Das Aussterben einer unbekannten Nutzungsart
Ulrich Herb 31.12.2007
Nach dem neuem Urheberrechtsgesetz verlieren Autoren viele Rechte an ihren Texten – außer sie ergreifen noch 2008 Gegenmaßnahmen
Zum 1. Januar 2008 tritt ein [extern] neues Urheberrechtsgesetz (UrhG) in Kraft. Es bringt neben zahlreichen Veränderungen etwa beim elektronischen Kopienversand en passant auch eine recht wenig beachtete Änderung: Wissenschaftliche Verlagen erhalten die Rechte zur Onlinepublikation von Dokumenten, die zwischen 1966 und 1995 bei ihnen erschienen sind. Vielleicht noch wichtiger: Damit verlieren die Autoren auch das Recht, die Texte selbst auf ihre Homepage zu stellen. Es sei denn, sie werden aktiv und übertragen die entsprechenden Nutzungsrechte entweder vor dem 1. Januar 2008 an Dritte oder widersprechen bis 1.Januar 2009 der Ausübung der Nutzungsrechte durch die Verlage bei jedem einzelnen Verlag.
Für die Gegenmaßnahmen ist es, glaubt man dem allgemein genannten Datum 31.12.2007, nun doch ein wenig zu spät. Dass Telepolis den Beitrag nicht früher veröffentlicht hat, ist schlichtweg ärgerlich, denn am 18. Dezember 2007 mailte mir Herr Herb: "ich habe Ihre Anregung aufgenommen, der Artikel dürfte die Tage erscheinen.". Hätte Telepolis den Beitrag nicht über 10 Tage liegen lassen, wären womöglich noch etliche Wissenschaftler auf die Problematik aufmerksam geworden.
Ziemlich drastisch drückt das ein Forums-Teilnehmer aus:
na, welch glück, dass TP noch rechtzeitig darauf hinweist.
die botschaft wird sich heute nacht in windeseile übers netz
verbreiten,
und morgen werden dann zigtausende autoren ihr recht wahrnehemn.
WIE ABGEFUCKT IST DAS DENN ?
Das kann man sicher höflicher formulieren, aber im Kern trifft es den Punkt.
ALLERDINGS:
Seit einiger Zeit bin ich gar nicht mehr davon überzeugt, dass am 31. Dezember 2007 eine Ausschlussfrist abläuft. Diese läuft am 31. Dezember 2008 ab. Hat der Autor vor dem 31. Dezember 2008 nicht gegenüber dem Verlag widersprochen, fallen die ausschließlichen Online-Nutzungsrechte an den Verlag.
Die von DINI und dem Urheberrechtsbündnis verbreitete Ansicht, man müsse möglichst Anfang 2008 widersprechen, da man nach einer Benachrichtigung des Verlags nur drei Monate für den Widerspruch habe, fußt auf einer falschen Auslegung des Gesetzeswortlauts. Die Dreimonatsfrist gilt nicht für bereits heute bekannte Nutzungsarten!
Am 1. Januar 2008 haben die Autoren nach wie vor die Online-Nutzungsrechte, denn erst ein Jahr später fallen diese automatisch an den Verlag, wenn der Autor nicht widersprochen hat. Die Einräumung eines Nutzungsrechts an einen Dritten (Schriftenserver) kann also bis zum 31. Dezember 2008 erfolgen. Nichts anderes ergibt sich aus der Handreichung des Börsenvereins zum Thema.
Es bleibt abzuwarten, wie Steinhauer die Sachlage beurteilt.
Wenn der Börsenverein schreibt (vgl. http://archiv.twoday.net/stories/4552355/), dass nach bisheriger Erfahrung ein Großteil der erfolgten Widersprüche rechtlich unwirksam sei, dann dürfte das auf die ungeeignete Formulierung des Widerspruchs in dem immer noch kursierenden Musterbrief von 2006 zurückzuführen sein ("...widerspreche ich jeder Nutzungsart, die zu der damaligen Zeit meiner Veröffentlichung noch unbekannt war. Dieser Widerspruch gilt für alle meine Veröffentlichungen in ihrem Verlag."). Widersprüche für Veröffentlichungen, die in Zeitschriften erfolgt sind, deren backfiles der Verleger nun etwa retrodigitalisieren und vermarkten möchte, können damit nicht wirksam erfolgen, weil diese er Gesetzgeber eine solche Blockademöglichkeit durch einen einzelnen Autor gerade durch die Bestimmungen von 31a (3) und 137l (4) unterbunden hat, wonach der Urheber das Widerspruchsrecht nicht wider Treu und Glauben ausüben kann, wenn mehrere Werke oder Werkbeiträge zu einer Gesamtheit zusammengefasst sind, die sich in der neuen Nutzungsart in angemessener Weise nur unter Verwendung sämtlicher Werke oder Werkbeiträge verwerten lässt. In der Begründung zum Regierungsentwurf BT Drs 16/1828 heißt es, dabei sei zu beachten, dass diese Einschränkung der Widerspruchsmöglichkeit nicht die besonderen Konstellationen der §§8 und 9 UrhG voraussetze, sondern jede - letztlich auch über den Verwerter erfolgende - Zusammenfügung von Beiträgen erfasse. Auswertungsblockaden würden somit vermieden. Das betrifft insbesondere Beiträge zu Sammelwerken, also insbesondere auch zu Zeitschriften.
Unschädlich dürfte hingegen regelmäßig eine nur teilweise Rechteeinräumung sein, etwa in Verbindung mit der Einräumung einfacher Nutzungsrechte an einen Dritten (z.B. Schriftenserver), da dies keine Auswertungsblockade bedeutet und damit auch nicht wider Treu und Glauben verstoßen kann. Vgl. hierzu auch die Begründung des RegE S. 34: "Erfolgt die Rechteeinräumung nur beschränkt (z.B. durch Erteilung einer nicht ausschließlichen Berechtigung), so greift die Fiktion [Übertragungsfiktion für Rechte an neuen Nutzungsarten zugunsten eines Erwerbers aller wesentlichen zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses übertragbaren Nutzungsrechte] in dem verbleibenden Umfang."
Für Zeitschriftenbeiträge gilt, dass, sofern § 38 UrhG anwendbar ist (was ausserhalb des STM-Bereichs die Regel sein dürfte), § 137 l NICHT zur Anwendung kommt, also ein Widerspruch nicht erforderlich ist:
"Hat der Urheber zwischen dem 1. Januar 1966 und dem 1. Januar
2008 einem anderen alle wesentlichen Nutzungsrechte ausschließlich
sowie räumlich und zeitlich unbegrenzt eingeräumt"
§ 38 UrhG BEFRISTET die Nutzungsrechte und BESCHRÄNKT sie auf Vervielfältigung und Verbreitung (die öffentliche Wiedergabe ist nicht erfasst, also die Online-Publikation oder das Senderecht durch eine Rundfunkanstalt).
Es geht nicht an, dass ein Musterbrief kursiert, der Börsenverein aber aus formalen Gründen die meisten Widersprüche als unwirksam ansieht. Ich kann zwar nicht erkennen, dass ein Widerspruch unwirksam sein soll, wenn er möglicherweise einen Beitrag in einem Sammelband bzw. in einer Zeitschrift betrifft und angesichts der Tatsache, dass ausdrückliche Regelungen, die von § 38 UrhG abweichen, insgesamt in der Minderheit sein dürfen, bezweifle ich auch die Ansicht des Börsenvereins, die meisten Widersprüche seien unwirksam, aber das Urheberrechtsbündnis sollte dringend Kontakt mit dem Börsenverein aufnehmen, um eine Verständigung herbeizuführen.
Die allermeisten Urheber wollen den Verlag an nichts hindern, sie möchten nur schlicht und einfach sich die Möglichkeit für "Open Access" offenhalten.
Die Juristen im Urheberrechtsbündnis (Hoeren) scheinen die Aktion boykottiert zu haben, sonst wäre wohl kaum eine so fehlerhafte Auslegung hinsichtlich der Dreimonatsfrist veröffentlicht worden.
Der Vorschlag einer Verständigung mit dem Börsenverein ist sicherlich zu begrüßen. Wenn die Bibliotheken Fälle aus der Praxis (z.B. aus Anfragen von Wissenschaftlern) systematisch dokumentieren und sich untereinander austauschen würden, dann wüssten wir vermutlich, in welchen Fällen der Börsenverein einen Widerspruch für rechtlich unwirksam hält (s. die "Handreichung", C.4) und wie der Börsenverein (und die Mitgliedsverlage, wenn sie seinen Ratschlägen folgen) in solchen Fällen argumentiert und wären vielleicht besser präpariert dafür, Autoren Ratschläge für die Argumentation seinem Verlag gegenüber zu geben oder ihre diesbezüglichen Fragen zu beantworten.
Klar ist, dass der Börsenverein seinen Mitgliedern in den Fällen kommerziell interessanter Altwerke immer dazu rät, einen Ergänzungsvertrag zwischen Autor und Verlag anzubieten, anstatt sich auf die neue gesetzliche Regelung für Altwerke (§137l) zu verlassen. 137l ist in der Perspektive des Börsenvereins in erster Linie eine Auffangregelung für die administrativ anders kaum zu bewältigenden Fälle wie die der Sammelwerke mit Beiträgen verschiedener Autoren. Wie die hierfür erforderliche Vergütungsregelung durch die Verwertungsgesellschaften ausgestaltet sein wird, ist noch völlig offen. Man muß wohl davon ausgehen, dass eine Einräumung nur einfacher Nutzungsrechte ggf. die Höhe der "gesonderten angemessenen Vergütung" beeinträchtigen kann, Reichtümer dürften hier allerdings ohnehin nicht zu gewinnen sein. Für den Autor dürfte/sollte wichtiger sein, sich die Möglichkeit für "Open access" zu seinen Publikationen offen zu halten, ohne die in beiderseitigem Interesse liegende Verwertung durch den Verlag unnötig zu beeinträchtigen.
Urheberrechtsbündnis und DINI glaubten (s. die ergänzenden Hintergrundinformationen zum Rundbrief vom 4.12.2007), die die eingeräumte Jahresfrist sei "nur in dem Fall relevant, dass der Verlag keine Aufnahme der Nutzung der Online-Rechte beabsichtigt". Im übrigen gelte eine Dreimonatsfrist nach Benachrichtigung durch den Verlag. Da der Verlag eine etwaige Mitteilung nur an die letzte bekannte Adresse schicken müsse, wurde daraus abgeleitet, dass der Widerspruch sicherheitshalber bis 31.3.2008 erfolgen solle.
Die Betrachtung der Genese von 137 l in der sehr hilfreichen Synopse von Spindler (vgl. http://archiv.twoday.net/stories/4534024/ ) zeigt aber, dass diese Interpretation des Wortlauts des Gesetzes nicht zutreffen kann, denn im Regierungsentwurf stand dort noch "im Übrigen nur, solange der andere noch nicht begonnen hat, das Werk in der neuen Nutzungsart zu nutzen". Wie die Synopse zu §31 zeigt, wurde damit spät noch im RegE zunächst noch nicht berücksichtigten Bedenken des Bundesrats Rechnung getragen, dass das Widerrufsrecht bei neuen, bisher unbekannten Nutzungsarten zu schwach ausgestaltet sei, d.h. eine Informationspflicht des Verwerters und eine daran anknüpfende 3-Monatsfrist für den Widerspruch eingeführt. Letzte Unklarheiten beseitigt ein Blick in die "Begründung der Beschlussempfehlung" (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) des Bundestages, BT-Drs 16/5939, Synopse S. 5 und 12, Begründung S. 44 und 46). Es heißt dort
Auch für die Übergangsregelung des § 137l soll die Anregung des Bundesrates zu § 31a Abs. 1 Satz 3 und 4 aufgegriffen (...) und auch für Altverträge die Rechte des Urhebers bei der Nutzung von Werken in heute noch unbekannten Nutzungsarten gestärkt werden. Dementsprechend bestimmt der neu eingefügte Satz 3, dass der Verwerter verpflichtet ist, den Urheber unter der letzten ihm bekannten Anschrift zu informieren, bevor er beginnt, das Werk in einer Art zu nutzen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes noch unbekannt war [unsere Hervorhebung]. Das Widerspruchsrecht des Urhebers erlischt, parallel zur Regelung des §31a, drei Monate nach Übersendung der Information über die beabsichtigte Aufnahme der Nutzung in der neuen Nutzungsart. Für die Nutzung von Werken in Nutzungsarten, die beim Vertragsschluss noch unbekannt waren, inzwischen aber als neue Nutzungsarten bekannt geworden sind, bleibt es bei der Regelung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung [unsere Hervorhebung].
Steinhauers Ansicht (Fristen bei § 137 l UrhG, 10.12.2007), der Verlag könne die einjährige Widerspruchsfrist bei Altverträgen durch ein Informationsschreiben über die beabsichtige Digitalisierung auf 3 Monate verkürzen, ist daher abwegig.