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.... Die Kollegen vom Kölner Diözesanarchiv hatten ihn gewarnt: "Pack genügend T-Shirts ein!" Eine guter Rat, wie Volker Laube inzwischen festgestellt hat. Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag - vier Tage schwitzt der Münchner Archivar nun schon in einem Kölner Möbelhaus zwischen verbogenen Aktenordnern und zerfetzten Papieren im weißen Ganzkörperschutzanzug Marke "Tyvek Classic". Kollegen, die den "Personal Protection"-Anzug direkt auf der Haut tragen wollten, hatten sich das Ding rasch wieder vom schweißnassen Leib gerissen. Schließlich steht Laube in einem erhitzten Trockenraum, wo er Papiere sichtet, deren rote Verfärbung nur bei genauem Hinsehen ergründbar ist. Ist es der Staub zerriebener Ziegel? Oder, viel schlimmer, Schimmel? Der Erzfeind jedes Archivars. Der fast sichere Tod des Dokuments......
Laube wurde vom Münchner Erzbistum nach Köln entsandt, wo er noch bis Samstag helfen wird. Gelebte Solidarität sei das, sagt er. Doch auch der Dienstherr wird von den Erfahrungen profitieren, die der 39-jährige Archivrat sammelt. Man kann schließlich aus jeder Katastrophe auch lernen. Auf Wasserschaden, auf Feuer wären die Kölner vorbereitet gewesen. Doch wer rechnet schon damit, dass ein ganzes Gebäude in einen Schacht stürzt, zwei Menschen und das Archiv unter sich begräbt? "Wie man damit umgeht, dafür gibt es kein Lehrbuch," sagt Laube.
Die Kölner mussten also improvisieren. Erst nach Tagen, als die Toten geborgen waren, konnte man sich dem Papier zuwenden. Zunächst lagerte man die Dokumente in einer offenen Halle, doch dort war es zu zugig und kalt, für die Helfer wie für die Dokumente. Mittlerweile kommt nur noch der Bauschutt in die Halle; die Archivalien werden in ein "Erstversorgungszentrum" gebracht, ein Möbelhaus am Rande der Stadt.
.....Auch Gerhard Fürmetz hat die Geheimhaltungs-Klausel samt Einwilligung zur Taschenkontrolle unterschrieben, die ihm quasi zur Begrüßung in Köln gereicht wurde. Fürmetz ist Archivoberrat im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, mit sechs angehenden Archivaren und zwei Kollegen aus München und Nürnberg war er in der letzten Märzwoche im Köln-Einsatz. Er hat die geschundenen Dokumente nach der Anlieferung in Empfang genommen, sie provisorisch mit einem Handbesen von Staub und Gestein befreit, hat die Dokumente in blaue Plastikwannen gelegt und jede Wanne mit einer Identifikationsnummer versehen. Damit man sich später einigermaßen zurechtfindet in den Aktenbergen. Mit dieser Nummer werden die Dokumente von nun an leben - für Jahre, wohl eher für Jahrzehnte, vermutet Fürmetz. ....Auch die Behältnisse, in denen die Dokumente im Möbellager ankommen, sind aus Sicht eines Archivars unwürdig. Gitterboxen, Umzugskartons, "was halt zu kriegen ist", vermutet Fürmetz. Wie sonst sollten die Kölner sich bei dieser Masse an Papier behelfen? Und auch die Papiere, die Fürmetz normalerweise mit Samthandschuhen anfassen würde, musste er hier mit Gummihandschuhen anpacken. Zum Schutz der Hände, nicht des Papiers. ....Und was ist nicht alles in dieser Woche durch seine Hände gegangen: spätmittelalterliche Rechnungsbücher, Akten aus der Ausländerbehörde. Mit der Abwasserbeiseitigung im Köln des 19. Jahrhunderts hätte er sich vertraut machen können, wenn er Zeit gehabt hätte. Doch die Vorgabe lautete: putzen und in die Stapelbox legen! Zwei Credos habe man, sagt der Kölner Archivar Fischer: "Wir lesen nichts!" Und: "Es wird nichts weggeworfen!" Dabei hätte es Fürmetz schon gereizt, jedes Stück akkurat zu säubern und für ein loses Blatt auch mal die Ursprungsakte zu suchen. Doch Fürmetz blieb standhaft. Nur einmal hat er kurz innegehalten und geblättert. Als auf seinem Tisch ein Schreinsbuch landete, eines jener berühmten Kölner Grunderwerbsdokumente aus dem Mittelalter.
Nach ihrer Schicht werden die Archivare im Bus zurückgebracht ins Versorgungsamt der Stadt Köln, einem Gebäude mit dem Charme einer Kaserne, wo alle Helfer übernachten. Einfach aber sauber sei es dort, sagt Laube: ein Stockbett, ein Schrank, vor den Duschen auf dem Gang bilden sich nach jeder Schicht Schlangen. Die Frühschicht beginnt um sieben Uhr und dauert bis 14 Uhr, die Spätschicht arbeitet bis 21 Uhr. Laube und Fürmetz sind lieber früh aufgestanden. Damit man noch was hat vom Tag und sich am Abend mit den Kollegen auf ein Kölsch treffen kann. Archivare aus Tschechien und Frankreich hat Laube schon kennengelernt, Fürmetz verstand sich mit den Magdeburgern gut. Am Ende, findet er, habe der Archiveinsturz so doch wenigstens ein Gutes: "Es hat unsere Community zusammengeschweißt."

Quelle:
http://www.sueddeutsche.de/055386/510/2859296/Erstes-Gebot-Nichts-lesen.html
 

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