Als ich vor rund 15 Jahren nach den frühesten Belegen des Worts Raubritter suchte, herrschte in der einschlägigen historischen Literatur zum spätmittelalterlichen Raubrittertum die irrige Ansicht vor, der im Grimmschen Wörterbuch gegebene Beleg aus Friedrich Chr. Schlossers Weltgeschichte 1847 sei der Erstbeleg. Ich konnte darauf hinweisen, dass bereits in den Deutschen Sagen der Brüder Grimm (1816/18) Raubritter vorkommen und fand noch einen etwas älteren Beleg in Gottschalcks Ritterburgen Bd. 1, 1810 (ZGO 141, 1993, S. 137f.). Wenig später entdeckte ich "Raubritter" im Titel eines 1799 erschienenen Ritterromans "Der Raubritter mit dem Stahlarme", der im Jahr 1800 in der "Neuen Allgemeinen Deutschen Bibliothek" verrissen wurde (ein Exemplar dieses Buchs ist anscheinend nicht erhalten). 1997 veröffentlichte ich diesen Fund in Kurt Andermanns Sammelband "Raubritter" oder "Rechtschaffene vom Adel", S. 179f. Die Rezension, die den Roman mit dem knappen Verdikt "scheint im Tollhause geschrieben" abtut, aus dem Jahr 1800 ist inzwischen online:
in Bielefeld und bei
Google Book Search.
In einem Internetforum 2004 wurde zu diesem Roman auf eine Wiener Diplomarbeit verwiesen, der zu entnehmen war, dass der Titel des Ritterromans bereits in der Wiener Zeitung vom 29. September 1798 angekündigt wurde. Ich nahm diese Information in meinen Aufsatz "... ein stattlicher schwäbischer Ritter, kühn und tapfer..." Johann Gottfried Pahls Ritterroman "Ulrich von Rosenstein" (Basel 1795) im Internet. In: einhorn-Jahrbuch Schwäbisch Gmünd 2005, S. 115-128 auf. Sie ist auch im (ansonsten schlechten) Raubritter-Artikel der Wikipedia nachlesbar.
Inzwischen bietet Google Book Search durch seine Volltexterschließung grandiose neue Suchmöglichkeiten für die begriffsgeschichtliche Forschung. Durch die Volltextsuche in Verbindung mit der Zeiteingrenzung kann man sich etwa darüber informieren, wo vor 1850 in den bei Google erfassten Büchern der Begriff Raubritter auftritt:
Suche
Es sind allerdings zwei Einschränkungen zu machen:
(1) Die von Google der Suche zugrundegelegte Datierung ist in jedem Fall zu überprüfen, da nicht selten eine fehlerhafte Einordnung vorliegt. Beispielsweise stammt ein für die "Frankfurter Dramaturgie" 1781 gefundener Beleg aus den Anmerkungen des Nachworts des (nicht gekennzeichneten) Nachdrucks.
(2) Bei Frakturschriften ist die Texterkennung durch Google so gut wie unbrauchbar. Bestimmte Worte, die in Frakturschrift wenig von Antiqua-Formen abweichen, können aber im Einzelfall trotzdem erkannt werden. Dazu gehört anscheinend Raubritter, denn Google weist mehrere Belege aus Frakturdrucken nach, obwohl der Rest der Seite inakzeptable OCR bietet.
So auch hier:
"fie geflanb 91е(ф ben eaitjfit
QSorfall, erjagte, roie n?ir ade lebten, unb bag »ir
Raubritter гоДгеп" (in dem Satz ist nur ein einziges Wort richtig gelesen, die korrekte Wiedergabe siehe unten).
Durch die Google-Book-Search-Suche konnte das Wort Raubritter nun knapp 20 früher als bislang bekannt in der deutschen Literatur nachgewiesen werden.
http://books.google.com/books?id=0SosAAAAMAAJ&pg=RA1-PA164
sie gestand gleich den ganzen Vorfall, erzählte, wie wir alle lebten, und daß wir Raub-Ritter wären heisst es in der Übersetzung des Schelmenromans
"Historia de la vida del Buscón" bzw. "Historia del gran Tacaño" (1626) von Francisco de Quevedo die in dem von Friedrich Justin Bertuch (dem Weimarer Verleger, damals noch im Staatsdienst) herausgegebenen Magazin der Spanischen und Portugiesischen Literatur Bd. 2, Dessau 1781 abgedruckt wurde (Seite 164). Im Internet wird als Übersetzer der Weimarer Romanist und Bibliothekssekretär Ernst August Schmid (1746-1809) genannt (was zu überprüfen wäre).
Die hübsche Pointe, dass der Erstbeleg für Raubritter sich im Titel eines trivialen Ritterromans findet, ist perdu (es sei denn, man differenziert zwischen Raub-Ritter und Raubritter). Niemand hätte durch systematische Suche in den unzähligen Büchern, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gedruckt wurden, die Verwendung bereits 1781 herausfinden können. Es steht zu erwarten, dass in den kommenden Jahren durch Google Book Search oder andere (freie oder lizenzpflichtige) Digitalisierungsprojekte mit Schrifterkennung weitere frühe Raubritter-Belege aufgefunden werden können.
Da der Pikaro-Roman ein Klassiker der spanischen Literatur ist, findet man die spanische Vorlage als freies E-Book im Netz (PDF). Die spanische Vorlage des zitierten Satzes lautet:
"Confesó luego todo el caso y dijo cómo
vivíamos todos y que éramos caballeros de rapiña." Raub-Ritter steht also für "caballeros de rapiña".
Cervantes Virtual hält ein (natürlich zitierfähiges) Faksimile der Erstausgabe Zaragoza 1626 bereit, in dem es auf fol. 56r "cavalleros de rapiña" heisst (Link)
Auch diese Verifizierung wäre ohne die E-Texte und Digitalisate des Internets nicht möglich gewesen. Es ließen sich am Bildschirm innerhalb weniger Stunden die wichtigsten Fakten zum Kontext des Belegs von 1781 recherchieren. Für die Frage der Verfasserschaft der Übersetzung muss allerdings eine gedruckte Quelle überprüft werden.
UPDATE 5.10.2008
Das Werk von 1781 ist nach wie vor online, der Raubritter-Beleg wird aber in Google Book Search nicht mehr gefunden. Offenbar hat man die OCR ausgetauscht - gegen eine ebenso schlechte, die aber Raubritter nicht mehr erkennt:
" raie wir alle lebten, Staub i «Ritter rearen"
UPDATE 4.5.2009
Der Beleg von 1781 wird wieder gefunden; außerdem zähle ich aus der Zeit vor 1800 sechs Belege, davon drei aus Ritterromanen.
http://tinyurl.com/dhlag2
UPDATE 3.3.2012
Kurt Andermann fand einen Beleg 1672
http://archiv.twoday.net/stories/18118553/ (2011)
#forschung
in Bielefeld und bei
Google Book Search.
In einem Internetforum 2004 wurde zu diesem Roman auf eine Wiener Diplomarbeit verwiesen, der zu entnehmen war, dass der Titel des Ritterromans bereits in der Wiener Zeitung vom 29. September 1798 angekündigt wurde. Ich nahm diese Information in meinen Aufsatz "... ein stattlicher schwäbischer Ritter, kühn und tapfer..." Johann Gottfried Pahls Ritterroman "Ulrich von Rosenstein" (Basel 1795) im Internet. In: einhorn-Jahrbuch Schwäbisch Gmünd 2005, S. 115-128 auf. Sie ist auch im (ansonsten schlechten) Raubritter-Artikel der Wikipedia nachlesbar.
Inzwischen bietet Google Book Search durch seine Volltexterschließung grandiose neue Suchmöglichkeiten für die begriffsgeschichtliche Forschung. Durch die Volltextsuche in Verbindung mit der Zeiteingrenzung kann man sich etwa darüber informieren, wo vor 1850 in den bei Google erfassten Büchern der Begriff Raubritter auftritt:
Suche
Es sind allerdings zwei Einschränkungen zu machen:
(1) Die von Google der Suche zugrundegelegte Datierung ist in jedem Fall zu überprüfen, da nicht selten eine fehlerhafte Einordnung vorliegt. Beispielsweise stammt ein für die "Frankfurter Dramaturgie" 1781 gefundener Beleg aus den Anmerkungen des Nachworts des (nicht gekennzeichneten) Nachdrucks.
(2) Bei Frakturschriften ist die Texterkennung durch Google so gut wie unbrauchbar. Bestimmte Worte, die in Frakturschrift wenig von Antiqua-Formen abweichen, können aber im Einzelfall trotzdem erkannt werden. Dazu gehört anscheinend Raubritter, denn Google weist mehrere Belege aus Frakturdrucken nach, obwohl der Rest der Seite inakzeptable OCR bietet.
So auch hier:
"fie geflanb 91е(ф ben eaitjfit
QSorfall, erjagte, roie n?ir ade lebten, unb bag »ir
Raubritter гоДгеп" (in dem Satz ist nur ein einziges Wort richtig gelesen, die korrekte Wiedergabe siehe unten).
Durch die Google-Book-Search-Suche konnte das Wort Raubritter nun knapp 20 früher als bislang bekannt in der deutschen Literatur nachgewiesen werden.
http://books.google.com/books?id=0SosAAAAMAAJ&pg=RA1-PA164
sie gestand gleich den ganzen Vorfall, erzählte, wie wir alle lebten, und daß wir Raub-Ritter wären heisst es in der Übersetzung des Schelmenromans
"Historia de la vida del Buscón" bzw. "Historia del gran Tacaño" (1626) von Francisco de Quevedo die in dem von Friedrich Justin Bertuch (dem Weimarer Verleger, damals noch im Staatsdienst) herausgegebenen Magazin der Spanischen und Portugiesischen Literatur Bd. 2, Dessau 1781 abgedruckt wurde (Seite 164). Im Internet wird als Übersetzer der Weimarer Romanist und Bibliothekssekretär Ernst August Schmid (1746-1809) genannt (was zu überprüfen wäre).
Die hübsche Pointe, dass der Erstbeleg für Raubritter sich im Titel eines trivialen Ritterromans findet, ist perdu (es sei denn, man differenziert zwischen Raub-Ritter und Raubritter). Niemand hätte durch systematische Suche in den unzähligen Büchern, die in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gedruckt wurden, die Verwendung bereits 1781 herausfinden können. Es steht zu erwarten, dass in den kommenden Jahren durch Google Book Search oder andere (freie oder lizenzpflichtige) Digitalisierungsprojekte mit Schrifterkennung weitere frühe Raubritter-Belege aufgefunden werden können.
Da der Pikaro-Roman ein Klassiker der spanischen Literatur ist, findet man die spanische Vorlage als freies E-Book im Netz (PDF). Die spanische Vorlage des zitierten Satzes lautet:
"Confesó luego todo el caso y dijo cómo
vivíamos todos y que éramos caballeros de rapiña." Raub-Ritter steht also für "caballeros de rapiña".
Cervantes Virtual hält ein (natürlich zitierfähiges) Faksimile der Erstausgabe Zaragoza 1626 bereit, in dem es auf fol. 56r "cavalleros de rapiña" heisst (Link)
Auch diese Verifizierung wäre ohne die E-Texte und Digitalisate des Internets nicht möglich gewesen. Es ließen sich am Bildschirm innerhalb weniger Stunden die wichtigsten Fakten zum Kontext des Belegs von 1781 recherchieren. Für die Frage der Verfasserschaft der Übersetzung muss allerdings eine gedruckte Quelle überprüft werden.
UPDATE 5.10.2008
Das Werk von 1781 ist nach wie vor online, der Raubritter-Beleg wird aber in Google Book Search nicht mehr gefunden. Offenbar hat man die OCR ausgetauscht - gegen eine ebenso schlechte, die aber Raubritter nicht mehr erkennt:
" raie wir alle lebten, Staub i «Ritter rearen"
UPDATE 4.5.2009
Der Beleg von 1781 wird wieder gefunden; außerdem zähle ich aus der Zeit vor 1800 sechs Belege, davon drei aus Ritterromanen.
http://tinyurl.com/dhlag2
UPDATE 3.3.2012
Kurt Andermann fand einen Beleg 1672
http://archiv.twoday.net/stories/18118553/ (2011)
#forschung
KlausGraf - am Samstag, 15. Dezember 2007, 18:19 - Rubrik: Digitale Bibliotheken
BCK meinte am 2009/05/05 03:02:
Für die Variante Räuber-Ritter
findet sich ein noch früherer Beleg aus dem gleichen Umfeld in Bertuchs 1775-1777 in der Fritschischen Buchhandlung in Weimar und Leipzig erschienenen Übersetzung "Leben und Thaten des weisen Junkers Don Quixote von Mancha: Neue Ausgabe, aus der Urschrifft des Cervantes, nebst der Fortsetzung des Avellaneda. In sechs Bänden von Friedr. Just. Bertuch", und zwar im 9. Kapitel des 6. Buches, S. 112 der Ausg. von 1777: http://books.google.com/books?id=vTYTAAAAQAAJ&pg=RA1-PA12-IA2&vq=r%C3%A4uber-ritter&hl=de
Sancho:
"Hört einmal, Gestr. Herre, ich habe den schönsten Ritternamen aus der ganzen Tologie für Euch; Ihr müßt Euch den Räuber-Ritter nennen, weil ihr einen durch den Rücken gerennt habt."
Der Name stößt allerdings nicht auf Begeisterung:
"Nein, das ist nichts, der Name gefällt mir nicht, versetzte Don Quixote; ich muß einen haben, der sich auf die Empfindungen meines Herzens bezieht."
Es ist hier allerdings ein ironischerweise gerade ins Gegenteil des Raub-Ritters verkehrter Ehrentitel, denn er bezieht sich auf eine Episode aus dem 3. Kapitel des 6. Theils ("Thut kund, wie sehr die fahrende Ritterschaft der Welt zu Nutz und Frommen gereiche") auf S. 33, "als unserer tapferer Rächer alles Unrechts" einem unter die Räuber gefallenen Mädchen und zwei ihr beistehenden Fremden zu Hilfe eilte, "mit gefällter Lanze herbeyflog, und den Räuber von hintenzu durch und durch rennte, daß die Lanze in der Wunde stecken blieb, und der Kerl halbtodt zur Erde stürzte....", worauf er mit seinem Furor auch den Rest der Räuber in die Flucht schlägt.
Erinnert sei hier aber auch an das 14. Kapitel aus dem 2. Teil des Don Quixote (S. 331 ff.), in dem der fahrende Ritter Don Quixote sich durch die Heilige Bruderschaft (Santa Hermandad) als Straßenräuber denunziert sieht und dies mit Verve und voller Empörung zurückweist. Der caballero andante war im sich absolutistisch entwickelnden Staat der Katholischen Könige ein Anachronismus geworden, die Santa Hermandad (ausgestattet mit Gerichtsbefugnissen und einer Landpolizei) unterband als Vertreter der Staatsgewalt die "Selbstjustiz" der Ritter und bedeutete das Ende ihrer Privilegien. Sie hatte sich mit Unterstützung der Könige zu einem mächtigen Werkzeug in den Händen der Städte gegen die kastilischen Adligen entwickelt, die ihrerseits die Städte der Übergriffe auf ihre alten Privilegien und Rechtstitel anklagten. In der Berufung von Don Quixote auf Gerechtigkeit und Ehre und in der Polemik gegen die Santa Hermandad (die er seinerseits Straßenräuber nennt) spiegelt sich dieser historische Konflikt, aber auch die offene Sozialkritik von Cervantes, die einem scheinbar Verrückten in den Mund gelegt wird, sehr nachdrücklich.
(Im 1. Band 1826 der in Fulda erschienenen Buchonia : Eine Zeitschrift für vaterländische Geschichte, Alterthumskunde, Geographie, Statistik und Topographie findet sich auf S. 125 tatsächlich ein echter (nicht ins ironische verkehrte) Beleg für diese seltene Variante, "Er zerstörte die Hauptzufluchtsörter dieser Räuber-Ritter" - http://books.google.de/books?id=1YYAAAAAcAAJ&pg=PA125 )
Update 6.5.: Die o.g. Szene im 9. Kapitel des 6. Buches fehlt übrigens im spanischen Original des Avellaneda-Sequels zum Don Quixote des Cervantes [Segundo tomo del ingenioso hidalgo Don Quixote de la Mancha, 1614, http://www.cervantesvirtual.com/FichaAutor.html?Ref=528 ]. Sie ist eine Zutat des ersten französischen Übersetzers der "Neuen Abenteuer", Alain René LeSage [Nouvelles avantures de l'admirable Don Quichotte de la Manche, Paris 1704]. Der Passus lautet dort "Il faut que vous vous fassiez appeller le Chevalier des Voleurs, à cause de celui que vous avez blessé par derriere." (hier zitiert nach der Ausgabe von 1738 v. 2, Livres V, Chap. XLIII, p. 118). Auch die englische Übersetzung von Baker (London, 1745) (dort "The Knight of the Robbers, in Remembrance of him you ran thro' the Back") fußt auf LeSage, ebenso Bertuch selbst, vgl. seine Vorrede zum 5. Bd. mit Avanelleda's Fortsetzung ("Le Sage übersetzte sie 1704 in's Französische, und verbesserte sie an verschiedenen Stellen glücklich ...") und die Vorrede zum 1. Bd. des Leben und Thaten des weisen Junkers Don Quixote von Mancha.
KlausGraf antwortete am 2009/05/05 09:27:
Vielen Dank!
Deinen Beleg werde ich auf der Gießener Fehdetagung, auf der ich bis Donnerstag sein werde (also weitgehend offline, ich hoffe du bewachst Archivalia inzwischen) mitteilen.