http://wimbauer.wordpress.com/2009/03/29/open-access-und-googlebuchscan-aus-autorensicht/
Der Antiquar und Autor Tobias Wimbauer schreibt (am Schluss freundlicherweise einen Link auf Archivalia anfügend):
Derzeit wird in Zeitungen und im Internet mehr oder weniger informiert und mehr oder weniger ernsthaft bis aufgeregt über Fragen des „Open Access“ (bei manchen aka “Open Enteignung”) diskutiert, darein mengt sich die Diskussion über das Vorgehen von Google: ganze Bibliotheksbestände werden gescannt und online gestellt.
Als Autor, Rechercheur, Informationsjunkie und Dauersurfer bin ich in jede Richtung befangen. Beim Versuch zu sagen, was ich nun von Google Buchscan / Open Access halte, kam ich zu dem Schluss, dass ich die Buchscans befürworte, wenn sie nicht so durchgeführt werden, wie von Nicholson Baker in „Der Eckenknick“ geschildert, nämlich mit ersatzloser Vernichtung des Originals nach dem Scan. Die erzürnt Baker zurecht.
1. Als Autor. Als Autor bin ich natürlich an der Verbreitung meiner Texte interessiert. Nicht zuletzt aus pekuniären Gründen. Denn nur ein verkauftes Buch bringt etwas ein.
2. Als Rechercheur. Als Rechercheur für beispielsweise mein Buch „Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers“ (Freiburg 1999: Rombach; 2. Aufl.: Schnellroda 2003: Edition Antaios, derzeit vergriffen) bin ich auf gute Quellen angewiesen für Lebensdaten, Zitatverifikation usw. Und da führte früher kein Weg an gedruckten Quellen vorbei, da Onlinequellen oft widersprüchlich waren. Durchsuchbare, gescannte Bücher lösen da allerhand Probleme im Handumdrehen. Es werden mit einem Klick Quellen verfügbar, nach denen ich mir vor 10-12 Jahren bei meinen Recherchen fürs Jüngerregister noch die Füsse wundlief.
3. Als Leser und Autor. Schon mehrfach habe ich über Googlebuchdings in Bücher hineingesehen, ebenso mit der SearchInside-Funktion von Amazon. Und einige der Bücher habe ich nach 1-2 angesehenen Probeseiten dann gekauft und gelesen, oder zur Lektüre irgendwann in die Regale gestellt. Manches Buch allerdings habe ich nach Durchsicht einiger gescannter Seiten ganz bewusst nicht gekauft.
4. Als Autor. Von mir sind im Moment zwei Bücher komplett verfügbar bei Googlebuch: Mein Jüngerregister in der 2., überarbeiteten und erweiterten Auflage von 2003, und „Anarch im Widerspruch. Neue Beiträge zu Werk und Leben der Gebrüder Jünger“ von 2004 .
Wenn man nun in diesen beiden Büchern sucht, bekommt man 5-Zeilen-Schnippsel angezeigt und mehr nicht. Man kann also nicht einmal ganze Seiten oder mehr lesen. Kurz: Wenn jemand etwas sucht, etwa einen Namen, dann findet er rasch, ob er im durchsuchten Buch fündig wird – oder nicht. Aber sich durch ein ganzes Kapitel mit diesen Schnippseln durchzusuchen, das dürfte jedem zu aufwendig sein, und wenn das Buch nicht absolut verschollen ist, wird man eher das Buch leihen oder kaufen, als da sich die Finger wund zu frickeln. Und auch die recht comfortable Search-Inside-Funktion von Amazon, die zwar ganze Seiten anzeigt, aber eben nicht mehr, führt nicht dazu, dass das Buch dadurch unkaufwürdig wird.
Ich bin der festen Überzeugung, dass jemand, der regelmässig mein Jüngerregister nutzen will, oder jemand, der den „Anarchen im Widerspruch“ lesen will, dass dem ein PDF o.ä. nicht genügt. 300+ Seiten liest man nicht am Bildschirm.Die druckt man sich auch nicht aus. Die will man als Buch.
Und wenn doch: jemand der das tut, würde das Buch auch nicht kaufen, wenn es nicht online im Volltext verfügbar wäre. Der würde warten, bis jemand die Datei irgendwo hinstellt. Oder eben auf die Lektüre verzichten.
Oder er würde in die nächste Bibliothek gehen und sich das Buch ausleihen oder per Fernleihe kommen lassen. Im Gegensatz zur Online-„Fernleihe“ via Buchscan, regt sich darüber niemand auf. Weil das ja zum Bildungsauftrag des Landes gehört usw. Die Onlinebibliothek ist aber vielleicht die adäquate Ausformung des Bildungsauftrags für das 21. Jahrhundert? Nicht? Doch!
Nochmal als Autor. Im ersten Moment hatte ich mich geärgert als ich sah, dass die beiden genannten Bücher von mir komplett online sind, weil mich niemand gefragt hatte und den Verlag auch nicht. Im zweiten Moment aber fühlte ich mich geschmeichelt, dass man meine Bücher Seite für Seite in der University of Michigan auf den Scanner legt und ablichtet. Überhaupt ist es doch toll, dass die Bücher in Michigan stehen, dass man sich dort dafür interessiert.
Und die Vorstellung, dass eine studentische Hilfskraft oder sonstwer meinethalben ein Paarhundertmal auf den „Start“-Knopf drückte, finde ich vergnüglich.
Vieles in der aktuellen Debatte geht weit vorbei, etwa wenn Marek Liebermann in der Süddeutschen von heute von der „Gratis-Fratze“ spricht, die den Kreativen die Geschäfte verhageln würden. Das stimmt doch nicht. Es ist letztlich Gratis-Werbung:
Bei einem guten Buch ist jede gescannte Seite ein Kaufargument.
Bei einem schlechten Buch ist jede gescannte Seite ein Fingerwegdavonargument.
Aber unterstellt, dass ein Leser selbst entscheiden kann und vielleicht ganz andere Masstäbe hat als vielleicht ich, ist das Qualitätsargument nachrangig.
Bei wissenschaftlichen Texten – um diese geht es eigentlich bei der Open-Access-Debatte, es geht nicht um Romane oder Lyrik – sind die Verkaufszahlen sowieso meist vernachlässigbar. Für den Autor gibt’s meist ohnehin nur Freiexemplare und / oder Sonderdrucke, wenn Honorar, dann auch nur pauschal, aber doch nicht nach Verkaufszahlen. Es zählt für den Autor (der Verleger misst anders) also allenfalls, dass möglichst viele seine Thesen, Ausführungen, Erkenntnisse etc.pp lesen, und dass sie zitiert werden. Durch Scan und kostenfreie Onlineverfügbarkeit ist für Verbreitung und damit virulente Wirksamkeit gesorgt.
Die ungefragte Bucherfassung durch Google ist zwar zunächst ein Rechtsbruch – etwa analog zum Photokopieren eines vollständigen Buches [wer hat das als Student noch nie gemacht?!], nämlich eine Urheberrechtsverletzung. Aber, grosses Aber: dieser Rechtsbruch ist für Forscher und Liebhaber, für Leser und Rechercheure von Nutzen. Er ist Weichenstellung für etwas wichtigeres:
Denn eigentlich ist die ungefragte Bucherfassung in grossem Stil nichts anderes als die Modernisierung des Bibliotheksbegriffs. Sie ist dabei nicht weniger als die Revolutionierung des demokratischen Bildungsideals: das jederzeit zugängliche, geballte Wissen für jedermann.
Es gibt viel Unnützes und Halbwahres im Netz. Je mehr gute, wichtige, intelligente, kluge, weisheitsdurchsättigte Texte online sind, desto mehr haben alle davon und desto obsoleter werden obsolete, halbgare Quellen:
Ich hörte von allerlei Schularbeiten, deren einzige Quelle die Wikipedia war. Wenn künftig „Google Buchsuche“ die Hauptquelle sein wird, ist mir auch um die Bildung der Schüler nicht mehr bang.
Eines noch zum Schluss. Beim Überlesen dieses Textes beschleicht mich die Befürchtung, dass dies als Progoogletext aufgefasst werden könne. Das ist es gar nicht. Wer mich kennt, der weiss das. Und wer mich nicht kennt, der weiss es jetzt.
Bringt die Bibliotheken zu den Leuten! Anders gesagt: Bringt die Bücher zu den Leuten! Als Antiquar und Autor habe ich ohnehin nichts anderes im Sinn.
Danke für diese besonnene Stellungnahme, die ich mit freundlicher Genehmigung wiedergeben darf.
Der Antiquar und Autor Tobias Wimbauer schreibt (am Schluss freundlicherweise einen Link auf Archivalia anfügend):
Derzeit wird in Zeitungen und im Internet mehr oder weniger informiert und mehr oder weniger ernsthaft bis aufgeregt über Fragen des „Open Access“ (bei manchen aka “Open Enteignung”) diskutiert, darein mengt sich die Diskussion über das Vorgehen von Google: ganze Bibliotheksbestände werden gescannt und online gestellt.
Als Autor, Rechercheur, Informationsjunkie und Dauersurfer bin ich in jede Richtung befangen. Beim Versuch zu sagen, was ich nun von Google Buchscan / Open Access halte, kam ich zu dem Schluss, dass ich die Buchscans befürworte, wenn sie nicht so durchgeführt werden, wie von Nicholson Baker in „Der Eckenknick“ geschildert, nämlich mit ersatzloser Vernichtung des Originals nach dem Scan. Die erzürnt Baker zurecht.
1. Als Autor. Als Autor bin ich natürlich an der Verbreitung meiner Texte interessiert. Nicht zuletzt aus pekuniären Gründen. Denn nur ein verkauftes Buch bringt etwas ein.
2. Als Rechercheur. Als Rechercheur für beispielsweise mein Buch „Personenregister der Tagebücher Ernst Jüngers“ (Freiburg 1999: Rombach; 2. Aufl.: Schnellroda 2003: Edition Antaios, derzeit vergriffen) bin ich auf gute Quellen angewiesen für Lebensdaten, Zitatverifikation usw. Und da führte früher kein Weg an gedruckten Quellen vorbei, da Onlinequellen oft widersprüchlich waren. Durchsuchbare, gescannte Bücher lösen da allerhand Probleme im Handumdrehen. Es werden mit einem Klick Quellen verfügbar, nach denen ich mir vor 10-12 Jahren bei meinen Recherchen fürs Jüngerregister noch die Füsse wundlief.
3. Als Leser und Autor. Schon mehrfach habe ich über Googlebuchdings in Bücher hineingesehen, ebenso mit der SearchInside-Funktion von Amazon. Und einige der Bücher habe ich nach 1-2 angesehenen Probeseiten dann gekauft und gelesen, oder zur Lektüre irgendwann in die Regale gestellt. Manches Buch allerdings habe ich nach Durchsicht einiger gescannter Seiten ganz bewusst nicht gekauft.
4. Als Autor. Von mir sind im Moment zwei Bücher komplett verfügbar bei Googlebuch: Mein Jüngerregister in der 2., überarbeiteten und erweiterten Auflage von 2003, und „Anarch im Widerspruch. Neue Beiträge zu Werk und Leben der Gebrüder Jünger“ von 2004 .
Wenn man nun in diesen beiden Büchern sucht, bekommt man 5-Zeilen-Schnippsel angezeigt und mehr nicht. Man kann also nicht einmal ganze Seiten oder mehr lesen. Kurz: Wenn jemand etwas sucht, etwa einen Namen, dann findet er rasch, ob er im durchsuchten Buch fündig wird – oder nicht. Aber sich durch ein ganzes Kapitel mit diesen Schnippseln durchzusuchen, das dürfte jedem zu aufwendig sein, und wenn das Buch nicht absolut verschollen ist, wird man eher das Buch leihen oder kaufen, als da sich die Finger wund zu frickeln. Und auch die recht comfortable Search-Inside-Funktion von Amazon, die zwar ganze Seiten anzeigt, aber eben nicht mehr, führt nicht dazu, dass das Buch dadurch unkaufwürdig wird.
Ich bin der festen Überzeugung, dass jemand, der regelmässig mein Jüngerregister nutzen will, oder jemand, der den „Anarchen im Widerspruch“ lesen will, dass dem ein PDF o.ä. nicht genügt. 300+ Seiten liest man nicht am Bildschirm.Die druckt man sich auch nicht aus. Die will man als Buch.
Und wenn doch: jemand der das tut, würde das Buch auch nicht kaufen, wenn es nicht online im Volltext verfügbar wäre. Der würde warten, bis jemand die Datei irgendwo hinstellt. Oder eben auf die Lektüre verzichten.
Oder er würde in die nächste Bibliothek gehen und sich das Buch ausleihen oder per Fernleihe kommen lassen. Im Gegensatz zur Online-„Fernleihe“ via Buchscan, regt sich darüber niemand auf. Weil das ja zum Bildungsauftrag des Landes gehört usw. Die Onlinebibliothek ist aber vielleicht die adäquate Ausformung des Bildungsauftrags für das 21. Jahrhundert? Nicht? Doch!
Nochmal als Autor. Im ersten Moment hatte ich mich geärgert als ich sah, dass die beiden genannten Bücher von mir komplett online sind, weil mich niemand gefragt hatte und den Verlag auch nicht. Im zweiten Moment aber fühlte ich mich geschmeichelt, dass man meine Bücher Seite für Seite in der University of Michigan auf den Scanner legt und ablichtet. Überhaupt ist es doch toll, dass die Bücher in Michigan stehen, dass man sich dort dafür interessiert.
Und die Vorstellung, dass eine studentische Hilfskraft oder sonstwer meinethalben ein Paarhundertmal auf den „Start“-Knopf drückte, finde ich vergnüglich.
Vieles in der aktuellen Debatte geht weit vorbei, etwa wenn Marek Liebermann in der Süddeutschen von heute von der „Gratis-Fratze“ spricht, die den Kreativen die Geschäfte verhageln würden. Das stimmt doch nicht. Es ist letztlich Gratis-Werbung:
Bei einem guten Buch ist jede gescannte Seite ein Kaufargument.
Bei einem schlechten Buch ist jede gescannte Seite ein Fingerwegdavonargument.
Aber unterstellt, dass ein Leser selbst entscheiden kann und vielleicht ganz andere Masstäbe hat als vielleicht ich, ist das Qualitätsargument nachrangig.
Bei wissenschaftlichen Texten – um diese geht es eigentlich bei der Open-Access-Debatte, es geht nicht um Romane oder Lyrik – sind die Verkaufszahlen sowieso meist vernachlässigbar. Für den Autor gibt’s meist ohnehin nur Freiexemplare und / oder Sonderdrucke, wenn Honorar, dann auch nur pauschal, aber doch nicht nach Verkaufszahlen. Es zählt für den Autor (der Verleger misst anders) also allenfalls, dass möglichst viele seine Thesen, Ausführungen, Erkenntnisse etc.pp lesen, und dass sie zitiert werden. Durch Scan und kostenfreie Onlineverfügbarkeit ist für Verbreitung und damit virulente Wirksamkeit gesorgt.
Die ungefragte Bucherfassung durch Google ist zwar zunächst ein Rechtsbruch – etwa analog zum Photokopieren eines vollständigen Buches [wer hat das als Student noch nie gemacht?!], nämlich eine Urheberrechtsverletzung. Aber, grosses Aber: dieser Rechtsbruch ist für Forscher und Liebhaber, für Leser und Rechercheure von Nutzen. Er ist Weichenstellung für etwas wichtigeres:
Denn eigentlich ist die ungefragte Bucherfassung in grossem Stil nichts anderes als die Modernisierung des Bibliotheksbegriffs. Sie ist dabei nicht weniger als die Revolutionierung des demokratischen Bildungsideals: das jederzeit zugängliche, geballte Wissen für jedermann.
Es gibt viel Unnützes und Halbwahres im Netz. Je mehr gute, wichtige, intelligente, kluge, weisheitsdurchsättigte Texte online sind, desto mehr haben alle davon und desto obsoleter werden obsolete, halbgare Quellen:
Ich hörte von allerlei Schularbeiten, deren einzige Quelle die Wikipedia war. Wenn künftig „Google Buchsuche“ die Hauptquelle sein wird, ist mir auch um die Bildung der Schüler nicht mehr bang.
Eines noch zum Schluss. Beim Überlesen dieses Textes beschleicht mich die Befürchtung, dass dies als Progoogletext aufgefasst werden könne. Das ist es gar nicht. Wer mich kennt, der weiss das. Und wer mich nicht kennt, der weiss es jetzt.
Bringt die Bibliotheken zu den Leuten! Anders gesagt: Bringt die Bücher zu den Leuten! Als Antiquar und Autor habe ich ohnehin nichts anderes im Sinn.
Danke für diese besonnene Stellungnahme, die ich mit freundlicher Genehmigung wiedergeben darf.
KlausGraf - am Sonntag, 29. März 2009, 01:57 - Rubrik: Open Access