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Weder kann ich Türkisch noch sind meine extrem rudimentären Kenntnisse des Italienischen ausreichend, um eine ausgiebige Lektüre der offenkundig reichen Sekundärliteratur zur Eroberung von Otranto 1480 durch ein osmanisches Aufgebot aussichtsreich erscheinen zu lassen. Zudem sind nur wenige substantielle Informationen online verfügbar. Auf Anhieb ergoogelt man nur unkritische und unbelegte erbauliche Texte.

Angeblich sollen die Türken am 14. August 1480 800 Bürger, angeführt von Antonio Primaldo, hingerichtet haben, nachdem sie sich geweigert hatten, zum Islam überzutreten. Am heutigen 12. Mai hat Papst Franziskus die 800 Märtyrer von Otranto heiliggesprochen:

http://de.radiovaticana.va/news/2013/05/12/%E2%80%9Eletztlich_haben_sie_europa_gerettet...%E2%80%9C/ted-691353

Auch wenn man zugestehen muss, dass die entscheidenden Weichen sein Vorgänger gestellt hatte, so ist doch mehr als nur ein Fragezeichen hinsichtlich der Kanonisation angebracht. Über die theologische Berechtigung, eine Lebensleistung auf eine einzige Entscheidung zu reduzieren, unabhängig davon, aus welchen Motiven diese erfolgt sein mag (außer dem von Primaldo ist kein anderer Name der Märtyrer bekannt), möchte ich mich nicht auslassen. Die Heiligsprechung ist jedoch ein verhängnisvolles Signal in Richtung Islam und Türkei, zumal erhebliche Zweifel an der hagiographischen Darstellung bestehen.

Zuverlässige Informationen sucht man in den Artikeln, die die einzelnen Sprachversionen der Wikipedia den Märtyrern gewidmet haben, vergebens. Typisch ist der deutschsprachige Artikel, der durch das Unterdrücken abweichender Meinungen eklatant gegen den Neutralitäts-Grundsatz der Wikipedia verstößt. Der fromme Glaube darf gern referiert werden, aber die Zweifel der Historiker müssen ebenfalls genannt werden. Alle Weblinks sind unbrauchbar, da sie nicht auf zuverlässig belegte Quellen verweisen.

Seite „Märtyrer von Otranto“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 12. Mai 2013, 14:18 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=M%C3%A4rtyrer_von_Otranto&oldid=118434444 (Abgerufen: 12. Mai 2013, 16:13 UTC)

Immerhin wird auf das Ökumenische Heiligenlexikon verlinkt, in dem es heißt:

"Viele Geschichtsforscher sehen die Toten heute als Opfer der Kämpfe, wofür entsprechende Verletzungen an manchen Schädeln sprechen. In der Regel haben die Osmanen ihre unterworfenen christlichen Gegner nicht um ihres anderen Glaubens willen getötet, sondern gemäß Sure 9, Vers 29 des Korans mit einer besonderen Steuer - der Dschizya - belegt. 2007 wurde in Otranto ein großer Kongress zu dieser Frage abgehalten, der die Zweifel an der traditionellen Auffassung deutlich verstärkte."
http://www.heiligenlexikon.de/BiographienM/Maertyrer_von_Otranto.html

Die dort als "Quellen" angegebenen Internetlinks sind aber ebenfalls nicht zu verwenden. Eine deutliche Distanzierung von der Legende bietet der Wikipedia-Artikel über den Otranto-Feldzug. Dort liest man in einer Fußnote:

"Diese traditionelle Überlieferung wird durch neuere Forschungen massiv in Zweifel gezogen; vergleiche dazu etwa: * Hubert Houben (Hrsg.), La conquista turca di Otranto (1480) tra storia e mito. Atti del Convegno internazionale di studio Otranto - Muro Leccese, 28-31 marzo 2007", 2 Bände, Congedo, Galatina 2008, ISBN 9788880868309 und ISBN 9788880868293 "

Seite „Otranto-Feldzug“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 24. April 2013, 12:59 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Otranto-Feldzug&oldid=117857280 (Abgerufen: 12. Mai 2013, 16:20 UTC)

Trotzdem hat man eine unsäglich unkritische Darstellung von Sandro Magister als einzigen Weblink und in die Einzelnachweise aufgenommen. Interessant sind Hinweise auf der Diskussionsseite des Artikels:

http://de.wikipedia.org/wiki/Diskussion:Otranto-Feldzug

Leider kann der Wikipedianer Ruggero1 nicht mehr zu seinen Forschungen befragt werden, da er 2011 verstorben ist.

Bedauerlicherweise bleiben die Online-Rezensionen der genannten Tagungsakten von 2008 oberflächlich und werten die Ergebnisse mit Bezug auf unsere Thematik (dem "Mythos" Otranto) nicht aus:

http://www.recensio.net/rezensionen/zeitschriften/quellen-und-forschungen-aus-italienischen-archiven-und-bibliotheken/89-2009/89/ReviewMonograph549282880

http://www.sehepunkte.de/2010/04/15733.html

Nicht weniger oberflächlich ist meine folgende Linksammlung:

http://www.fondazioneterradotranto.it/2013/02/10/martiri-di-otranto-una-ferita-ancora-aperta-2/ Artikel von 2010, der auf die unterschiedlichen Interpretationen hinweist

http://books.google.de/books?id=DptVGd1bPkQC Quellenausgabe humanistischer Texte im Auszug

http://books.google.de/books?id=8tsPtfioqRIC&pg=PT104
http://books.google.de/books?id=8tsPtfioqRIC&pg=PT131 Englische Arbeit von 2005 im Auszug, Hinweise auf Quellen und Literatur (keine Seitenzahlen im Digitalisat!)

http://books.google.de/books?id=hAZXbneOJA4C&pg=PA33 Italienische Darstellung im Auszug u.a. mit Hinweis auf einen französischen Artikel in Turcica 2002

http://archive.org/stream/actasanctorum37unse#page/n215/mode/2up
Acta Sanctorum August III (Erstausgabe 1737) "De BB. martyribus Hydruntinis"
http://books.google.de/books?id=s8s-AAAAcAAJ&pg=PA179 (Erstausgabe)

http://www.unilu.ch/files/hauptseminararbeit_tuerkenbilder.pdf Seminararbeit zur Gräuelpropaganda im Fall Otranto

http://mjh.akdeniz.edu.tr/haldun-eroglu Artikel eines türkischen Historikers über den Feldzug 1480, aber im Internet unbrauchbar, da das PDF nicht alle Seiten enthält! Ohne Kennzeichnung sind alle diese PDFs der Zeitschrift nur Leseproben!

Nachträge:

https://archive.org/details/ArchivioStoricoPerLeProvinceNapolet1881 Edition von Foucard von Dokumenten aus dem Staatsarchiv Modena im Archivio storico per le province napoletane 6 (1881), S. 74-176, 609-628 (freundlicher Hinweis von Hubert Houben, mit dem ich ein Mailinterview führte, das hier bald erscheinen wird).

http://culturasalentina.files.wordpress.com/2010/09/aspettidistoriamilitarenellaguerradotranto.pdf Schrift von Scarpelle (it.) zu militärgeschichtlichen Aspekten

http://www.italiamedievale.org/sito_acim/contributi/RM-Corongiu-Maometto.pdf Aufsatz von Corongiu (ital.) über die letzten Jahre Mehmeds II.

http://emeroteca.provincia.brindisi.it/Brundisii%20Res/1978/articoli/Brindisi%20durante%20l'Invasione%20Turca%20di%20Otranto.pdf Aufsatz (ital.) über Brindisi während der Besetzung Otrantos

http://books.google.de/books?id=Cqzr0Phl9ZsC&pg=PA93 Auszug aus: Europas Grenzen (2006). Der Aufsatz von Peter Thorau über den osmanischen Einfall 1480/81 ist komplett einsehbar

http://books.google.de/books?id=QNQoCqPmZkIC&pg=PA158
http://books.google.de/books?id=QNQoCqPmZkIC&pg=PA260
Auszüge aus Bisaha 2004 (engl.) zur Quellenproblematik der 800 Märtyrer

http://books.google.de/books?id=zjFv_SkqOkcC&pg=PA302 Aufsatz über den Erzbischof Agricoli, Auszug

Eine dritte Darstellung der Märyrer in der dt. Wikipedia (neben den oben zitierten beiden anderen) ist bemerkenswert:

Seite „Otranto“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 15. Mai 2013, 16:25 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Otranto&oldid=118538845 (Abgerufen: 15. Mai 2013, 18:23 UTC)

Update 16. Mai 2013: Das Interview mit Hubert Houben bestätigt die hier geäußerten Zweifel:

http://archiv.twoday.net/stories/404099608/
=
http://frueheneuzeit.hypotheses.org/1417

Foto: Laurent Massoptier (see website: http://loloieg.free.fr ) http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/deed.it
tieferdenken (Gast) meinte am 2013/05/12 21:20:
veröffentlichte meinung
eine katholisch-kirchliche Heiligsprechung interpretiert eigene, und nicht zur Veröffentlichung gedachte Quellen, dauert sehr lange und hat idR nichts mit Internetquellen und der veröffentlichen Meinung zu tun, die die Menschheit sonst so produziert, und die einfach gesagt lautet: böse Christen, Toleranz heißt dem Islam gnädig über die Gewalt hinwegschauen, mit der über Jahrhunderte Eroberung betrieben wird - bis heute. Die Anschläge in vielen Ländern sind da nichts Neues. DAmit soll den Belzebub-Exzessen, die leider auch von Christen verübt wurden, keine Gutheißung widerfahren. Allerdings sieht man heute nur noch diese.

Beispielhaft für eine europäische und orientalische Glaubensgeschichte ist die Veränderung der Bedeutung von Martyrium - die Christen sind gestorben, die Radikalislamen morden. Selbst diese Umkehrung fällt in der heute medialisierten fast gehirmwäscheartigen Toleranzverordnung nicht auf.
Schade, dass Sie sich da einfügen, denn die Behauptungen über Christen sind meist selber höchst ungeschichtlich.
Katholische Christen müssen heute mehr denn je für ihren Glauben gerade stehen. 
 

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