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[Gedruckt: Karl der Kühne und die Burgunderkriege, in: Killy Literaturlexikon. Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes, 2. Aufl., Bd. 6, Berlin/New York 2009, S. 297-299]

Die aggressive Expansionspolitik Herzog Karls des Kühnen von Burgund,
die mit seinem Tod in der Schlacht von Nancy am 5. Januar 1477 endete,
hat die Zeitgenossen stark beschäftigt und insbesondere im
deutschsprachigen Raum eine Fülle von Publizistik und
historiographischer Verarbeitung ausgelöst.

Die wichtigsten Texte sind Rückblicksdichtungen nach dem Tod des
Herzogs, die 1477 oder in den folgenden Jahren entstanden. Auf das
große Interesse der Öffentlichkeit antwortete das neue Medium des
Buchdrucks, indem in Straßburg im Jahr 1477 allein vier Darstellungen
erschienen. Die anonyme ‘Burgundische Legende’, eine Reimpaarchronik,
erlebte zwei Nachdrucke und wurde mehrfach in Handschriften
abgeschrieben. Sie wurde benutzt von dem Straßburger Hans Erhart Tüsch
für seine ‘Burgundische Historie’, ebenfalls eine Reimchronik. Von den
beiden Straßburger Ausgaben dieses Werks ist eine mit Holzschnitten
repräsentativ ausgestattet. Diese und einen zusätzlichen Holzschnitt
weist die kürzere Reimchronik des Straßburger Klerikers Konrad
Pfettisheim auf. Frühhumanistisches Gepräge trägt die lateinische
Prosa ‘De proeliis et occasu ducis Burgundiae historia’ eines
Nicolaus, den G. Himmelsbach jüngst ohne zureichende Gründe mit
Nicolaus Salicetus identifizierte.

Eine Reihe handschriftlich überlieferter, heuristisch noch kaum
erschlossener kürzerer lateinischer Gedichte (z.B. von dem
Schlettstadter Rektor Ludwig Dringenberg) widmete sich dem Tod des
Herrschers. Eine rhetorisch stark stilisierte lateinische Darstellung
legte 1477 der Schweizer Frühhumanist Albrecht von Bonstetten vor. Sie
existiert auch in deutscher Fassung. Von dem italienischen Humanisten
Johannes Matthias Tiberinus (bzw. Tabarino) stammt ein Erzherzog
Sigismund von Tirol gewidmetes Gedicht in Hexametern ‘De bello, strage
et obitu bellipotentis Caroli Burgundiae ducis’, während das posthum
1518 gedruckte Epos ‘Liber Nancéidos’ über die Schlacht von Nancy von
Pierre de Blarru erst um 1500 entstand.

Mit der Verpfändung oberrheinischer Gebiete durch Erzherzog Sigismund
von Tirol an den Burgunderherzog 1469 und der Einsetzung des
verhassten Peter von Hagenbach als Landvogt war man in Deutschland auf
die burgundischen Großmachtbestrebungen aufmerksam geworden. Neben der
sehr umfangreichen handschriftlichen ‘Breisacher Reimchronik’ (erst um
1480) beschäftigten sich zwei Lieder (von einem Judenfint wohl aus
Speyer und einer Krämersfrau) und ein lateinischer Dialog des
Humanisten Jakob Wimpfeling am Oberrhein mit dem Schicksal des 1474 in
Breisach hingerichteten Hagenbach.

Die lange Belagerung der Stadt Neuss 1474/75 durch Karl den Kühnen im
Rahmen der Kölner Stiftsfehde schilderte der Neusser Notar Christian
Wierstraet in einer umfangreichen Reimchronik, die wohl schon 1476 in
Köln gedruckt wurde. Neben zwei deutschsprachigen Gedichten und einem
lateinischen Gedicht des Münsterschen Frühhumanisten Rudolf von Langen
liegt in der von dem späteren Limburger Kleriker Johannes Gensbein
zusammengetragenen Sammelhandschrift Berlin mgq 1803 ein
aufschlussreiches zeitgeschichtliches Dossier zum Neusser Krieg und
Karl dem Kühnen vor. Außer Auszügen aus der ‘Burgundischen Legende’
enthält es eine unedierte Beschreibung der Festlichkeiten in Trier
1473, bei denen Karl die Anwesenden durch seine ungeheure
Prachtentfaltung beeindruckte, durch Gensbein selbst, ein unediertes
Reimpaargedicht eines sonst nicht bekannten Bernhard Bleyßwyler über
die Verteidigung von Neuss durch Hermann von Hessen 1474/75 und ein
unediertes Reimpaargedicht über die Beteiligung der Limburger an
diesem Krieg. Auch in weiteren deutschsprachigen oder lateinischen
Sammelhandschriften finden sich mehr oder minder umfangreiche
Textzusammenstellungen (meist Prosaberichte und Urkundenkopien) zu
Karl dem Kühnen und den Burgunderkriegen. Chronisten wie der Basler
Kleriker Johannes Knebel oder der Erfurter Kleriker Konrad Stolle
gewährten mitunter den Ereignissen viel Raum.

Nach Hagenbachs Hinrichtung 1474 begannen die eigentlichen
Burgunderkriege zwischen Karl und der Schweizer Eidgenossenschaft, die
sich mit oberrheinischen Verbündeten zu einer anti-burgundischen
Allianz, der Niederen Vereinigung, zusammengeschlossen hatte.
Schweizer Liederdichter (Veit Weber, Mathis Zollner und weitere)
feierten die großen Schlachtensiege der Eidgenossen: 1474 Héricout,
1476 Grandson und Murten, 1477 Nancy. Auf dem Gebiet der heutigen
Schweiz 1477 und später entstandene historiographische Werke, allen
voran die handschriftlich weit verbreiteten Chroniken des Berners
Diebold Schilling d.Ä., überlieferten nicht nur diese Lieder, sondern
bestimmten mit ihren detailreichen Prosadarstellungen das
eidgenössische Geschichtsbild. Außer in Bern entstanden eigene
Burgunderkriegschroniken, soweit bekannt, in Basel und in Freiburg im
Üechtland. Die Rolle der Burgunderkriege als epochales
militärgeschichtliches Ereignis, ihrer literarisch-historiographischen
Wahrnehmung und ihrer gegenständlichen Relikte (“Burgunderbeute” von
Grandson) für die Ausbildung des eidgenössischen Selbstverständnisses
darf nicht unterschätzt werden. Während des Konfliktes selbst
unterrichteten und beeinflussten ausführliche Prosaberichte
(Missiven), die von den städtischen Nachrichtenzentren (außerhalb der
Eidgenossenschaft vor allem Basel, Straßburg und Köln) weitergesandt
wurden, die begrenzte, aber durchlässige Öffentlichkeit der Kanzleien.

Karl der Kühne wird in diesen Texten fast ausnahmslos negativ
dargestellt, als grausamer Tyrann. Man dämonisierte ihn als “Türk im
occident” (so ein Lied zum Neusser Krieg) oder sogar als Antichrist.
Häufig wird die Alexander-Imitatio des Herrschers angesprochen und dem
Leitmotiv der literarischen Gestaltungen, dem Hochmut Karls,
untergeordnet.

Besondere Bedeutung kommt der Burgunderkriege-Publizistik für die
Ausbildung eines nationalen, auf die “teutsche nation” bezogenen
Diskurses zu. Karl und seine Truppen stehen für die treulosen und
falschen “Welschen”. Als wichtige Trägergruppe dieses auch in den
amtlichen Korrespondenzen ständig gegenwärtigen Diskurses lassen sich
die urbanen Zentren ausmachen. Hier verband sich die Furcht vor Karl,
den man aufgrund seines harten Vorgehens gegen Lüttich und Dinant als
Städtefeind sah, mit verbreiteter Fürstenangst. Die Rolle des
anti-welschen Ausgrenzungs-Diskurses und die Berufung auf die deutsche
Nation erschöpfte sich nicht in der Funktion als Propaganda während
des Konfliktes, mit der die deutschen Reichsstände als Verbündete
gewonnen werden sollten. Über die - teilweise ja auch gedruckten -
Rückblicksdichtungen fanden die nationalen Stereotypen und der Stolz,
die burgundische Bedrohung besiegt zu haben, weite Verbreitung.


Quellen:

Gottlieb Friedrich Ochsenbein, Die Urkunden der Belagerung und
Schlacht von Murten, Freiburg 1876;

Basler Chroniken Bd. 2, Leipzig 1880; Bd. 3, Leipzig 1887; Bd. 5, Leipzig 1895;

Recueil de Pièces Historiques Imprimées sous le Règne de Louis XI,
hrsg. von Emile Picot/Henri Stein, Bd. [1]-[2], Paris 1923;

Thomas Cramer, Die kleineren Liederdichter des 14. und 15.
Jahrhunderts, Bd. 2, München 1979; Bd. 3, München 1982


Literatur:

Iris und Frieder Schanze, Karl der Kühne und die Burgunderkriege, in:
Verfasserlexikon. Die deutsche Literatur des Mittelalters 2. Aufl. 4
(1983), Sp. 1006-1012;

Frieder Schanze, Überlieferungsformen politischer Dichtungen im 15.
und 16. Jahrhundert, in: Schriftlichkeit und Lebenspraxis im
Mittelalter. Erfassen, Bewahren, Verändern, hrsg. von Hagen Keller
u.a., München 1999, S. 299-331 (grundlegend);

Claudius Sieber-Lehmann, Spätmittelalterlicher Nationalismus. Die
Burgunderkriege am Oberrhein und in der Eidgenossenschaft, Göttingen 1995;

Gerrit Himmelsbach, Die Renaissance des Krieges. Kriegsmonographien
und das Bild des Krieges in der spätmittelalterlichen Chronistik am
Beispiel der Burgunderkriege, Zürich 1999;

Karl der Kühne (1433-1477). Kunst, Krieg und Hofkultur, hrsg. von
Susan Marti, Till-Holger Borchert und Gabriele Keck.
[Ausstellungskatalog], Stuttgart 2008;

Wikisource-Themenseite Burgunderkriege
http://de.wikisource.org/wiki/Burgunderkriege

 

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