Preprint (ZGO) mit Links und Ergänzungen:
[erschienen in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 161 (2013), S. 723-725]
Stephen Mossman, Nigel F. Palmer u. Felix Heinzer (Hrsg.), Schreiben und Lesen in der Stadt. Literaturbetrieb im spätmittelalterlichen Straßburg (= Kulturtopographie des alemannischen Raums, Bd. 4). Berlin, Boston: de Gruyter 2012. X, 551 S., geb. EUR 119,95 ISBN 978-3-11-030053-6
In diesem Buch wird versucht, das literarische Leben im
spätmittelalterlichen Straßburg in einzelnen Aufsätzen zu beleuchten. Es liegt nahe, die Ergebnisse am Sammelband “Literarisches Leben in Augsburg während des 15. Jahrhunderts” (1995) zu messen. Der Augsburger Band war nicht ganz so umfangreich, aber um einiges gehaltvoller. Es fehlt schon an einer Einleitung, wie sie damals Johannes Janota auf sieben Seiten gab, die einzelnen Beiträge verbindend und zusammenfassend. Die Herausgeber des jetzigen Bandes vermitteln mit ihrer Zusammenstellung den Eindruck, als sei der hochspezialisierte Forschungsbeitrag das einzige, was zählt und jede Art von Synthese, die wenigstens holzschnittartig die Rahmenbedingungen (Handschriftenproduktion, Buchdruck) im 14. und 15. Jahrhundert porträtieren würde, entbehrlich. Eine fleißige Materialsammlung zum geistigen Leben in Straßburg hatte Nobert Warken in seiner Dissertation “Mittelalterliche Geschichtsschreibung in Straßburg” (1995) vorgelegt. Daran hätte man anknüpfen können.
Die Summe der Aufsätze macht einen zusammengewürfelten Eindruck. Es ist fast nur die geistliche Literatur vertreten. Als Alibi-Beiträge sind vorhanden: eine Studie zu einer Twinger-Handschrift und -offenbar Humanismus und Buchdruck repräsentierend - ein Beitrag von Nikolaus Henkel zu den Holzschnitten in der Vergil-Ausgabe (1502) von Sebastian Brant. Nicht weniger beliebig ist die Einbeziehung von Charlotte A. Stanfords Versuch, zwei Grabdenkmale im Straßburger Münster aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit dem Memoria-Konzept zu interpretieren.
Nicht nachvollziehbar ist die Anordnung der Beiträge. Wieso wurden die beiden letzten Fallstudien zum Grünen Wörth durch einen Block anderer Beiträge vom Schwerpunktthema “Geistliche Literatur” getrennt?
Meistens geht es um deutschsprachige geistliche Handschriften des 15. Jahrhunderts. Wieso das 14. Jahrhundert, also vor allem der so
bedeutende Überlieferungskomplex Rulman Merswin, usgeklammert wurde, erfährt man leider nicht. Sinnvollerweise wird die Ausrichtung auf das 15. Jahrhundert unterstützt von einem einleitenden geschichtswissenschaftlichen Beitrag von Sigrid Hirbodian über den Zusammenhang von Dominikanerinnenreform und Familienpolitik und von den Ausführungen Sabine Klapps zum Verwaltungsschriftgut (“pragmatische Schriftlichkeit”) der Straßburger Frauenklöster vor allem anhand der Rechnungsüberlieferung, wobei es womöglich genützt hätte, entsprechende Resultate des genannten Augsburger Sammelbands
zur Kenntnis zu nehmen. Eher randständig sind Aufsätze zum
Gottesurteil der hl. Richgard vor allem anhand der Erzählung Jakob
Twingers (Racha Kirakosian), zur Verehrung der hl. Odilia (Peter
Rückert) und ein Auszug aus dem Statuten für das Frauenstift Hohenburg von 1444 zur Küsterin, den Sabine Klapp und Peter Rückert edieren. An dieser Stelle ist auch “Du bist den Rin herabe geflossen. Topographical Metaphors and Interior Geography in the Sermons of Johannes Tauler” von Annette Volfing zu nennen, da es darin ebenfalls nicht um Handschriftenbefunde geht.
Über 20 Jahre nach Abschluss seiner Wiener Dissertation (1990) über das Gnadenleben der Offenburger Begine Gertrud von Ortenberg hat Hans Derkits immer noch keine gedruckte Ausgabe des faszinierenden Textes vorgelegt. Martina Backes, die Straßburg aus der Perspektive dieser mystischen Vita behandelt, zitiert daher nach der einzigen Brüsseler Handschrift. Kodikologisch gewohnt detailliert sichtet Balázs J. Nemes die insgesamt zehn Handschriften mit Werken Meister Eckharts im Straßburger Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in undis. Beigegeben
sind (S. 75-93) Handschriftenbeschreibungen, die meines Erachtens
sinnvollerweise ins Internet gehören, wo sie in angemessener Weise mit Links zu Digitalisaten und weiteren Internetquellen (wie dem
Handschriftencensus) versehen werden können. Überlieferungsvariationen (“mouvance”) in mystischen Liedern aus Straßburg nimmt sich Almut Suerbaum vor. Um die (Wort-)Illustrationen im sogenannten “Gebetbuch der Ursula Begerin”, gefertigt in Straßburg ca. 1380-1410 (Burgerbibliothek Bern, Cod. 801), geht es dem Kunsthistoriker Jeffrey F. Hamburger.
“Antonius der Einsiedler trifft Caesarius von Heisterbach”, überschreibt Monika Studer ihre Studien zur gemeinsamen Überlieferung von Exempla aus den “Alemannischen Vitaspatrum” und dem “Dialogus miraculorum”. Was über den “Reformbezug” der Straßburger Handschriften ausgeführt wird, ist doch recht hypothetisch und ignoriert - wie in der Germanistik nicht selten - die im Augsburger Band von 1995 erhobenen Bedenken.
“Networking” nennt Anne Winston-Allen die ordensübergreifende
Zusammenarbeit bei der Handschriftenillustration in reformierten
Frauenkonventen am Ende des 15. Jahrhunderts. Es geht vor allem um die Handschriftengruppe rund um die Klarissin Sibilla von Bondorf, mit der sich die Autorin schon in der “Kulturtopographie des alemannischen Raums 1" 2009 auseinandergesetzt hatte, ohne dass man dies freilich dem neuen Anlauf entnehmen kann.
Zwei umfangreiche wertvolle Beiträge widmen sich dem berühmten, von Rulman Merswin im 14. Jahrhundert gegründeten Johanniterhaus zum Grünen Wörth. Barbara Fleith hat aber als Thema das weniger bekannte 15. Jahrhundert. Sie wertet nicht nur die historische Überlieferung und insbesondere eines der Nekrologien aus, sondern beschäftigt sich auch mit literarischen Aktivitäten. Bei dem Augsburger Humanisten Sigismund Gossembrot, der sich “von seiner sel sälikeit wegen” in das
Straßburger Ordenshaus zurückzog, hätte ein Verweis auf den nun schon mehrfach genannten Augsburger Sammelband (siehe dort das Register, S. 366) ebenfalls nicht geschadet. Ergänzen möchte ich, dass sich Graf Heinrich von Württemberg 1484 kurz im Johanniterhaus aufhielt (vgl. Württemberg und Mömpelgard, 1999, S. 111). Anhand von Berlin mgq 182
(um 1430) als Leithandschrift bieten Stephen Mossmann und Nigel Palmer eine Edition (S. 500-508) der “Hoheliedpredigt” des Johanniters Ulrich vom Grünen Wörth. Sie vermuten im Verfasser den am 5. Juni 1427 gestorbenen Ulrich von Kirchheim (S. 486).
Einen spannenden Neufund zur Twinger-Überlieferung präsentiert Michael Schmidt vom Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters. Die im 17. Jahrhundert von dem Straßburger Sammler Balthasar Ludwig Künast besessene Handschrift der deutschen Chronik Jakob Twingers von Königshofen befindet sich heute in Washington (National Gallery of Art), Einzelblätter ebenda und in Berlin. Die ältesten Lagen gehören noch dem letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts an, glaubt man den Wasserzeichen. Um 1493 wurde dieser ältere Bestand mit qualitätvollen Illustrationen zu einem “Hausbuch” des
Niederadeligen Hans von Hungerstein (um 1460-1503), der mit Agatha Reif aus Straßburger Patriziat verheiratet war, "aufgepeppt”. Hungerstein schrieb eigenhändig Einschübe und Nachträge, darunter auch autobiographische Aufzeichnungen über den Waldshuterkrieg 1468, an dem der Niederadelige im Alter von acht Jahren (also als “Kindersoldat”) teilnahm. Die Handschrift enthält aber auch Texte zu den Burgunderkriegen. Dass Schmidt auf die älteren Zusammenstellungen von Frieder Schanze verweist, nicht aber auf die von mir seit Anfang 2009 bearbeitete überlieferungsgeschichtliche Online-Quellenkunde zu den
Burgunderkriegen ( http://de.wikisource.org/wiki/Burgunderkriege ) - ebensowenig wie auf meinen Artikel im Killy Literaturlexikon (Bd. 6, 2009) - erscheint mir nicht sonderlich redlich. In meiner Quellenkunde verweise ich auf Straßburger Aufzeichnungen im Kontext von Twinger-Handschriften, während man bei Schmidt eine Einordnung des Zeugnisses in denjenigen Zweig der Twinger-Überlieferung, der als Straßburger Weiterführung des Werks gelten kann, vermisst. Hier wie in anderen Beiträgen des Bandes mangelt es an der Einordnung in den größeren Zusammenhang des Straßburger Geisteslebens. Mein eigener Twinger-Census steht derzeit bei 95 Handschriften, von denen freilich nicht alle erhalten sind ( http://archiv.twoday.net/stories/410259401/ ). Besonders schmerzhaft ist, dass die mit wichtigen Straßburger Zusätzen aus dem Ende des 15. Jahrhunderts versehene Handschrift der Bibliotheca Türkheimiana in Altdorf ( http://archiv.twoday.net/stories/342793721/ ), die von Schmidt
nicht erwähnt wird, verschollen ist. Auch die viel zu wenig bekannte
Arbeit von Christian Pfister: Les manuscrits allemands de la
Bibliothéque Nationale relatifs à l'histoire d'Alsace (1893) zu zwei
Twinger-Handschriften in Paris übergeht Schmidt.
Erfreulicherweise sind dem Band umfangreiche Register (Namen,
Personen, Werke, Orte und Handschriften) beigegeben. Weniger
erfreulich ist die Abbildungsqualität, die bei einem so teuren Band
besser sein müsste. Angesichts der mangelnden Geschlossenheit der
Sammlung leuchtet mir nicht ein, wieso unbedingt ein gedrucktes Werk vorgelegt werden musste. Ein Sammelband sollte etwas anderes sein als ein Konglomerat isolierter Detailuntersuchungen.
***
Inhaltsverzeichnis des Bandes:
http://www.degruyter.com/viewbooktoc/product/186017
Amazon: Blick ins Buch
http://www.amazon.de/b%C3%BCcher/dp/3110300532
Auszüge bei Google
http://books.google.de/books?id=2rIitlmQpgsC
Autorenfassung des Beitrags Nemes bei academia.edu
Zur Twinger-Handschrift in Washington:
http://www.handschriftencensus.de/22752
Dort nicht berücksichtigt die 4 Bilder (9 Helden; Maximilian) auf der Website der National Gallery:
http://www.nga.gov/content/ngaweb/Collection/artist-info.9804.html
Da die 9 Helden in Washington zoombar sind, erübrigt sich ein Rückgriff auf die Abbildungen der Günther-Kataloge. FN sei trotzdem für die Übermittlung von Scans gedankt. Die Bilder zum Beitrag von Schmidt findet man bei Google und/oder Amazon. Die aus Amazon entnommene Kreuzigungsdarstellung mit Stifterfamilie Hungerstein, die in Washington ohne Bild ist, siehe unten.
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hungerstein_chronik_washington.jpg
[erschienen in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 161 (2013), S. 723-725]
Stephen Mossman, Nigel F. Palmer u. Felix Heinzer (Hrsg.), Schreiben und Lesen in der Stadt. Literaturbetrieb im spätmittelalterlichen Straßburg (= Kulturtopographie des alemannischen Raums, Bd. 4). Berlin, Boston: de Gruyter 2012. X, 551 S., geb. EUR 119,95 ISBN 978-3-11-030053-6
In diesem Buch wird versucht, das literarische Leben im
spätmittelalterlichen Straßburg in einzelnen Aufsätzen zu beleuchten. Es liegt nahe, die Ergebnisse am Sammelband “Literarisches Leben in Augsburg während des 15. Jahrhunderts” (1995) zu messen. Der Augsburger Band war nicht ganz so umfangreich, aber um einiges gehaltvoller. Es fehlt schon an einer Einleitung, wie sie damals Johannes Janota auf sieben Seiten gab, die einzelnen Beiträge verbindend und zusammenfassend. Die Herausgeber des jetzigen Bandes vermitteln mit ihrer Zusammenstellung den Eindruck, als sei der hochspezialisierte Forschungsbeitrag das einzige, was zählt und jede Art von Synthese, die wenigstens holzschnittartig die Rahmenbedingungen (Handschriftenproduktion, Buchdruck) im 14. und 15. Jahrhundert porträtieren würde, entbehrlich. Eine fleißige Materialsammlung zum geistigen Leben in Straßburg hatte Nobert Warken in seiner Dissertation “Mittelalterliche Geschichtsschreibung in Straßburg” (1995) vorgelegt. Daran hätte man anknüpfen können.
Die Summe der Aufsätze macht einen zusammengewürfelten Eindruck. Es ist fast nur die geistliche Literatur vertreten. Als Alibi-Beiträge sind vorhanden: eine Studie zu einer Twinger-Handschrift und -offenbar Humanismus und Buchdruck repräsentierend - ein Beitrag von Nikolaus Henkel zu den Holzschnitten in der Vergil-Ausgabe (1502) von Sebastian Brant. Nicht weniger beliebig ist die Einbeziehung von Charlotte A. Stanfords Versuch, zwei Grabdenkmale im Straßburger Münster aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit dem Memoria-Konzept zu interpretieren.
Nicht nachvollziehbar ist die Anordnung der Beiträge. Wieso wurden die beiden letzten Fallstudien zum Grünen Wörth durch einen Block anderer Beiträge vom Schwerpunktthema “Geistliche Literatur” getrennt?
Meistens geht es um deutschsprachige geistliche Handschriften des 15. Jahrhunderts. Wieso das 14. Jahrhundert, also vor allem der so
bedeutende Überlieferungskomplex Rulman Merswin, usgeklammert wurde, erfährt man leider nicht. Sinnvollerweise wird die Ausrichtung auf das 15. Jahrhundert unterstützt von einem einleitenden geschichtswissenschaftlichen Beitrag von Sigrid Hirbodian über den Zusammenhang von Dominikanerinnenreform und Familienpolitik und von den Ausführungen Sabine Klapps zum Verwaltungsschriftgut (“pragmatische Schriftlichkeit”) der Straßburger Frauenklöster vor allem anhand der Rechnungsüberlieferung, wobei es womöglich genützt hätte, entsprechende Resultate des genannten Augsburger Sammelbands
zur Kenntnis zu nehmen. Eher randständig sind Aufsätze zum
Gottesurteil der hl. Richgard vor allem anhand der Erzählung Jakob
Twingers (Racha Kirakosian), zur Verehrung der hl. Odilia (Peter
Rückert) und ein Auszug aus dem Statuten für das Frauenstift Hohenburg von 1444 zur Küsterin, den Sabine Klapp und Peter Rückert edieren. An dieser Stelle ist auch “Du bist den Rin herabe geflossen. Topographical Metaphors and Interior Geography in the Sermons of Johannes Tauler” von Annette Volfing zu nennen, da es darin ebenfalls nicht um Handschriftenbefunde geht.
Über 20 Jahre nach Abschluss seiner Wiener Dissertation (1990) über das Gnadenleben der Offenburger Begine Gertrud von Ortenberg hat Hans Derkits immer noch keine gedruckte Ausgabe des faszinierenden Textes vorgelegt. Martina Backes, die Straßburg aus der Perspektive dieser mystischen Vita behandelt, zitiert daher nach der einzigen Brüsseler Handschrift. Kodikologisch gewohnt detailliert sichtet Balázs J. Nemes die insgesamt zehn Handschriften mit Werken Meister Eckharts im Straßburger Dominikanerinnenkloster St. Nikolaus in undis. Beigegeben
sind (S. 75-93) Handschriftenbeschreibungen, die meines Erachtens
sinnvollerweise ins Internet gehören, wo sie in angemessener Weise mit Links zu Digitalisaten und weiteren Internetquellen (wie dem
Handschriftencensus) versehen werden können. Überlieferungsvariationen (“mouvance”) in mystischen Liedern aus Straßburg nimmt sich Almut Suerbaum vor. Um die (Wort-)Illustrationen im sogenannten “Gebetbuch der Ursula Begerin”, gefertigt in Straßburg ca. 1380-1410 (Burgerbibliothek Bern, Cod. 801), geht es dem Kunsthistoriker Jeffrey F. Hamburger.
“Antonius der Einsiedler trifft Caesarius von Heisterbach”, überschreibt Monika Studer ihre Studien zur gemeinsamen Überlieferung von Exempla aus den “Alemannischen Vitaspatrum” und dem “Dialogus miraculorum”. Was über den “Reformbezug” der Straßburger Handschriften ausgeführt wird, ist doch recht hypothetisch und ignoriert - wie in der Germanistik nicht selten - die im Augsburger Band von 1995 erhobenen Bedenken.
“Networking” nennt Anne Winston-Allen die ordensübergreifende
Zusammenarbeit bei der Handschriftenillustration in reformierten
Frauenkonventen am Ende des 15. Jahrhunderts. Es geht vor allem um die Handschriftengruppe rund um die Klarissin Sibilla von Bondorf, mit der sich die Autorin schon in der “Kulturtopographie des alemannischen Raums 1" 2009 auseinandergesetzt hatte, ohne dass man dies freilich dem neuen Anlauf entnehmen kann.
Zwei umfangreiche wertvolle Beiträge widmen sich dem berühmten, von Rulman Merswin im 14. Jahrhundert gegründeten Johanniterhaus zum Grünen Wörth. Barbara Fleith hat aber als Thema das weniger bekannte 15. Jahrhundert. Sie wertet nicht nur die historische Überlieferung und insbesondere eines der Nekrologien aus, sondern beschäftigt sich auch mit literarischen Aktivitäten. Bei dem Augsburger Humanisten Sigismund Gossembrot, der sich “von seiner sel sälikeit wegen” in das
Straßburger Ordenshaus zurückzog, hätte ein Verweis auf den nun schon mehrfach genannten Augsburger Sammelband (siehe dort das Register, S. 366) ebenfalls nicht geschadet. Ergänzen möchte ich, dass sich Graf Heinrich von Württemberg 1484 kurz im Johanniterhaus aufhielt (vgl. Württemberg und Mömpelgard, 1999, S. 111). Anhand von Berlin mgq 182
(um 1430) als Leithandschrift bieten Stephen Mossmann und Nigel Palmer eine Edition (S. 500-508) der “Hoheliedpredigt” des Johanniters Ulrich vom Grünen Wörth. Sie vermuten im Verfasser den am 5. Juni 1427 gestorbenen Ulrich von Kirchheim (S. 486).
Einen spannenden Neufund zur Twinger-Überlieferung präsentiert Michael Schmidt vom Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters. Die im 17. Jahrhundert von dem Straßburger Sammler Balthasar Ludwig Künast besessene Handschrift der deutschen Chronik Jakob Twingers von Königshofen befindet sich heute in Washington (National Gallery of Art), Einzelblätter ebenda und in Berlin. Die ältesten Lagen gehören noch dem letzten Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts an, glaubt man den Wasserzeichen. Um 1493 wurde dieser ältere Bestand mit qualitätvollen Illustrationen zu einem “Hausbuch” des
Niederadeligen Hans von Hungerstein (um 1460-1503), der mit Agatha Reif aus Straßburger Patriziat verheiratet war, "aufgepeppt”. Hungerstein schrieb eigenhändig Einschübe und Nachträge, darunter auch autobiographische Aufzeichnungen über den Waldshuterkrieg 1468, an dem der Niederadelige im Alter von acht Jahren (also als “Kindersoldat”) teilnahm. Die Handschrift enthält aber auch Texte zu den Burgunderkriegen. Dass Schmidt auf die älteren Zusammenstellungen von Frieder Schanze verweist, nicht aber auf die von mir seit Anfang 2009 bearbeitete überlieferungsgeschichtliche Online-Quellenkunde zu den
Burgunderkriegen ( http://de.wikisource.org/wiki/Burgunderkriege ) - ebensowenig wie auf meinen Artikel im Killy Literaturlexikon (Bd. 6, 2009) - erscheint mir nicht sonderlich redlich. In meiner Quellenkunde verweise ich auf Straßburger Aufzeichnungen im Kontext von Twinger-Handschriften, während man bei Schmidt eine Einordnung des Zeugnisses in denjenigen Zweig der Twinger-Überlieferung, der als Straßburger Weiterführung des Werks gelten kann, vermisst. Hier wie in anderen Beiträgen des Bandes mangelt es an der Einordnung in den größeren Zusammenhang des Straßburger Geisteslebens. Mein eigener Twinger-Census steht derzeit bei 95 Handschriften, von denen freilich nicht alle erhalten sind ( http://archiv.twoday.net/stories/410259401/ ). Besonders schmerzhaft ist, dass die mit wichtigen Straßburger Zusätzen aus dem Ende des 15. Jahrhunderts versehene Handschrift der Bibliotheca Türkheimiana in Altdorf ( http://archiv.twoday.net/stories/342793721/ ), die von Schmidt
nicht erwähnt wird, verschollen ist. Auch die viel zu wenig bekannte
Arbeit von Christian Pfister: Les manuscrits allemands de la
Bibliothéque Nationale relatifs à l'histoire d'Alsace (1893) zu zwei
Twinger-Handschriften in Paris übergeht Schmidt.
Erfreulicherweise sind dem Band umfangreiche Register (Namen,
Personen, Werke, Orte und Handschriften) beigegeben. Weniger
erfreulich ist die Abbildungsqualität, die bei einem so teuren Band
besser sein müsste. Angesichts der mangelnden Geschlossenheit der
Sammlung leuchtet mir nicht ein, wieso unbedingt ein gedrucktes Werk vorgelegt werden musste. Ein Sammelband sollte etwas anderes sein als ein Konglomerat isolierter Detailuntersuchungen.
***
Inhaltsverzeichnis des Bandes:
http://www.degruyter.com/viewbooktoc/product/186017
Amazon: Blick ins Buch
http://www.amazon.de/b%C3%BCcher/dp/3110300532
Auszüge bei Google
http://books.google.de/books?id=2rIitlmQpgsC
Autorenfassung des Beitrags Nemes bei academia.edu
Zur Twinger-Handschrift in Washington:
http://www.handschriftencensus.de/22752
Dort nicht berücksichtigt die 4 Bilder (9 Helden; Maximilian) auf der Website der National Gallery:
http://www.nga.gov/content/ngaweb/Collection/artist-info.9804.html
Da die 9 Helden in Washington zoombar sind, erübrigt sich ein Rückgriff auf die Abbildungen der Günther-Kataloge. FN sei trotzdem für die Übermittlung von Scans gedankt. Die Bilder zum Beitrag von Schmidt findet man bei Google und/oder Amazon. Die aus Amazon entnommene Kreuzigungsdarstellung mit Stifterfamilie Hungerstein, die in Washington ohne Bild ist, siehe unten.
http://commons.wikimedia.org/wiki/File:Hungerstein_chronik_washington.jpg
KlausGraf - am Montag, 10. Juni 2013, 23:12 - Rubrik: Landesgeschichte
Nigel Palmer (Gast) meinte am 2013/06/11 12:12:
Pensionierrt
Nigel Palmer (Gast) meinte am 2013/06/11 12:23:
Schreiben und Lesen in der Stadt
Lieber StephenVielen Dank für den Link auf die Rezension des Strassburger Bandes, die mir sonst entgangen wäre. Man mag zwar vieles, das er hervorhebt so sehen, wenn man will, aberIch muss gestehen, dass ich den Ton ungeheuer arrogant finde - und es ist doch eigentlich unerträglich, wie er immer wieder auf die eigenen Publikationen hinweist. So bringt man die eigene Fachdisziplin nur in Verruf. Ich versuche immer wieder die englischen Kollegen von dem hohen Niveau der deutschen Geisteswissenschaften zu überzeugen: und dann kommt so was dazwischen! Aber trotzdem eine sehr willkommene Reklame für den Band: Ich habe einmal einen sehr teueren Band nur deswegen von gekauft, weil er von Herrn Graf so schlecht rezensiert wurde, mehr oder weniger als Protest! Ich wundere mich übrigens, dass eine solche Rezension erscheint, ohne dass ein Herausgeber, der nicht mit dem Rezensenten identisch ist, dazwischen steht. Das wäre bei den englischen Zeitschriften, an denen ich beteiligt bin, vollkommen unmöglich.
Nigel
ladislaus (Gast) antwortete am 2013/06/11 13:58:
Ist halt schon doof, lieber Nigel, wenn man ein Blog nicht von einer Zeitschrift unterscheiden kann und eine Kommentarspalte nicht von einem E-Mail-Programm.
Claudine (Gast) antwortete am 2013/06/11 14:39:
Schon mal daran gedacht,
dass es Absicht war. Ist doch durchaus gut, wenn KG mal den Spiegel vorgehalten bekommt. Ernst nehmen kann man seine Rezensionen bei Archivalia aufgrund der bekannt unsachlichen Polemik ohnehin kaum.
KlausGraf antwortete am 2013/06/11 15:29:
Unsachliche Polemik?
Was ist denn daran bitte unsachlich, wenn ein paar Punkte, die man Studierenden verübelt, deutlich und pointiert angesprochen werden: Dass man Befunde in einen größeren Zusammenhang einzuordnen hat und relevante frühere Forschungsliteratur zur Kenntnis zu nehmen hat.Vergleichen wir doch einmal die Titel von Bd. 1 der Reihe und Bd. 4. Großspuriger gehts ja eigentlich nicht mehr: Schreiben und Lesen in der (womöglich okzidentalen) Stadt, Untertitel nicht etwa “Aspekte zu” oder “Beiträge zu”, sondern “Literaturbetrieb im spätmittelalterlichen Strassburg”. Und dann nimmt man ein paar Leute, von denen man weiß, dass sie etwas zu Straßburg machen können, organisiert eine Tagung und druckt das Ganze. Ich erwarte dann aber, dass sich jemand die Mühe macht, die einzelnen Beiträge zu vernetzen und wenigstens in Form eines Forschungsberichts über den Literaturbetrieb im spätmittelalterlichen Strassburg, der ja nicht nur die geistliche Literatur betraf, die über Gebühr im Vordergrund steht, unterrichtet.
Herbert (Gast) antwortete am 2013/06/13 13:47:
Niveau ist Ansichtssache
Lieber Nigel,nehmen wir mal an, es gäbe ein besseres Niveau (zB. in dem berühmten Elfenbeinturm?) , dann können ja dessen Bewohner eine Rezension üblichen Stils schreiben, die sich meiner Kenntnis daran orientiert, wieder auf den nächsten Kongress eingeladen werden zu wollen.
KlausGraf meinte am 2014/08/07 01:34:
Mgq 182 ist online
http://www.handschriftencensus.de/4466