Marburger Dozenten (v. r. n. l.) Dr. Hollenberg, Prof. Heinemeyer und Dr. Löwenstein vor dem Goethe-und-Schiller-Archiv in Weimar (Quelle: Privat)
„ ….. DDR- Besuche von Vertretern der Archivschule Marburg …..
Im Herbst und Winter 1988 konnten zwei auf der Grundlage des Kulturabkommens vereinbarte Exkursionen aus der Bundesrepublik in die DDR durchgeführt werden: die eines Archivinspektorenanwärter-Lehrgangs der Archivschule Marburg [um die soll es hier gehen] und die des Vorstandes des Vereins deutscher Archivare. Die Studenten und Dozenten aus Marburg unter der Leitung von Professor Dr. Karl Heinemeyer hielten sich vom 19. – 23. September 1988 zu Archivbesuchen in Potsdam, Berlin, Merseburg, Weimar und Gotha auf. Die Exkursion war durch eine am 25. April 1988 vom Innenminister bestätigtete „Entscheidungsvorlage“ genehmigt worden und lief nach einem am 18. August 1988 ebenfalls „bestätigten Aufenthaltsprogramm“ ab .
Die Exkursions Teilnehmer wurden in den besuchten Archiven – Staatsarchive, Zentrales Parteiarchiv, Goethe-Schiller-Archiv – von den Direktoren empfangen, geführt und informiert. Kontakte oder gar Diskussionen mit den Belegschaften gab es nicht. Lediglich bei dem Besuch der Fachschule für Archivwesen, Potsdam, waren auch „vier Studentenvertreter“ in das Programm einbezogen . Der von der StAV eingesetzte ständige Betreuer der Gäste konnte berichten, dass das „Projekt in vollem Umfang, hoher Qualität und ohne Vorkommnisse umgesetzt“ worden sei. Die Gäste seien „diszipliniert und höflich“ gewesen und wohl „vor der Exkursion instruiert worden, sich jeder kritischen Meinungsäußerung zu enthalten “, was sie offenbar auch getan haben. Das MfS meldete ebenfalls keine Beanstandungen. Es hatte die „politsch-operative Sicherung“ durch die Hauptabteilung VII des MfS in Zusammenarbeit mit den MfS-Bezirksverwaltungen Potsdam, Halle und Erfurt gewährleistet. Außerdem waren „zur Betreuung zwei IM ständig im Einsatz “…..“
Aus: Hermann Schreyer: "Das staatliche Archivwesen der DDR. Ein Überblick", Düsseldorf 2008, S. 234-235
Aus den Erinnerungen eines Marburger Teilnehmers:
„- An unseren "Grenzübertritt" in Marienborn, wobei ein falsch ausgefüllter Meldezettel die Wartezeit erheblich verlängerte. Jemand hatte statt "Berlin - Hauptstadt der DDR" fatalerweise "Ostberlin" als Reiseziel eingetragen.
- an die Kohlenhaufen vor dem DZA in Potsdam ….
- an den abenteuerlichen Besuch des "Klubs der Filmhochschule der DDR" in Babelsberg, insbesondere an den nur personenweisen, konspirativen Einlass in die Lokalität …..
- an das Unverständnis eines Offiziellen im Staatsarchiv Potsdam (Friedrich Beck?) darüber, dass niemand von uns von dem angebotenen Kognak nahm ("Was, Sie trinken nichts? Und Sie wollen Archivare sein?");
- daran, dass selbst wir als "offizielle Delegation" in einem bankähnlichen Gebäude zwangsweise DDR-Mark tauschen mussten;
- an die grau und bieder ausschauenden, etwas älteren Archivarinnen im Parteiarchiv der SED, die aber enorm beschlagen und kompetent waren;
- daran, dass uns bei der Besichtigung des DZA Merseburg eine Kopie des Mandats Friedrichs des Großen ausgehändigt wurde, worauf sein berühmtes Diktum zu lesen war, dass jeder nach seiner Fasson selig werden solle;
- an den Direktor des Staatsarchivs Weimar mit dem SED-Parteiabzeichen ("Händedruck") am Revers;
- an eine auf der Wartburg verlorene "Fahrerlaubnis" (statt Führerschein)….“
Meine Marburger Kurskolleginnen und –kollegen habe ich gebeten, weitere Erinnerungen niederzuschreiben und Bilder zu suchen. Interessant sind auch die Erinnerungen der Potsdamer Kollegen. Gerüchterweise hat der erwähnte, abendliche Babelsberger Besuch doch zu unangenehmen Reaktionen geführt.
Leider unterliegt die einschlägige Überlieferung der neben dem MfS beteiligten Institutionen noch der archivgesetzlichen Sperrfrist.
Wolf Thomas - am Mittwoch, 30. Dezember 2009, 20:23 - Rubrik: Archivgeschichte