzogtum gehts nichts an) auf eine Zugehörigkeit Murrhardts zu Schwaben berufen wollte. Ludwig konnte als Herrscher über Schwaben betrachtet werden, denn seine Mutter Hildegard stammte, wie man in Murrhardt wußte, "ex Prosapia Suevorum" (Nr. 137). Das Dreilöwenwappen wurde Hildegard denn auch in Botes Sachsenchronik von 1492 zugelegt (H.-G. Hofacker, ZWLG 47, 1988, S. 75 Anm. 14).
Unangenehm berührt nicht nur in Nr. 25, daß G. Fritz seine Spekulationen über die Frühgeschichte des Klosters Murrhardt als gesicherte Erkenntnisse ausgeben und durch die Aufnahme in eine hochangesehene Publikation aufwerten darf. Daß der Klostergründer Walterich ein Verwandter Ludwig des Frommen war (S. XIV), wird man ernsthaft nicht behaupten können. Für ein Herzgrab Ludwigs in Murrhardt gibt es keinerlei konkrete Anhaltspunkte (Nr. 25). Hinsichtlich der Genealogie der badischen Markgrafen konnten bei der Behandlung der Backnanger Überlieferung H. Drös vergleichbare Entgleisungen glücklicherweise verhindern (Nr. 108-111 mit S. XXIII Anm. 66).
Bei Nr. 45, der Grabplatte der Gräfin Anna von Katzenelnbogen in Waiblingen, ist K. E. Demandt, Regesten der Grafen von Katzenelnbogen II, 1954, Nr. 5617 nicht herangezogen worden, der eine Gabelkover-Überlieferung ("HS 48g/I fol. 86") mit abweichendem Datum nachweist. Über Anna vgl. jetzt: E. G. Franz, Vergeblicher Liebeszauber, in: Aus südwestdeutscher Geschichte. FS. für Hans-Martin Maurer, 1994, S. 264-272. In Anm. 3 muß die Signatur der Chronik Seb. Küngs korrekt lauten: Cod.hist.fol. 78.
Erfreulich ist die Aufnahme der im Chor der Schmidener Kirche erhaltenen Graffiti von Kirchenbesuchern aus vorreformatorischer Zeit (Nr. 53 mit S. XLf.). Diese "Verewigungen" beleuchten einen wenig bekannten Aspekt mittelalterlich-frühneuzeitlicher Reise-Erinnerungskultur; vgl. dazu jetzt auch die Hinweise von W. Paravicini, Von der Heidenfahrt zur Kavalierstour, in: Wissensliteratur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, 1993, S. 91-130.
Nicht akzeptabel ist es, wie ich meine, wenn zu dem in Nr. 98 erwähnten Humanisten und Backnanger Propst Petrus Jakobi, Freund Reuchlins und Patron Heinrich Bebels, die veraltete Arbeit von Heyd, nicht jedoch die beiden grundlegenden Aufsätze von J. Waltzing (in: Mélanges G. Kurth und Musée belge, jeweils 1908) angeführt werden. Maßgeblich ist jetzt die biographische Skizze in: H. de Ridder-Symoens/D. Illmer/C. M. Ridderikhoff, Premier livre des procurateurs de la Nation Germanique de l"ancienne Université d"Orléans 1444-1546 II,1, 1978, S. 117f.
Da die Gmünder Ratsfamilie Gul (vgl. B. Theil, Gmünder Studien 2, 1979, S. 63f.) nach Ausweis von Siegeln im Gmünder Spitalarchiv (1368: VII. 1 und 1405: XV.5) wie der 1508 gestorbene Murrhardter Abt Lorenz Gaul (Nr. 99) eine Schnepfe im Wappen führte und bei ihr der Vorname Lorenz gebräuchlich war, wird man den Murrhardter Abt dieser Familie zuweisen dürfen. Er kann natürlich auch einer anderen Stadt entstammen, da sich Angehörige auch in Heilbronn, Nördlingen und Geislingen niederließen. Die von G. Fritz a.a.O. 1990, S. 344f. aufgrund einer Verwechslung im Lorcher Kalendar vorgenommene Gleichsetzung der Gul mit den Guland (zu dieser Familie vgl. Geschichte der Stadt Schwäbisch Gmünd, 1984, S. 127) ist völlig abwegig!
Einige biographische Angaben zu dem 1515 in Schorndorf beigesetzten Dr.theol. Georg Maierhöfer aus Schwäbisch Gmünd (Nr. 113), der in Wimpfelings Liste schwäbischer Gelehrter erscheint, sind dem Briefwechsel Jakob Wimpfelings, hg. von Otto Herding/D. Mertens, 1990, S. 532f. Anm. 30 zu entnehmen. Zu seinen Familienverhältnissen sei angemerkt, daß er - entgegen der Vermutung in Anm. 1 - kein Bruder des im gleichen Jahr verstorbenen Speyerer Domvikars (nicht Domdekans!) Mag. Johann Maierhöfer war (zu diesem vgl. K. von Busch/F. X. Glasschröder, Chorregel und jüngeres Seelbuch des alten Speierer Domkapitels I, 1923, S. 45; II, 1926, S. 101). Das Anniversar der Gmünder Pfarrkirche von 1530 im Münsterpfarramt Schwäbisch Gmünd enthält f. 18-18v und f. 23v-24 zwei umfangreiche Einträge zur Gmünder Ratsfamilie Maierhöfer und ihrem Heiratskreis. Während Mag. Johann M. Sohn eines Hans M. war, ist als Vater von Dr. Jörg M. ein Jörg M. angegeben. Auf einem - nicht mehr vorhandenen - Grabstein von 1515 auf dem Friedhof der Gmünder Johanniskirche war übrigens ebenfalls eine Leimpfanne dargestellt (a.a.O.).
Zu dem 1530 als Schorndorfer Pfarrer gestorbenen Dr.theol. Leonhard Kurrer (Nr. 140), über dessen Lebenslauf der lokalen Forschung "nichts weiteres bekannt" ist (Katalog: 450 Jahre Reformation Schorndorf, 1987, S. 119), möchte ich auf den Mag. Leonhard Currer aus Stuttgart aufmerksam machen, der um 1500 an der Universität in Freiburg i.Br. wirkte und 1503 zum Lic.theol. promoviert wurde. Vgl. V. Sack, Die Inkunabeln der Universitätsbibliothek ... Freiburg im Breisgau ... III, 1985, S. 1561.
Zur Familie Miner/Minner (Nr. 214-217, 221, 223) ist anzumerken, daß ihr auch der bekannte "Bauernmillionär" Jörg Minner in Kornwestheim angehörte und im Kornwestheimer Stadtarchiv eine Reihe von Unterlagen und Arbeiten zur Familiengeschichte der Minner nachgewiesen sind.
Hinsichtlich der in Nr. 264 Anm. 2 angezweifelten Studienstiftung Ulrichs von Gaisberg (gest. 5. Juli 1612) vergleiche man jedoch dessen Urkunde vom 4. Juli 1612 bei P. Müller, Gaisberg-Schöckingensches Archiv Schöckingen, 1993, Nr. 116.
Zur Waiblinger Dreikönigsüberlieferung (Nr. 299) sollte man jüngere Literatur als einen Zeitungsartikel von 1903 heranziehen; vgl. K. Graf, Gmünder Chroniken im 16. Jahrhundert, 1984, S. 158.
Einige Ergänzungen ergeben sich aus der Tatsache, daß die Bearbeiter die ungedruckten Ortschroniken von Beinstein nicht eingesehen haben, obwohl zumindest auf die maschinenschriftliche Zusammenstellung von Erich Rummel (1959) Schahl im Kunstdenkmäler-Inventar aufmerksam gemacht hatte. Rummel konnte seine Darstellung auf eine auch historiographiegeschichtlich aufschlußreiche Quelle stützen, nämlich auf die 1845 von dem Schultheiß Georg Michael Of begonnene und von seinem Amtsnachfolger Christian Eberhard Mayer bis 1875 fortgesetzte handschriftliche Ortschronik in zwei Bänden. (Für Kopien der einschlägigen Seiten und seine Unterstützung danke ich Herrn Ortsvorsteher Großmann.) Die Verfasser haben - bemerkenswert genug - auch die in Beinstein vorhandenen Inschriften aufgezeichnet (Bd. I, Bl. 13, 15, 29b-30, 56b, 58b, 59; Bd. II, Bl. 64b).
Gleich zweifach ist die nach Nr. 305 nicht überlieferte Versinschrift in der Handschrift enthalten (Bd. I, Bl. 13, 15), wobei Korrekturen anzeigen, daß die Lesung der wohl flüchtig ausgeführten Rötelinschrift schwierig war. Ich gebe sie nach der vollständigeren Version Bl. 15 wieder: "Auf dem Thurm am östlichen Schallloch links auf einem Quader mit Röthel angeschrieben.
O Mensch betracht
Wie ob man lacht
All Menschen Bracht
Oft Uebernacht
Durch Todes macht
Zu nichts wird bracht.
1643
Hans Moritz in Beinstein.
Rechts am östl. Schallloch steht geschrieben: Im Jahr 1632 den 11. Mon. Juny bin ich zu diesem --- Hans Moritz (wahrschl. Möntz.) (Die übrigen Worte können nicht mehr entziffert werden)". Die Fassung von Bl. 13 hat Lücken anstelle von "ob man" (Vers 2) und "Menschen" (Vers 3) sowie "Der" statt "Oft" (Vers 4). Außerdem ist der Schriftzug des Baumeisters abgezeichnet: "Thaus [?] Möntz in Beinstein", und es wird vermerkt: "Sonst schreibt er Matthias Mentz 1646" (mit Wiedergabe des Steinmetzzeichens). Auf Bl. 29b ist nicht nur die im Original erhaltene Inschrift von 1454 (Nr. 33) notiert, sondern auch der vollständige Wortlaut der heute teilweise verwitterten Grabplatte des 1635 gestorbenen Simon Dochtermann (Nr. 296). Der von dem Sohn Wendel, Schultheiß in Beinstein (seine Grabinschrift 1657: Bd. I, Bl. 29b), in Auftrag gegebene Stein befand sich vor 1954 nach dem Totenbuch "bei der Chorskirchenthüre" an der südlichen Außenmauer der Kirche (Chronik E. Rummel Bl. 123f. mit Photo). Ich gebe den heute nicht mehr entzifferbaren Rest nach Bl. 29b: "im 59. Jahr seines Alters, sein Crito allhier selig eingeschlafen u. begraben und zue dem Ende aus soldiger kindlicher Lieb dieser Stein zue seiner letzten Ehrengedächtnuß allhier gesetzt worden, deme Gott eine seelige Ruhe verleihen wolle."
Bei Nr. 61 wird eine 1896 eingeschmolzene Glocke von 1528 erwähnt, deren Inschrift nicht überliefert sei. Bd. I, Bl. 41 und - nach Notizen des Pfarrers Wolff - Bl. 56b vermerken ihren Wortlaut: "Verbum domini manet in eternum, das Wort Gots bleibt ewich, als man zält 1528" (Bl. 56b). Eine identische Inschrift (einschließlich Jahreszahl) trug eine Glocke aus der Wolfgangskapelle zu Korb-Steinreinach (Nr. 135 nach den Glockenbeschlagnahme-Akten des Landeskirchlichen Archivs).
Ein heikles quellenkritisches Problem werfen einige Inschriften auf, die Hansmartin Decker-Hauff Dieter Reichert aus dem sogenannten "Hauffschen Epitaphienbüchlein" mitgeteilt hatte (S. XXIII). Die gleiche Zusammenstellung wurde - ebenfalls ohne Autopsie - bereits für den Ludwigsburger Inschriftenband herangezogen (DI 25, S. XXVII). Auf Dauer wird man es wohl nicht vermeiden können, die Frage nach der Authentizität dieser Quelle zu stellen (für das Lorcher "Rote Buch" vgl. K. Graf in: Von Schwaben bis Jerusalem, 1995, S. 237). Bei der Sichtung des Nachlasses Decker-Hauff durch Frau Decker-Hauff konnten die Abschriften des Epitaphienbüchleins bislang nicht ermittelt werden. Merkwürdigerweise haben die dort (und in der Regel nur dort) überlieferten Inschriftentexte durchweg große Bedeutung für die genealogische Forschung. Auffällig ist etwa, daß die im Schorndorfer Inschriftenbestand des Epitaphienbüchleins bezeugten Ehen mit Gmünderinnen ausgerechnet zwei "berühmte" Familien betreffen: die Familie Baldung des bekannten Malers (Nr. 171) und die Familie Warbeck (Nr. 128 mit Nr. 180), bekannt durch den Übersetzer der "Schönen Magelone" Veit Warbeck (über seine Familie informiert mein Beitrag im einhorn-Jahrbuch Schwäbisch Gmünd 1986, S.139-150). Hinzuweisen ist auch auf den Umstand, daß die (vollständige?) Erfassung der Inschriften der Schorndorfer Stadtkirche durch David Wolleber (1588 s. Nr. 203) eigentlich eine Gegenprobe erlauben sollte - hätte Wolleber nicht alle nach der Hauffschen Sammlung vorhandenen älteren Inschriften übersehen. Im einzigen Fall einer Parallelüberlieferung (Nr. 180) weicht die Version des Epitaphienbüchleins nicht unerheblich ab.
Zu guter Letzt möchte ich drei Wünsche formulieren, die eine gute Fee oder die Heidelberger Inschriftenkommission hoffentlich erfüllen werden. Erstens: Der saure Regen nimmt leider keine Rücksicht auf die vom Inschriftenwerk gesetzte Epochengrenze 1650. Die Rettung und Dokumentation aller Inschriften muß das Gebot der Stunde sein. Die Heidelberger Inschriftenkommission darf gewiß auf ihre Bände stolz sein, doch stellt sich die Frage, ob die knappen finanziellen Ressourcen im Hinblick auf die Erhaltung der zu untersuchenden Denkmäler nicht doch anders eingesetzt werden sollten. Insofern wäre es wünschenswert, wenn die interessierte Öffentlichkeit verstärkt über die dramatische Situation der inschriftlichen Quellen informiert würde. Die in den Inventarbänden hinsichtlich der Verlustproblematik an den Tag gelegte vornehme Zurückhaltung schadet letztlich dem wissenschaftlichen Anliegen des Inschriftenwerks. Eine Veröffentlichung der Inschriften des Rems-Murr-Kreises nach 1650 zu einem Preis, den sich auch der Privatmann leisten kann, wäre sicher ein geeignetes Mittel der Öffentlichkeitsarbeit.
Zweitens sollte der Abschnitt über nicht aufgenommene Inschriften, die zwar vorhanden waren, deren genauer Wortlaut jedoch nicht rekonstruierbar ist (S. LVII), ausgebaut werden. Anzustreben ist eine Übersicht, die den Informationsgehalt aller hinreichend sicher bezeugten inschriftlichen Quellen für die landesgeschichtliche Forschung erschließt. Beispielsweise liefert der S. XXII zitierte Brief des Pfarrers Spindler für den in Oppelsbohm begrabenen Vikar Bonländer auch dessen Vornamen Augustinus (nach W. Hofmann, Berglen, 1993, S. 130). Hinzu kommt, daß ein Forschungsansatz, der nach den Verwendungszusammenhängen und der Verbreitung des Mediums Inschrift fragt, auch an den nicht im genauen Wortlaut erhaltenen Inschriften interessiert sein muß.
Drittens: Ergänzungen und Korrekturen zu den Inschriftenbänden sollten von den Arbeitsstellen nicht nur gesammelt, sondern auch in geeigneter Form der Wissenschaft zugänglich gemacht werden. Vielleicht ist sogar eine regelmäßig aktualisierte Datenbank der deutschen Inschriften in absehbarer Zukunft realisierbar?
Klaus Graf
Druckfassung erschienen in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 94 (1994), S. 219-224 Verändert online: http://swbplus.bsz-bw.de/bsz009919902rez-1.htm
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Die Inschriften des Landkreises Göppingen. Gesammelt und bearbeitet von Harald Drös (Die Deutschen Inschriften Bd. 41; Heidelberger Reihe Bd. 12). Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag 1996. LXV, 452 S., LXXXIII Tafeln mit 198 Schwarzweiß-Abbildungen.
Mit den alten Steinen auf Kirchen und Friedhöfen sterben zugleich einzigartige Geschichtsquellen, unersetzliche Dokumente der Kirchen- und Kulturgeschichte. In ihren kaum mehr entzifferbaren Schriftzeichen wird Historie in spezifischer Weise "greifbar". Nach meiner Auffassung ist das großangelegte Inschriftenunternehmen der deutschen Akademien viel zu wenigen bekannt. Selbst Experten sind sich manchmal nicht darüber im klaren, in welch großem Umfang im Rahmen der Publikation der Reihe der "Deutschen Inschriften" Grundlagenarbeit geleistet wird. Dies betrifft nicht nur die sorgfältige Sammlung und Kommentierung der epigraphischen Zeugnisse aus Mittelalter und früher Neuzeit, sondern auch die Überlieferungssicherung durch fotografische Dokumentation. Denn diese wichtigen Quellen sind ja in dramatischer Weise gefährdet. Nicht allein das "Steinsterben" durch Umwelteinflüsse, auch das Desinteresse an den historischen Inschriften und ihrem Quellenwert trägt dazu bei, daß mehr und mehr dieser unersetzlichen Kulturdenkmale verloren gehen. Am Beispiel der kirchlichen Grabmäler hat die Leiterin der Heidelberger Inschriften-Arbeitsstelle Anneliese Seeliger-Zeiss die Erhaltungsproblematik aufgezeigt: Historische Grabmäler in Baden-Württemberg. Inventarisation als Instrument gegen den Verlust von Kirchengut, ZWLG 54 (1995), S. 379-392. Ihr Appell, daß man sich angesichts der sehr begrenzten Kapazitäten der Inschriften-Arbeitsstellen auch vor Ort für die Inventarisation der Inschriften verantwortlich fühlen sollte, kann hier nur unterstrichen werden. Es ist höchste Zeit, daß - möglichst in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen der "Deutschen Inschriften" - Initiativen ergriffen werden, um eine hochbedeutsame Quellengattung zu retten. Jeder kann dazu beitragen - Kirchenbehörden ebenso wie Vereine oder engagierte Lehrer und Heimatforscher. Im Internet finden sich beispielsweise mehrere Schulprojekte "Latein auf Stein", die im Rahmen des Lateinunterrichts lokale lateinische Inschriften fotografiert und beschrieben haben.
Nicht wenige Fächer können in erheblichem Ausmaß vom Inschriftenunternehmen profitieren - bis hin zur Sprachgeschichte, wie einem vor kurzem erschienenen Beitrag von Walter Hoffmann, Zeitschrift für deutsche Philologie 119 (2000), S. 1-29 zu entnehmen ist. Eine vergleichbare Würdigung durch die Kirchengeschichte, die beispielsweise in den Registern der Bibelzitate und der "Heiligen, biblischen und mythologischen Gestalten" bequem aufbereitetes Material vorfindet, steht noch aus.
Anlaß dieser allgemeinen Bemerkungen ist der von Harald Drös, Mitarbeiter der Heidelberger Arbeitsstelle, vorgelegte Band über die Inschriften des Landkreises Göppingen - eine exzellente Leistung. Es ist sein erster eigener Band, denn die Bearbeitung des Rems-Murr-Kreises (Bd. 37 der Gesamtreihe) hatte er sich leider mit einem Mitautor teilen müssen (siehe meine Besprechung in den BWKG 94, 1994, S. 219-224). Drös, ein ausgewiesener Heraldiker und guter Zeichner, ist ein wahrer Glücksfall für die Inschriftenreihe. Auf Schritt und Tritt registriert man sorgfältige und akribische Recherche.
Eine umfangreiche Einleitung gibt einen historischen Überblick zur Kreisgeschichte und orientiert über die wichtigsten Standorte (Göppingen, Geislingen, Kloster Adelberg, Faurndau, Donzdorf, Salach, Eybach, Jebenhausen und Überkingen), über die Quellenlage bezüglich der nicht im Original erhaltenen Stücke, die verschiedenen Inschriftentypen und ihre Schriftformen. Besonders positiv zu werten ist ein ausführlicher Anhang mit Angaben zu nicht aufgenommenen Inschriften (S. LIX-LXV). Der Hauptteil bietet 501 Nummern, wobei der Bearbeitungszeitraum mit dem Jahr 1650 endet. Nr. 1 ist eine vorkarolingische Inschrift auf einer Gürtelgarnitur des 7. Jahrhunderts; die letzte Nummer 500 betrifft ein in Privatbesitz befindliches Gemälde aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit der bekannten Ratssitzung Graf Eberhard des Milden von Württemberg. Nicht weniger als 14 Register erschließen den reichen Stoff für die unterschiedlichsten Fragestellungen. Allerdings bedauert man, daß die für die Erläuterungen durchgeführten gründlichen genealogischen Forschungen des Bearbeiters kaum Niederschlag im Personenregister gefunden haben.
Inschriften sind eine bedeutsame Quelle für die vormoderne "Erinnerungskultur", verstanden als Ensemble von Medien, die Erinnerung retrospektiv bewahren oder prospektiv verewigen wollten. Insbesondere zur adeligen Erinnerungskultur bietet der Band eine Fülle von Material. Besonders wertvoll sind die Nachrichten zu den in Donzdorf und Weißenstein residierenden Herren von Rechberg, zu deren Geschichte kaum verläßliche neuere Studien existieren. Aber auch zu den Grafen von Helfenstein und den Herren von Degenfeld, Liebenstein und Zillenhart wird man fündig.
Einige Beispiele zur adeligen Erinnerungskultur: 1553 ließ Konrad von Degenfeld den 1430 entstandenen Totenschild eines Vorfahren in der Geislinger Stadtkirche restaurieren (Nr. 46). Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt, der von Drös mit "um 1475" wohl zu früh angesetzt wird, wurden in den rechbergischen Schlössern Donzdorf, Staufeneck und Ravenstein Wandmalereien mit Ahnenreihen angebracht (Nr. 95-97). Ebenso ist unsicher, ob die Bilder von Familienmitgliedern des Niederadelsgeschlechts von Zillenhart in der Eybacher Pfarrkirche tatsächlich schon um 1450 entstanden sind (Nr. 64). 1518 ließen die Rechberger ein auf der Jagd erlegtes Wildschwein mit einem Gemälde verewigen (Nr. 206). Zur Erinnerungskultur der adeligen Jagd gehört auch eine nicht näher bestimmbare Inschrift auf Schloß Staufeneck, die sechs Hirschköpfen beigegeben war (S. LXV). Eine farbige Abbildung des Bildes von 1518 findet sich in dem Privatdruck: 800 Jahre der Herren von Rechberg, Donzdorf 1979, S. 29. Dort (S. 23) ist auch das Bild des Hans von Rechberg (Nr. 219) in Farbe zu finden. Über Hans von Rechberg informiert am ausführlichsten die von Drös nicht angeführte Monographie von Ernst Kanter. Als eine Art Familienkleinod der Rechberger kann der Rehbockpokal (Nr. 246) gelten, dem 1865 eine handschriftliche "Rehbockchronik" mit Eintragungen von Festgästen beigegeben wurde. Einen ähnlichen Stellenwert für die Degenfelder besaß die 1646/48 an Christoph Martin von Degenfeld vom Venezianer Senat verliehene Ehrenkette (Nr. 484). Unveräußerlicher Bestandteil des Hausfideikommisses, ist sie in diesem Jahrhundert gleichwohl verschwunden. Ein aufschlußreiches Beispiel für frühneuzeitliche "Erinnerungspolitik" stammt ebenfalls aus dem ritterschaftlichen Bereich: eine direkt in territorialpolitische Streitigkeiten involvierte Inschrift (um 1650, fortgesetzt 1711). Sie betrifft die Zugehörigkeit Dürnaus zur Herrschaft der Freiherren von Degenfeld (Nr. 496). Adelige, aber auch bürgerliche Badegäste haben sich mit Namen und Wappen in Göppingen, Jebenhausen und Überkingen verewigt (S. XLIIIf.).
Einige weiterführende Notizen zu einzelnen Nummern seien mir gestattet.
Nr. 42, eine Buchdeckelinschrift aus dem Prämonstratenserkloster Adelberg, scheint mir mit dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts entschieden zu früh angesetzt. Solche Frühdatierungen können, unkritisch übernommen, Schaden stiften und die Chronologie der Zeugnisse zur lokalen Traditionsbildung in Unordnung bringen. Redlicher wäre die Angabe eines größeren Zeitraums mit einigermaßen "harten" Eckdaten. Nr. 42 könnte auch gut zu Nr. 188, den Wandgemälden in der Ulrichskapelle, gestellt werden, die mit der Angabe "um 1507" vielleicht auch zu früh eingeordnet worden sind (vgl. dort Anm. 6). Eine nähere Beschäftigung mit der von Achim Hölter, ,Conradin von Schwaben", ZWLG 51 (1992), S. 161-203, hier S. 189-194 thematisierten literarischen Produktion des 1563 gestorbenen Adelberger Subpriors Rudolf Ehrmann, den nach Anm. 32 von Walter Zieglers Volknand-Studie (zitiert bei Drös) auch Gabelkover benutzte, verspricht weitere Erkenntnisse zu den Nummern 188 und 189. Zu Adelberg können auch zwei von Walther Ludwig, Zwei Epigramme des Johannes Casselius für den Abt Berthold Dürr, Hohenstaufen/Helfenstein 7 (1997), S. 192-194 publizierte Gedichte (eines datiert 1495) nachgetragen werden, die sich als Inschriften ausgeben. Nach Ludwigs - zu überprüfender Ansicht - beziehen sie sich auf das Grabmal Abt Bertholds. Ludwig denkt an das Sandstein-Epitaph an der Ulrichskapelle, das Drös bei der Erläuterung einer anderen lateinischen Inschrift des Abts (Nr. 132) ins Spiel bringt. Eine Darstellung zur aufschlußreichen Adelberger "Erinnerungskultur" und Traditionsbildung im 15./16. Jahrhundert müßte die angesprochenen Fragen nochmals in einem größeren Kontext erörtern.
Und noch etwas zu Adelberg: Die berühmten Bucheinbände des Geislinger Kaplans Johannes Richenbach werden von Drös ausgeklammert, aber dankenswerterweise in der Einleitung S. LX angesprochen. Adelberg als Bestimmungsort ist anzunehmen bei einem Band in Providence (USA), der 1470 für einen Adelberger Professen Syl(vester?) Sella (?) gebunden wurde (Isabelle Pingree, Richenbach Bindings in the United States, Gutenberg-Jahrbuch 1977, S. 330-344, hier S. 331). Eine publizierte aktuelle Liste aller Richenband-Bände existiert leider nicht, denn auch der soeben zitierten Autorin Pingree sind in ihrem Bericht über einen Richenbach-Neufund (Gutenberg-Jahrbuch 1998, S. 296-303) nicht alle zwischenzeitlich ermittelten Bände bekannt geworden. Eine Studie zu den ostschwäbischen Auftraggebern des Geislinger Buchbinders wäre lohnend.
Zurück zu den Inschriften! Die Problematik der zu frühen Datierung ist ebenfalls gegeben bei Nr. 360, der für die Traditionsbildung zu den Staufern so wichtigen Inschrift der sogenannten Barbarossakirche am Fuß des Hohenstaufen. Hätte Martin Crusius sich dieses Zeugnis 1588 tatsächlich entgehen lassen? Bei dieser Nummer habe ich auch einen formalen Einwand zur Präsentation der verschiedenen handschriftlichen Überlieferungen des Textes. Welche Einzelinschriften (A bis G) nach welchen Vorlagen wiedergegeben werden, sollte transparenter gemacht werden.
Nr. 44: Zu den Quaternionen der Reichsverfassung vgl. zusammenfassend Ernst Schubert, Die Quaternionen, Zeitschrift für historische Forschung 20 (1993), S. 1-63.
Nr. 11, 62: Zu diesen Sibyllendarstellungen in Oberwälden und Salach vgl. jetzt Rolf Götz, Die Sibylle von der Teck, 1999, S. 75-77.
Nr. 65 ist das bekannte Bild zur Schlacht an der Plienshalde bzw. am Mutzenreis 1449. Zur Schlacht vgl. jetzt auch Thomas Fritz, Ulrich der Vielgeliebte (1441-1480), 1999, S. 102. Zu den in der Inschrift genannten adeligen Gefallenen ist zu berücksichtigen die Augsburger Nachricht in Konrad Bollstatters Meisterlin-Bearbeitung Cgm 213, abgedruckt Alemannia 22 (1894), S. 152f., die sich ebenfalls in Bollstatters Cgm 7366 vorfindet, vgl. Jürgen Wolf, Die Sächsische Weltchronik im Spiegel ihrer Handschriften, 1997, Anhänge S. VIIf.
Nr. 67 Anm. 2 und öfter erwähnt Drös eine handschriftliche Chronik der Familie von Liebenstein auf der Burg Hornberg, die von Kurt Andermann zur Edition vorbereitet wird. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die besser zugängliche Überlieferung des "Liebensteinischen Stamm-Registers" um 1600 in den Liebensteinschen Akten des Helmstatt-Archivs im Generallandesarchiv Karlsruhe (69/v. Helmstatt, von mir noch benutzt mit alter Signatur 1/2/18). Diese Akten (Altsignatur 3/5/9b) enthalten ebenfalls ein Nachlaßinventar der Urkunden des Hans (d.J.) von Liebenstein, gestorben 1563 (zu ihm vgl. Nr. 276 und - im Register nicht zu finden - Nr. 251 Anm. 4). Das Epitaph eines seiner Söhne mit Ahnenwappen befindet sich übrigens in Aschaffenburg (nach Alfred E. Wolfert, Aschaffenburger Wappenbuch, 1983, S. 52f.).
Nr. 121, das Stifterinnenbild in der Oberhofenkirche, wirft schwierige Fragen auf. Eine Stellungnahme zu der von Konrad Plieninger aufgestellten Hypothese einer historisierenden Tracht der Schwestern wäre erwünscht gewesen (vgl. allgemein Klaus Graf, Retrospektive Tendenzen in der bildenden Kunst vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, in: Mundus in imagine. Festgabe für Klaus Schreiner, 1996, S. 389-420). Was die Jahreszahl angeht, so könnte 138 durchaus zutreffend sein, denkt man etwa an die zeitliche Situierung der "Schwäbischen Chronik" des sogenannten Thomas Lirer (gedruckt Ulm 1485/86). Sie nennt als erste Jahreszahl das Jahr 104 n. Chr.
Nr. 170, 230: Erfreulich skeptisch und mit weiterführenden Resultaten äußert sich Drös zur Gestalt der Bertha von Boll. Meine eigene Ablehnung der staufischen Abkunft, erwähnt Nr. 230 Anm. 2 nach mündlicher Mitteilung, stützt sich vor allem auf eine Betrachtung der dann anzunehmenden Nahehen. Mit anderen Argumenten hat Stefan Pätzold, Die frühen Wettiner, 1997, S. 185 Anm. 213 jene Hypothese zurückgewiesen - zu Recht, wie mir nach wie vor scheint.
Nr. 274 ist das Epitaph Burgermeister/Schöfflerlin. Zu diesen Familien wären die grundlegenden Studien von Walther Ludwig heranzuziehen gewesen: Burgermeister und Schöfferlin, Esslinger Studien. Zeitschrift 25 (1986), S. 69-131 und Nachträge ebenda 26 (1987), S. 43-45.
Im Register ist Waldstetten im Ostalbkreis irrtümlich unter dem historischen Namen Oberwaldstetten eingeordnet. Leonhard Völkle (über ihn sowie über Kaspar Vogt in Nr. 459 hat Hermann Kissling, Künstler und Handwerker in Schwäbisch Gmünd, 1995, gehandelt) erscheint in Nr. 337 (nicht 387).
Abschließend bleibt zu wünschen, daß dieser rundum gelungene Band über seine wissenschaftliche Rezeption hinaus das Interesse an der Bewahrung und Dokumentation der historischen Inschriften anregen möge.
Klaus Graf
Druckfassung erschienen in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 101 (2001), S. 335-339 Online: http://swbplus.bsz-bw.de/bsz009919902rez.htm
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Die Inschriften des Landkreises Böblingen. Gesammelt und bearb. von ANNELIESE SEELIGER-ZEISS (Die Deutschen Inschriften Bd. 47). Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag 1999. XLVI, 346 S., 182 Abb., 3 Pläne, 1 Karte, € 76,-.
»Bedauerlicherweise verzichten auch neuere Veröffentlichungen der historischen, kunsthistorischen und landesgeschichtlichen Forschung zu Inschriften-Denkmälern in schon epigraphisch erforschten Gebieten und Städten gelegentlich noch immer darauf, die entsprechenden DI-Bände zu konsultieren«. Diese Anmerkung, die einem Seufzer gleicht (S. XV Anm. 22), kann ich durchaus nachvollziehen. Daher bietet das Erscheinen des vorliegenden Bandes einmal mehr Gelegenheit, nachdrücklich auf die herausragende wissenschaftliche Bedeutung der Reihe der »Deutschen Inschriften« hinzuweisen. Nicht nur Kirchenhistoriker finden hier reiches, exzellent erschlossenes Quellenmaterial.
Frau Seeliger-Zeiss hat mit gewohnter Souveränität und Sorgfalt die 422 Katalognummern bearbeitet und ausführlich kommentiert. 281 Inschriften vor 1650 sind im Original erhalten; die Zeit bis 1500 betreffen 125 Nummern. Die instruktive Einleitung bespricht die Geschichte der wichtigsten Standorte: die württembergischen Städte Leonberg, Herrenberg, Böblingen und Sindelfingen, die kleine katholische Reichsstadt Weil der Stadt sowie die evangelische Dorfkirche St. Veit im ritterschaftlichen Ort Gärtringen (S. XV-XVIII). Man wird natürlich auch über die - im Untersuchungsgebiet eher spärliche - kopiale Überlieferung, den kunstgeschichtlichen Kontext und die Schriftformen in Kenntnis gesetzt. Daß die Autorin von Haus aus Kunsthistorikerin ist, kommt vielen Katalogbeschreibungen zugute.
Zu begrüßen ist, daß ein Anhang mit 18 nicht in den Katalog aufgenommenen Inschriften (S. 287-294) beigegeben wurde. Je länger ich mit den Inschriftenbänden arbeite, um so wünschenswerter erscheint mir, daß alle Namen aus den Beschreibungen (nicht mehr nur die in den Inschriftentexten selbst enthaltenen) in das Register aufgenommen werden. Bei den Künstlern wurde das Prinzip im vorliegenden Band ja ohnehin bereits durchbrochen, da auch Zuschreibungen aufgenommen wurden. Die kundigen Erläuterungen enthalten sehr häufig weiterführende genealogische und personengeschichtlichen Angaben, die unbedingt in das Register gehören, weil sie sonst nur von demjenigen aufgefunden werden können, der das ganze Buch durchliest oder bereits einen Anhaltspunkt hat, bei welchem Namen sie erscheinen könnten. Unverständlich ist, weshalb nur eine Auswahl der Namen in Anh 16 b im Register berücksichtigt wurde. Würden die Registerrichtlinien entsprechend angepaßt, könnten die Inschriftenbände ein noch besseres landesgeschichtliches Nachschlagewerk werden.
Zur Geschichte des nachreformatorischen Umgangs mit Altertümern und Denkmälern erscheint mir das folgende Resümee zitierenswert: »Das von der württembergischen Herrschaft 1537 verordnete >Abtun der Bilder< im Zuge der Reformation führte vor allem in den Amtsstädten die Zerstörung der mittelalterlichen Inschriften herbei. Dies konnte -wie allein am Beispiel Herrenbergs durch Schriftquellen belegbar ist - sogar bildlose Grabplatten betreffen. Die Inschriften-Denkmäler des 16. und 17. Jahrhunderts sind vor allem durch die feindliche Einstellung der verantwortlichen Kirchengremien gegenüber einem gewachsenen Ensemble in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dezimiert worden. Wie es scheint, hat der Stil-Purismus führender württembergischer Architekten der Jahrhundertwende weit mehr Inschriften-Denkmäler vernichtet als die Zerstörungen während und nach dem 2.Weltkrieg-« (S.XVIII). Bekanntlich sind heute die Inschriften vor allem durch Umwelteinflüsse in ihrer Existenz bedroht. Daher mein Ceterum censeo: Alle Verantwortlichen vor Ort sollten die Arbeit der Heidelberger Inschriftenkommission aktiv fördern und auch die von dieser ausgeklammerten Inschriften nach 1650, die ja gleichfalls bedeutsame Geschiehtsquellen darstellen, fachkundig dokumentieren.
Kommentare habe ich nur zu ganz wenigen Nummern.
Nr. 92 würde ich als Fälschung von Carl Alexander von Heideloff (1789-1865) streichen, Es handelt sich um ein angebliches Altarfragment, von dem nur Beschreibungen und ein 1855 publizierter Stich Heideloffs überliefert sind. Frau Seeliger-Zeiss schließt sich etwas halbherzig den Autoren an, die darin den Mittelschrein des Herrenberger Altars von Jörg Ratgeb (Nr. 160) sehen wollen. Nachzutragen ist die von Gerhard Faix (in: Herrenberger Studien 1, 1997, S. 86-91) versuchte Ehrenrettung Heideloffs unter Heranziehung seines ungedruckten Nachlasses (S. 88). Wenn der Inschriftenband zugesteht, daß die »Rekonstruktion von Heideloff im einzelnen Mißtrauen verdient« und die Rahmenarchitektur »als ein Produkt seiner Phantasie zu werten« sei (S. 53) - mit welchem Recht wird dann die Inschrift oder die zentrale Darstellung der Maria auf der Mondsichel für authentisch gehalten? Nicht aufgefallen ist der Autorin, daß auch die angebliche Namenspatronin der Erzherzogin Mechthild - diese ist gemeinsam mit ihrem Ehemann Graf Ludwig von Württemberg auf dem Stich als Stifterin dargestellt — offenkundig eine romantische Fiktion darstellt und das Stifterpaar daher aus der Reihe der Darstellungen der württembergischen Grafen zu eliminieren ist (bei GERHARD RAFF, Hie gut Wirtemberg allewege, 1988, S. 659 abgebildet). Wo hatte Mechthild denn ihre angebliche Namenspatronin, die auf dem Bild als Benediktineräbtissin mit Heiligenschein erscheint, nachschlagen können? In Stadlers Heiligenlexikon? Die Erzherzogin hat vermutlich gar nichts von der nur lokal in Diessen verehrten seligen (nicht heiligen!) Mechthild gewußt, deren Gebeine erst 1468 erhoben wurden (Die Andechs-Meranier in Franken, 1998, S. 95). Der erwählte persönliche Schutzpatron der Erzherzogin, den man eigentlich auf einer solchen Darstellung erwarten sollte, ist gut bezeugt: es war der Apostel Andreas (JOACHIM FISCHER, in: Eberhard und Mechthild, 1994, S. 138 Anm. 115). Was bleibt dann aber außer der ikonographischen Übereinstimmung von Stiftssiegel und Heideloffs Mariendarstellung? Hätte Heideloff sich nicht auch von der Darstellung der Herrenberger Kanzel inspirieren lassen können? An anderer Stelle wird Seeliger-Zeiss deutlicher, wenn sie schreibt, daß es verwunderlich sei, daß Heideloff noch 1808 den Schrein gesehen haben will, der dem Chronisten Hess um 1750/60 »schwerlich entgangen wäre« (S. 113 Anm. 42). Daß im Schrein des Herrenberger Altars eine Mariendarstellung zu sehen war, ist durchaus plausibel - nur sollte man Heideloffs Erfindung als Argument aus dem Spiel lassen. Ein Fragezeichen ist vor diesem Hintergrund natürlich auch bei der Ofenkachel Nr. 90, die gleichfalls nur von Heideloff überliefert wird, angebracht. Ein anderes landesgeschichtlich bedeutsames Bildwerk in der Stuttgarter Stiftskirche, das in einem Werk Heideloffs 1847 abgebildet wird, wird von keinem anderen Autor erwähnt (RAFF S. 324 mit Abb. S. 664). Dieser Wappenstein zeigt die Namenspatronin der Margarethe von Savoyen, die hl. Margarethe, den Drachen zertretend. Heideloffs »Fälschungen« müßten natürlich genauer analysiert werden - hier genügt die Feststellung, daß die Herrenberger Forschung viel zu unkritisch das angeblich »getreu« wiedergegebene Bildzeugnis als Quelle retten wollte.
In einigen Nummern wird auf die »Annales Sindelfingenses« zurückgegriffen (vgl. S. XXIXf.), die nach einer 1981 im Selbstverlag veröffentlichten »Edition« von Hermann Weisert zitiert werden. Diese Ausgabe wird dem Überlieferungsbefund nicht gerecht, da sie die nur in diversen Exzerpten enthaltenen Sindelfinger Aufzeichnungen strikt chronologisch ordnet und mit gelehrten Urkundenexzerpten von Gabelkover und Rüttel vermischt. Das so entstandene Konstrukt ist wissenschaftlich kaum brauchbar und darf keinesfalls als diskutable Rekonstruktion einer »verschollenen Handschrift« aus dem Stift Sindelfingen mißverstanden werden.
Besonders bemerkenswert erscheinen mir die Nummern, die sich mit der Traditionsbildung der Schlacht bei Döffingen/Weil 1388 beschäftigen. Nr. 125 ist der um 1500 datierte Gedenkstein des am Bartholomäusabend 1388 gefallenen Anshelm Reinhart, den die Bearbeiterin als Replik eines Originals anspricht. Mit der Verwendung der frühhumanistischen Kapitalis wurde eine »archaisierende« Schriftform in den »Dienst der Traditionspflege gestellt« (S. 75). Eine wohl im 19. Jahrhundert gefertigte textile Gedenkinschrift mit einer Namensliste der (städtischen) Gefallenen, deren frühneuzeitliche (?) Vorlage sicher mit dem bis zur Säkularisation abgehaltenen jährlichen Gedenktag in den Kirchen der Stadt in Verbindung stand, ist im Anhang (Nr. 16 b) abgedruckt und führt Anshelm Reinhart an erster Stelle auf. Der am Bartholomäustag 1388, also einen Tag nach der Döffinger Schlacht - vielleicht aufgrund einer Verwundung - verstorbene Adelige Gebhard von Talheim, dessen Grabmal sich einst in der Augustinerklosterkirche befand (Nr. 37), wurde in dieses Gedenken nicht einbezogen. Daß es ein Original des Grabsteins Reinharts gegeben hat, erscheint mir durchaus nicht sicher, denn die Angabe über seine Gemahlin und deren Wappen konnte um 1500 möglicherweise auch einem Anniversar oder einer anderen Quelle entnommen werden. Vielleicht ging es damals nicht um die Wiederherstellung eines zerstörten oder beschädigten Originals, sondern um die Markierung eines Orts für das jährliche Gedenken oder um Errichtung eines »Denkmals«. Für das Selbstverständnis der Reichsstadt war diese Kommemoration jedenfalls von großer Bedeutung. »Man liest zu Weil noch ungefer / Diese histori alle Jar / Und tut noch järlich allda klagen / Die damals waren zu todt geschlagen / Dis zum gedechtnuß allda geschult. / Wie man dies järlich bey in sieht«, heißt es in einem württembergischen Gedicht auf die Schlacht von Döffingen aus dem 16. Jahrhundert (ediert von TH. FREY, in: Festschrift Georg Leyh, 1937, S. 423).
Klaus Graf
Druckfassung erschienen in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 103 (2003), S. 382-384 Online:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Graf_Rezension_Boeblingen.pdf
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Die Inschriften des ehemaligen Landkreises Mergentheim. Gesammelt und bearbeitet von Harald Drös. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag 2002 (Die Deutschen Inschriften Bd. 54 Heidelberger Reihe Bd. 14). LXXV, 432 S., 128 Tafeln mit über 300 Abbildungen.
Wer sich über Inschriften aus der Zeit bis 1650 in den Pfarrkirchen rund um Bad Mergentheim oder etwa im Schloß Weikersheim unterrichten möchte, findet in dem mit gewohnter Qualität erarbeiteten Band der "Deutschen Inschriften" eine akribisch kommentierte Dokumentation des vorhandenen oder aus schriftlichen Quellen erschließbaren Bestandes (421 erhaltene, 115 kopial überlieferte Inschriften, S. XXVI). Es kann nicht oft genug gerühmt werden, welchen reichen Erkenntnisschatz diese viel zu wenig bekannten Bände für die Landesgeschichte (und auch die Kirchengeschichte) bereithalten.
Die wichtigsten bearbeiteten Standorte des Altkreises Mergentheim (die weiteren Orte des 1973 gebildeten Tauberkreises wurden bereits in den Bänden 1 und 8 des Gesamtwerks erfaßt) sind: in Bad Mergentheim das Deutschordensschloß und das Münster St. Johannes d.T., in Creglingen die evangelische Stadtkirche und die Herrgottskapelle, in Weikersheim die evangelische Stadtkirche und das hohenlohische Schloß, in Niederstetten die evangelische Jakobskirche, das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Frauental (1547 aufgehoben), in Wachbach die evangelische Pfarrkirche, in Laudenbach die Pfarrkirche St. Margareta und die Bergkirche U. L. Frau.
Epigraphiker finden kundige Angaben über die vertretenen Schriftformen (von der romanischen Majuskel bis zur Kapitalis). Leider werden die umfangreichen Ergebnisse dieser intensiven Studien zur Schriftgeschichte namentlich von Kunsthistorikern weitgehend ignoriert. Immer wieder stellt man fest, daß die inzwischen hinreichend abgesicherte Terminologie für die Bezeichnung von Inschriften unbekannt ist. Dies gilt nicht zuletzt für die "frühhumanistische Kapitalis", die man etwa auf einer in BWKG 2003, S. 35 abgebildeten Kölner Patene klar erkennt (ohne daß dort aber auf die Schriftart und die Differenz zur offenbar reinen Kapitalis des besprochenen Kelches eingegangen würde). Auch die Siegelkunde wäre gut beraten, den in den neuesten Bänden der "Deutschen Inschriften" bequem greifbaren Forschungsstand zu dieser Schrift zur Kenntnis zu nehmen. Im Sammelband "Wege zur Renaissance" (2003) spricht Toni Diederich (der führende deutsche Sphragistiker) von einer klaren Renaissance-Kapitalis in Bezug auf ein Trierer Erzbischofssiegel um 1511 (S. 332), obwohl auf der Abbildung Elemente der frühhumanistischen Kapitalis klar erkennbar sind.
Doch zurück zum Band Mergentheim! Positiv hervorzuheben ist, daß die nicht aufgenommenen Inschriften (etwa weil der Wortlaut nicht überliefert ist oder sie in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts gehören) vergleichsweise ausführlich referiert werden (S. LXX-LXXV). Streiten kann man über den Umfang der Register. Einmal mehr sei angeregt, den gesamten Namensbestand des Bandes in die Register aufzunehmen, nicht nur diejenigen Namen, die in den Inschriften selbst erscheinen.
Die folgenden Notizen zu drei Stücken können kaum einen Eindruck vom reichen Inhalt des Werks vermitteln.
Die literaturwissenschaftlich interessanteste Inschrift aus dem rund 90 Nummern umfassenden mittelalterlichen Bestand ist die lateinische Grabschrift des Gottfried von Hohenlohe-Brauneck (wohl 1368) in leoninischen Hexametern (Nr. 22). Sie ist leider nur abschriftlich überliefert in Werken des Hohenloher Historikers Johann Christian Wibel. Ihre sehr ungewöhnlichen Formulierungen stellen sie an die Seite der insbesondere von Herolden verfaßten volkssprachlichen "Ehrenreden" auf Adelige.
Nr. 57 ist das in Weikersheim befindliche Epitaph des 1452 gestorbenen Wilhelm von Rechberg zu Hohenrechberg. Biographische Notizen zu diesem schwäbischen Adeligen in brandenburgischen Diensten, Pfandherr zu Weikersheim, wären bei Stillfried/Haenle, Das Buch vom Schwanenorden, Berlin 1881, S. 192 zu finden gewesen. Rätselhaft bleibt, warum im Kommentar kein Rückverweis auf die Behandlung der rechbergischen Grabdenkmäler im Band Göppingen (DI 41) erfolgt. In der dortigen Nr. 116 wird Wilhelm als Vater Heinrichs von Rechberg zu Weißenstein erwähnt.
Ein spannendes Dokument zur "Erinnerungspolitik" ist die 1585 an der Bad Mergentheimer Wolfgangskapelle errichtete Kreuzigungsgruppe (Nr. 265). Das Kruzifix stammt vermutlich vom alten Standort eines Gedenkkreuzes auf dem Marktplatz, wo es beim Rathausneubau 1562/64 im Weg war. Dieses Gedenkkreuz war im Bauernkrieg 1525 umgestürzt oder zerstört worden. Im Revers der Stadtgemeinde vom 18. August 1525 heißt es dazu: "das steinern Creuz so auf dem Markt allhie gestanden und jetzt von uns wieder aufgerichtet ist und stehet und von alter umb unser Vorfahren Mishandlung und übelthat willen am Orden bewiesen zur Straf ufgesezt" (Bernhard Klebes, Der deutsche Orden in der Region Mergentheim im Mittelalter, Marburg 2002, S. 444, vgl. auch S. 634f.). Dies verweist auf eine Kollektivstrafe, die der Stadtgemeinde beim Aufstand der Mergentheimer Bürger 1380 auferlegt wurde. Der Deutschmeister errichtete zum "Zeichen seiner hoheitlichen Gerichtsrechte und wohl auch zur Sühne" (Klebes S. 444) das Steinkreuz auf dem Markt. An die 150 Jahre später wurde im Bauernkrieg dieses Symbol der Unterdrückung, das gleichsam als ständiger "Stachel im Fleisch" die Erinnerung an das Scheitern 1380 wachhielt, angegriffen und nach dem Sieg der Obrigkeit restituiert.
Abschließend bleibt nur, dem Bearbeiter für ein weiteres vorzügliches Buch zu danken, das, wie man der autobiographischen Anmerkung 3 zu Freudenbacher Grenzsteinen aus dem Jahr 1609 entnehmen kann, unter Einsatz von Leib und Leben zustande gekommen ist: "Eine stichprobenartige Begehung des Waldes im August 1999 wurde nach dem Zusammentreffen mit Schwarzwild unverzüglich abgebrochen" (S. 277).
Klaus Graf
Druckfassung erschienen in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 105 (2005), S. 253-255
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Die Inschriften der Stadt Pforzheim. Gesammelt und Bearbeitet von Anneliese Seeliger-Zeiss. Wiesbaden: Ludwig Reichert Verlag 2003 (Die Deutschen Inschriften Bd. 57 Heidelberger Reihe Bd. 15). LVIII, 246 S., 72 Tafeln mit ca. 170 Abbildungen
Im Chorgestühl der Pforzheimer Stiftskirche, erinnerte sich der Tübinger Theologe Jacob Herbrand (1521-1600), lag auf dem Sitz des Propstes ein Kissen, das nach 1566 als Geschenk ans Straßburger Münster abgegeben wurde. Dargestellt war ein Wolf in Mönchskutte, der einigen Gänsen predigt. "Ich will euch guitte vil fabeln sagen /Biss ich fülle den meinen kragen", hieß es auf der kuriosen Textilie. Ohne Zweifel war das ein "Kampfbild aus der Zeit der Reformationsproaganda und der altkirchlichen Verteidigung" (S. 111 Nr. 144). Dieses mustergültig von der Bearbeiterin des vorliegenden Inschriftenbandes erläuterte Beispiel mag stellvertretend für viele reformations- und konfessionsgeschichtlich aussagekräftige epigraphische Zeugnisse stehen, die sich in der ehemaligen badischen Residenz Pforzheim erhalten haben oder nur abschriftlich greifbar sind.
Von den 250 gezählten Inschriften entstammen 225 aus dem sakralen Bereich - deutlicher kann die Relevanz des Inschriftenbandes für die kirchenhistorische Forschung kaum belegt werden. Angesichts der engen Verflechtungen des Pforzheimer Raums mit dem nahegelegenen württembergischen Territorium verwundert es nicht, daß man nicht wenige Württembergica in Pforzheim antrifft. Herausgegriffen sei nur die Stiftungsinschrift des württembergischen Leibarztes Dr. Johann Widmann genannt Möchinger (1440-1524) in der evangelischen Schloßkirche (Nr. 112).
Die Erfassung der Inschriften bricht 1650 ab. Die Bearbeiterin hat sich besondere Verdienste um die genaue Rekonstruktion des großartigen Ensembles der markgräflich-badischen Grablege in der ehemaligen Stiftskirche St. Michael, mit 138 Inschriften der wichtigste Standort, erworben (S. XVIII-XXXV). Es ist daher zu kritisieren, daß ihr die in diesem Fall sinnvolle Fortführung bis 1689/93 nicht gestattet wurde (S. XIII).
Wie auch in den anderen Bänden der Reihe findet man hier wertvolle Materialien zum Thema "Memoria", sei es, daß auffällige Doppelverwendungen mittelalterlicher Grabplatten erörtert werden (S. XXVIII), sei es, daß die Gründung von Stiftskirchen in den Kontext der "Intensivierung der Totenmemoria" eingeordnet wird (S. XXV). Zur angesprochenen Hinwendung des Adels zu städtischen Grablegen seit dem 14. Jahrhundert sei nachgetragen die Arbeit von Carola Fey, Die Begräbnisse der Grafen von Sponheim, Mainz 2003, S. 40f., 356.
Mit einem besonders unerfreulichen Exempel mittelalterlichen Judenhasses beginnt der Band: Nr. 1 (akribisch kommentiert) ist die Inschrift am Steinsarg des Kindes Margareta, das 1260 angeblich einem Ritualmord zum Opfer gefallen ist und als Märtyrerin verehrt wurde. 1816 haben die Brüder Grimm aus dem Bericht der Pforzheimer Chronik von Gehres in ihren "Deutschen Sagen" mit manipulativer Redaktionstechnik eine "Volkssage" fabriziert (Nr. 353 der Erstausgabe). Solche Inschriften bildeten Fixpunkte antijüdischer Propagandaerzählungen, waren Teil einer Erinnerungs(un)kultur, mit der sich Miri Rubin in ihrem Buch "Gentile Tales" (New Haven/London 1999, ch. 6 "Violence and the trails of memory") näher auseinandergesetzt hat. Übrigens sei zur Geschichte der Randgruppen noch auf die beiden "Zigeuner"-Grabsteine (Nr. 81 von 1498, Nr. 147 von 1552) aufmerksam gemacht.
Den berühmten Pforzheimer Humanisten Johannes Reuchlin betrifft das von ihm seiner Mutter Elisabeth gesetzte Epitaph Nr. 101, das mit seiner Kapitalis-Schrift und seinem antikischen Formular profund in den Kontext weiterer humanistischer Denkmäler eingeordnet wird. Um so erstaunlicher ist, daß der Bearbeiterin die älteste, Crusius vorangehende Überlieferung unbekannt geblieben ist, obwohl in der ZWLG 23, 1964, S. 431f. oder jüngst in Walther Ludwigs Reuchlin-Nachlese (Südwestdt. Blätter für Familien- und Wappenkunde 1996, S. 444) Hinweise darauf zu finden gewesen wären. Kenner der antiken Epigraphik würden die Fundstelle sogar prominent nennen: Es handelt sich um die erste große gedruckte Sammlung lateinischer Inschriften von Apian/Amantius (Ingolstadt 1534, S. CCCCLVII, digitalisiert im Internet unter www.literature.at). Diese Zusammenstellung enthält eben nicht nur antike Stücke, sondern auch zeitgenössische antikisierende Inschriften. In diesem gedruckten Werk ist der Stein mit Kapitalisschrift und Zeilenfall wiedergegeben, begleitet von den Worten: "Ioannes Reuchlin matri suae lapidem hunc Phorcae erigi curauit in coemiterio Dominicastrorum". Hier zeigt sich (ebenso wie in der insoweit unbefriedigenden Dissertation von Martin Ott 2002 zur Geschichte der Sammlung römischer Inschriften im Humanismus) eine bedauerliche Schere zwischen der Erforschung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Epigraphik auf der einen und der Wissenschaftsgeschichte der Archäologie bzw. antiken Epigraphik auf der anderen Seite. Zwar ist grundsätzlich bekannt (und auch dem Kommentar zu Nr. 101 zu entnehmen), daß Humanisten antike epigraphische Zeugnisse als Vorbilder für eigene Inschriften genommen haben, aber eine Zusammenschau der verstreuten Beobachtungen aus der Perspektive der Humanismusforschung steht noch aus.
Schließlich sei noch angemerkt, daß bei Nr. 146 zur Familie Lutz von Lutzenhart (ebenso bei Nr. 191, 205 zu Nüttel von Treppach) die umfangreichen genealogischen Studien von Karl Kempf in seinem Buch "Die Chronik des Christoph Lutz von Lutzenhartt aus Rottenburg" (1986, S. 182 ff.) heranzuziehen gewesen wären.
"Bedauerlicherweise erscheinen", klagt Frau Seeliger-Zeiss in einer Fußnote, "noch immer Veröffentlichungen der historischen, kunsthistorischen und landesgeschichtlichen Forschung, deren Autoren nicht von den Ergebnissen der epigraphischen Forschung Gebrauch machen, obgleich das Forschungsunternehmen der Deutschen Inschriften inzwischen 56 Bände publiziert hat" (S. XLI Anm. 157). Es bleibt zu hoffen, daß diese Ignoranz nachläßt.
Druckfassung erschienen in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 105 (2005), S. 255-257
#epigraphik
[Nachtrag: Zu DI 78 http://archiv.twoday.net/stories/38735546/ ]
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Die Inschriften des Rems-Murr-Kreises. Gesammelt und bearb. von Harald Drös und Gerhard Fritz unter Benutzung der Vorarbeiten von Dieter Reichert. (Die Deutschen Inschriften Bd. 37; Heidelberger Reihe Bd. 11) Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag 1994. 230 Seiten, 121 Abb.
Daß Inschriften für eine Fülle von Fragestellungen eine überaus bedeutsame Quellengattung darstellen, darf als bekannt vorausgesetzt werden. Gerade der kirchengeschichtliche Forschung kann durch die Auswertung des großen Inschriftenwerks "Die Deutschen Inschriften" ein Erkenntnisgewinn zuwachsen, den man nicht zu gering veranschlagen sollte. Dies gilt nicht nur für die Berücksichtung der reichen personengeschichtlichen Angaben und Nachweise, sondern auch für frömmigkeitsgeschichtliche Fragestellungen. Über "das Aussehen, die Funktion und das Formular der unterschiedlichen Formen von Totengedächtnisgrabmälern"(S. XXIV) einer Region wird man beispielsweise nirgends so bequem unterrichtet wie in der Einleitung der Inschriftenbände. Obwohl diese Inventare durchweg höchstes wissenschaftliches Niveau aufweisen, werden sie merkwürdigerweise von der landesgeschichtlichen Forschung nicht in dem Ausmaß rezipiert wie es wünschenswert wäre.
1986 wurden die Inschriften des Landkreises Ludwigsburg publiziert. Mit dem Erscheinen des vorliegenden Bandes über den östlich anschließenden Rems-Murr-Kreises, ebenfalls bearbeitet von der Inschriftenkommission der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, sind nunmehr für ein größeres Gebiet innerhalb des mittleren Neckarraumes die inschriftlichen Quellen (bis 1650) mustergültig für die Forschung aufbereitet. Das vorliegende Inventar enthält die üblichen Bestandteile: außer den 320 Nummern eine ausführliche Einleitung mit Beschreibung und Geschichte der wichtigsten Standorte (Murrhardt, Backnang, Beutelsbach, Schorndorf, Waiblingen, Winnenden und das durch seine Sturmfeder-Grablege bedeutsame Oppenweiler). Es fehlen weder Angaben über die Quellen der abschriftlichen Überlieferung noch Ausführungen über die Inschriftenträger (Schwerpunkt: Inschriften des Totengedenkens) und die Schriftformen. Nicht weniger als zehn Register (z.B. "Zitate und Paraphrasen aus Bibel, liturgischen Texten und Literatur") erschließen den Inhalt des Inventars, und ein stattlicher Abbildungsanhang erlaubt es in vielen Fällen, die Lesungen und Einschätzungen des Textteils nachzuvollziehen.
Da es sich um ein Grundlagenwerk von größter Relevanz für die landesgeschichtliche Forschung handelt, habe ich im folgenden zusammengestellt, was mir an Korrekturen und Ergänzungen aufgefallen ist. Meine Anmerkungen, die auch einen Eindruck vom reichen Inhalt des Bandes vermitteln mögen, beziehen sich überwiegend auf die Kommentierung der Inschriften, wobei ich mir darüber im klaren bin, daß man über die Ausführlichkeit der inhaltlichen Erläuterungen und Literaturangaben lange streiten kann.
In Nr. 11 (Wandmalereien in Winterbach) wäre das Zitat der uckermärkischen Redensart in Anm. 1 durchaus entbehrlich und stattdessen zu dem in der Kirchenkunst häufigen Thema des Teufels mit dem Sündenregister ein Hinweis auf L. Röhrich, Das Lexikon der sprichwörtlichen Redensarten II, 1992, S. 906-908 mit umfangreichen Literaturangaben am Platz gewesen.
Nr. 25, die Deckplatte einer Tumba für Kaiser Ludwig den Frommen, eröffnet eine Reihe von Zeugnissen der Rückbesinnung auf die Anfänge des Klosters Murrhardt (Nr. 69: Glasgemäldezyklus 1498; Nr. 74: Walterich-Grabmal 14./15. Jh.; Nr. 137 Glasfenster ca. 1528; Nr. 159f. Inschriften um 1550). Die Datierung von Nr. 25 "um 1440 (?)" erscheint vorschnell. Methodisch ist zu bemängeln, daß zur Begründung eine Einordnung in die Klostergeschichte vorgeschlagen wird, die alles andere als zwingend ist. Daß das Fehlen der Versalien für eine Frühdatierung spricht, entnimmt man lediglich indirekt der Einleitung S. XLVIIf., doch scheint angesichts der Neuheit dieses Datierungskriteriums vorerst Zurückhaltung geboten. Schahl hat seine kunsthistorische Datierung um 1460/70 nicht begründet; Harald Keller meinte (Hist. Jb. 60, 1940, S. 674), das Murrhardter Kenotaph sei "etwa zur gleichen Zeit" wie das Lorcher Stiftergrabmal von 1475 (mit Versalien!) geschaffen worden. Ein weiteres Vergleichsbeispiel, das Hirsauer Stiftergrabmal für Erlafried, ist nicht datiert (R. Neumüllers-Klauser in DI 30, Nr. 135: "um 1470/85"). Nichts spricht dagegen, das Murrhardter Denkmal in die Abtszeit Herbords (1452-1468) zu setzen, der bei seinen Bemühungen, dem Kloster die Reichsunmittelbarkeit zu sichern, die Gründung durch Kaiser Ludwig als "historisches Argument" ins Feld führen konnte. Von Herbord ist - in Abwehr württembergischer Ansprüche - der Ausspruch überliefert, Kaiser Ludwig habe ein Kloster und keinen Hundestall gestiftet. 1456 ließ er sich die Gründungsprivilegien bestätigen (vgl. G. Fritz, Stadt und Kloster Murrhardt im Spätmittelalter und in der Reformationszeit, 1990, S. 47, 52, 337). Daß eine frühere Bestätigung der Stiftungsurkunde im Jahr 1444 mit der "Weihe der Tumba" (??) in Verbindung stehen könnte (so auch S. XV), ist durch nichts zu belegen. Da sichere Datierungskriterien bislang nicht in die Diskussion eingebracht wurden und die von mir vorgeschlagene historische Situierung nicht weniger plausibel erscheint, wird man vorerst vorsichtiger "Mitte des 15. Jahrhunderts" zu datieren haben.
Daß man sich damals Kaiser Ludwig "nur als einen Angehörigen des mächtigen Staufergeschlechts vorstellen konnte", ist eine Überinterpretation des Dreilöwenwappens des Landes Schwabens, da man es im 15. Jahrhundert auch den vorstaufischen Schwabenherzögen zuschrieb. Das schwäbische Wappen wurde m.E. Kaiser Ludwig beigegeben, weil man sich in Murrhardt gegen die Ansprüche des Bischofs von Würzburg als Herzog von Franken (vgl. Nr. 136: nur Diözesan, das Herzogtum gehts nichts an) auf eine Zugehörigkeit Murrhardts zu Schwaben berufen wollte. Ludwig konnte als Herrscher über Schwaben betrachtet werden, denn seine Mutter Hildegard stammte, wie man in Murrhardt wußte, "ex Prosapia Suevorum" (Nr. 137). Das Dreilöwenwappen wurde Hildegard denn auch in Botes Sachsenchronik von 1492 zugelegt (H.-G. Hofacker, ZWLG 47, 1988, S. 75 Anm. 14).
Unangenehm berührt nicht nur in Nr. 25, daß G. Fritz seine Spekulationen über die Frühgeschichte des Klosters Murrhardt als gesicherte Erkenntnisse ausgeben und durch die Aufnahme in eine hochangesehene Publikation aufwerten darf. Daß der Klostergründer Walterich ein Verwandter Ludwig des Frommen war (S. XIV), wird man ernsthaft nicht behaupten können. Für ein Herzgrab Ludwigs in Murrhardt gibt es keinerlei konkrete Anhaltspunkte (Nr. 25). Hinsichtlich der Genealogie der badischen Markgrafen konnten bei der Behandlung der Backnanger Überlieferung H. Drös vergleichbare Entgleisungen glücklicherweise verhindern (Nr. 108-111 mit S. XXIII Anm. 66).
Bei Nr. 45, der Grabplatte der Gräfin Anna von Katzenelnbogen in Waiblingen, ist K. E. Demandt, Regesten der Grafen von Katzenelnbogen II, 1954, Nr. 5617 nicht herangezogen worden, der eine Gabelkover-Überlieferung ("HS 48g/I fol. 86") mit abweichendem Datum nachweist. Über Anna vgl. jetzt: E. G. Franz, Vergeblicher Liebeszauber, in: Aus südwestdeutscher Geschichte. FS. für Hans-Martin Maurer, 1994, S. 264-272. In Anm. 3 muß die Signatur der Chronik Seb. Küngs korrekt lauten: Cod.hist.fol. 78.
Erfreulich ist die Aufnahme der im Chor der Schmidener Kirche erhaltenen Graffiti von Kirchenbesuchern aus vorreformatorischer Zeit (Nr. 53 mit S. XLf.). Diese "Verewigungen" beleuchten einen wenig bekannten Aspekt mittelalterlich-frühneuzeitlicher Reise-Erinnerungskultur; vgl. dazu jetzt auch die Hinweise von W. Paravicini, Von der Heidenfahrt zur Kavalierstour, in: Wissensliteratur im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, 1993, S. 91-130.
Nicht akzeptabel ist es, wie ich meine, wenn zu dem in Nr. 98 erwähnten Humanisten und Backnanger Propst Petrus Jakobi, Freund Reuchlins und Patron Heinrich Bebels, die veraltete Arbeit von Heyd, nicht jedoch die beiden grundlegenden Aufsätze von J. Waltzing (in: Mélanges G. Kurth und Musée belge, jeweils 1908) angeführt werden. Maßgeblich ist jetzt die biographische Skizze in: H. de Ridder-Symoens/D. Illmer/C. M. Ridderikhoff, Premier livre des procurateurs de la Nation Germanique de l"ancienne Université d"Orléans 1444-1546 II,1, 1978, S. 117f.
Da die Gmünder Ratsfamilie Gul (vgl. B. Theil, Gmünder Studien 2, 1979, S. 63f.) nach Ausweis von Siegeln im Gmünder Spitalarchiv (1368: VII. 1 und 1405: XV.5) wie der 1508 gestorbene Murrhardter Abt Lorenz Gaul (Nr. 99) eine Schnepfe im Wappen führte und bei ihr der Vorname Lorenz gebräuchlich war, wird man den Murrhardter Abt dieser Familie zuweisen dürfen. Er kann natürlich auch einer anderen Stadt entstammen, da sich Angehörige auch in Heilbronn, Nördlingen und Geislingen niederließen. Die von G. Fritz a.a.O. 1990, S. 344f. aufgrund einer Verwechslung im Lorcher Kalendar vorgenommene Gleichsetzung der Gul mit den Guland (zu dieser Familie vgl. Geschichte der Stadt Schwäbisch Gmünd, 1984, S. 127) ist völlig abwegig!
Einige biographische Angaben zu dem 1515 in Schorndorf beigesetzten Dr.theol. Georg Maierhöfer aus Schwäbisch Gmünd (Nr. 113), der in Wimpfelings Liste schwäbischer Gelehrter erscheint, sind dem Briefwechsel Jakob Wimpfelings, hg. von Otto Herding/D. Mertens, 1990, S. 532f. Anm. 30 zu entnehmen. Zu seinen Familienverhältnissen sei angemerkt, daß er - entgegen der Vermutung in Anm. 1 - kein Bruder des im gleichen Jahr verstorbenen Speyerer Domvikars (nicht Domdekans!) Mag. Johann Maierhöfer war (zu diesem vgl. K. von Busch/F. X. Glasschröder, Chorregel und jüngeres Seelbuch des alten Speierer Domkapitels I, 1923, S. 45; II, 1926, S. 101). Das Anniversar der Gmünder Pfarrkirche von 1530 im Münsterpfarramt Schwäbisch Gmünd enthält f. 18-18v und f. 23v-24 zwei umfangreiche Einträge zur Gmünder Ratsfamilie Maierhöfer und ihrem Heiratskreis. Während Mag. Johann M. Sohn eines Hans M. war, ist als Vater von Dr. Jörg M. ein Jörg M. angegeben. Auf einem - nicht mehr vorhandenen - Grabstein von 1515 auf dem Friedhof der Gmünder Johanniskirche war übrigens ebenfalls eine Leimpfanne dargestellt (a.a.O.).
Zu dem 1530 als Schorndorfer Pfarrer gestorbenen Dr.theol. Leonhard Kurrer (Nr. 140), über dessen Lebenslauf der lokalen Forschung "nichts weiteres bekannt" ist (Katalog: 450 Jahre Reformation Schorndorf, 1987, S. 119), möchte ich auf den Mag. Leonhard Currer aus Stuttgart aufmerksam machen, der um 1500 an der Universität in Freiburg i.Br. wirkte und 1503 zum Lic.theol. promoviert wurde. Vgl. V. Sack, Die Inkunabeln der Universitätsbibliothek ... Freiburg im Breisgau ... III, 1985, S. 1561.
Zur Familie Miner/Minner (Nr. 214-217, 221, 223) ist anzumerken, daß ihr auch der bekannte "Bauernmillionär" Jörg Minner in Kornwestheim angehörte und im Kornwestheimer Stadtarchiv eine Reihe von Unterlagen und Arbeiten zur Familiengeschichte der Minner nachgewiesen sind.
Hinsichtlich der in Nr. 264 Anm. 2 angezweifelten Studienstiftung Ulrichs von Gaisberg (gest. 5. Juli 1612) vergleiche man jedoch dessen Urkunde vom 4. Juli 1612 bei P. Müller, Gaisberg-Schöckingensches Archiv Schöckingen, 1993, Nr. 116.
Zur Waiblinger Dreikönigsüberlieferung (Nr. 299) sollte man jüngere Literatur als einen Zeitungsartikel von 1903 heranziehen; vgl. K. Graf, Gmünder Chroniken im 16. Jahrhundert, 1984, S. 158.
Einige Ergänzungen ergeben sich aus der Tatsache, daß die Bearbeiter die ungedruckten Ortschroniken von Beinstein nicht eingesehen haben, obwohl zumindest auf die maschinenschriftliche Zusammenstellung von Erich Rummel (1959) Schahl im Kunstdenkmäler-Inventar aufmerksam gemacht hatte. Rummel konnte seine Darstellung auf eine auch historiographiegeschichtlich aufschlußreiche Quelle stützen, nämlich auf die 1845 von dem Schultheiß Georg Michael Of begonnene und von seinem Amtsnachfolger Christian Eberhard Mayer bis 1875 fortgesetzte handschriftliche Ortschronik in zwei Bänden. (Für Kopien der einschlägigen Seiten und seine Unterstützung danke ich Herrn Ortsvorsteher Großmann.) Die Verfasser haben - bemerkenswert genug - auch die in Beinstein vorhandenen Inschriften aufgezeichnet (Bd. I, Bl. 13, 15, 29b-30, 56b, 58b, 59; Bd. II, Bl. 64b).
Gleich zweifach ist die nach Nr. 305 nicht überlieferte Versinschrift in der Handschrift enthalten (Bd. I, Bl. 13, 15), wobei Korrekturen anzeigen, daß die Lesung der wohl flüchtig ausgeführten Rötelinschrift schwierig war. Ich gebe sie nach der vollständigeren Version Bl. 15 wieder: "Auf dem Thurm am östlichen Schallloch links auf einem Quader mit Röthel angeschrieben.
O Mensch betracht
Wie ob man lacht
All Menschen Bracht
Oft Uebernacht
Durch Todes macht
Zu nichts wird bracht.
1643
Hans Moritz in Beinstein.
Rechts am östl. Schallloch steht geschrieben: Im Jahr 1632 den 11. Mon. Juny bin ich zu diesem --- Hans Moritz (wahrschl. Möntz.) (Die übrigen Worte können nicht mehr entziffert werden)". Die Fassung von Bl. 13 hat Lücken anstelle von "ob man" (Vers 2) und "Menschen" (Vers 3) sowie "Der" statt "Oft" (Vers 4). Außerdem ist der Schriftzug des Baumeisters abgezeichnet: "Thaus [?] Möntz in Beinstein", und es wird vermerkt: "Sonst schreibt er Matthias Mentz 1646" (mit Wiedergabe des Steinmetzzeichens). Auf Bl. 29b ist nicht nur die im Original erhaltene Inschrift von 1454 (Nr. 33) notiert, sondern auch der vollständige Wortlaut der heute teilweise verwitterten Grabplatte des 1635 gestorbenen Simon Dochtermann (Nr. 296). Der von dem Sohn Wendel, Schultheiß in Beinstein (seine Grabinschrift 1657: Bd. I, Bl. 29b), in Auftrag gegebene Stein befand sich vor 1954 nach dem Totenbuch "bei der Chorskirchenthüre" an der südlichen Außenmauer der Kirche (Chronik E. Rummel Bl. 123f. mit Photo). Ich gebe den heute nicht mehr entzifferbaren Rest nach Bl. 29b: "im 59. Jahr seines Alters, sein Crito allhier selig eingeschlafen u. begraben und zue dem Ende aus soldiger kindlicher Lieb dieser Stein zue seiner letzten Ehrengedächtnuß allhier gesetzt worden, deme Gott eine seelige Ruhe verleihen wolle."
Bei Nr. 61 wird eine 1896 eingeschmolzene Glocke von 1528 erwähnt, deren Inschrift nicht überliefert sei. Bd. I, Bl. 41 und - nach Notizen des Pfarrers Wolff - Bl. 56b vermerken ihren Wortlaut: "Verbum domini manet in eternum, das Wort Gots bleibt ewich, als man zält 1528" (Bl. 56b). Eine identische Inschrift (einschließlich Jahreszahl) trug eine Glocke aus der Wolfgangskapelle zu Korb-Steinreinach (Nr. 135 nach den Glockenbeschlagnahme-Akten des Landeskirchlichen Archivs).
Ein heikles quellenkritisches Problem werfen einige Inschriften auf, die Hansmartin Decker-Hauff Dieter Reichert aus dem sogenannten "Hauffschen Epitaphienbüchlein" mitgeteilt hatte (S. XXIII). Die gleiche Zusammenstellung wurde - ebenfalls ohne Autopsie - bereits für den Ludwigsburger Inschriftenband herangezogen (DI 25, S. XXVII). Auf Dauer wird man es wohl nicht vermeiden können, die Frage nach der Authentizität dieser Quelle zu stellen (für das Lorcher "Rote Buch" vgl. K. Graf in: Von Schwaben bis Jerusalem, 1995, S. 237). Bei der Sichtung des Nachlasses Decker-Hauff durch Frau Decker-Hauff konnten die Abschriften des Epitaphienbüchleins bislang nicht ermittelt werden. Merkwürdigerweise haben die dort (und in der Regel nur dort) überlieferten Inschriftentexte durchweg große Bedeutung für die genealogische Forschung. Auffällig ist etwa, daß die im Schorndorfer Inschriftenbestand des Epitaphienbüchleins bezeugten Ehen mit Gmünderinnen ausgerechnet zwei "berühmte" Familien betreffen: die Familie Baldung des bekannten Malers (Nr. 171) und die Familie Warbeck (Nr. 128 mit Nr. 180), bekannt durch den Übersetzer der "Schönen Magelone" Veit Warbeck (über seine Familie informiert mein Beitrag im einhorn-Jahrbuch Schwäbisch Gmünd 1986, S.139-150). Hinzuweisen ist auch auf den Umstand, daß die (vollständige?) Erfassung der Inschriften der Schorndorfer Stadtkirche durch David Wolleber (1588 s. Nr. 203) eigentlich eine Gegenprobe erlauben sollte - hätte Wolleber nicht alle nach der Hauffschen Sammlung vorhandenen älteren Inschriften übersehen. Im einzigen Fall einer Parallelüberlieferung (Nr. 180) weicht die Version des Epitaphienbüchleins nicht unerheblich ab.
Zu guter Letzt möchte ich drei Wünsche formulieren, die eine gute Fee oder die Heidelberger Inschriftenkommission hoffentlich erfüllen werden. Erstens: Der saure Regen nimmt leider keine Rücksicht auf die vom Inschriftenwerk gesetzte Epochengrenze 1650. Die Rettung und Dokumentation aller Inschriften muß das Gebot der Stunde sein. Die Heidelberger Inschriftenkommission darf gewiß auf ihre Bände stolz sein, doch stellt sich die Frage, ob die knappen finanziellen Ressourcen im Hinblick auf die Erhaltung der zu untersuchenden Denkmäler nicht doch anders eingesetzt werden sollten. Insofern wäre es wünschenswert, wenn die interessierte Öffentlichkeit verstärkt über die dramatische Situation der inschriftlichen Quellen informiert würde. Die in den Inventarbänden hinsichtlich der Verlustproblematik an den Tag gelegte vornehme Zurückhaltung schadet letztlich dem wissenschaftlichen Anliegen des Inschriftenwerks. Eine Veröffentlichung der Inschriften des Rems-Murr-Kreises nach 1650 zu einem Preis, den sich auch der Privatmann leisten kann, wäre sicher ein geeignetes Mittel der Öffentlichkeitsarbeit.
Zweitens sollte der Abschnitt über nicht aufgenommene Inschriften, die zwar vorhanden waren, deren genauer Wortlaut jedoch nicht rekonstruierbar ist (S. LVII), ausgebaut werden. Anzustreben ist eine Übersicht, die den Informationsgehalt aller hinreichend sicher bezeugten inschriftlichen Quellen für die landesgeschichtliche Forschung erschließt. Beispielsweise liefert der S. XXII zitierte Brief des Pfarrers Spindler für den in Oppelsbohm begrabenen Vikar Bonländer auch dessen Vornamen Augustinus (nach W. Hofmann, Berglen, 1993, S. 130). Hinzu kommt, daß ein Forschungsansatz, der nach den Verwendungszusammenhängen und der Verbreitung des Mediums Inschrift fragt, auch an den nicht im genauen Wortlaut erhaltenen Inschriften interessiert sein muß.
Drittens: Ergänzungen und Korrekturen zu den Inschriftenbänden sollten von den Arbeitsstellen nicht nur gesammelt, sondern auch in geeigneter Form der Wissenschaft zugänglich gemacht werden. Vielleicht ist sogar eine regelmäßig aktualisierte Datenbank der deutschen Inschriften in absehbarer Zukunft realisierbar?
Klaus Graf
Druckfassung erschienen in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 94 (1994), S. 219-224 Verändert online: http://swbplus.bsz-bw.de/bsz009919902rez-1.htm
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Die Inschriften des Landkreises Göppingen. Gesammelt und bearbeitet von Harald Drös (Die Deutschen Inschriften Bd. 41; Heidelberger Reihe Bd. 12). Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag 1996. LXV, 452 S., LXXXIII Tafeln mit 198 Schwarzweiß-Abbildungen.
Mit den alten Steinen auf Kirchen und Friedhöfen sterben zugleich einzigartige Geschichtsquellen, unersetzliche Dokumente der Kirchen- und Kulturgeschichte. In ihren kaum mehr entzifferbaren Schriftzeichen wird Historie in spezifischer Weise "greifbar". Nach meiner Auffassung ist das großangelegte Inschriftenunternehmen der deutschen Akademien viel zu wenigen bekannt. Selbst Experten sind sich manchmal nicht darüber im klaren, in welch großem Umfang im Rahmen der Publikation der Reihe der "Deutschen Inschriften" Grundlagenarbeit geleistet wird. Dies betrifft nicht nur die sorgfältige Sammlung und Kommentierung der epigraphischen Zeugnisse aus Mittelalter und früher Neuzeit, sondern auch die Überlieferungssicherung durch fotografische Dokumentation. Denn diese wichtigen Quellen sind ja in dramatischer Weise gefährdet. Nicht allein das "Steinsterben" durch Umwelteinflüsse, auch das Desinteresse an den historischen Inschriften und ihrem Quellenwert trägt dazu bei, daß mehr und mehr dieser unersetzlichen Kulturdenkmale verloren gehen. Am Beispiel der kirchlichen Grabmäler hat die Leiterin der Heidelberger Inschriften-Arbeitsstelle Anneliese Seeliger-Zeiss die Erhaltungsproblematik aufgezeigt: Historische Grabmäler in Baden-Württemberg. Inventarisation als Instrument gegen den Verlust von Kirchengut, ZWLG 54 (1995), S. 379-392. Ihr Appell, daß man sich angesichts der sehr begrenzten Kapazitäten der Inschriften-Arbeitsstellen auch vor Ort für die Inventarisation der Inschriften verantwortlich fühlen sollte, kann hier nur unterstrichen werden. Es ist höchste Zeit, daß - möglichst in Zusammenarbeit mit dem Unternehmen der "Deutschen Inschriften" - Initiativen ergriffen werden, um eine hochbedeutsame Quellengattung zu retten. Jeder kann dazu beitragen - Kirchenbehörden ebenso wie Vereine oder engagierte Lehrer und Heimatforscher. Im Internet finden sich beispielsweise mehrere Schulprojekte "Latein auf Stein", die im Rahmen des Lateinunterrichts lokale lateinische Inschriften fotografiert und beschrieben haben.
Nicht wenige Fächer können in erheblichem Ausmaß vom Inschriftenunternehmen profitieren - bis hin zur Sprachgeschichte, wie einem vor kurzem erschienenen Beitrag von Walter Hoffmann, Zeitschrift für deutsche Philologie 119 (2000), S. 1-29 zu entnehmen ist. Eine vergleichbare Würdigung durch die Kirchengeschichte, die beispielsweise in den Registern der Bibelzitate und der "Heiligen, biblischen und mythologischen Gestalten" bequem aufbereitetes Material vorfindet, steht noch aus.
Anlaß dieser allgemeinen Bemerkungen ist der von Harald Drös, Mitarbeiter der Heidelberger Arbeitsstelle, vorgelegte Band über die Inschriften des Landkreises Göppingen - eine exzellente Leistung. Es ist sein erster eigener Band, denn die Bearbeitung des Rems-Murr-Kreises (Bd. 37 der Gesamtreihe) hatte er sich leider mit einem Mitautor teilen müssen (siehe meine Besprechung in den BWKG 94, 1994, S. 219-224). Drös, ein ausgewiesener Heraldiker und guter Zeichner, ist ein wahrer Glücksfall für die Inschriftenreihe. Auf Schritt und Tritt registriert man sorgfältige und akribische Recherche.
Eine umfangreiche Einleitung gibt einen historischen Überblick zur Kreisgeschichte und orientiert über die wichtigsten Standorte (Göppingen, Geislingen, Kloster Adelberg, Faurndau, Donzdorf, Salach, Eybach, Jebenhausen und Überkingen), über die Quellenlage bezüglich der nicht im Original erhaltenen Stücke, die verschiedenen Inschriftentypen und ihre Schriftformen. Besonders positiv zu werten ist ein ausführlicher Anhang mit Angaben zu nicht aufgenommenen Inschriften (S. LIX-LXV). Der Hauptteil bietet 501 Nummern, wobei der Bearbeitungszeitraum mit dem Jahr 1650 endet. Nr. 1 ist eine vorkarolingische Inschrift auf einer Gürtelgarnitur des 7. Jahrhunderts; die letzte Nummer 500 betrifft ein in Privatbesitz befindliches Gemälde aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit der bekannten Ratssitzung Graf Eberhard des Milden von Württemberg. Nicht weniger als 14 Register erschließen den reichen Stoff für die unterschiedlichsten Fragestellungen. Allerdings bedauert man, daß die für die Erläuterungen durchgeführten gründlichen genealogischen Forschungen des Bearbeiters kaum Niederschlag im Personenregister gefunden haben.
Inschriften sind eine bedeutsame Quelle für die vormoderne "Erinnerungskultur", verstanden als Ensemble von Medien, die Erinnerung retrospektiv bewahren oder prospektiv verewigen wollten. Insbesondere zur adeligen Erinnerungskultur bietet der Band eine Fülle von Material. Besonders wertvoll sind die Nachrichten zu den in Donzdorf und Weißenstein residierenden Herren von Rechberg, zu deren Geschichte kaum verläßliche neuere Studien existieren. Aber auch zu den Grafen von Helfenstein und den Herren von Degenfeld, Liebenstein und Zillenhart wird man fündig.
Einige Beispiele zur adeligen Erinnerungskultur: 1553 ließ Konrad von Degenfeld den 1430 entstandenen Totenschild eines Vorfahren in der Geislinger Stadtkirche restaurieren (Nr. 46). Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt, der von Drös mit "um 1475" wohl zu früh angesetzt wird, wurden in den rechbergischen Schlössern Donzdorf, Staufeneck und Ravenstein Wandmalereien mit Ahnenreihen angebracht (Nr. 95-97). Ebenso ist unsicher, ob die Bilder von Familienmitgliedern des Niederadelsgeschlechts von Zillenhart in der Eybacher Pfarrkirche tatsächlich schon um 1450 entstanden sind (Nr. 64). 1518 ließen die Rechberger ein auf der Jagd erlegtes Wildschwein mit einem Gemälde verewigen (Nr. 206). Zur Erinnerungskultur der adeligen Jagd gehört auch eine nicht näher bestimmbare Inschrift auf Schloß Staufeneck, die sechs Hirschköpfen beigegeben war (S. LXV). Eine farbige Abbildung des Bildes von 1518 findet sich in dem Privatdruck: 800 Jahre der Herren von Rechberg, Donzdorf 1979, S. 29. Dort (S. 23) ist auch das Bild des Hans von Rechberg (Nr. 219) in Farbe zu finden. Über Hans von Rechberg informiert am ausführlichsten die von Drös nicht angeführte Monographie von Ernst Kanter. Als eine Art Familienkleinod der Rechberger kann der Rehbockpokal (Nr. 246) gelten, dem 1865 eine handschriftliche "Rehbockchronik" mit Eintragungen von Festgästen beigegeben wurde. Einen ähnlichen Stellenwert für die Degenfelder besaß die 1646/48 an Christoph Martin von Degenfeld vom Venezianer Senat verliehene Ehrenkette (Nr. 484). Unveräußerlicher Bestandteil des Hausfideikommisses, ist sie in diesem Jahrhundert gleichwohl verschwunden. Ein aufschlußreiches Beispiel für frühneuzeitliche "Erinnerungspolitik" stammt ebenfalls aus dem ritterschaftlichen Bereich: eine direkt in territorialpolitische Streitigkeiten involvierte Inschrift (um 1650, fortgesetzt 1711). Sie betrifft die Zugehörigkeit Dürnaus zur Herrschaft der Freiherren von Degenfeld (Nr. 496). Adelige, aber auch bürgerliche Badegäste haben sich mit Namen und Wappen in Göppingen, Jebenhausen und Überkingen verewigt (S. XLIIIf.).
Einige weiterführende Notizen zu einzelnen Nummern seien mir gestattet.
Nr. 42, eine Buchdeckelinschrift aus dem Prämonstratenserkloster Adelberg, scheint mir mit dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts entschieden zu früh angesetzt. Solche Frühdatierungen können, unkritisch übernommen, Schaden stiften und die Chronologie der Zeugnisse zur lokalen Traditionsbildung in Unordnung bringen. Redlicher wäre die Angabe eines größeren Zeitraums mit einigermaßen "harten" Eckdaten. Nr. 42 könnte auch gut zu Nr. 188, den Wandgemälden in der Ulrichskapelle, gestellt werden, die mit der Angabe "um 1507" vielleicht auch zu früh eingeordnet worden sind (vgl. dort Anm. 6). Eine nähere Beschäftigung mit der von Achim Hölter, ,Conradin von Schwaben", ZWLG 51 (1992), S. 161-203, hier S. 189-194 thematisierten literarischen Produktion des 1563 gestorbenen Adelberger Subpriors Rudolf Ehrmann, den nach Anm. 32 von Walter Zieglers Volknand-Studie (zitiert bei Drös) auch Gabelkover benutzte, verspricht weitere Erkenntnisse zu den Nummern 188 und 189. Zu Adelberg können auch zwei von Walther Ludwig, Zwei Epigramme des Johannes Casselius für den Abt Berthold Dürr, Hohenstaufen/Helfenstein 7 (1997), S. 192-194 publizierte Gedichte (eines datiert 1495) nachgetragen werden, die sich als Inschriften ausgeben. Nach Ludwigs - zu überprüfender Ansicht - beziehen sie sich auf das Grabmal Abt Bertholds. Ludwig denkt an das Sandstein-Epitaph an der Ulrichskapelle, das Drös bei der Erläuterung einer anderen lateinischen Inschrift des Abts (Nr. 132) ins Spiel bringt. Eine Darstellung zur aufschlußreichen Adelberger "Erinnerungskultur" und Traditionsbildung im 15./16. Jahrhundert müßte die angesprochenen Fragen nochmals in einem größeren Kontext erörtern.
Und noch etwas zu Adelberg: Die berühmten Bucheinbände des Geislinger Kaplans Johannes Richenbach werden von Drös ausgeklammert, aber dankenswerterweise in der Einleitung S. LX angesprochen. Adelberg als Bestimmungsort ist anzunehmen bei einem Band in Providence (USA), der 1470 für einen Adelberger Professen Syl(vester?) Sella (?) gebunden wurde (Isabelle Pingree, Richenbach Bindings in the United States, Gutenberg-Jahrbuch 1977, S. 330-344, hier S. 331). Eine publizierte aktuelle Liste aller Richenband-Bände existiert leider nicht, denn auch der soeben zitierten Autorin Pingree sind in ihrem Bericht über einen Richenbach-Neufund (Gutenberg-Jahrbuch 1998, S. 296-303) nicht alle zwischenzeitlich ermittelten Bände bekannt geworden. Eine Studie zu den ostschwäbischen Auftraggebern des Geislinger Buchbinders wäre lohnend.
Zurück zu den Inschriften! Die Problematik der zu frühen Datierung ist ebenfalls gegeben bei Nr. 360, der für die Traditionsbildung zu den Staufern so wichtigen Inschrift der sogenannten Barbarossakirche am Fuß des Hohenstaufen. Hätte Martin Crusius sich dieses Zeugnis 1588 tatsächlich entgehen lassen? Bei dieser Nummer habe ich auch einen formalen Einwand zur Präsentation der verschiedenen handschriftlichen Überlieferungen des Textes. Welche Einzelinschriften (A bis G) nach welchen Vorlagen wiedergegeben werden, sollte transparenter gemacht werden.
Nr. 44: Zu den Quaternionen der Reichsverfassung vgl. zusammenfassend Ernst Schubert, Die Quaternionen, Zeitschrift für historische Forschung 20 (1993), S. 1-63.
Nr. 11, 62: Zu diesen Sibyllendarstellungen in Oberwälden und Salach vgl. jetzt Rolf Götz, Die Sibylle von der Teck, 1999, S. 75-77.
Nr. 65 ist das bekannte Bild zur Schlacht an der Plienshalde bzw. am Mutzenreis 1449. Zur Schlacht vgl. jetzt auch Thomas Fritz, Ulrich der Vielgeliebte (1441-1480), 1999, S. 102. Zu den in der Inschrift genannten adeligen Gefallenen ist zu berücksichtigen die Augsburger Nachricht in Konrad Bollstatters Meisterlin-Bearbeitung Cgm 213, abgedruckt Alemannia 22 (1894), S. 152f., die sich ebenfalls in Bollstatters Cgm 7366 vorfindet, vgl. Jürgen Wolf, Die Sächsische Weltchronik im Spiegel ihrer Handschriften, 1997, Anhänge S. VIIf.
Nr. 67 Anm. 2 und öfter erwähnt Drös eine handschriftliche Chronik der Familie von Liebenstein auf der Burg Hornberg, die von Kurt Andermann zur Edition vorbereitet wird. Beachtung verdient in diesem Zusammenhang die besser zugängliche Überlieferung des "Liebensteinischen Stamm-Registers" um 1600 in den Liebensteinschen Akten des Helmstatt-Archivs im Generallandesarchiv Karlsruhe (69/v. Helmstatt, von mir noch benutzt mit alter Signatur 1/2/18). Diese Akten (Altsignatur 3/5/9b) enthalten ebenfalls ein Nachlaßinventar der Urkunden des Hans (d.J.) von Liebenstein, gestorben 1563 (zu ihm vgl. Nr. 276 und - im Register nicht zu finden - Nr. 251 Anm. 4). Das Epitaph eines seiner Söhne mit Ahnenwappen befindet sich übrigens in Aschaffenburg (nach Alfred E. Wolfert, Aschaffenburger Wappenbuch, 1983, S. 52f.).
Nr. 121, das Stifterinnenbild in der Oberhofenkirche, wirft schwierige Fragen auf. Eine Stellungnahme zu der von Konrad Plieninger aufgestellten Hypothese einer historisierenden Tracht der Schwestern wäre erwünscht gewesen (vgl. allgemein Klaus Graf, Retrospektive Tendenzen in der bildenden Kunst vom 14. bis zum 16. Jahrhundert, in: Mundus in imagine. Festgabe für Klaus Schreiner, 1996, S. 389-420). Was die Jahreszahl angeht, so könnte 138 durchaus zutreffend sein, denkt man etwa an die zeitliche Situierung der "Schwäbischen Chronik" des sogenannten Thomas Lirer (gedruckt Ulm 1485/86). Sie nennt als erste Jahreszahl das Jahr 104 n. Chr.
Nr. 170, 230: Erfreulich skeptisch und mit weiterführenden Resultaten äußert sich Drös zur Gestalt der Bertha von Boll. Meine eigene Ablehnung der staufischen Abkunft, erwähnt Nr. 230 Anm. 2 nach mündlicher Mitteilung, stützt sich vor allem auf eine Betrachtung der dann anzunehmenden Nahehen. Mit anderen Argumenten hat Stefan Pätzold, Die frühen Wettiner, 1997, S. 185 Anm. 213 jene Hypothese zurückgewiesen - zu Recht, wie mir nach wie vor scheint.
Nr. 274 ist das Epitaph Burgermeister/Schöfflerlin. Zu diesen Familien wären die grundlegenden Studien von Walther Ludwig heranzuziehen gewesen: Burgermeister und Schöfferlin, Esslinger Studien. Zeitschrift 25 (1986), S. 69-131 und Nachträge ebenda 26 (1987), S. 43-45.
Im Register ist Waldstetten im Ostalbkreis irrtümlich unter dem historischen Namen Oberwaldstetten eingeordnet. Leonhard Völkle (über ihn sowie über Kaspar Vogt in Nr. 459 hat Hermann Kissling, Künstler und Handwerker in Schwäbisch Gmünd, 1995, gehandelt) erscheint in Nr. 337 (nicht 387).
Abschließend bleibt zu wünschen, daß dieser rundum gelungene Band über seine wissenschaftliche Rezeption hinaus das Interesse an der Bewahrung und Dokumentation der historischen Inschriften anregen möge.
Klaus Graf
Druckfassung erschienen in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 101 (2001), S. 335-339 Online: http://swbplus.bsz-bw.de/bsz009919902rez.htm
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Die Inschriften des Landkreises Böblingen. Gesammelt und bearb. von ANNELIESE SEELIGER-ZEISS (Die Deutschen Inschriften Bd. 47). Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag 1999. XLVI, 346 S., 182 Abb., 3 Pläne, 1 Karte, € 76,-.
»Bedauerlicherweise verzichten auch neuere Veröffentlichungen der historischen, kunsthistorischen und landesgeschichtlichen Forschung zu Inschriften-Denkmälern in schon epigraphisch erforschten Gebieten und Städten gelegentlich noch immer darauf, die entsprechenden DI-Bände zu konsultieren«. Diese Anmerkung, die einem Seufzer gleicht (S. XV Anm. 22), kann ich durchaus nachvollziehen. Daher bietet das Erscheinen des vorliegenden Bandes einmal mehr Gelegenheit, nachdrücklich auf die herausragende wissenschaftliche Bedeutung der Reihe der »Deutschen Inschriften« hinzuweisen. Nicht nur Kirchenhistoriker finden hier reiches, exzellent erschlossenes Quellenmaterial.
Frau Seeliger-Zeiss hat mit gewohnter Souveränität und Sorgfalt die 422 Katalognummern bearbeitet und ausführlich kommentiert. 281 Inschriften vor 1650 sind im Original erhalten; die Zeit bis 1500 betreffen 125 Nummern. Die instruktive Einleitung bespricht die Geschichte der wichtigsten Standorte: die württembergischen Städte Leonberg, Herrenberg, Böblingen und Sindelfingen, die kleine katholische Reichsstadt Weil der Stadt sowie die evangelische Dorfkirche St. Veit im ritterschaftlichen Ort Gärtringen (S. XV-XVIII). Man wird natürlich auch über die - im Untersuchungsgebiet eher spärliche - kopiale Überlieferung, den kunstgeschichtlichen Kontext und die Schriftformen in Kenntnis gesetzt. Daß die Autorin von Haus aus Kunsthistorikerin ist, kommt vielen Katalogbeschreibungen zugute.
Zu begrüßen ist, daß ein Anhang mit 18 nicht in den Katalog aufgenommenen Inschriften (S. 287-294) beigegeben wurde. Je länger ich mit den Inschriftenbänden arbeite, um so wünschenswerter erscheint mir, daß alle Namen aus den Beschreibungen (nicht mehr nur die in den Inschriftentexten selbst enthaltenen) in das Register aufgenommen werden. Bei den Künstlern wurde das Prinzip im vorliegenden Band ja ohnehin bereits durchbrochen, da auch Zuschreibungen aufgenommen wurden. Die kundigen Erläuterungen enthalten sehr häufig weiterführende genealogische und personengeschichtlichen Angaben, die unbedingt in das Register gehören, weil sie sonst nur von demjenigen aufgefunden werden können, der das ganze Buch durchliest oder bereits einen Anhaltspunkt hat, bei welchem Namen sie erscheinen könnten. Unverständlich ist, weshalb nur eine Auswahl der Namen in Anh 16 b im Register berücksichtigt wurde. Würden die Registerrichtlinien entsprechend angepaßt, könnten die Inschriftenbände ein noch besseres landesgeschichtliches Nachschlagewerk werden.
Zur Geschichte des nachreformatorischen Umgangs mit Altertümern und Denkmälern erscheint mir das folgende Resümee zitierenswert: »Das von der württembergischen Herrschaft 1537 verordnete >Abtun der Bilder< im Zuge der Reformation führte vor allem in den Amtsstädten die Zerstörung der mittelalterlichen Inschriften herbei. Dies konnte -wie allein am Beispiel Herrenbergs durch Schriftquellen belegbar ist - sogar bildlose Grabplatten betreffen. Die Inschriften-Denkmäler des 16. und 17. Jahrhunderts sind vor allem durch die feindliche Einstellung der verantwortlichen Kirchengremien gegenüber einem gewachsenen Ensemble in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dezimiert worden. Wie es scheint, hat der Stil-Purismus führender württembergischer Architekten der Jahrhundertwende weit mehr Inschriften-Denkmäler vernichtet als die Zerstörungen während und nach dem 2.Weltkrieg-« (S.XVIII). Bekanntlich sind heute die Inschriften vor allem durch Umwelteinflüsse in ihrer Existenz bedroht. Daher mein Ceterum censeo: Alle Verantwortlichen vor Ort sollten die Arbeit der Heidelberger Inschriftenkommission aktiv fördern und auch die von dieser ausgeklammerten Inschriften nach 1650, die ja gleichfalls bedeutsame Geschiehtsquellen darstellen, fachkundig dokumentieren.
Kommentare habe ich nur zu ganz wenigen Nummern.
Nr. 92 würde ich als Fälschung von Carl Alexander von Heideloff (1789-1865) streichen, Es handelt sich um ein angebliches Altarfragment, von dem nur Beschreibungen und ein 1855 publizierter Stich Heideloffs überliefert sind. Frau Seeliger-Zeiss schließt sich etwas halbherzig den Autoren an, die darin den Mittelschrein des Herrenberger Altars von Jörg Ratgeb (Nr. 160) sehen wollen. Nachzutragen ist die von Gerhard Faix (in: Herrenberger Studien 1, 1997, S. 86-91) versuchte Ehrenrettung Heideloffs unter Heranziehung seines ungedruckten Nachlasses (S. 88). Wenn der Inschriftenband zugesteht, daß die »Rekonstruktion von Heideloff im einzelnen Mißtrauen verdient« und die Rahmenarchitektur »als ein Produkt seiner Phantasie zu werten« sei (S. 53) - mit welchem Recht wird dann die Inschrift oder die zentrale Darstellung der Maria auf der Mondsichel für authentisch gehalten? Nicht aufgefallen ist der Autorin, daß auch die angebliche Namenspatronin der Erzherzogin Mechthild - diese ist gemeinsam mit ihrem Ehemann Graf Ludwig von Württemberg auf dem Stich als Stifterin dargestellt — offenkundig eine romantische Fiktion darstellt und das Stifterpaar daher aus der Reihe der Darstellungen der württembergischen Grafen zu eliminieren ist (bei GERHARD RAFF, Hie gut Wirtemberg allewege, 1988, S. 659 abgebildet). Wo hatte Mechthild denn ihre angebliche Namenspatronin, die auf dem Bild als Benediktineräbtissin mit Heiligenschein erscheint, nachschlagen können? In Stadlers Heiligenlexikon? Die Erzherzogin hat vermutlich gar nichts von der nur lokal in Diessen verehrten seligen (nicht heiligen!) Mechthild gewußt, deren Gebeine erst 1468 erhoben wurden (Die Andechs-Meranier in Franken, 1998, S. 95). Der erwählte persönliche Schutzpatron der Erzherzogin, den man eigentlich auf einer solchen Darstellung erwarten sollte, ist gut bezeugt: es war der Apostel Andreas (JOACHIM FISCHER, in: Eberhard und Mechthild, 1994, S. 138 Anm. 115). Was bleibt dann aber außer der ikonographischen Übereinstimmung von Stiftssiegel und Heideloffs Mariendarstellung? Hätte Heideloff sich nicht auch von der Darstellung der Herrenberger Kanzel inspirieren lassen können? An anderer Stelle wird Seeliger-Zeiss deutlicher, wenn sie schreibt, daß es verwunderlich sei, daß Heideloff noch 1808 den Schrein gesehen haben will, der dem Chronisten Hess um 1750/60 »schwerlich entgangen wäre« (S. 113 Anm. 42). Daß im Schrein des Herrenberger Altars eine Mariendarstellung zu sehen war, ist durchaus plausibel - nur sollte man Heideloffs Erfindung als Argument aus dem Spiel lassen. Ein Fragezeichen ist vor diesem Hintergrund natürlich auch bei der Ofenkachel Nr. 90, die gleichfalls nur von Heideloff überliefert wird, angebracht. Ein anderes landesgeschichtlich bedeutsames Bildwerk in der Stuttgarter Stiftskirche, das in einem Werk Heideloffs 1847 abgebildet wird, wird von keinem anderen Autor erwähnt (RAFF S. 324 mit Abb. S. 664). Dieser Wappenstein zeigt die Namenspatronin der Margarethe von Savoyen, die hl. Margarethe, den Drachen zertretend. Heideloffs »Fälschungen« müßten natürlich genauer analysiert werden - hier genügt die Feststellung, daß die Herrenberger Forschung viel zu unkritisch das angeblich »getreu« wiedergegebene Bildzeugnis als Quelle retten wollte.
In einigen Nummern wird auf die »Annales Sindelfingenses« zurückgegriffen (vgl. S. XXIXf.), die nach einer 1981 im Selbstverlag veröffentlichten »Edition« von Hermann Weisert zitiert werden. Diese Ausgabe wird dem Überlieferungsbefund nicht gerecht, da sie die nur in diversen Exzerpten enthaltenen Sindelfinger Aufzeichnungen strikt chronologisch ordnet und mit gelehrten Urkundenexzerpten von Gabelkover und Rüttel vermischt. Das so entstandene Konstrukt ist wissenschaftlich kaum brauchbar und darf keinesfalls als diskutable Rekonstruktion einer »verschollenen Handschrift« aus dem Stift Sindelfingen mißverstanden werden.
Besonders bemerkenswert erscheinen mir die Nummern, die sich mit der Traditionsbildung der Schlacht bei Döffingen/Weil 1388 beschäftigen. Nr. 125 ist der um 1500 datierte Gedenkstein des am Bartholomäusabend 1388 gefallenen Anshelm Reinhart, den die Bearbeiterin als Replik eines Originals anspricht. Mit der Verwendung der frühhumanistischen Kapitalis wurde eine »archaisierende« Schriftform in den »Dienst der Traditionspflege gestellt« (S. 75). Eine wohl im 19. Jahrhundert gefertigte textile Gedenkinschrift mit einer Namensliste der (städtischen) Gefallenen, deren frühneuzeitliche (?) Vorlage sicher mit dem bis zur Säkularisation abgehaltenen jährlichen Gedenktag in den Kirchen der Stadt in Verbindung stand, ist im Anhang (Nr. 16 b) abgedruckt und führt Anshelm Reinhart an erster Stelle auf. Der am Bartholomäustag 1388, also einen Tag nach der Döffinger Schlacht - vielleicht aufgrund einer Verwundung - verstorbene Adelige Gebhard von Talheim, dessen Grabmal sich einst in der Augustinerklosterkirche befand (Nr. 37), wurde in dieses Gedenken nicht einbezogen. Daß es ein Original des Grabsteins Reinharts gegeben hat, erscheint mir durchaus nicht sicher, denn die Angabe über seine Gemahlin und deren Wappen konnte um 1500 möglicherweise auch einem Anniversar oder einer anderen Quelle entnommen werden. Vielleicht ging es damals nicht um die Wiederherstellung eines zerstörten oder beschädigten Originals, sondern um die Markierung eines Orts für das jährliche Gedenken oder um Errichtung eines »Denkmals«. Für das Selbstverständnis der Reichsstadt war diese Kommemoration jedenfalls von großer Bedeutung. »Man liest zu Weil noch ungefer / Diese histori alle Jar / Und tut noch järlich allda klagen / Die damals waren zu todt geschlagen / Dis zum gedechtnuß allda geschult. / Wie man dies järlich bey in sieht«, heißt es in einem württembergischen Gedicht auf die Schlacht von Döffingen aus dem 16. Jahrhundert (ediert von TH. FREY, in: Festschrift Georg Leyh, 1937, S. 423).
Klaus Graf
Druckfassung erschienen in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 103 (2003), S. 382-384 Online:
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Graf_Rezension_Boeblingen.pdf
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Die Inschriften des ehemaligen Landkreises Mergentheim. Gesammelt und bearbeitet von Harald Drös. Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag 2002 (Die Deutschen Inschriften Bd. 54 Heidelberger Reihe Bd. 14). LXXV, 432 S., 128 Tafeln mit über 300 Abbildungen.
Wer sich über Inschriften aus der Zeit bis 1650 in den Pfarrkirchen rund um Bad Mergentheim oder etwa im Schloß Weikersheim unterrichten möchte, findet in dem mit gewohnter Qualität erarbeiteten Band der "Deutschen Inschriften" eine akribisch kommentierte Dokumentation des vorhandenen oder aus schriftlichen Quellen erschließbaren Bestandes (421 erhaltene, 115 kopial überlieferte Inschriften, S. XXVI). Es kann nicht oft genug gerühmt werden, welchen reichen Erkenntnisschatz diese viel zu wenig bekannten Bände für die Landesgeschichte (und auch die Kirchengeschichte) bereithalten.
Die wichtigsten bearbeiteten Standorte des Altkreises Mergentheim (die weiteren Orte des 1973 gebildeten Tauberkreises wurden bereits in den Bänden 1 und 8 des Gesamtwerks erfaßt) sind: in Bad Mergentheim das Deutschordensschloß und das Münster St. Johannes d.T., in Creglingen die evangelische Stadtkirche und die Herrgottskapelle, in Weikersheim die evangelische Stadtkirche und das hohenlohische Schloß, in Niederstetten die evangelische Jakobskirche, das ehemalige Zisterzienserinnenkloster Frauental (1547 aufgehoben), in Wachbach die evangelische Pfarrkirche, in Laudenbach die Pfarrkirche St. Margareta und die Bergkirche U. L. Frau.
Epigraphiker finden kundige Angaben über die vertretenen Schriftformen (von der romanischen Majuskel bis zur Kapitalis). Leider werden die umfangreichen Ergebnisse dieser intensiven Studien zur Schriftgeschichte namentlich von Kunsthistorikern weitgehend ignoriert. Immer wieder stellt man fest, daß die inzwischen hinreichend abgesicherte Terminologie für die Bezeichnung von Inschriften unbekannt ist. Dies gilt nicht zuletzt für die "frühhumanistische Kapitalis", die man etwa auf einer in BWKG 2003, S. 35 abgebildeten Kölner Patene klar erkennt (ohne daß dort aber auf die Schriftart und die Differenz zur offenbar reinen Kapitalis des besprochenen Kelches eingegangen würde). Auch die Siegelkunde wäre gut beraten, den in den neuesten Bänden der "Deutschen Inschriften" bequem greifbaren Forschungsstand zu dieser Schrift zur Kenntnis zu nehmen. Im Sammelband "Wege zur Renaissance" (2003) spricht Toni Diederich (der führende deutsche Sphragistiker) von einer klaren Renaissance-Kapitalis in Bezug auf ein Trierer Erzbischofssiegel um 1511 (S. 332), obwohl auf der Abbildung Elemente der frühhumanistischen Kapitalis klar erkennbar sind.
Doch zurück zum Band Mergentheim! Positiv hervorzuheben ist, daß die nicht aufgenommenen Inschriften (etwa weil der Wortlaut nicht überliefert ist oder sie in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts gehören) vergleichsweise ausführlich referiert werden (S. LXX-LXXV). Streiten kann man über den Umfang der Register. Einmal mehr sei angeregt, den gesamten Namensbestand des Bandes in die Register aufzunehmen, nicht nur diejenigen Namen, die in den Inschriften selbst erscheinen.
Die folgenden Notizen zu drei Stücken können kaum einen Eindruck vom reichen Inhalt des Werks vermitteln.
Die literaturwissenschaftlich interessanteste Inschrift aus dem rund 90 Nummern umfassenden mittelalterlichen Bestand ist die lateinische Grabschrift des Gottfried von Hohenlohe-Brauneck (wohl 1368) in leoninischen Hexametern (Nr. 22). Sie ist leider nur abschriftlich überliefert in Werken des Hohenloher Historikers Johann Christian Wibel. Ihre sehr ungewöhnlichen Formulierungen stellen sie an die Seite der insbesondere von Herolden verfaßten volkssprachlichen "Ehrenreden" auf Adelige.
Nr. 57 ist das in Weikersheim befindliche Epitaph des 1452 gestorbenen Wilhelm von Rechberg zu Hohenrechberg. Biographische Notizen zu diesem schwäbischen Adeligen in brandenburgischen Diensten, Pfandherr zu Weikersheim, wären bei Stillfried/Haenle, Das Buch vom Schwanenorden, Berlin 1881, S. 192 zu finden gewesen. Rätselhaft bleibt, warum im Kommentar kein Rückverweis auf die Behandlung der rechbergischen Grabdenkmäler im Band Göppingen (DI 41) erfolgt. In der dortigen Nr. 116 wird Wilhelm als Vater Heinrichs von Rechberg zu Weißenstein erwähnt.
Ein spannendes Dokument zur "Erinnerungspolitik" ist die 1585 an der Bad Mergentheimer Wolfgangskapelle errichtete Kreuzigungsgruppe (Nr. 265). Das Kruzifix stammt vermutlich vom alten Standort eines Gedenkkreuzes auf dem Marktplatz, wo es beim Rathausneubau 1562/64 im Weg war. Dieses Gedenkkreuz war im Bauernkrieg 1525 umgestürzt oder zerstört worden. Im Revers der Stadtgemeinde vom 18. August 1525 heißt es dazu: "das steinern Creuz so auf dem Markt allhie gestanden und jetzt von uns wieder aufgerichtet ist und stehet und von alter umb unser Vorfahren Mishandlung und übelthat willen am Orden bewiesen zur Straf ufgesezt" (Bernhard Klebes, Der deutsche Orden in der Region Mergentheim im Mittelalter, Marburg 2002, S. 444, vgl. auch S. 634f.). Dies verweist auf eine Kollektivstrafe, die der Stadtgemeinde beim Aufstand der Mergentheimer Bürger 1380 auferlegt wurde. Der Deutschmeister errichtete zum "Zeichen seiner hoheitlichen Gerichtsrechte und wohl auch zur Sühne" (Klebes S. 444) das Steinkreuz auf dem Markt. An die 150 Jahre später wurde im Bauernkrieg dieses Symbol der Unterdrückung, das gleichsam als ständiger "Stachel im Fleisch" die Erinnerung an das Scheitern 1380 wachhielt, angegriffen und nach dem Sieg der Obrigkeit restituiert.
Abschließend bleibt nur, dem Bearbeiter für ein weiteres vorzügliches Buch zu danken, das, wie man der autobiographischen Anmerkung 3 zu Freudenbacher Grenzsteinen aus dem Jahr 1609 entnehmen kann, unter Einsatz von Leib und Leben zustande gekommen ist: "Eine stichprobenartige Begehung des Waldes im August 1999 wurde nach dem Zusammentreffen mit Schwarzwild unverzüglich abgebrochen" (S. 277).
Klaus Graf
Druckfassung erschienen in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 105 (2005), S. 253-255
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Die Inschriften der Stadt Pforzheim. Gesammelt und Bearbeitet von Anneliese Seeliger-Zeiss. Wiesbaden: Ludwig Reichert Verlag 2003 (Die Deutschen Inschriften Bd. 57 Heidelberger Reihe Bd. 15). LVIII, 246 S., 72 Tafeln mit ca. 170 Abbildungen
Im Chorgestühl der Pforzheimer Stiftskirche, erinnerte sich der Tübinger Theologe Jacob Herbrand (1521-1600), lag auf dem Sitz des Propstes ein Kissen, das nach 1566 als Geschenk ans Straßburger Münster abgegeben wurde. Dargestellt war ein Wolf in Mönchskutte, der einigen Gänsen predigt. "Ich will euch guitte vil fabeln sagen /Biss ich fülle den meinen kragen", hieß es auf der kuriosen Textilie. Ohne Zweifel war das ein "Kampfbild aus der Zeit der Reformationsproaganda und der altkirchlichen Verteidigung" (S. 111 Nr. 144). Dieses mustergültig von der Bearbeiterin des vorliegenden Inschriftenbandes erläuterte Beispiel mag stellvertretend für viele reformations- und konfessionsgeschichtlich aussagekräftige epigraphische Zeugnisse stehen, die sich in der ehemaligen badischen Residenz Pforzheim erhalten haben oder nur abschriftlich greifbar sind.
Von den 250 gezählten Inschriften entstammen 225 aus dem sakralen Bereich - deutlicher kann die Relevanz des Inschriftenbandes für die kirchenhistorische Forschung kaum belegt werden. Angesichts der engen Verflechtungen des Pforzheimer Raums mit dem nahegelegenen württembergischen Territorium verwundert es nicht, daß man nicht wenige Württembergica in Pforzheim antrifft. Herausgegriffen sei nur die Stiftungsinschrift des württembergischen Leibarztes Dr. Johann Widmann genannt Möchinger (1440-1524) in der evangelischen Schloßkirche (Nr. 112).
Die Erfassung der Inschriften bricht 1650 ab. Die Bearbeiterin hat sich besondere Verdienste um die genaue Rekonstruktion des großartigen Ensembles der markgräflich-badischen Grablege in der ehemaligen Stiftskirche St. Michael, mit 138 Inschriften der wichtigste Standort, erworben (S. XVIII-XXXV). Es ist daher zu kritisieren, daß ihr die in diesem Fall sinnvolle Fortführung bis 1689/93 nicht gestattet wurde (S. XIII).
Wie auch in den anderen Bänden der Reihe findet man hier wertvolle Materialien zum Thema "Memoria", sei es, daß auffällige Doppelverwendungen mittelalterlicher Grabplatten erörtert werden (S. XXVIII), sei es, daß die Gründung von Stiftskirchen in den Kontext der "Intensivierung der Totenmemoria" eingeordnet wird (S. XXV). Zur angesprochenen Hinwendung des Adels zu städtischen Grablegen seit dem 14. Jahrhundert sei nachgetragen die Arbeit von Carola Fey, Die Begräbnisse der Grafen von Sponheim, Mainz 2003, S. 40f., 356.
Mit einem besonders unerfreulichen Exempel mittelalterlichen Judenhasses beginnt der Band: Nr. 1 (akribisch kommentiert) ist die Inschrift am Steinsarg des Kindes Margareta, das 1260 angeblich einem Ritualmord zum Opfer gefallen ist und als Märtyrerin verehrt wurde. 1816 haben die Brüder Grimm aus dem Bericht der Pforzheimer Chronik von Gehres in ihren "Deutschen Sagen" mit manipulativer Redaktionstechnik eine "Volkssage" fabriziert (Nr. 353 der Erstausgabe). Solche Inschriften bildeten Fixpunkte antijüdischer Propagandaerzählungen, waren Teil einer Erinnerungs(un)kultur, mit der sich Miri Rubin in ihrem Buch "Gentile Tales" (New Haven/London 1999, ch. 6 "Violence and the trails of memory") näher auseinandergesetzt hat. Übrigens sei zur Geschichte der Randgruppen noch auf die beiden "Zigeuner"-Grabsteine (Nr. 81 von 1498, Nr. 147 von 1552) aufmerksam gemacht.
Den berühmten Pforzheimer Humanisten Johannes Reuchlin betrifft das von ihm seiner Mutter Elisabeth gesetzte Epitaph Nr. 101, das mit seiner Kapitalis-Schrift und seinem antikischen Formular profund in den Kontext weiterer humanistischer Denkmäler eingeordnet wird. Um so erstaunlicher ist, daß der Bearbeiterin die älteste, Crusius vorangehende Überlieferung unbekannt geblieben ist, obwohl in der ZWLG 23, 1964, S. 431f. oder jüngst in Walther Ludwigs Reuchlin-Nachlese (Südwestdt. Blätter für Familien- und Wappenkunde 1996, S. 444) Hinweise darauf zu finden gewesen wären. Kenner der antiken Epigraphik würden die Fundstelle sogar prominent nennen: Es handelt sich um die erste große gedruckte Sammlung lateinischer Inschriften von Apian/Amantius (Ingolstadt 1534, S. CCCCLVII, digitalisiert im Internet unter www.literature.at). Diese Zusammenstellung enthält eben nicht nur antike Stücke, sondern auch zeitgenössische antikisierende Inschriften. In diesem gedruckten Werk ist der Stein mit Kapitalisschrift und Zeilenfall wiedergegeben, begleitet von den Worten: "Ioannes Reuchlin matri suae lapidem hunc Phorcae erigi curauit in coemiterio Dominicastrorum". Hier zeigt sich (ebenso wie in der insoweit unbefriedigenden Dissertation von Martin Ott 2002 zur Geschichte der Sammlung römischer Inschriften im Humanismus) eine bedauerliche Schere zwischen der Erforschung der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Epigraphik auf der einen und der Wissenschaftsgeschichte der Archäologie bzw. antiken Epigraphik auf der anderen Seite. Zwar ist grundsätzlich bekannt (und auch dem Kommentar zu Nr. 101 zu entnehmen), daß Humanisten antike epigraphische Zeugnisse als Vorbilder für eigene Inschriften genommen haben, aber eine Zusammenschau der verstreuten Beobachtungen aus der Perspektive der Humanismusforschung steht noch aus.
Schließlich sei noch angemerkt, daß bei Nr. 146 zur Familie Lutz von Lutzenhart (ebenso bei Nr. 191, 205 zu Nüttel von Treppach) die umfangreichen genealogischen Studien von Karl Kempf in seinem Buch "Die Chronik des Christoph Lutz von Lutzenhartt aus Rottenburg" (1986, S. 182 ff.) heranzuziehen gewesen wären.
"Bedauerlicherweise erscheinen", klagt Frau Seeliger-Zeiss in einer Fußnote, "noch immer Veröffentlichungen der historischen, kunsthistorischen und landesgeschichtlichen Forschung, deren Autoren nicht von den Ergebnissen der epigraphischen Forschung Gebrauch machen, obgleich das Forschungsunternehmen der Deutschen Inschriften inzwischen 56 Bände publiziert hat" (S. XLI Anm. 157). Es bleibt zu hoffen, daß diese Ignoranz nachläßt.
Druckfassung erschienen in: Blätter für württembergische Kirchengeschichte 105 (2005), S. 255-257
#epigraphik
[Nachtrag: Zu DI 78 http://archiv.twoday.net/stories/38735546/ ]
KlausGraf - am Samstag, 6. August 2011, 15:31 - Rubrik: Hilfswissenschaften
KlausGraf meinte am 2011/08/06 18:05:
Eigentlich wären es 5
Von der Besprechung des Böblinger Bandes BWKG 103 (2003), S. 382-384 habe ich gerade keinen E-Text zur Hand. Update: Dank OCR nun ergänzt.