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Herr Lusiardi wies aus Anlass unserer Nachweise unter
http://archiv.twoday.net/search?q=gutsarch
auf seinen Bericht im "Archivar", Heft 1 - Febr. 2004, S. 66 f. (nicht online) hin, den ich mit seiner freundlichen Genehmigung wiedergebe.

Restitution von Herrschafts- und Gutsarchiven –
Erster länderübergreifender Workshop in Magdeburg

Am 3. Juli 2003 veranstaltete das Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt in Magdeburg einen Workshop zur Archivierung von Herrschafts- bzw. Gutsarchiven, die im Zuge der Bodenreform seit 1945 in die Staatsarchive der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR gelangt und gemäß Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG) von 1994 rückgabebehaftet sind. Der Bedeutung dieses Themas hatten bereits Referate von Birgit Richter (Sächsisches Staatsarchiv Leipzig) und Werner Heegewaldt (Brandenburgisches Landeshauptarchiv) auf den Deutschen Archivtagen in Cottbus (2001) und Trier (2002) Rechnung getragen; nun kam erstmals auch ein organisierter länderübergreifender Dialog zustande, an dem sich Vertreter der Archivverwaltungen aller fünf neuen Bundesländer beteiligten. Die Tagung wurde durch einen Vorabaustausch wichtiger Informationen vorbereitet, so dass auf zeitraubende Einzelvorträge verzichtet werden konnte.
Infolge des Restitutionsgrundsatzes des AusglLeistG können die Alteigentümer nach Anerkennung ihres Eigentumsanspruchs durch die Landesämter zur Regelung offener Vermögensfragen die enteigneten Archivalien zurückfordern. Diese gehen damit ggf. wieder in Privatbesitz über, sind dann also – anders als bei einer Verwahrung in den Staatsarchiven –nicht mehr grundsätzlich der Öffentlichkeit zugänglich. Da jedoch viele Gutsarchive insbesondere aufgrund der Wahrnehmung herrschaftlicher Funktionen durch die Standes- und Gutsherren von großer Bedeutung für die Landesgeschichte sind, bemühen sich – bei allem Respekt vor den durchaus berechtigten persönlichen Interessen der Alteigentümer – alle ostdeutschen Staatsarchive darum, möglichst viele Gutsarchi-ve weiterhin in ihrer Verwahrung zu behalten.
Den betroffenen Archiven ist durch das AusglLeistG die Möglichkeit zur Beantragung eines bis zum Jahr 2014 befristeten Nießbrauchs eröffnet worden. Darüber hinaus gehende Einigungen mit den Alteigentümern, etwa in Form eines Depositalvertrages, konnten bislang nur in relativ wenigen Fällen erreicht werden. Da diese Aufgabe in den kommenden Jahren immer drängender werden wird, standen juristische Probleme und Fragen der Verhandlungs- und Vertragsgestaltung im Mittelpunkt des Workshops. Dass die „Schlossbergungen“ als Enteignungen im Sinne des Gesetzes zur Rege-lung offener Vermögensfragen anzusehen sind, war unter den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ungeachtet der unterschiedlichen Formulierungen in den Bodenreform-Verordnungen der einzelnen Länder unumstritten. Eine neue Sachlage hat sich jedoch für die Unterlagen aus der Patrimonialge-richtsbarkeit durch die Verwaltungspraxis des Sächsischen Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen (SLRV) ergeben; danach unterliegen Patrimonialgerichtsakten nicht dem AusglLeistG, da auf sie im Bereich des Königreichs bzw. Freistaates Sachsen bereits vor 1945 ein staatlicher Anspruch bestanden habe. Da die jeweiligen Bestimmungen zur Ablösung der Patrimonialgerichtsbarkeit und Abgabe der Gerichtsunterlagen und die entsprechende Verwaltungspraxis im 19. Jh. in den einzelnen Ländern jedoch Unterschiede aufweisen, ist noch zu prüfen, inwieweit die Rechtslage jeweils vergleichbar ist und in den Verhandlungen mit den Alteigentümern beachtet werden muss.
Dem Bestreben der Archive nach einer dauerhaften fachgerechten Archivierung und Zugänglich-machung der Bestände kommt die Nießbrauchklausel des AusglLeistG zumindest für die Frist bis 2014 entgegen. Für die Gewährung eines Nießbrauchs setzt das AusglLeistG jedoch den Nachweis der „Kulturgut“-Qualität und „öffentlichen Ausstellung“ des Gutes voraus, was in der Praxis Proble-me aufwerfen kann und zugleich deutlich macht, dass im Gesetzgebungsverfahren der Problem-komplex enteigneten Archivguts offenbar keine Beachtung gefunden hatte. Daher sprachen sich alle Teilnehmer für eine entsprechende Überarbeitung zumindest der länderübergreifenden Hand-reichung zur Anwendung des AusglLeistG aus, die unter Beteiligung der für Kultur zuständigen Ressorts der fünf neuen Bundesländer und Berlins sowie der Bundesministerien der Finanzen und der Justiz erarbeitet und 1997 vom Kultusministerium des Landes Sachsen-Anhalt herausgegeben wurde. Die derzeit laufende Novellierung der Handreichung in Sachsen wird diese Anforderungen voraussichtlich schon berücksichtigen. Im übrigen empfahl Silke Birk (Sächsisches Staatsministerium des Innern), bei Nutzung des Nießbrauchrechts ein Zustandsprotokoll anzufertigen, um schadensrechtlichen Auseinandersetzungen nach Ende der Nießbrauchfrist vorzubeugen.
Unter den Lösungsvarianten für eine dauerhafte Archivierung durch die Staatsarchive wird der Ankauf des Archivguts angesichts der Lage der Länderhaushalte wohl auch nach 2014 nur eine Ausnahme bleiben können, wie unlängst im Falle des Goethe- und Schiller-Archivs geschehen, das Bestandteil einer umfassenden Entschädigungsvereinbarung zwischen dem Großherzoglichen Haus Sachsen-Weimar-Eisenach und dem Freistaat Thüringen wurde.
Vorteilhafter ist demgegenüber die Möglichkeit der Schenkung, deren Attraktivität unter Umstän-den durch eine Spendenquittung zur steuerlichen Geltendmachung erhöht werden kann, wie dies in Thüringen in vergleichbaren Fällen praktiziert worden ist. Allerdings wird dabei die Frage der fiskalischen Bewertung von Archivgut aufgeworfen, die auch im Rahmen der Einführung neuer Steuerungsmodelle an die Archivverwaltungen herangetragen und sehr kontrovers diskutiert wird. Bis-lang sind Schenkungen jedoch meist nur für Teilbestände erfolgt, wenn im Gegenzug Archivgut, meist Unterlagen zur Familiengeschichte, unter Nießbrauchverzicht restituiert wurde. Solche Lösungen sind aus Provenienzaspekten sicherlich nicht anzustreben, wurden auf der Tagung jedoch für vertretbar erachtet, wenn die einzige Alternative in der Restitution des gesamten Archivguts eines Bestandes nach 2014 besteht.
Eine wichtigere Rolle spielen bisher und wohl auch zukünftig Vereinbarungen über die weitere Archivierung des Schriftguts durch die Staatsarchive unter Anerkennung des Eigentumsanspruchs des Restitutionsberechtigten. Entsprechende Verträge konnte etwa das Brandenburgische Landeshauptarchiv bereits in zwölf Fällen abschließen. Ausführlich wurden daher Fragen der Gestal-tung von „Deposital-“ bzw. „Archivverträgen“ besprochen, darunter die Festlegung von Mindestlauf-zeiten, Möglichkeiten der Kostenbeteiligung der Eigentümer insbesondere bei Restaurierungsmaßnahmen und Fragen der Benutzung von Archivgut und Schutzfilmen. Dabei wurde die vertragliche Zusicherung eines dauerhaften Filmnutzungsrechts im Hinblick auf eine mögliche Vertragsauflösung nicht zuletzt deshalb für wichtig erachtet, weil hier die sehr komplexe und gegenwärtig kontro-vers beurteilte Materie des Urheberrechts an Archivgutreproduktionen berührt ist.
Gleich welche Lösung im einzelnen angestrebt wird, kann es zur Erzielung günstiger Vereinbarungen nur hilfreich sein, die archivischen Leistungen für die Sicherung und Nutzung der Überlieferung und die kulturelle Bedeutung des Archivgutes für die Allgemeinheit offensiv zu vermitteln, wie Werner Heegewaldt unter Hinweis auf die Öffentlichkeitsarbeit des Brandenburgischen Landeshauptarchivs betonte.
Sollte dennoch keine einvernehmliche Lösung möglich sein und eine Rückgabe des Archivguts notwendig werden, so kann bei historisch besonders bedeutsamen Beständen durch deren Eintragung in das “Verzeichnis national wertvollen Kulturguts und national wertvoller Archive” gegebenenfalls ein gewisser Schutz vor einer Veräußerung ins Ausland erreicht werden. Weitergehende Effekte einer solchen Eintragung werden jedoch kontrovers beurteilt. Dass die Reform des deutschen Kulturgutschutzrechts 1998 scheiterte (vgl. Der Archivar, 52.1999, S. 233–240), ist auch vor diesem Hintergrund zweifellos zu bedauern. Die alternative Nutzung des Denkmalschutzrechts ist nach den Gesetzen einiger Bundesländer, etwa Sachsens und Sachsen-Anhalts, grundsätzlich möglich, wirft jedoch spezifische Probleme auf. Immerhin wurde in Sachsen ein Antrag auf Unterschutzstellung bereits für ein Depositum – auf Betreiben des Eigentümers – mit Erfolg gestellt. Es handelt sich hierbei um das Archiv der Deutschen Werkstätten Hellerau, also nicht um restitutionsbehaftetes Archivgut nach AusglLeistG.
Eine Rückgabe des Archivguts kann im übrigen auch sehr konkrete Schwierigkeiten verursachen: Die Ermittlung der tatsächlich enteigneten Unterlagen gestaltet sich nämlich insbesondere in denjenigen Fällen problematisch und zeitaufwendig, wo vor 1989 Patrimonialgerichtsakten aus den staatlichen Behörden- und Gerichtsbeständen herausgelöst und in die Gutsarchivbestände provenienzgemäß zurückgeordnet worden sind; denn Zugangslisten auf Aktenebene liegen über das nach 1945 in die Archive gelangte Schriftgut nur ausnahmsweise vor. Der immense Zeitaufwand einer Einzelfallprüfung lässt sich freilich in denjenigen Fällen vermeiden, in denen im Einvernehmen oder durch Restitutionsbescheid die Zuerkennung der Patrimonialgerichtsakten an das staatliche Archiv erreicht wird.
Aus archivfachlicher Perspektive wurde die provenienzmäßige Zurückordnung der Patrimonialgerichtsunterlagen im Grundsatz einhellig befürwortet; wo dies noch nicht geschehen ist, kann zukünftig durch die Möglichkeiten einer IT-gestützten Erschließung die Kennzeichnung der jeweiligen Ar-chivalien oder auch nur eine virtuelle Zurückordnung vorgenommen werden.
Da diese und weitere Fragen der archivischen Ordnung und Verzeichnung aus Zeitgründen jedoch nur nachrangig behandelt werden konnten, hielten es die Anwesenden für sinnvoll, in zwei bis drei Jahren erneut einen solchen Workshop zu veranstalten, um diese archivfachlichen Aspekte intensiver zu diskutieren und sich über den Stand der Restitutionsverhandlungen und neue Erfahrungen auszutauschen.
Magdeburg Ralf Lusiardi
 

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